Leseprobe - 2 -

Heldenplatz I

Das kalte aber sonnige Winter­wetter mit seinem wolken­losen blauen Himmel verlockte an diesem Stefanitag schon sehr früh einige Wien-Touristen zu einem Spaziergang durch die Innenstadt.
Kurt Pichler lotste seine eifrig knipsenden Reisenden, die sich beim Fotografieren mit ihren Tablets des Öfteren gegenseitig im Weg waren, über seine Lieblingstour:
Start am Stephansplatz beim Riesentor, über den Graben und den Kohlmarkt zum Michaelerplatz, von da vorbei an der Spanischen Hofreitschule zum Heldenplatz. Weiter durchs Äußere Burgtor über den Burgring hin­über geradeaus zur imposanten, von zwei Museen flankierten, Statue der Maria Theresia.

Da, vor den Museen, kam meistens die übliche Frage: ‚Sagen Sie mal, Herr Pichler, wie kann man sich denn merken, welches Gebäude das Kunsthistorische und welches das Naturhistorische Museum ist, die sehen doch völlig gleich aus?‘
‚Ganz einfach, liebe gnädige Frau – das Wort Natur hat ein ‚r‘, das Wort Kunst hat kein ‚r‘. Wenn Sie also vorn vor dem Denkmal der Maria Theresia stehen, dann ist das mit der Natur rechts …‘
(Die ‚liebe gnädige Frau‘ ergab in der Regel ein zusätzliches Trinkgeld.
Und es waren meist die Damen, die diese Frage stellten, die Herren fragten selten bis nie.)

Dann ging es noch weiter zum Rathaus und zur Hauptuni und danach endlich über die Schottengasse und die Freyung zurück zum Stephansplatz, wo im Haas-Haus das wohlverdiente Mittagessen eingenommen wurde. Das war der übliche Ablauf und auch heute der Plan.

Auf dem Heldenplatz angekommen, begann er die Geschichte vom genialen Anton Dominik Fernkorn zu erzählen. Dieser Bildhauer hatte ein technisches Meisterwerk vollbracht. Er schaffte es, dass das Pferd vom Erzherzog Karl nur auf zwei Hufen balanciert – dabei wiegt die Statue stolze zwanzig Tonnen. Während Pichler sprach, führte er die Gruppe langsam rings um das Denkmal herum.

Es waren diesmal dreißig Teilnehmer, die maximal mögliche Anzahl, eine ‚Klassenfahrt‘, wie er das insgeheim nannte, ein bunt gemischtes Publikum. Und wie das meist so ist bei Touristengruppen, ein paar sind immer fußmarod und hoppeln langsam hinterdrein, während ein paar andere schon unternehmungslustig auf Entdeckungsreise gehen und deshalb auch gerne mal weit vorauseilen. Nicht immer zu ihrem Vorteil.

Schottenring

Schon ein wenig übernächtigt von den Recherchen zum Mordfall Dr. Eberhard Rotter schleppten sich Juliane und Max für einen Zwischenbericht zu ihrem Vorgesetzten. Mittlerweile war völlig klar, dass es sich bei dem Toten vom Minoritenplatz nicht um das Opfer einer spontanen Tötung, sondern um eine ‚mit Vorbedacht und vielen Vorbereitungen verbundene vermutliche Vergeltungstat‘ handelte. (Mittlerweile hatte sich alle daran gewöhnt, dass Max eine besondere Vorliebe für Alliterationen hatte. Er suchte nicht danach, er sprach einfach so.)

Da der Dr. Rotter weder Frau noch Kinder und auch keine Eltern mehr gehabt hatte, fielen die üblichen Verdächtigen aus der Familie weg. Was Bekannte und Freundeskreis betraf, so blieben nur ein paar, sehr wenige, Telefonnummern im Mobiltelefon. Die Anrufe bei diesen verhallten indes, vermutlich aufgrund der Feiertage, ungehört. Deshalb hatten sie sich vorgenommen, die alten Fälle, die vor Gericht verhandelt worden waren, genauer unter die Lupe zu nehmen. Außerdem hatten sie bei der Staats­anwalt­schaft einen Antrag auf eine Haus­durchsuchung in der Wohnung des Opfers gestellt. Der Journal­-Staatsanwalt war gelang­weilt genug, den Antrag umgehend durchzu­winken. Ein Mann aus der Gruppe der Spuren­sicherung hatte den PC des Opfers in die IT-­Forensik gebracht. Nun wurde er vom hellauf begeisterten Bereit­schaftsdienst durchforstet.
Die Investitionen des Bundes­mini­steriums für Inneres nach den heftigsten Verhandlungen seit Jahren hatten sich gelohnt – Archivverwaltung und IT-Ausstattung konnten sich jetzt sehen lassen und beschleunigten deutlich viele vorher hoch zeitaufwendige Suchvorgänge.

Die Infor­mationen über die fraglichen Gerichtsverfahren – eh nur zweiundvierzig – waren daher einfach zu finden, nachdem die bürokratischen Hürden betreffend der Daten­zugriffe erst einmal überwunden worden waren. Trotzdem – selbst wenn zwei zusätzliche Innen­­dienstler damit beschäftigt waren, die Unterlagen zu sichten – es blieb eine Sisyphosarbeit. Auch wenn man schnell die Akten am Bildschirm hatte – durchgelesen werden mussten sie doch.

Abwechselnd erzählend und verstohlen gähnend hielten sich Juliane und Max an ihren Kaffeehäferln fest und versuchten, nicht sofort im Stand einzuschlafen. Just als es aufschlussreich wurde (eines der Opfer vom Morzinplatz hatte sich zwei Jahre nach dem Anschlag umgebracht), läutete das Telefon. Pawlak hob ab. Meldete sich. Lauschte. Sah zu seinen beiden Beamten hin. Notierte etwas, sagte nur kurz »Okay.« und legte auf.

»Ach, Kinder. Am liebsten tät ich ja zu Euch sagen, fahrts heim und legts Euch nieder. Aber wir haben eine Tote auf den Stufen vom Erzherzog Karl. Unfall ist es schon mal definitiv keiner, weil irgendwer der Frau den Mund zugenäht hat. Ich informiere gleich den Tatortjournaldienst.«

Für diesen kurzen Weg den Dienstwagen zu nehmen kam für keinen von beiden in Frage. Also trabten sie los.

In der kalten Luft dampfte der Atem. Aber nicht nur der.

»Eins sag ich dir gleich: Wenn wir von dem Einsatz zurück sind, leg ich mich für vier Stunden nieder, wurscht, was kommt. Und du auch.«

»Machen wir.«, antwortete Max mit sanfter Stimme. Die Frau Major war nicht gut drauf, sondern eher in einer hochexplosiven Verfassung.
»Und bei den nächsten Feiertagen sind wir beide im Urlaub – so schaut’s aus.«

Nach weiteren hundert Schritten unheilschwangeren Schweigens: »Hoffentlich kommt bald eine Ablöse. Möcht wirklich wissen, was diese ganze depperte Personal­einsparerei überhaupt bringen soll!«

»Es kann ja aber niemand damit rechnen, dass während eines Journal­diensts gleich zwei Tötungsdelikte gemeldet werden.«, gab sich Max moderat.

»Eh nicht.«, grollte Juliane. »Aber Journaldienst verhält sich zu Normal­dienst wie Plastikküberl zu Feuer­wehrlöschzug. Viel Spaß, wenn’s wirklich mal heftig brennt! Und ich hoffe ernsthaft, dass der Pawlak sich etwas ein­fallen lässt!«

Heldenplatz II

Als man sich vor dem Denkmal mit der Spurensicherung traf, war die Frau Mattheus noch immer hochgradig grantig.

»Schon wieder Ihr?«, giftete der Leiter der Truppe, die erst gestern nicht weit von hier zum Einsatz gekommen war, in Richtung Juliane. Diese war aber ebenso wenig wie Max am Minoritenplatz persönlich dabei gewesen, weshalb sich ihr Kopf jetzt leicht nach vorne schob und etwas nach rechts neigte, während sie mit einem großen Schritt an den Beamten herantrat und ihn wortlos von oben bis unten mit den Augen maß.

»Was schaun S‘ mich denn so an, Habek? Ich war’s nicht und der Kollege auch nicht, also! Grüß Gott im Übrigen …«, blaffte sie plötzlich. Habek zuckte zusammen.

Max schenkte ihm ein schiefes Grinsen, »Glattes Eis heute.«, murmelte er. Die beiden Beamten verabscheuten einander schon seit Maximilans Ausbildungszeit von Herzen. Julianes Augen wurden in Zeitlupe schmäler und ihr Tonfall von Wort zu Wort schroffer.

»Und – wo sind die Zeugen, wo ist die Tote? Hoppe­dihopp, wir haben nicht ewig Zeit!« Mit einer ungeduldigen Handbewegung scheuchte sie Habek zum Fundort und folgte ihm.

»Oh, der Herr Doktor Larisch! Sehr erfreut! Was treibt denn Sie hierher?« Ihr Zorn war schlagartig verraucht. Üblicherweise kam der alte Arzt kaum aus seinen Hallen in der Sensen­gasse zu einem Leichen­fundort, das überließ er schon gerne den etwas jüngeren Kollegen, wenn es sich einrichten ließ. Die knappen Personalressourcen, die räumliche Nähe sowie die berufsbedingte Wissbegierde schien ihn zu diesem kurzen Spaziergang bewogen zu haben.

Nun stand er neben der toten Frau, die, ihre Hände im Schoß gefaltet, auf den Stufen kniete, und betrachtete interessiert das Gesicht, speziell den durch eine grobe Naht verunstalteten Mund.

Dann ging er in die Hocke und ver­suchte, die Hände zu bewegen. Sofort stieß er auf Wider­stand.

»In sitzender Position steif gefroren. Hart wie Stein.«, stellte er lakonisch fest. Der Leichenwagen kam und transportierte das Opfer statt im üblichen Sarg auf einer Gummibahre ab, während sich Larisch etwas unbeholfen erhob. Jetzt erst ging er auf Julianes Gruß ein und schnaubte:

»Na, was werde ich hier wohl machen? Nichts gegen die Fotodoku, aber manchmal ist es einfach besser, sich in situ ein Bild zu machen. Die Täter haben augenscheinlich ein Faible dafür, ihre Opfer mit Stickstoff schockzufrosten. Sie müssen jedenfalls über fach­liches Wissen und eine Anlage mit entsprechendem Volumen verfügen. Menschenkörper sind ja schließlich keine Zucker­­erbsen.«.

Die Vor­stel­lung schien ihn zu amüsieren, jedenfalls huschte ein leichtes Lächeln über sein Gesicht, ehe er fortfuhr.

»Aber das hab ich ja schon beim, wie hat er gleich geheißen, ah ja. Rotter. Das hab ich schon im Bericht vom Doktor Rotter angeführt. Und Einzeltäter kann ich definitiv ausschließen.«

»Wir haben den Bericht mit großem Interesse gelesen. Was wir uns fragen, wie sie es geschafft haben, ihn nach dem Mord so perfekt ohne irgendwelchen Spuren anzuziehen.«

»Für die Stickstoff­behandung werden sie wahrscheinlich schon spezielle Chemie­schutz­anzüge gebraucht haben. Aber sonst …« Er wies mit der Hand auf die Beamten der Spurensicherung.

»Schau’n S‘ dort hinüber. Einen Overall wie ihn die Kollegen tragen, kriegen Sie im Internet um zwanzig Euro. Ein Paar gut sitzende Baumwollhandschuhe und handels­übliche Einweghandschuhe drüber, eine Maske und ein Kunst­stoffvisier und beim Anlegen der Sachen sehr vor­sichtig sein, dann klappt das recht gut.«

Er wechselte seine Handschuhe, nestelte ein Taschen­tuch aus der Jackentasche, schnäuzte sich umständlich und lächelte Juliane an.

»So – ich muss. Sonst macht der werte Oberst Pawlak wieder Telefonterror bei mir. Wiederschau’n!« Dann machte er sich mit seinen typischen langen Schritten auf den Rückweg, die Hände wie üblich auf dem Rücken verschränkt.

Juliane blickte sich um. Auf den Steinstufen der zweiten Reiter­statue (der vom Prinzen Eugen von Savoyen, dem »Edlen Ritter« und Sieger von Peterwardein) standen die Teilnehmer der Reisegruppe, sorgsam betreut von Kurt Pichler, der wie ein Hütehund seine ihm anvertrauten Schäfchen zusammenhielt. Manche waren einfach nur still, manche diskutierten den Vorfall einigermaßen sachlich und beob­achteten interessiert die Aktionen der Einsatzkräfte.

Fünf von ihnen waren allerdings komplett überdreht und in einem äußerst labilen Zustand. Einmal beteuerten sie ihre Unschuld, dann sahen sie sich als die nächsten Opfer, und verklagen wollten sie das Reisebüro außerdem und sowieso.

Drei uniformierte Streifenpolizisten waren vollauf damit beschäftigt, der Reihe nach die Personen­­daten dieser sehr speziellen Teilmenge aufzunehmen. Für die anderen genügte zwei Beamte, die das wie gewohnt routiniert abhandelten.

Dazwischen verteilt standen und kauerten Psychologen der AkutBetreuungWien.

Auf der Stiege, die zum Papyrusmuseum in der Neuen Burg hinaufführte, saß ein Mädchen auf einer Rettungsplane. Juliane schätzte sie auf fünfzehn oder sechzehn. Wie paralysiert starrte die Kleine auf ihr Tablet, neben ihr saß eine ABW-Mitarbeiterin.

Juliane schlenderte langsam auf die beiden zu.

Die Be­treuerin sah zu ihr hoch. Juliane zeigte ihr ihre Polizei­marke und hob fragend die Augenbrauen. Die junge Frau nickte leicht. »Ja, sie war die erste, die … Schwerer Schock, nicht vernehmungsfähig.«, hauchte sie leise.

Juliane senkte ebenfalls die Stimme: »Trotzdem, wir brauchen Namen und Anschrift. Könnten Sie das in Erfahrung bringen, ohne großen Druck? Und, weil da mög­licherweise für uns brauchbare Aufnahmen drauf sein könnten, brauchen wir auch auf jeden Fall das Tablet. Danke.«

Juliane fischte eine Visitenkarte aus ihrer Jackentasche, die sie der Betreuerin aushändigte und wandte sich wieder der Gruppe zu.

»Hallo Max. Wie weit sind wir mit den Daten?«

»Gerade fertig geworden.«

Kurt Pichler trat zu ihnen. »Dürfen die Leute jetzt gehen?«

»Natürlich, Herr Pichler, und nochmals herzlichen Dank für Ihre umsichtige Vorgangsweise.«

Der Fremdenführer erlaubte sich ein flüchtiges Lächeln und kehrte zu seinen Schutz­befohlenen zurück, die nur Minuten später sehr still und geschlossen den Platz ver­ließen, bis auf jene, die noch in den Ambulanzwagen saßen und später in ihre Unterkünfte gefahren werden sollten.

Max und Juliane sahen der Gruppe nach, die zwischen den beiden Parlamentsgebäuden hindurch in Richtung Volksgarten davonzog.

Dann betrachteten sie den weit­läufigen Platz in seiner winter­lichen Kargheit und stellten sich unabhängig voneinander dieselbe Frage:

Wie in drei Teufels Namen hatte der Körper in dieser seltsamen Stellung völlig unbe­merkt hierher trans­portiert werden können?

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Ich sag es ja: Serienkiller… Mir gefällt es

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Es liest sich wirklich gefällig. Würd ich mir zur abendlichen Bettlektüre gönnen.

Wenn es ein Buch wird, würde ich mir auf der Rückseite oder im Klappentext die Vorstellung von Juliane mit Vor- und Zuname und Titel wünschen.
Majorin Juliane Mattheus oder wie es genau heißen muss. Es sind schon recht viele unbekannte Leute und Begriffe. Dann hätte ich was, woran ich mich von Anfang an festhalten kann.

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Klappentext ist geplant in der Art von
×××
Keine besinnliche Weihnachtszeit für Majorin Mathei - die Rauhnächte rund um den Jahreswechsel werden zum Alptraum für sie und die Truppe rund um Oberst Pawlak. Eine Tätersuche unter verschärften Bedingungen in den ‚Zwölf Nächten in Wien‘.
×××
Ist noch nur eine Rohfassung und nicht ganz ausgefeilt …

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Ah, ja. Das hörr sich gut an. Ich liebe Rauhnächte mit Toten und die ‚Zwölf Nächte in Wien‘ hört sich für mich spannend an, weil wir diese Bezeichnug so nicht haben.Ich würde es also aus Unkenntnis als Zeit festmachen, in der sich dieser Krimi abspielt.
Aber nun hab ich es ja gegoogelt und weiß Bescheid XD

Warum heißt sie hier Mathei? Das klingt nach Schweiz. In der Leseprobe schreibst du Mattheus, oder?

In der Tat ist ihr Name der einzige Punkt, bei dem ich noch nicht sicher bin. Der Text ist übrigens der Kurzplot, nach dem ich die Geschichte begonnen habe (wurde nur reinkopiert - angewandte Faulheit), …
Was findest Du besser?

Du meinst den Namen? Wie gesagt, Mathei klingt nach Schweiz. Wie würde sie denn in Wien heißen? Matheus, Matthäus, Mathaeus oder eher Matheis, davon scheints ja einige zu geben.

Im Lauf des Schreibens wurde sie zu Mattheus. Aber nix is fix … bin für Vorschläge offen.
(Scarlett O’Hara hieß ursprünglich ‚Pansy‘ :laughing::laughing:)

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Holy Shit - wie furchtbar. Ich liebe den Namen Scarlett O’Hara heiß und innig.

Ich auch - kann man sich Rhett Butler vorstellen, wenn er sie Pansy nennt?? Grauenhaft.

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