Dann mache ich euch mal das nächste Türchen auf
Die lauten Stimmen verklangen langsam, Spannung lag in der Luft und plötzlich hörte sie etwas gefährlich zischen. Sie erstarrte geschockt, stand wie festgefroren auf ihrem Platz. Irgendetwas kam ihr immer näher, Hitze nahm sie immer mehr gefangen und sie begann verzweifelt nach ihren Begleitern zu rufen. Jedoch konnten diese ihr natürlich nicht helfen, waren doch auch sie an ihren Plätzen gefangen.
Mit einem Schlag wurde alles anders! Die Hitze war noch da, konzentrierte sich auf einen Punkt über ihr.Aber plötzlich war da auch Leben, sehen, spüren, atmen.
Staunend wurde die Sicht immer klarer, sie sah vier mehr oder weniger große Riesen über sich gebeugt, einer davon hielt etwas Brennendes in der Hand. Da! Das musste ihr das Leben geschenkt haben. Andererseits schien es auch Schmerzen zu verursachen, denn es biß den Riesen in die Hand und aus Rache hauchte er ihm das Leben aus. Wie grausam!
Tief atmete sie ein, versuchte sich zu beruhigen und verstand plötzlich die Stimmen der lauten Anderen
„Vorsichtig, Kinder! Nicht zu nah ran, sonst verbrennt Ihr euch oder pustet sie wieder aus“
„Seht nur wie schön sie brennt. Der Kranz sieht wunderschön aus, vor allem jetzt wo die erste Adventskerze brennt“
„Wie oft noch schlafen bis das Christkind kommt???“
„Dummerchen, du siehst doch, dass da 4 Kerzen drauf sind!“
„Sei lieb zu Deiner kleinen Schwester!“
Da meldeten sich die Stimmen Ihrer Gefährten wieder „Was ist passiert? Geht es Dir gut?“
Verblüfft sah sie sich um, erkannte die vertrauten Stimmen in den drei Kerzen um sie herum, verteilt auf einem grossen, grünen Kranz aus Tannenzweigen, die sie nun sogar riechen konnte. Das war es also, was sie immer so gezwickt hatte! Sie sah die kleinen roten und goldenen Kugeln darauf, das wunderschöne rote Samtband um den Kranz und die leuchtenden Augen der Riesen.
„Ich weiß jetzt was und wo wir sind!“ rief sie aufgeregt.
„Wir sind Kerzen! Wir stehen auf einem grünen, geschmückten Kranz! Mich haben sie mit Feuer belegt und jetzt kann ich sehen, riechen und verstehen, was um uns passiert. Wir sehen so wunderschön aus. Nur warum die eine laute Stimme so gemein zu dem Feuer war, das verstehe ich noch nicht. Er hat es einfach ausgemacht – obwohl, es hat ihn, glaube ich, gebissen.“
„Wir wollen auch sehen! Warum können wir noch nichts sehen?“ riefen die Anderen im Chor.
„Es muss mit dem Feuer zu tun haben. Ich weiß nicht, warum sie Euch noch nicht mit Feuer belegt haben, denn das scheint uns die Gabe des Sehens zu verleihen. Aber ich werde zuhören und versuchen herauszufinden, was hier vor sich geht!“ versprach die erste Kerze.
Die Riesen hatten sich zwischenzeitlich an den Tisch gesetzt und begannen lauter seltsame Dinge in sich hineinzustopfen. Das sah extrem gruselig aus und sie versuchte instinktiv zurückzuweichen.
„Mama, die Kerze bewegt sich!“
„Bitte??? Ach so, du meinst die Flamme. Sie bewegt sich wahrscheinlich im Luftzug. Das gibt sich gleich wieder“
„Ich glaub, sie hat Angst vor uns“
„Angst? Wie doof kann man eigentlich sein???“
„Sei lieb zu Deiner kleinen Schwester, sie weiß es noch nicht besser!“
Luftzug? Was für ein Luftzug? Sie wollte schlicht und ergreifend nicht gefressen werden! dachte sie und gab dem kleinsten Riesen damit recht. Die Kleine sah eigentlich recht niedlich aus mit ihrem Wuschelkopf und den grossen, strahlenden Augen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sich dahinter mehr verbarg, als die großen Riesen wußten.
Nachdem die Riesen mit dem Runterschlingen fertig waren fingen sie an, den Bereich um den Kranz leer zu räumen. Die lauteste Stimme und damit auch der größte Riese kam auf sie zu und sie befürchtete schon, er würde sie auch wegbringen, aber er tat etwas weitaus Schlimmeres: Er nahm ihr das Feuer! Wie der kleinen Flamme vorhin hauchte er auch ihr das Leben wieder aus obwohl sie ihn nicht gebissen hatte.
Verstört schrie sie auf und die anderen Kerzen fragten bestürzt was passiert wäre.
„Er hat mir das Leben wieder genommen! Ich kann nichts mehr sehen!“
„Oh, das ist nicht gut! Was hast Du getan?“
„Nichts!“
„Das ist sehr komisch, aber vielleicht schenkt er es Dir ja wieder?“
Da hört sie ganz leise die Stimme des kleinsten Riesen „Nächsten Sonntag darfst Du wieder brennen, zusammen mit der nächsten Kerze“. Es war als würde sie ihr Mut zusprechen wollen und sie beruhigte sich langsam.
„Der kleine Riese hat mir gerade zugeflüstert, dass ich wieder leben darf – nächsten Sonntag, was auch immer das ist??? Ach ja, und dann soll wohl noch Eine von euch mitleben dürfen.“
„Ehrlich? Das wäre wundervoll!“ meinten die anderen Kerzen und zusammen warteten sie geduldig auf Sonntag, egal wie lange das auch dauern würde.