Sehr interessantes Thema! Was mich betrifft: mir geht es wie den Nordlichtern bei der ersten bundesweiten Ausstrahlung eines bayerischen Tatorts mit Gustl Bayrhammer als Kommissar. Damals wurde in den Leserbriefen der Programmzeitschriften wütend gefordert, bei der Ausstrahlung Untertitel einzublenden!
Mir fallen dazu die Kluftinger-Krimis ein - die Autoren halten sich m.E. mit Mundart-Ausdrücken sehr zurück, schaffen es trotzdem, das schwäbische Feeling rüberzubringen.
Ich halte hier weniger für mehr. Hatte mir lange Gedanken gemacht für ein paar unausgereifte Szenen, in denen eine der Figuren tiefstes Schweizerdeutsch spricht.
Schlussendlich habe ich die ersten paar Sätze in Dialekt mit deutscher Fußnote geschrieben, danach alles auf Hochdeutsch, vielleicht noch 1-2x mit dem Hinweis im Begleittext, dass die Person weiterhin Mundart spricht. Auch andere typische Schweizer Begriffe oder Mundartworte streue ich ein und versehe sie mit Fußnoten.
Das erinnert mich immer an Asterix, wenn die Römer was auf Latein von sich gegeben haben. Zwischendurch war das toll und interessant, aber wenn während des ganzen Bands nur Latein mit Fußnoten gesprochen worden wär, hätte ich wohl kein Comic zu Ende gelesen.
Witzigerweise hab ich gestern in einem Schreibratgeber darüber gelesen.
Kurzfassung: Mundart ja, wenn sie entweder überregional verständlich ist, oder nur einzelne Begriffe, die sich einfach erklären lassen - oder aber mit Übersetzung im Dialog. Und weniger ist mehr (laut Ratgeber).
Beispiel für die Übersetzung von mir:
A: „Wo is minge Paraplü?“
B: „Die Sonne scheint, wozu brauchst du deinen Regenschirm?“
Im Grund ist das hier der einzige Satz, der in Mundart vorkommt. Um den Nebenprotagonisten korrekt charakterisieren
»I sag dir, Willi«, proletete Lämmle in seinem archaisch-schwäbischen Dialekt, bei dem selbst Rick hin
und wieder passen musste, leicht lallend zu seinem Nachbarn, »die haben heut’ morgen eine Leich’
weggschaffd. Wahrscheinlich einer von den Brandstiftern. Nedd auffbassd beim Feuerle macha. Man sollte halt auffbassa, wenn man zündelt.«
@nolimit
Gut verständlich, diese vier kurzen Sätze halte ich für völlig problemlos.
…aber, dann erscheint mir der Begleitsatz unlogisch. Wenn das archaischer Dialekt ist, bei dem Außenstehende passen müssen, und dann auch noch gelallt, warum verstehe ich das dann so gut?
Genau. Bücher mit langen Textstellen im Dialekt sind tatsächlich nur etwas für die Leser der betreffenden Region. Man kann von einem Sachsen nicht verlangen, dass er schwäbisch versteht. Häsch, weischt, willscht…wo du wolle…
Auweh - das wäre die Verdoppelung des Problems. Zuerst Fraktur entziffern und dann noch übersetzen. Ich hab zwar mit beidem kein Problem, aber i bin ja a ned ganz normal …
Ernsthaft: Lieber nicht so!
Selbst länderspezifische Akzente in einer Sprache sind auf Dauer problematisch. Beispiel: Boston von Upton Sinclair.
Dieser dokumentarische Roman von Sinclair behandelt die tragische Geschichte der italienischen (Amerika-)Einwanderer Sacco und Vanzetti (Wikipedia Eintrag hier…).
Aus Kapitel 7 Zeit der Abschiebung, Teil 5:
«Liebe Nonna», schrieb Vanzetti aus Plymouth, «komme doch bisschen zu uns an Weihnachten. Alle italienische anarchista sind traurig und fürchten, dass kriegen Ärgernis, wann Russe ist besiegt. Haben kein ‹Cronaca› mehr, und keine Führer in Neuengland, seit Galleani ist abgeschoben."
Im Original:
“Dear Nonna,” wrote Vanzetti from Plymouth, “come to see us little bit for Christmas. All Italian anarchista is unhappy and fear will come truble for us after finish Russian. Is no more Cronaca, and no leader in New England since Galleani is deport."
Diese Form des Dialekt zieht sich über schlappe 1000 Seiten und macht das Buch nahezu unlesbar.
Ich will nicht generell gegen Dialekt in belletristischen Werken ankämpfen. So lange es verständlich bleibt. Einige bajuwarische Krimis schleifen den gering vorhandenen Dialekt einzelner Handlungsträger in eine verständliche Form, während die meisten anderen Protagonisten hochdeutsch plaudern. Das geht und verschafft der Sache ein entsprechendes Kolorit.
Ein schönes Beispiel von kolossaler Unverständlichkeit aus der höchsten Hochliteratur bietet Finnegans Wake von James Joyce.
Hier ein Teil aus der deutschen Übersetzung von Dieter H. Stündel:
Was streitet hier Willen gen Wohnen, OstreuGotten geckin FischiGotten! Brekkek Kekkek Kekkek! Koax Koax Koax! Ualu Ualu Ualu! Quaouauh! Wo die boddelarischen Partiesahnen noch aus dem MatteMeisterMalachus Mikkrunzer und die Verdünnen die Kamibalistiker aus den WoißenKierlen vom Howdie Kopf katapuhltierten. Wolfspiehße und BummeerankStröme. Sottes Brut, sei mir Schreckgehspunst! Bluhtruhmträn, heil- dirch! Arme appellearen trainend, schowdehrhofft. Killikillkille: ah toll, ah toll.
Und hier das Original:
What clashes here of wills gen wonts, oystrygods gaggin fishy-gods! Brékkek Kékkek Kékkek Kékkek! Kóax Kóax Kóax! Ualu Ualu Ualu! Quáouauh! Where the Baddelaries partisans are still out to mathmaster Malachus Micgranes and the Verdons catapelting the camibalistics out of the Whoyteboyce of Hoodie Head. Assiegates and boomeringstroms. Sod’s brood, be me fear! Sanglorians, save! Arms apeal with larms, appalling. Killykillkilly: a toll, a toll.
Der Übersetzer hätte sich übrigens nicht so anstrengen müssen.
Was für ein Aufeinanderprallen von Willen und Gewohnheit, Austerngötter gegen Fischgötter! Brékkek Kékkek Kékkek Kékkek! Kóax Kóax Kóax! Ualu Ualu Ualu! Quáouauh! Wo die Partisanen von Baddelaries noch immer unterwegs sind, um Mathemeister Malachus Micgranes und den Verdons die Kamibalistik aus der Whoyteboyce von Hoodie Head zu katapultieren. Assietore und blühende Ströme. Sod’s Brut, sei meine Furcht! Sanglorianer, rettet! Waffenappelle erschallen entsetzlich. Killykillkilly: eine Maut, eine Maut!
Klingt immer noch sonderbar genug, auch ohne ‚irischen‘ Zungenschlag …
… da sieht man, wie unterschiedlich Leser reagieren. Andere stört das nicht - für mich ist das allerdings schon zu viel Dialekt. Im Hörbuch wäre das was anderes - da kann ich mehr Dialekt vertragen. Meine Augen geraten schneller ins Stolpern als meine Ohren.
Ich glaube, die Eberhofer-Krimis, die ja endlos erfolgreich sind, sind auch sehr dialektisch geschrieben (?) Wäre interessant, ob die Leserschaft überwiegend aus der Region der Autorin stammt.