Es kann helfen, wenn du zunächst die Wendepunkte festlegst.
Also, am Ende des 1. Aktes gibt es eine “Katastrophe” (wie Randy Ingermansson das nennt). Hier wird der Held endgültig in die Geschichte hineingeschubst. Manche bezeichnen den 1. Wendepunkt auch als “Point of no return”. Im vorhergehenden 1. Akt wird die Lebenswelt des Protagonisten gezeigt und wie sie sich langsam verändert. Der Köder (für den Leser) steht am besten auf der ersten Seite und zieht den Leser in die Geschichte hinein. Er kann mit dem auslösenden Ereignis zusammenfallen, muss dies aber nicht. Bei einem Krimi wäre das auslösende Ereignis z.B. der Mord. Ohne ihn gäbe es die ganze Geschichte nicht. Frage dich also, was das auslösende Ereignis deiner Geschichte ist. Damit fängst du an oder kurz danach. (Beim Krimi wäre das Erscheinen des Ermittlers am Tatort ein guter Einstieg, der als Köder gelten könnte, aber es ist nicht das auslösende Ereignis. Das wäre die Tat.) Zwischen dem auslösenden Ereignis und dem 1. Wendepunkt liegt irgendwo das “Schlüsselereignis”. Es sorgt dafür, dass der Protagonist von dem Geschehen betroffen ist. Wenn ein Mord passiert und ich gehe am nächsten Morgen die Straße entlang und finde die Leiche, bin ich zwar verpflichtet, diesen Fund zu melden, aber dann ist die Sache für mich erledigt. Nicht so, wenn ich Ermittlerin bin. Dann wären - in meinem Beispiel - der Köder und das auslösende Ereignis dasselbe. Aber es kann auch auf andere Weise deutlich gemacht werden, dass der Protagonist mit dem Geschehnis verknüpft wird. Vielleicht liest er in der Zeitung von dem Auffinden einer weiblichen Leiche. Erst drei Szenen später erfährt er, dass das junge Mädchen seine Schwester ist. Dann ist er in der Geschichte drin. Er ist (emotional) betroffen. Das war das Schlüsselereignis.
Was unterscheidet dies nun vom 1. Wendepunkt? Nehmen wir an, die Ermittler stellen fest, dass das Mädchen Selbstmord begangen hat, und schließen den Fall ab. Der Protagonist weiß aber, dass seine Schwester nie Selbstmord begehen würde. Das passt einfach nicht zu ihr. Also entschließt er sich, selbst herauszufinden, was Sache ist. Diese Szene markiert den 1. Wendepunkt.
Der 2. Akt ist doppelt so lang wie der erste und der dritte. In der Mitte befindet sich der Mittelpunkt oder auch 2. Wendepunkt. Das ist der Punkt, an dem der Protagonist von “passiv” auf “aktiv” umschaltet. Sagen wir, dass er in der 1. Hälfte des 2. Aktes noch im Trüben fischt. Er stellt alle möglichen Ermittlungen an, befragt Zeugen, die seine Schwester zuletzt gesehen haben, aber so richtig schlau wird er aus alledem nicht. Dann findet er einen Hinweis, der ihm klar deutlich macht, wer der Täter sein könnte oder grenzt den Kreis der Verdächtigen deutlich ein. Jetzt kann er auf “aktiv” umschalten, weil er jetzt weiß, wen er überführen will. Er weiß aber noch nicht genau wie. Oder er weiß nicht, ob er das entscheidende Beweisstück finden wird etc.
Der 3. Wendepunkt ist nicht so leicht zu definieren wie die anderen beiden, aber er stellt auf jeden Fall einen Einschnitt in der Geschichte dar. Es könnte z.B. sein, dass der Protagonist jetzt weiß, welchen Beweis er braucht, um den Mörder zu überführen, doch die Frage bleibt: Kommt er da noch ran? Ist dieser im Laufe der Zeit vielleicht unbrauchbar geworden oder wurde er woanders versteckt?
Vielleicht gibt es auch eine neue Erkenntnis? Ein scheinbar unbedeutendes Indiz wird plötzlich zum entscheidenden Beweisstück?
Im obigen Beispiel könnte ich mir auch vorstellen, dass die Polizei irgendwann wieder übernimmt, denn i. G. zu Miss Marple haben Privatpersonen heute einfach nicht mehr die Möglichkeiten, forensische Analysen durchzuführen. Der Protagonist könnte mit der Polizei zusammenarbeiten, aber von ihr auch immer wieder ausgebremst werden, weil es für eine Privatperson zu gefährlich und unsicher ist, sich in die Ermittlungen einzumischen.
Vor dem Höhepunkt bzw. Showdown steht noch der “Dark Moment”, in dem der Protagonist glaubt, alles sei verloren. Ich könnte mir vorstellen, dass das wichtige Beweisstück gefunden wird, es aber für die Forensik wertlos ist oder aus bestimmten Gründen nicht vor Gericht verwendet werden darf etc. Und dann hat jemand die Idee, die Sache anders anzugehen und ein unbedeutendes Indiz wird plötzlich total wichtig.
Wenn du diese Wendepunkte bestimmt hast, kannst du die übrigen Ideen einfach dazwischenstellen und dich fragen: “Wie komme ich am besten von einem zum nächsten Wendepunkt? Welche Katastrophen können eine geradlinige Entwicklung behindern und für mehr Spannung sorgen?” Dann solltest du noch darauf achten, dass die einzelnen Teile 1. Akt - 2. Akt 1. Hälfte - 2. Akt 2. Hälfte - 3. Akt etwa gleich lang werden. Wenn die Wendepunkte zu früh kommen, fühlt der Leser sich verwirrt und überrollt und versteht u.U. nicht alles. Wenn sie zu spät kommen, hat er den Eindruck, der Roman sei zu lang.
Weitere Ideen kannst du immer noch einpassen, wenn das Gerüst steht. Dann kannst du auch am besten entscheiden, ob eine weitere Idee zielführend ist, oder ob sie nicht in den Roman passt.
Vielleicht kann das der Prokrastination entgegenwirken …