Hallo Zusammen
Ich habe eine neue Geschichte für euch dabei.
Ich freue mich über Feedback.
Beste Freunde
Ich bin der erste Freund, dem du in die Augen schaust. Knopfaugen. Tiefschwarz, glänzend, treu. Ich weiß nicht genau, was du darin siehst, doch es muss gewaltiger sein als das Universum.
„Du kannst mir vertrauen.“
Mein Leben gehört dir. Du gibst mir einen Namen. Eine Stimme. Wir sind unzertrennlich.
Ich bin der erste Freund, dem du ein Knopf ans Ohr plapperst. Dem du das Ohr fast abknabberst. Und der Erste, dem du deine allergeheimsten Sorgen erzählst.
Deine Tränen trocknen in meinem Fell, wenn du mich an dein Gesicht drückst.
„Ich bin immer für dich da.“
Kein Blatt passt zwischen uns. Kein Tag ohne Abenteuer. Keine Nacht ohne Einander. „Wir gehören zusammen.“
Du hältst mich. Du wirfst mich. Du fängst mich. Du nimmst mich überall mit. Auf die Rutsche. Auf die Schaukel. Ins Auto. Ins Bett. Auch in deinem türkisfarbenen Schulranzen bekomme ich einen Platz; ich luge daraus hervor, beobachte den Lehrer genau.
„Ich passe auf dich auf.“
Jahrelang.
Du und Ich.
Ich sehe dich wachsen. Und ich freue mich unsagbar darüber, bis ich es hasse.
Du siehst mich immer noch an, aber anders.
Manchmal gehst du ohne mich weg, aber wenn du wieder kommst, drückst du mich an dich. Manchmal. Hin und wieder. Ziemlich oft. Immer häufiger, gehst du weg.
Immer häufiger beachtest du mich nicht.
Immer häufiger beobachte ich dich vom Bett aus, wenn du hier bist, und nicht fort.
„Kannst du mich noch sehen?“
Ich bin dein erster Freund. Aber nicht dein Letzter.
Immer häufiger nimmst du mich nachts nicht mehr in den Arm.
Stattdessen nimmst du mich aus dem Bett und steckst mich in eine Kiste.
Es ist dunkel.
Ich kann nichts mehr sehen. Ganz besonders nicht dich. Meine Augen gewöhnen sich nur sehr langsam daran. Es ist still. Außen, aber nicht in mir. In mir tobt es. In mir trauert es.
„Das hast du nicht wirklich getan? Das soll es gewesen sein?“, flüstere ich. „Das soll es gewesen sein mit mir? Mein Ende in einem stickigen Karton?“
Einatmen. Ausatmen. „Du schmeißt mich aus deinem Leben?“
Niemand da, der mich tröstet.
Einatmen. Ausatmen. Traurigkeit schlägt in Wut um.
„Das soll es gewesen sein mit uns? Und du glaubst, das lasse ich auf mir sitzen? Du glaubst, ich wehre mich nicht?“ Die Knopfaugen brennen. Ich rase. „Lass mich nur einen Weg hieraus finden, dann komme ich. Dann hole ich dich. Dann nehme ich dir alles, wie du mir.“
„Welche Laus ist dir denn über das Fell gekrochen?“
Die Stimme erschreckt mich kurz. Sie klingt rau und etwas kratzig, aber nicht unfreundlich. Ich halte inne.
Mir war nicht aufgefallen, dass ich nicht alleine bin. Erst jetzt erkenne ich in der Dunkelheit Silhouetten. Puppen und Tierfiguren sitzen um mich herum. Ich erkenne die Rassel, die mit mir in der Babywiege gelegen hatte. In der Ecke liegt ein Xylofon.
Die raue Stimme, die meinen Monolog unterbrochen hat, gehört zu einem alten Spielzeugauto, das wachsam ein kleines Stück näher auf mich zurollt. Nicht zu nah, nur nah genug.
Einatmen. Ausatmen. „Was weißt du schon?“, ich brenne. Mein Mund zieht eine zornige Grimasse, die mit Zähnen sicher noch eindrucksvoller aussähe, „Weggeschmissen hat er mich, weg, weg, in diese elendsschwarze Kiste zu euch, wie ein wertloses Ding.“
„Das glaube ich nicht.“
„Was weißt du schon?“, wiederhole ich, „Seid ihr doch fröhlich in eurem schwarzen Loch. Ohne mich.“
Ich wende mich ab.
Ich suche einen Ausweg. Links nichts. Rechts nichts. Wenn ich ihn gefunden habe, werde ich es ihm heimzahlen. Ich strecke mich wutüberschäumend. Ich recke mich.
Es muss ein Herankommen an den gottverdammten Deckel geben.
„Mehr als du auf jeden Fall“, antwortet das alte Auto nach einer langen Pause stoisch, „Du bist hier. Und wenn du hier bist, dann bist du wertvoll.“ Ein weises Lächeln liegt in seiner Stimme. „Du bist ein bester Freund. Wohlwahr ein dümmlicher, aber ein echter.“
Wieder halte ich inne.
Einatmen. Ausatmen. Meine Wangen glühen.
„Die, die keine Freunde sind, werden gleich verschenkt oder verkauft“, fährt er fort, „Und sie werden nicht liebevoll geflickt, so wie wir.“ Er deutet auf sein geklebtes linkes Hinterrad und dann mit wohlwollend hochgezogener Augenbraue auf meinen Bauch, wo eine stümperhafte Nähnahtnarbe zu sehen ist. Ich erinnere mich, wie die Mutter mich nähte.
Ich fasse vorsichtig daran.
„Meinst du?“, frage ich zögerlich. Die Wut ebbt ab.
„Ich meine nicht, ich weiß“, nickt er und rollt seitlich ein Stück an mir vorbei, „Du hast deine Aufgabe gut gemacht. Dein Kind ist groß geworden. Sie werden groß und dann brauchen sie uns nicht mehr so nah bei sich, aber sie brauchen uns trotzdem für immer.“
Ein Seufzen entweicht ihm, in Gedanken woanders. Dann sieht er wieder mich an. Direkt in die Knopfaugen. „Ich bin schon lange hier und von Zeit zu Zeit werde ich heraus geholt.“
„Ich werde ihn wiedersehen?“ Mein Herz hüpft.
„Gewiss.“
Also warte ich.
Lange.
Jahrelang.
Bis die Kiste sich tatsächlich eines Tages öffnet.
Du schaust mich an. Dein Gesicht ist kantiger geworden und übersäht mit kratzigen Bartstoppeln, die Haare sind kürzer, die Hände größer, aber ich erkenne dich sofort. Als du mich hochnimmst und nah an dein Gesicht hältst, sehe ich darin das Universum leuchten.
„Schön dich zu sehen.“
Du nimmst mich mit, und setzt mich in ein Bettchen neben ein winziges glucksendes Mädchen. Sie hat deine Augen, und ich bin mir sicher, wir werden gute Freunde sein.