Nicht Seitenwind - Blätterbrise

Dies ist nicht Seitenwind. Nichts zu verlieren, aber auch keine Preise. Keine krassen Kritiken, kein Druck.
Dies ist Blätterbrise. Einmal im Monat stellt jemand eine Schreibaufgabe. Löse sie für dich alleine und wenn dir das Ergebnis gefällt, teile es mit uns. Dieses Projekt ist für alle, die sich gerade ausprobieren wollen - und das bedeutet, dass man sich verletzlich macht. Das ist mutig, aber auch riskant. Um diese Verwundbarkeit möglich zu machen, sollen hier nur die Herzen sprechen. Keine Kommentare bitte.

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Haarige Sachen
In fast jeder Kultur gibt es Mythen und Geschichten, die das Haar als Symbol von Macht, Schönheit oder Kraft in den Mittelpunkt stellen. (…) Jeder kennt eine haarige Geschichte, und gewöhnlich ist sie witzig oder anrührend.
Das Haar ist unser Pelz, unser Fell. Wir widmen ihm viel Aufmerksamkeit. Länge, Farbe, Beschaffenheit und Frisur können eine ethnische, gesellschaftliche oder familäre Zugehörigkeit ausdrücken. (…)
Berühren Sie einmal Ihr Haar. (…) Wo Sie es berührt haben, gibt es Geschichten, Bilder und Assoziationen.

Schreiben Sie eine Geschichte zum Thema Haar. Oder listen Sie Bilder und Assoziationen auf, die Ihnen in den Sinn kommen, wenn Sie über Haare nachdenken.

(aus: Raum zum Schreiben von Bonni Goldberg, Autorenhaus Verlag, 2012)

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In meiner Jugend fiel das Haar
zur Schulter blond und kraus,
Danach fiel’s mir mit jedem Jahr
Nur immer weiter aus.

Gruß,
misc

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Rezept für starke Nerven
Die Haare wachsen lassen, bis sie dich einhüllen wie ein Mantel. Einen Zopf flechten, mit fünf Strängen. Den Zopf aus dem Fenster werfen wie eine Angelrute und warten, bis ein Prinz anbeißt. Den Prinzen hochziehen. Der Prinz ist nicht weiter wichtig, es ging um das Training der Kopfhaut und Nackenmuskulatur. Jetzt die Haare eindrehen und so lange verdichten, bis sich Hörner bilden. Das kann Jahre dauern, aber man kann etwas Leim zuhilfen nehmen. Wenn die Hörner fest sind, eine Wand suchen. Mit dem Kopf durch die Wand rennen. Wieder und wieder durch Wände rennen, bis die Hörner abgestoßen sind. Jetzt bildet sich sanfter Flaum am Hörneransatz, diesen bitte in keinem Fall waschen. Die Haare wachsen lassen, bis sie dich bedecken wie ein Mantel, dabei niemals kämmen. Einen Sommer lang draußen wohnen, mit dem Haarfilz als Zelt. Jemanden finden, der die Matte kämmt, bis die Finger hindurchgleiten und das Haar in der Sonne glänzt. Einen Zopf machen, den Zopf abschneiden. Bei Bedarf wiederholen. (Das Rezept lässt sich auch auf Bärte und anderes Körperhaar anwenden.)

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Vorsichtig strich sie über den alten Pappkoffer. Im Laufe der Jahrzehnte wurde er immer wieder stellenweise geflickt, an manchen Stellen war er bereits porös. Behutsam entriegelte sie ihn und schob den Deckel nach hinten. Sie berührte die einzelnen Erinnerungen. Die Erinnerungen ihrer Familie. Das Taufkleid ihrer Ur-Großmutter, welches auch sie trug. Wie ihre Mutter zuvor und ihre eigene Tochter danach. Die Familienbibel aus dem 18. Jahrhundert, die ersten Kinderschühchen mehrerer Generationen …
Die Feldpost ihres Ur-Großvaters, der Verdun nie verließ. Sie öffnete den Umschlag, vergilbt und brüchig. Sie entnahm den Brief, eine zusammengebundene Haarlocke glitt heraus.
„Meine Inniggeliebte. Gestern fielen 8 meiner Kameraden. Wir harren in den Schützengräben aus, die Kälte kriecht in unsere Seelen. In 3 Monaten wird unser Kind geboren. Falls ich nicht heimkomme, sollst du wissen, wie sehr ich euch liebe. Ich sende dir eine Locke, damit du etwas von mir in Händen halten kannst. Lebe wohl, ich habe Angst. Herrmann“
Herrmann kam nicht heim, so wie sein Sohn nicht heimkam, keine drei Jahrzehnte später. Auch sein Haar liegt in diesem Koffer. Haare, welche ihren eigenen glichen. In einer versilberten Kiste liegen weitere Haarsträhnen, sorgsam gebunden, mit handschriftlichen Etiketten versehen. Zöpfe, die von Mädchenköpfen in der Kindheit abgeschnitten wurden, da sich die Mode der Zeit geändert hatte. Haarbüschelchen, die heimlich am Totenbett entwendet wurden.
Ihr wurde schwindelig, langsam schloss sie die Augen. Versuchte, zu atmen, aber es fiel ihr schwer. Mit jedem Tag mehr. Bald würde ihr Atem ganz versiegen.
Bedächtigt nahm sie die Schere in die Hand, die sie bereitgelegt hatte. Umfasste mit der anderen Hand eine Strähne ihres Haares und schnitt.

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Haarige Probleme

Da sind einmal die Haare, welche immer dort wachsen, wo sie nicht sollten. In den Ohren, in der Nase auf der Brust. Auch Frauenbeine werden nicht verschont und Barthaare im Gesicht sind bei Frauen auch nicht sehr beliebt.
Aber es geht noch schlimmer. Es ist der unausweichliche Beweis, beim erschreckenden Blick in den Spiegel. Unübersehbar lacht es dir entgegen. Es kommt unverhofft und brutal. Das erste graue Haar.
Das sind wenigstens die eigenen Haare. Schlimmer sind die Haare, für die man eine gute Begründung braucht, falls die Ehefrau am nächsten Morgen feststellt: „Schätzchen, hatte die lange Sitzung gestern Nacht blonde, lange Haare?“

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sehr schöne Geschichte :smile:

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Meine Güte, was für eine wundervolle Geschichte. Hatte ich noch nicht gefunden. Ich liebe sie und ich habe voll den Film dazu vor Augen. Danke, dass du sie geteilt hast. :heart:

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