vor fünfzig Jahren war man in einer vergleichsweisen komfortablen Situation. Wenn man schrieb, dass einer jemanden anruft, dann wusster JEDER, was damit gemeint ist. Irgendwer steckt seinen Zeigefinger in ein paar kleine Löcher, dreht an einer Plastikscheibe und dann klingelt an einem bestimmten Platz ein Telefon. Ob 1950 oder 1980 war dabei egal. Jeder wusste, was gemeint war.
Wenn man jetzt ein Manuskript in der Schublade liegen hat, sagen wir mal so zehn Jahre, ist das veraltet, Schrott, unbrauchbar. Denn die Techniken in dem Manuskript sind von der Wirklichkeit längst überholt worden. Bei einem Liebesroman ist das ja noch egal, bei einem Thriller oder Krimi aber blöd. Zumal wenn der Plot auf etwas aufbaut, was vor zwanzig Jahren ein Problem war, und heute (durch neue Technik) längst keins mehr ist.
Habt ihr solche Manuskripte irgendwo noch?
Denkt ihr daran, wenn ihr heute etwas schreibt?
mir stellen sich bei deiner These gleich mehrere Fragen. Um vielleicht mit der grundsätzlichsten anzufangen: Wenn es so sein sollte, daß “ein Manuskript von der Wirklichkeit überholt wird”, fällt mir die Frage ein, was denn das ist, also DIE Wirklichkeit … – Ich habe Literatur, mindestens schon so lange ich mich damit auch auf der Metaebene beschäftige, (neben anderem) immer für einen Ausdruck dessen gehalten, was an vermeintlicher Wirklichkeit suspekt, hinterfragbar und wohl auch subversierbar ist; oder andersherum formuliert: Literatur, die nur mit dem “herummacht”, was für den Menschen in einem pragmatischen Sinn [sic!] “wirklich ist”, hat mich noch nie besonders interessiert, weil mich am Literarischen ja gerade das Nicht-Pragmatische, das Ungewöhnliche, das Fiktionale – auch das Nichtidentische, also kurz: das Ästhetische – fasziniert …
Kann ein literarisches Stück nichts davon entfalten, so sehe ich persönlich das von meinem subjektiven Standpunkt aus, unterschiede sie sich ja in rein gar nicht von Alltagsprosa. Mit der nun aber werde ich ja von morgens bis abends sowieso schon bis zum Erbrechen – bis zu existentiellen Ekelanwandlungen – vollgepumpt und überkübelt. Warum sollte ich also jenes Reservat, das die Literatur mir bei dieser Insichtnahme auf die Dinge bietet, auch noch mit rein profanem Mist fluten lassen?! – Ich kenne Leute, die bis heute kein sog. “Smartphone” benutzen (ich selbst habe so ein blödes Ding noch nicht mal zwei Jahre lang und benutze es nur für ganz bestimmte Dinge, die wenig mit BlaBla-Lawinen und Stumpfsinn-Posten zu schaffen haben); will sagen: Es gibt durchaus (noch) Menschen, nicht nur im Literarischen, sondern sogar in der “real world”, die sich nicht jedem Diktat des Terrors eines modischen Hier und Jetzt beugen und auf einer wenigstens teilweisen subjektiven Mitbestimmung des Wirklichen bestehen, wobei dann ganz logischerweise dies und das rauskommt, was anderen Zeitgenossen tlw. vielleicht … ähm … “unwirklich” anuten könnte.
Ich möchte das gar nicht weiter ausbauen. Aber daß es ein Moment von “Terror des unkritischen common sense” und seines Modernitätsfetischismus in Tateinheit mit unreflektiertem Wirklichkeitswahn gibt, dürfte ja wohl kaum bestreitbar sein … und ebensowenig die Tatsache, daß – zumindest in ihren avancierteren Sphären – die Literatur (und Kunst überhaupt) dagegen anstinkt! Ich nehme mal ein eher exorbitantes Bsp. her (weil ich diese Geschichte aus dem berühmten Erzählband Das Tal des Himmels von John Steinbeck sehr schätze) und weise auf *Junius Maltby *aus dieser Sammlung: Steinbeck reflektiert darin auf den Konformitätszwang (der vermeintlichen “Wirklichkeits”- und Normalitäts-Verfechter) – und darauf, was passiert, wenn der Maße annimmt, die das Exorbitante, das Andere, an die Wand drücken und ihm schließlich die Luft nehmen. Mich dünkt manchmal, aus heutiger Sicht wäre das auch fast schon eine Parabel auf das Geschehen im sog. “Literaturbetrieb” und seine tlw. ekelerregenden Usancen im harten Licht des Neoliberalismus. Und nein: Ich unterstelle das nicht als Steinbecks Intention! Aber es zeichnet gute Literatur aus, daß sie auch im Abstand von bspw. hundert Jahren [sic] wie bei Steinbecks Geschichte noch immer etwas am heutigen Status quo offenlegen kann.
Was hieße das ganz konkret auf deine Anfrage hin: Nun, vielleicht z.B., daß – gerade auch jüngeren Lesern – ein Blick dafür gewährt werden könnte, daß Krimi-Hauptkommissare “früher mal” in der Lage waren, ein Verbrechen aufzuklären, ohne auf Funkmastennetze, Handtelefone und ähnlichen technischen Firlefanz zurückgreifen zu können, weil der Mensch ja eigentlich nicht nur über eine technische Vernunft, also instrumentelle Ratio, gebietet, sondern auch schlicht* zu denken* in der Lage ist und eine Intuition besitzt etc.pp.!
Hat also jemand “was in der Schublade”, das sich nicht am rezenten technischen Standard orientiert, so ist das m.A.n. überhaupt kein Problem, weil es ja auch die Erzählweise aus der Perspektive des “es war einmal” gibt, die … tjaaaaaaaa … und dabei wird es nun freilich Zeit für den Offenbarungseid, freilich vom Erzähler [sic] ein paar Fertigkeiten verlangt, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie heute noch en gros zu Gebote stehen, also wenigstens mit Blick auf den mainstream. Denn daß das für gute Handwerker des Schreibens zutreffend ist, also daß sie diese Fähigkeit besitzen, steht ja ganz außer Frage.
Nun mag es sein, daß jemand kommt und sagt: Aber wollen denn die Leute “so etwas” heute überhaupt noch lesen? – Ich würde zur Antwort geben: Ein Stück gute Literatur wird – egal in welchem Zeitmodus und unter welchen technischen Auspizien es seinen Ausdruck findet – immer ein Lesepublikum haben. Ob man damit Millionenumsätze zu erzielen vermag, ist vielleicht eine andere Frage … – Denn eines ist gewiß: Die heute ausufernde, tödlich langweilige Schreibe nach Schema F “zieht” sich auch ihre eigene “Schema-F-Leser”-Klientel, inzwischen leider myriadenweise, “heran”; oder etwas krasser ausgedrückt: Die Schotter-Produktion rekrutiert zuhauf Schotter-Konsumenten (das ist ja nicht nur in der Literatur so, sondern quasi auf jedem Feld des Ökonomischen – sonst könnte der Kapitalismus ja schlicht nicht funktionieren!).
Der … Story-Teller steht also vor der Entscheidung (jedenfalls im hier aufgerissenen Szenario), ob er sich den “Gesetzen”, die vom mainstream in Produktion und Rezeption gleichermaßen oktroyiert werden, beugt, oder ob er dagegen anstinkt. Unter den gegebenen Bedingungen des Hier und Jetzt ist seine Chance, mit dem Schreiben viel Geld zu verdienen, bei Wahl der kritiklosen Anpassung ungleich höher als beim Versuch, dagegen anzustinken (wobei – das möchte ich schon auch vermerken – für die meisten da sowieso gar keine Wahlmöglichkeit besteht, weil das Vermögen, gegen den mainstrean anzuschreiben, natürlich wesentlich dünner gesät ist unter Schreiberlingen, als ihm einfach plump und unreflerktiert zu folgen). Aber es bleibt eben gleichwohl die Frage: Geht’s beim Schreiben nur ums Geld?
Fazit: Ich glaube nicht, daß technische Inadäquatheit mit dem entsprechenden rezenten Status quo ein Hindernis ist, ein älteres Manuskript aus der Schublade zu holen. Die alles entscheidende Frage ist das Schreib-Vermögen des Autoren/der Autorin! Homer hat in der Ilias (tlw.) auf Kampftechniken und Waffen rekurriert, die seinerzeit – also als er (sofern es ihn überhaupt gegeben hat) die schon jahrhundertelang oral tradierten Geschichten in Schrift setzte – längst überholt waren. Warum hat das seine Rezipienten nicht gelangweilt oder anderweitig vom Zuhören/Lesen abgehalten? Ganz einfach: Weil Homers Gedicht trotz des Rekurses auf lang, ewig lang Zurückliegendes “einen Nerv der Zeit” traf und weil er das in eine ästhetische Form brachte, die seine Rezipienten zu würdigen wußten, die ihnen also gefiel und die sie ansprach und zugleich Innovationen (gerade auch formaler Art) implizierte, obwohl doch der eigentliche “Stoff” schon dem Vorvorgestern angehörte (jedenfalls teilweise). Der Punkt ist ergo: Homers Erfolg liegt nicht zuletzt auch im Vermögen, das Alte und das Neue zu einer sich je gegenseitig reflektierenden Synthesis gebracht zu haben. Er hat einen uralten Stoff in einer uralten Form vorliegend (nämlich der des Heroischen Gesanges) “aus der Schublade der Geschichte gezogen” und etwas absolut Aktuelles, Innovatives und Neues daraus gemacht. Mit einem nahezu ungeheuerlich dünkenden Erfolg!
Jo. Und jetzt bleibt nur noch zu erwähnen, daß die Ilias den Initialpunkt des literarischen Genres des Romanes markiert …
Wahnsinnig schön formuliert! Das ist es auch, was mir in Foren oft aufstößt, wenn es um Schreibratgeber geht. Ein Buch muss das haben und braucht jenes, du musst zu Beginn so schreiben und später dann so. Das ist für mich schon so ein Schema. Auch wenn ich damit vielleicht anecke, aber habe ich nun eine Geschichte zu erzählen oder nicht? Wenn ich es habe, dann erzähle ich sie. Und wenn sie nun in kein Schmea passt? Muss trotzdem keine schlechte Geschichte sein. Im Gegenteil. Bei vielen Krimis oder modernen Bestsellern merkt man hingegen schon, dass ein Schema zugrundeliegt. Da ist dann erst der Protagonist. Dann braucht der ein Ziel. Und natürlich Hindernisse, usw. Vorhersehbar und überschaubar in seiner intellektuellen Herausforderung.
Ob es eine These war, die ich aufgestellt habe? Vielleicht, es war eher so ein Gedanke und vielleicht eine Anregung zum Nachdenken für manche, gar nicht allzu genau auf jeweils verwendeten Techniken einzugehen, weil die morgen oder übermorgen schon wieder veraltet sein können. Aber es gibt natürlich jene Geschichten, die genau die jeweils neueste Technik zum Thema haben. Die sind dann relativ schnell alt. Nur die Fantasy-Schreiber haben es gut, denen kann das alles egal sein, die können eh schreiben, was sie wollen.
deinen Ausführungen zum Thema ‘Schema F’ habe ich nichts hinzuzufügen – es ist (für mich) genau, wie du sagst: Entweder hat jemand eine Geschichte zu erzählen oder eben nicht. Und ob sie sich irgendwelchen Schema-Vorgaben irgendwelcher … ähm … (i.d.R. selbsternannter) “Ratgeber” fügt, ist so unwichtig wie ein Kropf, weil Leute, die eine Geschichte zu erzählen* imstande* sind, die Intuition dafür haben, wie sie zu erzählen ist … wer dafür einen “Ratgeber” braucht (also diese Intuition erst von extern wähnt, generieren zu müssen), sollte lieber Friseur/in oder Atomphysiker/in o.ä. werden, statt beim Geschichtenerzählen immer nur zu dilettieren.
Denn darauf läuft’s hinaus, wenn keine literarische Intuition vorhanden ist: Auf blankes Dilettieren; und deswegen ist der “Markt” auch maßlos überflutet mit reinem Schwachsinn, weil die ideologische Maschine den Leuten suggeriert, eine gute Story zu erzählen könne so … ähm … “gelernt” werden, wie man im Matheunterricht lernen kann, den Satz des Pythagoras regelkonform anzuwenden. – Kann man aber nicht! Zum Geschichtenerzählen gehört ein bestimmtes Maß an Talent (also etwas, was nicht nicht erlernbar ist) und daneben “das Schwimmen im Meer der Geschichten”, also die Rezeption über Lesen und (Zu-)Hören, etwas, das m.A.n. auch niemals zu einem Ende kommt. Insofern also besteht ein wahrscheinlich nicht ungewichtiger Teil jener o.g. Intuition auch darin, das “Kommunizieren der Geschichten untereinander”, “das Reden der Texte miteinander” erfassen zu können, denn die Literatur (samt ihrer oral tradierten Ausdruckformen) ist ja wie eine hauchfeine Textur, die mit ihren Fäden die ganze Welt durchwirkt – gäbe es dieses unvorstellbar komplexe Gewebe, diesen schönen Schleier der Maja über dem profanen So-Sein der Welt nicht, es wäre nur schwer vorstellbar, daß der Mensch überhaupt würde existieren können …
Der große Maurice Bowra hat einmal formuliert – leider finde ich gerade die Quelle nicht – to tell a story (und ich möchte hinzusetzen: auch, eine Geschichte zu hören), sei eines der elementaren Bedürfnisse des Menschen. Daß homo sapiens dafür spezifische Formen entwickelte, vom Mythos über Epos, Lyrik und Mythologie bis hin zu den modernen Erzählformen, ist natürlich alles andere als Zufall – und genausowenig, daß es dafür Spezialisten gibt, die über entsprechende Gaben verfügen, denn schließlich ist es so überall: Es kann auch nicht jede/r Mediziner, Profifußballer oder Friseur werden … jeder Mensch hat bestimmte Begabungen und nicht etwa eine für alles und jedes, was sich im humanen Betätigungsspektrum findet. Und mich dünkt, die Begabung der Dichter und Schriftsteller liege nicht unwesentlich darin, daß sie aus dem steten “Flüstern der großen Erzähltextur” (s.o.) neben der story noch etwas mehr heraushören. Denn die Story hören natürlich alle. Aber “wie es ist” (dies mit Bezug auf Thomas Nagels entsprechende Wendung in seinem berühmten Fledermausaufsatz), wenn einem dabei auch noch aufgeht, daß die Fäden in diesem Gewebe miteinander aktiv Kontakt unterhalten (etwa, indem sie sich ständig neu verspinnen) und auf welche Weise sie’s tun, wird vielleicht nicht jedem Menschen offenbar (weil ja das Vernehmen der story schon an sich ein Faszinosum ist); es will mir allerdings scheinen, daß darin ein nicht gerade kleiner Teil jener Intuition liegt, über die Autoren guter Geschichten nun mal per se verfügen. Deshalb ist die Form nicht unmaßgeblich – vor allem auch ihre je* individuelle* Ausprägung. Ratgeber-Gelall kann diesem literarisch-ästhetischen Grund-Erfordernis keine Rechnung tragen, Schema-Fetischismus natürlich ebensowenig. Für mein Verständnis hat das dieser Tage hier sehr schön auch der @narratöör auf den Punkt gebracht.
Die jeweiligen technischen Standards sind m.A.n. alles andere als zentral für gut erzählte Stories; denn was an solchen ja wirklich reizt, ist die – Entschuldigung für den uneigentlichen Term – “archetypische Situation”. Ich neige durchaus dem bei Peter von Matt nachzulesenden – aber in der Literaturwissenschaft überhaupt gängigen – Diktum zu, daß die stories letztlich nur eine relativ geringe Bandbreite an Grund-Themata aufweisen. Andersherum: Es werden immer wieder dieselben Grundmotive penetriert; und daß dabei keine Langeweile aufkommt (seit nunmehr mindestens viertausend Jahren) liegt einerseits an der steten Variation (was auf den Mythos als Grundfigur zurückgehen dürfte, der ja auch in Variation über die ganze Welt verbreitet war, ohne große Themenvielfalt zu produzieren) und Kombination und andererseits daran, daß immer wieder neue Formen [sic] des Erzählens samt beinahe schon idiosynkratischer Einsprengsel – mindestens aber individueller Ausdrucksweisen – angewandt werden, die immer wieder gleichen Themata jeweils neu zu erzählen.
Macht man sich das klar, wird nochmals deutlich, warum “literarische Ratgeberliteratur” oder auch “Kurse für kreatives Schreiben” v.a. entweder blöde Wichtigmacherei repräsentieren oder ein Verfahren markieren, Unbedarften für beinahe NullKommaNichts an relevanter Information Geld aus der Tasche zu ziehen. Vielleicht ist oft auch eine Kombination aus beiden Motiven zu unterstellen. Aber so oder so: Es nützt nichts, sich mit derlei Dingen auseinanderzusetzen, wenn man selbst über keine lit. Intuition verfügt … ist man ihrer aber inne, braucht man solchen Krempel nicht.
Daß es Fantasy-Schreiber “gut hätten”, halte ich für ein Gerücht. Zwar gibt es gerade einen mächtigen Hype in diesem Feld (worüber man sich mit Betracht auf gewisse rezente massenpsychologisch relevante Umstände auch gar nicht wundern muß!), aber es ist so klar wie Kloßbrühe, daß der irgendwann vorbei ist und dann neue Säue durch die literarische Rezeptionswüste getrieben werden. Ich habe mich kürzlich mit meinem Buchhändler darüber unterhalten; er meinte, daß selbst jene Elaborate in diesem Feld, die’s zu 'ner Verlagsveröffentlichung schaffen, an inhaltlicher Ödnis und immerwiederkehrender Gleichförmigkeit kaum noch zu überbieten sind – und es sei so, daß der Selbstveröffentlichermarkt in diesem Punkt noch mehr Tristesse schaffe … warum, dürfte wohl klar sein … – Er meinte, deswegen werde dieses Genre irgendwann zwangsläufig kollabieren. Zu oft habe er schon derlei Mode-Wellen über sich ergehen lassen müssen, um daran Zweifel zu hegen. Ich denke mal, daß jene, die in der Lage sind, in so einer Situation einen neuen Trend zu setzen, wahrscheinlich recht schnell reüssieren werden, denn natürlich wird es dann wieder Abertausende von Trittbrettfahrern geben, die partizipieren möchten und der ganze Zirkus wiederholt sich, wie er sich seit eh und je wiederholt.
Mich würde interessieren, ob es irgendwann einmal noch (oder wieder) irgendein Phantasy-Produkt geben wird, das das Genre wieder mal ein bißchen mit Innovation zu versehen vermag. Immerhin: einige Partikel daraus gehören ja bereits zu den ältesten Literatur-Zeugnissen der Menschheit: Wir treffen schon bei Gilgamesch oder in der Odyssee auf quasi phantastische Elemente; und letztlich zieht sich das durch die ganze Literaturgeschichte, bis zu Borges. Daß es also nicht ein solche Bedürfnis gebe, kann kaum unterstellt werden. Betrachtet man aber die maßgebenden historischen Erscheinungsformen, so kann man sehen, daß sie immer auch sowohl ein utopisches wie auch ein zeitkritisches Moment enthalten … und ich glaube, daß dies das entscheidende Movens ist, phantastische Anteile an Literatur zu goutieren.
Guckt man sich nun in diesem Genre heutzutage um, sieht es bezüglich dessen allerdings düster aus. Und deshalb wird es irgendwann auch vorbei sein mit dem derzeitigen Hype. Wenn der Iterationsfaktor – einhergehend mit gravierenden formalen Schwächen bei einem Großteil der Elaborate – zu hoch wird (also selbst bei schon gegebener Ab-Härtung dagegen im Rezeptionsfeld), bricht das alles zusammen bzw. wird vom Markt auf das verträgliche Maß zurückgestutzt, wie der Gärtner 'ne zu lange gewucherte Hecke wieder in Form schneidet, sobald der Garten einer Neuen Übersichtlichkeit bedarf …
@Palinurus kriegt den Applaus, ich flieg raus. Da kannste mal sehen, ich würde genau das gleiche schreiben wie du. In meinen Worten natürlich und nicht so elaboriert formuliert. Aber dann heißt es, das sei negativ, destruktiv, betriebe Mobbing und würde einen Ton in die Diskussion tragen, den niemand möchte. Also halte ich mich an dich, und pflichte dir hauptsächlich bei. Genauso ist es!
Allerdings kann so ein Hype lange dauern, sehr lange. Denk nur an Maj Sjöwall und Per Walhöö, die den Schwedenkrimi-Boom auslösten, der irgendwann auf Dänemark, Norwegen und Island übergriff. Nur die Finnen halten sich da raus. Scandinavienkrimis sind zwar auf dem absteigenden Ast, halten sich aber noch, auch wenn ein Ende nah scheint.
Dein Bild mit der hauchfeinen Textur, die die Welt, die Schreiber und Leser, der Texte und Geschichten überzieht, hat mir sehr gut gefallen. Wenn man allerdings sieht (und das erkennt man auf den ersten Blick), dass viele Hobbyschreiber in ihrem Leben deutlich zu wenig Bücher (und wenn, die falschen) gelesen haben, ist es damit leider nicht mehr weit her. Wer als einzige Bücher Harry Potter und Herr der Ringe kennt, kann dann natürlich schnell glauben, dass das jeder kann und macht sich ans Werk. Nur leider reicht Fantasie alleine nicht aus. Es reicht eben nicht, keine Ideen zu haben, man muss auch unfähig sein, sie umzusetzen.
Ich glaube an den Dunning-Kruger-Effekt und muss immer über Leute schmunzeln, die in fünf Zeilen zwei Deppenleerzeichen und keine Kommas machen, aber mithilfe der richtigen Ratgeber und Werkzeuge den Jahrhundertroman raushauen werden. Möglich, aber unwahrscheinlich.
Tja, der Ton macht die Musik. Und ich stimme Euch beiden zu.
Um auf die anfängliche Frage zurückzukommen, ich habe zwar keine alten Manuskripte mit “veralteter Technikausstattung” in der Schublade, habe aber mit Szenen gearbeitet, die etwa dreißig Jahre zurückliegen. Da musste ich aufpassen, dass die dort erwähnte Technik auch in die 80er passt.
So ganz pauschal würde ich Manuskripte mit veralteter Ausstattung nicht verdammen wollen, können sie doch informative Hinweise enthalten.
ich finde die Art, deine Gedanken vorzutragen, durchaus erfrischend und meine auch zu erkennen (das ‘Meinen’ soll andeuten, daß ich mir nichts anmaßen möchte, was dich betrifft), daß du dir wichtige Gedanken um den Zustand des Literarischen machst, was – jedenfalls für mich – das Entscheidende ist. Man kann es niemals allen recht machen, es sei denn, nur WischiWaschi und total Unverbindliches kommt zum Stehen. Das ist aber nicht jederfraus/mans Sache. The other side wird davon markiert, daß es unterschiedliche Befindlichkeits-Zustände bei Menschen gibt, mithin kann es sein, daß sich jemand bei einer bestimmten tonality persönlich getroffen fühlt. Deswegen solltest du keinen Groll hegen. Das ist in größeren Menschenzusammenballungen beinahe unvermeidlich. Ob es dem principle of charity gerecht wird, wenn bestimmten Leuten von anderen bestimmten Leuten wieder und wieder unangemessene Absichten unterstellt werden (nach Donald Davidson sollten sich alle Menschen das p.o.c. zueigen machen, sonst würde die Welt irgendwann kollabieren), kann man skeptisch sehen; aber letztlich ist niemand in der Lage, in den Kopf eines anderen hineinzuschauen, weshalb es nach meinem Dafürhalten angezeigt ist, nicht immer bloß auf die eigenen Befindlichkeiten zu rekurrieren, sondern auch mal das Allgemeine mit in den Blick zu nehmen, also dezidiert abstrahierend von Einzelfällen und erst recht vom je eigenen.
Betrachtet man den konkreten Fall: Du hast eine m.E. durchaus wichtige Frage gestellt – aber geht es beim Trouble, den du erwähnst, eigentlich um die Frage oder geht es darum, daß sich jemand verletzt fühlt? --, so bleibt doch dann die inhaltliche Dimension vollkommen außen vor, wenn nur noch persönliche Betroffenheit zur Verhandlung steht. Anders gefragt: Warum steht eigentlich nicht das Inhaltliche im Zentrum? So manches in der Betroffenheitssphäre könnte womöglich zur Ruhe kommen, wenn es nicht als Einziges thematisiert würde.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch etwas anderes in Erinnerung rufen: Unter Schriftstellern geht es immer wieder mal – und ging es auch schon seit Urzeiten – polemisch zu. Meiner Ansicht nach liegt das in der Natur der Sache … was andersherum heißt: Das Mimosenhafte ist vielleicht nicht gerade jenes Naturell, das den Schreibenden als angemessenes zukäme. Denn sie haben etwas an sich, das dem entgegensteht: Sie suchen die Öffentlichkeit … und treffen dabei ganz gewiß nicht nur auf äußerst wohlwollende Rezipienten, sondern eben auch auf beinharte Kritiker, Zeitdiagnostiker und … schlicht auch Kollegen, die nicht alle im selben Sektor der Temperamentskala oszillieren, sondern schlicht und ergreifend … anders … sind. Mir will jedenfalls scheinen – auch mit Blick auf berühmte Debatten und Streitfälle in der Literatur --, daß ein bißchen Polemik hier und da das Geschäft belebt und alles andere als dogmatisch abzulehnen sei.
Aber was ich nicht leiden kann (nur zur Info und nicht als Unterstellung): Polemik nur umwillen der Polemik. Ich sehe im konkreten Falkl allerdings nichts dergleichen. Will sagen: Wer etwas an den hier aufgeschlagenen Äußerungen auszusetzen hat, kann doch einsteigen in den polemos. Wo ist das Problem? Am Ende kann davon jede/r profitieren. Es ist ein Irrtum, zu glauben, aus einer aufrichtig geführten polemischen Diskussion könne immer nur eine Seite “siegreich” hervorgehen. Überhaupt ist es vielleicht Unfug, dabei an “Siege” zu glauben …
Nun - Sprache ist erst einmal eine Anhäufung von Konventionen. Von Schemata.
Nach dem nicht so ganz unerfolgreichen Stephen King ist das Ziel einer gut erzählten Geschichte erreicht, wenn im Kopf des Lesers die möglichst identischen Bilder entstehen, wie sie der Autor im Kopf hatte.
Das wird natürlich verdammt schwer, wenn man sich eben nicht an Konventionen hält.
Es gibt die hübsche Kindergeschichte von dem einsamen alten Mann, der aus Langeweile alles umbenennt, “Tisch” heißt bei ihm dann “Stuhl” (sofern ich korrekt erinnere) - und dann wird er nicht mehr verstanden.
Und ja, natürlich gibt es auch Lesenswertes, das durch Spiel mit der Sprache genial ist - das steht aber außerhalb dieser Betrachtung und spielt für “wahr oder unwahr” hier keine Rolle, sondern ist ein “Extra”.
Dazu kommt, dass es bestimmte Genres gibt. Nicht jeder hat die Muße oder auch den Willen, sich ein beliebiges Buch zu nehmen und “zu schauen, was da kommen mag”.
Erstens werde ich gar zu selten positiv überrascht werden, und zweitens habe ich vielleicht gezielt gerade Bock auf’n Krimi. Dann möchte ich auch einen Krimi, Spannung, Unterhaltung, und kein Buch, dass seitenweise mit Landschafts- und Ortsbeschreibungen beginnt.
Und hier kommen wir dazu, wie sich ein Schriftsteller weiterentwickelt - nicht jeder hat all das schon durchdacht, sein “Genre” im Kopf und beherrscht das schriftstellerische Handwerk in allen Details.
Da sind Richtlinien, die funktionieren, mit denen ich eher zu einem guten Buch komme als durch Missachtung aller Konventionen, durchaus ein Weg zum Erfolg.
Hat man sprachliche wie erzählerische Meisterschaft erreicht, kann man gewohnte Pfade verlassen - klar. Aber auch da kann’s ins Chaos und vor allem den Misserfolg führen.
So ist Ecos Name der Rose ein Welterfolg, wenngleich eher traditionell erzählt als das “Foucaultsche Pendel” - das aber ist derart abgehoben, dass nur noch Palinurus daran Gefallen finden mag - jedenfalls ist es mit seiner außerordentlich anstrengenden Erzählweise, den Passagen in gleich einer Vielzahl von Fremdsprachen etc. entschieden weniger erfolgreich.
Was möchte ich als Schriftsteller nun erreichen? Einem Autoren, der behauptet, es sei ihm egal, ob sein Buch ein Top-Bestseller mit Weltruhm wird, misstraue ich in seinen für die schreibende Zunft gültigen Aussagen erst einmal mehr …
Jedenfalls misstraue ich dem “ist-mir-egal” Schriftsteller mehr als jemandem, der propagiert, dass es durchaus erlernbare und sinnvolle Wege zum Ziel (einem erfolgreichen Buch) gibt.
@Ulli Du kannst den Autoren nicht küssen. Der Autor steht im Akkusativ und im Dativ einfach nur so da und bekommt keine Endung. Man kann also den Autor küssen oder dem Autor eine runterhauen.
Ich behaupte ja steif und fest, einen Bestseller schreiben zu wollen und falls es das Potenzial gibt, in meinem Metier einen zu landen, wäre das bei mir da. Nur – falls ich es nicht schaffe, dann wird daran auch kein Schreibratgeber der Welt etwas ändern können. Und kein gut gemeinter Ratschlag, der unter »Textarbeit« firmiert, wird bei mir auf fruchtbaren Boden fallen, weil ich nur das lerne, was ich selbst feststelle. Irgendwann kommt mir bei meinen eigenen Texten die Einsicht, ob und warum sie schlecht sind, oder sie kommt nicht. Mir läuft natürlich die Zeit weg, das weiß ich auch. Aber der Trost ist, wenn ich das andere nicht mehr kann, kann ich immer noch drüber schreiben.
Und bei meinen Inhalten ist es genauso. Ich habe nur eine Sache, von der ich wirklich etwas verstehe, mehr jedenfalls als die meisten und darüber kann ich schreiben, bis mir die Finger bluten. Das betrifft natürlich nicht das rein technische, das wäre ja billig, aber die Innereien. Zu allen anderen Dingen fallen mir kaum Geschichten ein. Es reicht nicht für Science-Fiction, nicht für Kriminalromane und für Fantasy erst recht nicht. Aber das ist nicht tragisch, denn das Leuchten in den Augen meiner Leser und Leserinnen das sehe ud höre ich auch, wenn es nur ein paar Dutzend sind.
Gute Erotik zu schreiben ist wahnsinnig gut fürs Karma!
ohne auch nur im Geringsten den Erfolg von S.K. schmälern zu wollen (ich finde, er hat ein paar wirklich richtig gute Ideen gehabt und einige davon auch gut umgesetzt): Aber das von dir zitierte Statement S.K.'s ist nun wirklich – aus vielerlei Gründen – skeptisch zu betrachten, womit sich auch offenbart, daß nicht jeder, der erfolgreich Romane schreibt, auch etwas von Roman- oder Erzähltheorie versteht. Und das gilt natürlich auch vice versa …
Freilich sei zugleich betont, daß es auch vollkommen unnötig ist, als Schriftsteller etwas von der Theorie des Schreibens zu verstehen (wahrscheinlich ist’s eher hinderlich). Schreiben ist ein kreativer, im besten aller Fälle ästhetischer Prozeß, was wiederum heißt, daß er kein auch nur annähernd theoretisch auflösbarer ist, sondern ein von Intuition (mindestens mit-)geleiteter. Und insofern das für die Rezeptionsebene im gleichen Maß gilt, kann S.K. nicht recht haben.
Argument: Mal abgesehen davon, daß es nicht mal ansatzweise ein Konzept dafür gibt, wie geprüft werden könnte, was für Bilder im Bewußtsein eines Rezipienten entstehen – vgl. PU von Wittgenstein: Käferschachtelgleichnis oder in einem weiteren Sinn auch Thomas Nagel: What Is It Like to Be A Bat? --, erhebt S.K. hier einen auktorialen Anspruch, der Literaturtheoretiker und Ästhetiker ganz verschiedener Richtungen natürlich nur ein helles und wahrscheinlich auch einigermaßen hämisches Gelächter entlocken könnte, weil dem Gruselautor ja offenbar vollkommen entgeht, daß er nicht mal in der Lage wäre, wenigstens für sich selbst auch nur irgendeine Garantie dafür abgeben zu können, ob er „seine inneren Bilder“ beim Schreiben „gut rübergebracht“ hat. – Sicher hat er irgendetwas „rübergebracht“, aber was das ist, weiß natürlich niemand! Denn wüßte es irgendwer, gäbe es ja tatsächlich und nicht nur eingebildet einen *theoretisch einholbaren *Weg, jeden beliebigen Menschen zum Erfolgsautor zu machen, eben qua Kings „Rezept“. Das ist jetzt zwar nur ein Aspekt, der gegen s.K.'s Meinung spricht, ich belasse es aber dabei, weil er epistemisch so mächtig ist, daß Kings Diktum darunter bereits vollkommen zusammenbricht.
Daß es Genres mit je spezifischen formalen Mindestanforderungen gibt, ist natürlich richtig. Allerdings muß das niemand (der einigermaßen bei Verstand ist) über Ratgeberliteratur beigebracht bekommen – man verinnerlicht das beim Lesen entsprechender Literatur. Nun ja, und wer solche Literatur nicht zuhauf gelesen und dabei die Standards automatisch verinnerlicht hat … dem … ähm … würde schließlich auch der ambitionierteste Ratgeber nicht weiterhelfen können. Will sagen: Er sollte ganz einfach die Finger vom Schreibgriffel lassen …
Was das schriftstellerische Handwerk und seine allmähliche Entwicklung betrifft: Es kommt mit dem Schreiben zur Reife – wer Schriftsteller sein will, muß nun einmal schreiben, schreiben und nochmals schreiben! – und mit der Kritik (durch andere: und zwar solche, die mindestens viel lesen [und zwar nicht nur in einem Genre!]; am besten jedoch auch selbst schreiben).
Der Verweis auf Eco ist gar nicht so schlecht, weil er zeigt, daß ein Autor, der sowohl praktisch als auch theoretisch etwas vom (Roman-)Schreiben versteht – das ist ja eher die Ausnahme als die Regel! --, gleichwohl nicht nur gute Bücher schreibt. Denn Eco hat durchaus schlechte Romane (und Erzählungen) geschrieben, obwohl ich persönlich das F.P. nicht dazu rechnen würde. Daß es weniger Verkaufs-Erfolg als DNdR hatte, liegt m.E. nicht daran, daß es schlechter geschrieben ist – ich vermag deiner Beschreibung nicht zu folgen, weil du, wie schon zur Vermutung gebracht, offenbar einen ganz anderen Text als ich unter diesem Titel gelesen hast --, sondern schlicht anders. Und diese Andersheit impliziert halt in diesem Fall, daß er u.a. auch andere Rezipientenschichten anspricht als jene, die sich an DNdR begeistern. – Ich möchte dieses Phänomen nutzen, um darauf hinzuweisen, daß, was „Erfolg eines Romanes“ heißt, für meinen Geschmack von einigen Zeitgenossen allzuoft und allzuschnell allein mit Verkaufszahlen gleichgesetzt wird. Aber ist es wirklich das, was den Erfolg eines Buches ausmacht? Oder ist das bloß der Kotau vor der neoliberalen ideologischen Umklammerung der Welt, die wähnt – was ja bekanntlich von ‚Wahn‘ kommt --, der ästhetische Sektor der Lebenswelt ließe sich umstandslos ökonomisieren?
Ich habe erst vor ganz Kurzem sehr intensiv u.a. den Briefwechsel zwischen Unseld und Uwe Johnson analysiert, wobei zutage trat, daß der Verleger ca. eine Viertelmillion DM in den Schrifsteller investierte (*nach *Abzug der Einnahmen aus Verkäufen wohlgemerkt!), nur um ihn zum Abschluß seiner monumentalen Jahrestage zu bewegen. Es ist ganz klar, daß sie ohne diese Vorleistung nicht zu einem Ende gekommen und so manch andere Arbeit Uwe Johnsons auch nie entstanden wäre (wahrscheinlich hätte er sich dann schon viel eher zu Tode gesoffen). Ich weiß auch nicht, ob der Suhrkamp-Verlag diesen Verlust je wieder wettgemacht hat. Ich weiß aber eines: Es war ganz sicher ein Erfolg, für Uwe Johnson, für seine Leser und den Suhrkamp-Verlag gleichermaßen – womöglich ja sogar für die Weltliteratur --, daß Uwe Johnsons Werke *trotz eines finanziellen Fiaskos zu seinen Lebzeiten!, *entstanden, gedruckt und verbreitet worden sind …
… und jetzt; Ulli?
Ich möchte gar nicht näher an solche traurigen Fälle wie Robert Musil oder Robert Walser oder Georg Trakl erinnern. Aber daß finanzielles Reüssieren wirklich ein valider Gradmesser für literarischen Erfolg sein soll, kann ich nicht erkennen. Bei manchen – heutzutage nicht wegdenkbaren – Autoren müssen die Menschen wohl froh sein, daß es früher mal Verleger gab, die nicht nur den finanziellen Erfolg im Auge hatten (dann wurden die Gewinne aus erfolgreichen Büchern zum Mitfinanzieren der kaum verkaufbaren Talente verwendet, was doch eigentlich sehr sinnvboll ist!), sondern auch die Entwicklung bzw. Lebenserhaltung eines vielversprechenden Talentes. Und unter diesen Auspizien ist es schon ein Erfolg, wenn überhaupt etwas von ihnen an die Öffentlichkeit gelangt.
Diese Ansicht ist in ihrem Fatalismus ebenso falsch wie für ein Vorankommen im Leben eine herbe Beeinträchtigung, da bin ich sicher. Nebenbei wäre sie, wenn doch wahr, auch eine recht traurige Weltsicht. Besagt sie doch, dass ich in den Dingen, die mir eben nicht so leicht fallen, auch durch Beachtung guter Tipps keine Chance hätte.
Ich freue mich, wenn ich bei etwas, womit ich mich schwer tue, gute Tipps bekomme. Ich behaupte, dass mich das in vielen Lebensbereichen beachtliche und erfolgreiche Stücke weitergebracht hat.
Das geht mir viel zu sehr in die abgehobene Richtung, die auch Duane einschlägt. Ich widerspreche freundlich, aber energisch. Kenntnis einer Hintergrund-Theorie ist zumeist hilfreich. Natürlich in Abhängigkeit von der Genialität, aber selbst einem Nobelpreisträger wird ein theoretischer Unterbau in was-auch-immer helfen können.
Auch hier widerspreche ich, sorry. Natürlich hilft das bei der Würze und dabei, etwas Außerordentliches zu erschaffen. Dennoch ist spätestens die Überarbeitungsphase simpel hartes Handwerk.
Ein hämisch lachender Wittgenstein hat mir übrigens in seiner Relativierung zu wenig Kraft. Ich hab’s mehr mit Ernst Mayr oder am liebsten mit Argumenten statt Zitaten.
Da bin ich bei Dir - Schreiben geht über Theoretisieren. Andreas Eschbach sagt, dass man alle 100.000 Zeilen im Vergleich zu vorher einen Niveausprung hingelegt haben dürfte.
Das ist für mich der einzige Maßstab, wenn ich das auf “Leserschaft” wandeln darf - und die Zeit, von mir aus Jahrhunderte, dazunehme, für den Fall, dass ein Schriftsteller seiner Zeit voraus war, das sollte man natürlich mit einfließen lassen.
Aber ich sage provokant brutal, aber auch vollen Herzens: Ein Autor, der nicht gelesen wird, hat sein Ziel verfehlt. Dein Beispiel Johnson wurde dann ja, Suhrkamp sei Dank, eben doch gelesen.
Mit der Ausnahme, dass jemand geplant gezielt für ein begrenztes Publikum schreibt.
Darf ich hier mal ganz provokant die Frage in den Raum stellen, ab wann ein geschriebenes Werk ‘gute Literatur’ ist? Welche Bücher sind ‘die richtigen’ und welche ‘die falschen’, wer bestimmt, ab wann eine Schreibe langweilig ist oder was ein ‘literarisch-ästhetischen Grund-Erfordernis’ überhaupt ausmacht?
Meiner Erfahrung nach ist das für jeden etwas anderes, liegt die Latte auch für jeden in einer anderen Höhe und ist wohl auch eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Schreibratgeber pauschal zu verteufeln, finde ich dann doch etwas übertrieben. Ich habe aus einigen davon eine Menge gelernt, nicht zuletzt diverse andere Sichtweisen auf die ganze Schreiberei.
Sie vermitteln wohl weniger, wie man ein ‘exotischer’ Nischenautor wird, aber die gängigen Schreibkonventionen, wenn man für ein größeres Publikum schreiben möchte, bekommt man damit durchaus vermittelt. Für mich war (und ist) es ein hilfreiches Gerüst, mit dem man sich dann selbst weiterentwickeln kann.
Und in Zeiten, wo wirklich jeder aus jeder Blase, die ihm zufällig grade durchs Hirn blubbert, ein EBook machen und veröffentlichen kann, bin ich für jeden dankbar, der sich zumindest die Mühe macht, seine eigene Schreibe zu verbessern.
Ich spoilere hier mal nicht, sondern rate jedem, der die Chance hat, eine Lesung von Andreas Eschbach zu genießen (immer ein wirklich tolles Erlebnis!) - und darauf zu hoffen, dass ihm diese Frage gestellt wird …
nur um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Ich habe nicht Wittgenstein hämisch auflachen lassen, sondern “Literaturwissenschaftler und Ästhetiker”. Die Anspielung war darauf gemünzt, daß es ja in rezeptions-ästhetischen Zusammenhängen unstrittig ist, dem Autor eines Werkes (egal welcher künsterlischen Provenienz) stände kein Recht auf Deutungshoheit zu, weil die Rezeption stets unablösbar von je eigenen – also privaten – Erfahrungen und Imaginationen des jeweiligen Rezipienten mitbestimmt wird, so daß es praktisch unmöglich ist, eine auktorial angemaßte Interpretation als verbindlich anzusehen. Im Grunde genommen ist diese Einsicht seit dem faktischen Untergang rein werk-orientierter Ästhetiken (wie etwa jener Hegels) etwas Lapidares; und die darunter befaßten Grundeinsichten gelten auch unabhängig davon, daß einmal – in den Hochzeiten der sog. Postmoderne – der “Tod des Subjektes” und “des Autors” gleichermaßen verkündet wurde. – Dieser Extrempunkt findet meinen Beifall natürlich nicht. Aber daß ein Autor nicht dagegen anstinken kann, wenn sich bei Rezipienten andere als die von ihm … ähm … gewünschten (oder vorgeblich beabsichtigten) Assoziationen und Imaginationen entfalten, ist heute eigentlich sowohl in der Ästhetik allgemein wie auch in der Literaturwissenschaft speziell längst zu einer trivialen Einsicht geronnen. Und wenn dem so ist, kann S.K. mit seinem von dir zitierten Diktum nicht recht haben.
Das ist das eine.
Das andere ist, daß neben kunsttheoretischen, literaturwiss. und ästhetischen Gründen auch schwerwiegende epistemologische Gründe dagegen sprechen, jemand könne wissen, von was für Affektionen jemand anders heimgesucht wird, wenn er einem Kunstwerk gegenübersteht (egal welcher Art), und welche Imaginationen und Assoziationen davon ausgelöst werden. Wittgenstein habe ich angeführt, weil er einer der Ersten war – neben Sartre, der darauf aber auf ganz anderen philosophischen Wegen wandelnd kam --, von denen erkannt wurde (vorher hatten das nur die Frühromantiker “auf dem Schirm gehabt”), daß man nicht wissen kann, was *einem anderen Menschen *gerade im unmittelbaren Bewußtsein steht, selbst dann nicht, wenn er es artikuliert. Der Punkt dabei ist, daß entsprechende sprachliche Termini wie etwa ‘Ekel’, ‘Schmerz’, ‘Wohlgefallen’ usw. keinen Hinweis darauf liefern, “wie es ist” für Alter Ego, gerade in diesen Zustand zu sein, also gerade auch dieses oder jenes “innere Bild” im Sinn stehen zu haben. Um das zu erläutern, gibt es mehrere berühmte Beispiele in den Philosophischen Untersuchungen Wittgensteins (seinem Spätwerk), die ich mit ‘PU’ abgekürzt hatte. Das berühmteste ist das sog. Käferschachtelgleichnis. – Die PU stehen online. Du findest das Käferschachtelgleichnis unter PU § 293 … – Sei versichert, darüber ist viel gelehrte Tinte geflossen. Aber inzwischen gibt es nur noch wenige ganz hartnäckige und unbelehrbare hardcore-Empiristen, die wähnen, gegen den Fakt, der da von Wittgenstein thematisiert wird, anstinken zu können, denn inzwischen sind selbst ehemals hartnäckige Naturalisten bereit, anzuerkennen, daß das unmittelbare Bewußtsein einem jeweiligen Alter Ego nicht luzid sein kann, Wittgenstein also recht hat(te).
Dazu tritt, daß das berühmte Fledermaus-Argument Thomas Nagels von 1974 die Sache nochmals untermauert hat (auch der steht online); und zur selben Zeit hat Saul Aaron Kripke mit modallogischen Mitteln gezeigt, daß eine Objektivierung unmittelbarer Bw-Zustände auch aus logischer Sicht nicht möglich ist. Wenn man das – von moderneren Varianten mal ganz abgesehen – auf S.K.'s Diktum anwendet, kommt klar heraus, daß es auf Unfug hinausläuft, weil eben mit sprachlichen Mitteln und überhaupt auf jeder reflexiven Ebene (also auch mit bildgebenden Verfahren in der Hirnforschung usw.) nicht nachvollziehbar i.S. von Identität gezeigt werden kann, was sich in einem individuellen Bewußtsein gerade “abspielt”. D.h.: Selbst wenn ein paar Sätze Stephen Kings bei einem seiner Leser einmal die haarscharf selben Bilder evozieren würden, die er “im Kopf” hatte, als er diese Sätze schrieb, würden wir das niemals wissen können, weil eine jegliche Beschreibung des unmittelbaren Bw-Inhalts immer und grundsätzlich etwas anderes sind als der Bw-Inhalt selbst; das erklärt sich schon allein semiotisch (vgl. dazu etwa Eco [sic!]), weil ein Zeichen ja niemals identisch mit dem ist, was es repräsentiert (also seine Referenz); wozu dann noch dilemma-verstärkend tritt, daß die Signifikate nicht materialisiert sind wie die Signifikanten … vulgär ausgedrückt: Der Signifikats-Anteil am Zeichen steht wieder nur im je individuellen Bewußtsein, womit irgendeine identitätsverbürgende Vergleichsmöglichkeit vollkommen illusorisch … und mithin der Kern des Geschehens für Alter Ego verborgen bleibt.
Wozu in diesem Zusammenhang der ansonsten (also biologisch [sic]) sicher verdienstvolle Ernst Mayr irgendetwas Sinnvolles beitragen könnte, wüßte ich mir nicht zu denken: Ein Rezeptionsvorgang *über Schrift *[sic] in der (wenigstens weitgehend) ästhetischen Sphäre hat doch nun ziemlich offensichtlich rein gar nichts mit Biologie zu schaffen (außer dem sinnlichen Anteil am Prozeß des Sehens); involviert sind dabei Bewußtseins- und Erkenntnistheorie sowie insbesondere natürlich semiotische und linguistische Sachverhalte … wer wähnt, Textverstehen und Verwandtes ließe sich biologisch erklären, sollte natürlich zuerst einmal erklären können, wie die Biologie mit einem grundsätzlich immateriellen Signifikat umgeht! Bisher war ich immer der Auffassung, empirische Wissenschaften wie die Biologie kaprizierten sich auf Entitäten und Prozesse, die materiell verfaßt seien … – Hat sich da inzwischen etwas geändert?
Ich habe das jetzt noch mal etwas ausführlicher anklingen lassen, weil sich daraus etwas für die hiesige Diskussion Relevantes ergibt: Und zwar der Umstand. daß man z.B. Tropen wie Metaphern und Metonymien, auch Wortkonstellationen usw. nicht rationalistisch berechnen kann auf ihre Wirkung hin! Das geht höchstens allgemein (damit ist z.B. die Wissenschaft der Rhetorik befaßt!), aber nie speziell auf eine bestimmte Trope oder Wortstellung oder sonstwas Literarisches hin! Aber sehr wohl gibt es individuelle Intuitionen – von denen z.B. Stephen King offenbar über einen ganzen Haufen gut bewährter verfügte! --, von denen zu vermuten steht (aber auch nicht mehr!), daß sie genau zutreffen. Will sagen: Gute Schriftsteller zeichnen sich dadurch aus (u.a. natürlich), über solche Intuitionen zu verfügen, aber wie die genau funktionieren, wie es dazu kommt, daß sie damit exakt treffen, was sie treffen wollen, weiß kein Schwein! Es ist halt einfach so. Und das markiert ja auch den eklatanten Unterschied zu einem rein theoretischen Procedere (wo Modelle, Formeln und Algorithmen nebst treffsicherer Urteilskraft eine entscheidende Rolle spielen), während solche Dinge dem Schriftsteller – und auch Künstlern anderer ästhetischer Genres – natürlich nicht zur Verfügung stehen; aber dafür, so er “gut ist” in seinem Metier, der entsprechende Instinkt, die maßgebende Intuition. – Kurt Gödel, sicher ein durch und durch rational denkender Logiker und Mathematiker (daneben, was nur wenige wissen, aber auch ein ausgezeichneter Philosoph) hat im Angesicht der Katastrophe der von ihm selbst gefundenen Unvollständigkeitssätze gesagt, daß er keine Ahnung habe, ob das der letzte mögliche Ausdruck zu den Grundfragen der Mathematik gewesen sei; er hoffe [sic], daß die menschliche Intuition vielleicht noch darüber hinaus käme und sinnvolle Lösungen für das Problem fände, womit er klargemacht hat, der Ansicht zu sein, daß ohne Intuition auch in einem jeglichen theoretisch-wissenschaftlichen Bemühen alles nur Halbgares sei, sie sei letztlich immer unhintergehbar.
Sicher bedarf es in diesem Feld weniger Intuition als in ästhetischen Belangen, weil einem ja die Ratio, die Formelsets, die Modelle usw. wichtige Auxiliardienste leisten können. Insfern kann man hier vielleicht eine gewisse Reziprozität unterstellen: Was in den theoretischen Belangen im Vordergrund steht – also das formal Wißbare --, ist im ästhetischen Bereich von eher untergeordneter Bedeutung (und ergo keineswegs von gar keiner [womit dieser oder jener Rat als hilfreich ausgewiesen sein könnte und auch diese oder jene gut eingeübte Technik, wie sie sich etwa am Rhetorischen offenbart]), während es sich mit der Intuition genau umgekehrt verhält. Sie bestimmt maßgebend den ästhetischen Prozeß und trägt insgesamt betrachtet weniger Bedeutsames, aber kaum gänzlich Vernachlässigbares, auch zum wissenschaftlichen Prozeß bei.
Zu den anderen Punkten deiner Entgegnung scheint mir die Differenz zwischen uns zu groß. Da wird es sicher wenig Verständigung geben können (etwa beim Erfolg und der finanziellen Offenbarung dabei). Ich finde das aber nicht schlimm. Jedenfalls habe ich keine Probleme damit, daß andere diverse Dinge anders auslegen als ich, solange das nicht bloß auf reiner Meinungsäußerung ohne Argumente beruht.
da hier – in diesem Thread – tatsächlich eine Menge sehr starker Behauptungen getätigt wurden (gerade auch von mir), habe ich auf diese Frage eigentlich schon gewartet. Und, um es klar zu sagen, ihr Auftauchen auch ein bißchen befürchtet.
Denn es ist so, daß es darauf erstens keine pauschal richtigen Antworten gibt, weil jene Expertenkulturen, die sich damit befassen (v.a. Literaturwiss., Philosophen und Ästhetiker), seit Jahrhunderten Streit darüber austragen, ohne insgesamt wenigstens einigermaßen übereinzukommen.
Zweitens ist es so, daß man zwar relativ zügig ein paar Behauptungen dazu notieren könnte, die Begründungsprozeduren aber letztlich bücher- oder mindestens essayfüllend sind. Mit diesem Punkt will ich darauf hinaus, daß dieses Thema für so ein Forum wie das hiesige wohl nicht so ganz geeignet ist, weil vorzutragende Argumente für diese oder jene Variante der Begründung auch alles andere als voraussetzungslos zu verstehen sind … Man müßte sehr tief in die Materie dessen, was eine ästhetische Erfahrung eigentlich ist (und was bspw. nicht) oder was es heißt, daß etwas “schön ist”, eindringen; das ist allerdings ohne Rekurs auf Grundlagentexte und -überlegungen dazu nicht möglich. Und infolgedessen wäre es ein ausufernder Prozeß, deine Frage einigermaßen angemessen zu beantworten, also ich meine: state of the art.
Was sich vielleicht machen ließe, wäre, eine Grundunterscheidung zu treffen und daran entlang drei Typen von Literatur zu unterscheiden, wobei die Begründung für die Unterteilung (s.e.G.) dann freilich dünn bleibt, aber womöglich trotzdem für die eine oder den anderen nachvollziehbar.
Wenn so ein "Schnellverfahren erlaubt ist, würde ich folgende Unterteilung vorschlagen: Es gibt die “hohe Literatur” – das wären dann die wirklich ästhetischen Ansprüchen genügenden, also die … ähm … “wahren” Kunst-Werke im lit. Sektor–; es gibt die “Unterhaltungsliteratur”, womit jene identifiziert werden könnten, die zwar auch ästhetische Erfahrungen ermöglichen, deren Substanz aber darin besteht, eben zu unterhalten, zu gefallen und je spezifische Geschmacks- und auch Lustvorstellungen zu befriedigen (was zum Bsp. jene zuerst genannten gerade nicht tun, weil dabei Geschmack keine maßgebende Rolle spielt und erst recht nicht Befriedigung i.S. einer danach beruhigten Lust); tja, und dann gibt es in diesem Modell noch den Schotter, den Schrott, den Mist – ein bekanntes Wort dafür nennt es den Kitsch! --, der sich “literarisch” nur tarnt und in Wirklichkeit absolut verzichtbar ist, den niemand mit allen Latten im Zaun braucht und der auch nur von Menschen konsumiert wird (das Wort ‘rezipieren’ verbietet sich dabei m.E.), die in irgendeiner oder auch mehrfacher Weise regrediert sind, also in dem Vermögen, gelegentlich ästhetische Erfahrungen machen und gute Unterhaltung rezipieren zu können (vom Erstgenannten schweigen wir lieber dabei), nachhaltig oder wenigstens vorübergehend gestört sind.
Den breitesten Raum nimmt im menschlichen kosmos natürlich die Unterhaltungslitertur ein; an ihren Extrempunkten berührt sie “unten” den Kitsch und “oben” die Hochliteratur, in ihrem Zentrum befriedigt sie v.a. zutiefst menschliche Mental-Bedürfnisse, etwa nach Entspannung, Grusel, Belustigung, auch nach Spannung und Nervenkitzel (so etwa 95% aller Krimis dürften dazu rechnen); sie ist in allen bisher bekannten Gesellschaftsformen quasi unentbehrlich, genauso wie ihre Pendants in Film. Musik und darstellender Kunst, weil sie – neben anderem – Kompensationsfunktionen erfüllt, ohne die keine Gesellschaft, wie wir sie bisher kennengelernt haben (vielleicht abgesehen von der allerersten aus Jägern und Sammlern bestehenden), hätte überleben können.
Der Kitsch ist der negative, rein auf Regression eingestellte Absud davon. In der Hauptsache kompensiert er ansonsten tödliche Langeweile (es gibt im Ggs. dazu ja auch eine produktive Langeweile, aber die geht nichzt auf Kitsch!) oder nützt durch geplanten Einsatz, an sich destruktive Gefühlslagen zu neutralisieren, die sich ansonsten als gefährlich für den Bestand der Gesellschaft erweisen könnten (wobei das auch – aber in viel milderen Ausformungen – für Teile des Unterhaltungslevels gilt). – Der Kitsch hat allerdings auch Trostfunktionen, zumindest bei Menschen mit sehr niedrigem Bildungslevel. Bei denen kann sein Konsum ein Gefühl von Partizipation an Wohlstandsgütern und Lebensweisen auslösen, die für sie mit anderen Mitteln unerreichbar sind. Auch darin erweist er sich also als gesellschaftsstabilisierend.
Die Hochliteratur inkarniert sich in authentischen Kunstwerken (aKW) oder zumindest solchen, die zeitweise dafür gehalten werden, auch wenn sich das vielleicht in the long run als Irrtum erweist (was man möglicherweise nicht immer sofort prognostizieren kann). Ein aKW ist also ein Kunstwerk – hier im Bereich der Literatur --, das über Epochen hinweg, quasi zeitlose Gültigkeit beanspruchen kann. Weder der Kitsch noch die Unterhaltungslit. können diesen Status je erreichen. Das liegt daran, daß an aKW eben ästhetische Erfahrungen (äE) kondensieren, ohne daß es dazu einer bestimmten gesellschaftlichen Verfassung bedürfte (was bei Unterhaltungs"kunst" anders ist, die generiert äE, wenn überhaupt, nur in ihrer jeweiligen [Entstehungs-]Epoche). Eines der zentralen Momente solcher aKW besteht in ihrem unauflösbaren Rätselcharkter, worauf zuerst mit aller Deutlichkeit und auch Klarheit Kant (in der KdU) hingewiesen hat (im Zusammenspiel mit seinem berühmten Diktum vom sog. “interesselosen Wohlgefallen” an aKW), ausgebaut hat dieses Feld dann v.a. Adornos Ästhetik der Nichtidentität, was hier kurz gesagt so viel bedeuten soll, als daß – anders als alle anderen Güter, die Menschen herstellen und gebrauchen – aKW nicht auf irgendeinen Sinn hin festschreibbar sind (sonst könnten sie ja auch schwerlich überzeitliche Gültigkeit an sich tragen!), sondern einem jeglichen Rätsel-Lösungsversuch konsequent widerstehen, ohne da´ß dabei Frust beim Rezipienten aufkäme; im Gegenteil: die Nichtlösbarkeit, die immer wieder versuchte Explikation ohne Aussicht auf Erfolg ist zutiefst lusterfüllt! Und ebnen das hatte schon Kant in der KdU den aKW zugeschrieben: Unser Verstand und unsere Vernunft gebieten uns eigentlich, irgendwelche offenen Fragen und Rätsel zu lösen! Nur im Bereich der Ästhetik ist es anders (deshalb auch: “interesseloses Wohlgefallen”): Wir müssen nichts daran endgültig identifizieren (wie zum Bsp. im Bannkreis der instrumentellen Vernunft, besonders ausgeprägt in Technik und Ökonomie sowie auch Politik), wir freuen uns daraufd, es wieder und wieder zu versuchen, ohne jemals zu reüssieren.
Nach Adorno e.a. ist das einer der heißesten Kerne des Ästhetischen, weil uns dadurch eine Sphäre von mimetischem Nachvollzug (im Ggs. zur blanken Mimikry) erhalten bleibt und Identitätsverweigerung erhalten bleibt, damit aber auch der Anschein von Hoffnung auf ein anderes, nicht nur von Identitätszwängen und naturvernichtender Instrumentalität bestimmtes Leben. Nach ziemlich übereinstimmenden Statements ansonsten recht unterschiedlicher anthropologischer Erklärungsschemata sind äE (Kunst) und religiöse Erfahrung (nachgewiesen schon bei homo neanderthalensis) gleichursprünglich: Wenn dem so sein sollte, wäre das Nichtidentische an aKW ein Indiz für das Transzendente, also jene Erfahrung, die ja gerade jede nur “irdische Identität” negiert, weil an der immer ein Stück Vernichtung, Verdrängung und Entmenschlichung, jedenfalls der Tod sowie natürlich auch Schmerz, kleben, was womöglich schon eine sehr frühe menschliche Erfahrung ist, der in diesem kulturstiftenden Kompensat vielleicht ein Gegengewicht erwuchs. Adorno sieht jedenfalls Versöhnung oder Erlösung nur von daher kommend winken, wobei der letzte Schritt – die Säkularisation der Kunst – einerseits von den Strangulationen jeweiliger Einzelerscheinungen am Religiösen befreit, ohne doch die Sehnsucht nach Befreiung von ent-idividualisierenden irdischen Zwängen gleich mit aufzugeben.
Ich habe keine Ahnung, liebe @Yoro , ob das jetzt irgendwie hilfreich für dich sein könnte. Ich hab’ mir Mühe gegeben – halt aus meiner Sicht – ein bißchen Ordnung ins begriffliche und sachliche Chaos zu bringen. Wenn’s Fragen gibt ob dieses Kauderwelschs, bitte melden.
So isses, du sprichst mir aus der Seele, auch wenn ich anders formulieren würde. Deswegen ist es auch bei mir so, dass mich schlechte Kritik an meinem Werk kaum trifft. Denn wirklich objektiv schlecht ist das, was ich schreibe, nicht. Es ist nicht jedermanns Geschmack. D’accord. Es liest sich wie ein Plagiat. Nicht meine Schuld, ich bin so, kein Scheiß. Die Protagonisten sind unsympathisch. Kann passieren, aber anscheinend habe ich ein Gefühl ausgelöst. Bei 29 von 30 Leseproben passiert bei mir gar nichts. Kein Gefühl. Das ist doch viel, viel schlimmer als negative Reaktionen. Wenn er unsympathisch ist, kann es ja nur besser werden.
Solche Kritik perlt an mir ab. Mir ist wichtig, meine Zielgruppe zu erreichen und das klappt. Ich würde mein Werk auch nicht verteidigen, denn ich gebe ja offen zu, dass es nur für maximal 500.000 Leser von insgesamt hundert Millionen Deutschsprechern geeignet ist. Wenn fünfhundert es lesen, bin ich schon überglücklich. Die fünfhundert wahrscheinlich auch.
Im Grunde ist auf diesem Gebiet jede Begründung gleich dünn und es wird sich immer jemand finden, für den sie stichhaltig ist.
Und schon gehen die Schwierigkeiten los. Was sind die wirklich ästhetischen Ansprüche und wo genau beginnen sie? Was sind überhaupt ästhetische Ansprüche in der Literatur?
Frag z.B. mal einen Japaner und einen Europäer, was er jeweils unter Ästhetik versteht, ich garantiere dir, die Ergebnisse dürften nicht so ganz leicht unter einen Hut zu bekommen sein.
Wenn ich dich richtig verstanden habe, dient die sog. ‘hohe Literatur’ weder der Unterhaltung noch der Befriedigung irgendwelcher Gelüste, noch soll sie irgendwie gefallen. Stellt sich die Frage, welchem Zweck sie dann dient?
Der l’art pour l’art – Gedanke ist mir schon immer sauer aufgestoßen, denn von dort aus ist der Schritt zu den diversen Manierismen verdammt klein.
Den ganzen Schotter, Schrott, Mist etc. pauschal als Kitsch zu bezeichnen, triffts auch nicht so ganz. Kitsch ist, zumindest meinem Verständnis nach, ein meist beschönigender, verniedlichender, klischeebeladener, sentimentaler Abklatsch von etwas Echtem.
Der ganze Schotter, Schrott, Mist etc bietet da noch eine ganze Menge mehr Facetten, und das Tragische ist, was der eine für den letzten Mist hält, ist für einen anderen eine Offenbarung. Wer hat in solchen Fällen recht?
Finde ich eine ziemlich arrogante Sicht der Dinge. Wer hat das Recht, festzulegen, welche Literatur verzichtbar ist und welche nicht und über welche Fähigkeiten die jeweiligen Rezipienten verfügen? Womöglich gibts sogar Leser, die die Beschreibung eines Ausflugs auf einem pinkfarbenen Einhorn als ästhetische Erfahrung begreifen. Von mir aus (solange sie es mir nicht aufdrängen …)
Die einen langweilen sich bei Rosamunde Pilcher, die anderen bei James Joyce, und es gibt unzählige Varianten dazwischen. Gottseidank. Viele lieben das Spiel mit Worten, den gekonnten Umgang mit der Sprache, intelligent verwobene Gesellschaftskritik u.s.w., andere wollen einen gradlinigen Actionkracher, wo Gut und Böse auf den ersten Blick erkennbar ist.
Seine Daseinsberechtigung hat alles, solange jemand daran Spaß, Freude und Interesse hat.
Als Leser, Hobbyschreiber und Rezensent habe ich im Lauf der Jahre für mich diverse Dinge in der Schreiberei herausgefunden, die in meinen Augen funktionieren und die ich gut finde, genauso wie ich über vieles gestolpert bin, was mir wenig bis überhaupt nicht gefällt. Werde ich nach meiner Meinung gefragt, kann ich ausführlich begründen, was mir gefällt und was nicht, ich würde mir aber niemals anmaßen, jemandes Vermögen, ‘gute’ Unterhaltung rezipieren zu können, irgendwie in Frage zu stellen.
ich habe in der letzten Zeit vier (kleinere) Romane von Peter Handke gelesen und dazu – vorher – seine gesammelten Aufsätze (komplett). Bei den Letzteren war es so, daß ich ungefähr ein Drittel davon für gut befunden habe und mit dem Rest unzufrieden gewesen bin. Was die Romane betrifft, so ging es fifty/fifty aus. Zwei waren meiner Anschauung nach geradezu phänomenal gut, also richtig hochklassischer Stoff … und die anderen beiden haben mich nicht gerade “vom Hocker gerissen”.
Mir ist vollkommen klar, daß bei dieser Stoffbasis Urteile anderer Leser ganz anders ausfallen könnten; und mir ist weiters klar, daß es gewiß nicht an der Unfähigkeit jener anderen Rezipienten liegen würde, wenn sie zu anderen Urteilen über den hier in Rede stehenden Werkausschnitt von Handke kommen als ich. Nö! Denn natürlich spielen bei der Beurteilung von literarischem Stoff stets auch sehr individuelle Präferenzen, sowohl Stil als auch Inhalt betreffend, eine Rolle, also Dinge, die sich nur bedingt auf der Folie von Verallgemeinerbarem abspiegeln lassen und mithin Subjekitivität einfließen lassen. – Dessen muß ein Autor stets gewärtig sein. Und freilich auch jeder Rezipient. Weder der eine noch der andere hat ein Anrecht bzw. auch nur eine Option darauf, ausschließlich objektiv beurteilt zu werden bzw. urteilen zu können. Einfacher gesagt: So ganz können wir uns selbst dort, wo das vielleicht nicht unbedingt vollends angezeigt ist, von unseren – aufs Ganze gesehen natürlich unmaßgeblichen – Geschmackspräferenzen trennen; und ich z.B. will das auch gar nicht!
Für mich ist Peter Handke trotz dieser durchmischten Bilanz einer der bedeutendsten zeitgenössischen Schreiberlinge, denn nach meinem Dafürhalten reicht es sogar für dieses Prädikat, wenn auch nur ein einziges Werk richtig gut ist (wovon bei Handke natürlich keine Rede sein kann – ich habe ja früher schon anderes von ihm gelesen; und da war auch sehr gute Literatur darunter).
Warum führe ich den Handke auf dein Posting hin an?
Nun, um zu zeigen, daß selbst bei unstrittig gut schreibenkönnenden Autoren wie Handke der je persönliche Geschmack seiner Rezipienten eine Rolle spielt (jedenfalls bei mir und einigen anderen Menschen ist das so, ohne daß ich/sie mich/sich dessen schäme/n), wenn es um die Beurteilung eines Einzelwerkes geht, derweil an der allgemeinen Fähigkeit Handkes, “(verdammt) gut schreiben zu können”, ja wohl nicht ernsthaft gezweifelt werden kann …
Insofern ist das, was du für dich in Anspruch nimmst bei Kritik – nämlich auf nichtkompatible Geschmackspräferenzen zu rekurrieren – allemal legitim. Ob es damit schon sein Bewenden hat, ist auf diese Weise freilich (noch) nicht belegt, denn wie ich gerade an Handke zu demonstrieren versucht habe, erschließt sich das nicht von einem einzigen Werk her (oder gar nur einem Ausschnitt daraus), sondern aus dem Gesamt des Geschriebenen. Aufgrund dessen kann ich nicht beurteilen (und wohl jede/r in meiner Lage ist dazu außerstande), ob es stimmt, was du über dich selbst schreibst: “[W]irklich objektiv schlecht ist das, was ich schreibe, nicht.” – Kann sein. Kann aber auch nicht sein. Bitte versteh mich nicht falsch. Ich maße mir kein Urteil über deine Schreibfähigkeiten an, weil ich sie nicht kenne (bis auf ein paar Schnipsel). Aber deshalb hat natürlich deine Selbstbeschreibung auch keinen Belegcharakter für micht. Wie könnte sie den beim Stand der Dinge meiner Kenntnisse über dein Schreiben haben?
Will sagen: Diese Aussage (wie eben zitiert) ist objektiv betrachtet ohne jeden Wert für jeden anderen (mit gleichem Kenntnisstand wie meinem); und ob sie für dich selbst von Wert ist, kann ich auch nicht beurteilen – aber unmöglich ist es immerhin nicht. Deshalb rate ich dir, derlei Aussagen besser nicht zum tätigen, eben weil sie für andere beim Stand der Dinge ohne jeden objektivierbaren Wert sind, jedoch u.U. Assoziationen wecken könnten, die völlig kontraproduktiv sind. Bei mir werden davon zwar keine kontraproduktiven Assoziationen ausgelöst, aber ich gehe – aufgrund entsprechender Erfahrungen – davon aus, daß das nicht bei allen Zeitgenossen so ist. Und da solche Äußerungen nach meinem Dafürhalten (ich hatte es zu zeigen versucht eben) eh mehr oder weniger nutzlos sind, kannst du sie doch eigentlich auch lassen. Oder?
Ich kenne ein paar durchaus arrivierte Schriftsteller, die im steten Zweifel wegen ihres Schreibvermögens sind, obwohl mich und andere dünkt, diese Zweifel wären unberechtigt, da ja offenkundig Erfolge zu verzeichnen sind. Das ist die andere Seite der Medaille. Ich finde beide Positionen nicht sonderlich geschickt; und dafür gibt es für mich einen recht simplen Grund: Wie es um das Schreibvermögen eines Schriftstellers steht – so reime ich mir das zusammen --, sollte immer aus dem Urteil der je anderen fließen. Stehen also solche Urteile – in ausreichendem Maß natürlich und von kompetenter Seite geäußert – zur Verfügung, wird schon “etwas dran sein” und man kann sich dann danach richten im weiteren Vorgehen. Denn für alles andere, also mnetwa die eigene Position, reicht ja allein der Ausweis, daß es einem nicht an Mut gefehlt hat, das Eigene der Öffentlichkeit an die Hand zu geben. – Anders ausgedrückt: Wer wäre denn schon so bekloppt, etwas anderen, also öffentlich, zu präsentieren, wenn man selbst nicht glaubte, es würde bei denen bestehen können?! Das macht doch keiner! Und folglich ist allein der Akt des Veröffentlichens von etwas Ausweis genug dafür, daß man sich zutraut, etwas Literarisches schreiben zu können. Oder?
Fazit: Was ich nicht so arg geschickt an deiner Formulierung finde – ansonsten stimme ich dir weitgehend zu – ist der Term ‘objektiv’ in deiner Rede. Wie gerade kurz ausgeführt, ist es der subjektive Eindruck, der wirklich zählt, aber nicht so ein Statement: “[W]irklich objektiv schlecht ist das, was ich schreibe, nicht.” – Darüber kannst du nicht befinden, will mir scheinen, weil es dafür den point of view nicht gibt. Den gibt es nicht mal bei Handke, der wahrlich ein umfangreiches und viel gelesenes Werk das seine nennen kann, aber vielleicht in so einer Art … ähm … “Annäherung daran” könnte es bei ihm möglich sein, eben aufgrund der nicht zu leugnenden Tatsachen, sein Werk betreffend.
Also ich meine, dafür schon ein paar Indizien angeführt zu haben. Stw. ‚Rätselcharkter‘ und die ‚Lust an der Nicht-Lösbarkeit‘: Stw.: ‚Epochenübergriefende Wirksamkeit‘; Stw. ‚Nichtidentität und Mimesis‘ …
Ich habe darüber u.a. mit Japanern (auch Chinesen) – sogar ziemlich ausführlich – gesprochen; v.a. im universitären Rahmen. Es gab da wenig Dissens in den Grundfragen. In Details gibt es immer Differenzen. Aber das liegt in der Natur der Sache. Doch vom Grundsatz her sind ästhetische Kategorien offenbar kulturübergreifend wirksam. Auf interessante Weise hat darüber z.B. Günter Figal gehandelt (etwa im Zusammenhang mit japanischer Keramik).
Die aKW haben natürlich keinen Zweck! Das wäre ja gerade das Gegenteil von Ästhetik, also Eingeschworensein auf die instrumentelle, rein ratio-geleitete Denke. Ich erinnere noch mal an das kurz zu Kant Gesagte! Das heißt allerdings nicht – vgl. etwa den o.e. Figal --, daß ästh. Gegenstände keine auch irgendwelchen Gebrauchs sein könnten. Sondern es heißt, daß sie niemals darin aufgehen, also daß sie einen … ähm … „Sinnüberschuß“ an sich tragen.
Daß sie nicht zu befriedigen oder keine Lust auszulösen vermögen – lassen wir mal offen, was alles darunter figurieren könnte --, geht daraus natürlich nicht hervor. Ich gehöre übrigens keineswegs zu den Vertretern eines l’art pour l’art. Dieser Gedanke ist allerdings nach wie vor stark vertreten in den Grunddiskussionen der Ästhetik. Für mich haben asthetische Gegenstände und äE neben ihren anthropologischen Grundfunktionen jedenfalls in hohem Maß auch gesellschaftskritische Aspekte.
[Bzgl. ‚Kitsch‘ oder pseudoästhetischem Müll]
Was ist denn daran „arrogant“, Kitsch als Kitsch oder Müll als Müll zu bezeichnen? Das verstehe ich nicht. – Und das Recht dazu, darüber zu befinden, was keine Literatur, sondern eben kitschiger Sprachbrei ist, hat grundsätzlich jede/r.
Die Frage ist nicht das Recht, sondern ob die Fähigkeit vorhanden ist, für ein entsprechendes Statement eine nachvollziehbare Begründung zu geben (sofern sie gefordert wird). Und insofern die schon genannten Wissenschaften in diesem Bereich die Diskurse strukturieren, darf man zumindest einigermaßen darauf vertrauen, daß sie das diskursive Vermögen haben, entsprechende Begründungen zu liefern. Wenn ein biologischer Zusammenhang vorliegt, fragt man ja auch nicht Uroma Frida nach ihrer … ähm … Meinung, sondern am besten die Biologen … – Warum sollte das bei ästhetischen Zusammenhängen anders sein: Die Kunsthistoriker, die Musikologen, die Philosophen und Literaturwissenschaftler etc.pp. sind nun mal jene, die diese Wissensgebiete dominieren, exakt genauso wie die Biologen die biologischen und die Physiker die physikalischen.
Das impliziert freilich nicht, daß eine wiss. Ausbildung vonnöten wäre, äE zu machen (das wäre ja lächerlich). Nur wenn es um Begründungen mit Ansprüchen auf Allgemeingültigkeit geht (also nicht nur blanke Geschmacksurteile in Rede stehen), kann es sein, daß der unbedarfte Laie in Not geraten könnte, obwohl er natürlich davon unabhängig ganz authentische Erfahrungen macht.
„Fähigkeiten von Rezipienten“ zeigen sich im Akt des Rezipierens! Wer etwa eine klassische Novelle nicht von einem Fünf-Groschen-Elaborat vom Bahnhofskiosk (etwa des Genres „Arztroman“) zu unterscheiden vermag (also je bezogen auf äE), oder eine romanische Kirche nicht von einem postmodernen Yuppi-Beton-Glas-Edelstahl-Bunker oder einen ambrosianischen Hymnus nicht von einer Schnulze, die Marianne Rosenberg intoniert, ist raus aus dem Spiel der Beurteilung [sic] ästhetischer Sachverhalte! Und basta! – Ich weiß, das ist jetzt ein bißchen grob formuliert; und in den Details kann es durchaus zu Fragwürdigkeiten kommen. Aber vom Prinzip her läuft es so. Was ein Kunstwerk ist, was ‚Ästhetik‘ und was auch bspw. ‚ästhetische Erfahrung‘ ist, genauso wie die Frage, was ein Roman ist usw., ist durchaus Gegenstand reflektierter wiss. Diskussionen. Und wer davon aber auch überhaupt keine Ahnung hat und etwa nur auf sein – angeblich „untrügliches“ – Bauchgefühl oder sonstwas Obskures setzt, kann dann eben in Kreisen, die das goutieren, so darüber reden, aber gewiß nicht öffentlich mit erhobenem Geltungsanspruch auf Richtiges, denn dies unterliegt nun mal diskursiven Prüfungskriterien, die von den dafür zuständigen Wissenschaften beurteilt werden, wiederum adäquat zum Fall Biologie oder Physik.
Nochmal: Das heißt nicht, daß jemand ohne diese wiss. Kompetenzen keine äE machen kann. Kann so jemand sehr wohl und es wird wohl auch täglich der Fall sein. Aber dafür Begründungen beizubringen ist etwas anderes! Man muß ja nichts begründen. Man kann auch einfach nur in der ästehtischen Situation stehen.
Und was das pinkfarbige Einhorn und den Ausflug darauf betrifft: Wie das jemand für sich „begreift“, ist völlig unwichtig, solange keine nachvollziehbaren Kriterien dafür vorliegen, daß die dabei getätigte Zuschreibung – hier also ‚ästhetische Erfahrung‘ – auch zutreffend ist. Es gibt ja auch Leute, die irgendeinen unstrukturierten verschriftlichten Verbal-Unfug als Roman auffassen! Nur ist es eben so, daß bloß deswegen, weil sie glauben, einen Roman verfaßt haben, noch lange keiner vorliegt! Und so ist das auch bei äE. Wobei ich nicht ausschließen möchte, daß ein Ausflug auf einem pinkfarbenen Einhorn sich als ästhetische Erfahrung realisieren könnte. Es käme auf die genaueren Umstände an.
Der Punkt ist eben nicht irgendein beliebiges Meinen oder Glauben. Darum geht es. Für die Erfahrung ist maßgebend, ob die Kriterien dafür vorliegen und für die Begründung, ob sie eine nachvollziehbare Struktur haben, also allgemein anschlußfähig sind und nicht nur Idiosynkrasien ausdrücken.
Ja, sicher. Aber deswegen wird aus einer Pilcher-Schwarte kein aKW und aus Finnegans Wake kein Schrott/Kitsch-Groschenroman. Nicht jede/r ist zu jeder nur denkbaren äE fähig (das wäre vermutlich auch tödlich langweilig). Bei mir ist das z.B. im Fall der Zwölfton-Musik der Fall. Nur streite ich nicht mit anderen herum, ob sie äE ermöglicht oder nicht. Ich halte dann einfach den Mund …
Leider ist es allerdings so, daß es Menschen gibt, die zu gar keiner äE (mehr) fähig sind. Manche unken sogar, es würden täglich mehr (was ich nicht zu beurteilen vermag).
Es geht – bitteschön nochmals! – bei der äE nicht um „Gefallen“ oder den persönlichen Geschmack. Sondern um das Nicht-Zweckhafte, Nicht-Identische, Rätselhafte und Nicht-Auflösbare etc.pp. an diversen Gegenständen (i.w.S.), die als Kunstwerke bezeichnet werden, wozu also dann bspw. Unterhaltungsgegenstände schon mal per definitionem nicht zählen können, weil sie ja offenbar zweckgebunden sind, sonst könnten sie in der Hauptsache nicht der Unterhaltung dienen! – Ein interessanter U-Gegenstand wäre z.B. ein klassischer S.-King-Grusel-Roman. Auch E.T.A. Hoffmann hat klassische Gruselromane geschrieben. Von denen sind nun einige aKW, also äE induzierende, während S. Kings Romane gewöhnlich nicht unter diese Kategorie gezählt werden. Ich weiß nicht, ob du sowohl solche Hoffmanns als auch S.K.'s kennst. Wenn ja, kannst du dir selbst klar machen, wo die Differenz liegt und warum die einen gute Unterhaltung bieten, die anderen aber – eventuell auch neben Unterhaltung, die ja von äE nicht ausgeschlossen wird – noch andere, nämlich ästhetische Erfahrungen vermitteln, die S.K.'s allerdings nicht oder höchstens ganz rudimerntär zu bieten haben.
Aber: auszuschließen ist das keineswegs. Denn sehr wohl kann gute Unterhaltung auch äE ermöglichen, weil sie nicht nur aufs Ganze geht, sondern auch am Detail zu kondensieren vermag. Das ist ja gerade das Phänomenale an äE. Sie würdigt auch das Fragment, das Kleine, das bloße Erzittern einer ästhetischen Fiber.