Gewittertext ist wahrscheinlich ne Wortneuschöpfung, oder? Egal. Ich wollte mich einmal vorwagen und auch etwas hier reinstellen, da ich gerne wüsste, wie mein Geschreibsel bei völlig „neutralen“ Personen ankommt. Den Text hier habe ich irgendwann die Tage während einem Gewitter geschrieben und mir nicht groß bei was gedacht, aber irgendwie finde ich, es könnte vielleicht was draus werden. Ist nicht sehr lang, aber immer her mit der Kritik!
Sie war fünf Jahre alt, als der Blitz einschlug.
Sie durfte das Haus nicht verlassen, also zerrte sie einen Stuhl zum Küchenfenster und kletterte darauf. Sie legte ihre Hände an die Scheibe. Später würde ihre Mutter sich über die Abdrücke auf dem Glas beschweren.
Es war noch nicht einmal Mittag, aber der Himmel war pechschwarz. Weiße Linien zuckten durch die Wolken, direkt danach donnerte es so laut, dass der Boden bebte. Sie lehnte sich noch weiter nach vorn und drückte die Nase gegen die Scheibe, um durch ihr eigenes Spiegelbild hindurchzusehen. Der Stuhl wackelte, kippte gegen die Fensterbank. Ihre Mutter ermahnte sie, vorsichtig zu sein.
Die Blitze erhellten das Feld, auf denen ihre Eltern und ältere Geschwister um diese Zeit für gewöhnlich schon lange arbeiteten. Das stetige Geprassel des Regens war ohrenbetäubend. So viel Wasser schlug von außen gegen das Fenster, dass es schwierig war, überhaupt etwas zu erkennen. Draußen vor der Küchentür stand ihr Vater, ein großer, breitschultiger Umriss, dessen Kanten immer wieder durch die Blitze grell erleuchtet wurden. Er redete mit den Jägern, die gekommen waren, um ihre Arbeit zu tun. Sie konnte die Diskussion nicht hören, nur zusehen, die Augen weit aufgerissen, damit sie bloß nichts verpasste.
Der Jäger war kleiner als ihr Vater. Sein Mantel flatterte im Wind, ein Blitz ließ seine hellen Haare schneeweiß wirken. Er streckte die Hand aus. Drei Blitze und drei Mal Donner erschütterten den Hof, bevor ihr Vater nachgab und die Hand des Jägers ergriff. Er gab den Weg frei, und der Jäger ging an ihm vorbei auf das Haus zu. Jemand lief hinter ihm her, konnte kaum mit ihm Schritt halten, eine noch kleinere Gestalt. Vielleicht ein Stift. Nach nur ein paar Schritten konnte sie die beiden nicht mehr sehen. Sie wollte schon zu einem anderen Fenster rennen, um vielleicht einen weiteren Blick auf die Jäger zu erhaschen, aber ein Poltern hielt sie davon ab. Sie zuckte zusammen und starrte nach oben. Stapfende Geräusche, die fast in Donnerschlägen untergingen, wanderten von der Tür zu der Mitte des Hauses und ließen das Dach erzittern. Schritte – einer der beiden, bestimmt der Jäger selbst, war auf das Dach geklettert.
Ihr älterer Bruder bekam Angst, versteckte sich im Rock ihrer Mutter. Noch mehr Schritte auf dem Dach, noch mehr Blitze und Donner vor dem Fenster. Das Land war flach, es gab nur das Haus und weiter draußen auf dem Feld einen Baum, die alte Eiche, auf die sie schon ein paar Mal geklettert war. Einer ihrer Brüder hatte sie hochziehen müssen. Auch vor dem Baum stand ein Jäger, ein anderer hockte schon in der Krone.
Sie sah sich nach ihrer Mutter um, die immer noch damit beschäftigt war, ihren Sohn zu beruhigen. Sie biss sich auf die Lippe, dann sprang sie von dem Stuhl und stürmte auf die Tür zu, streckte sich, bis sie den Griff zu fassen bekam und die Tür öffnen konnte. Ihre Mutter rief ihr hinterher, aber zu spät, sie rannte schon hinaus in den Regen.
Binnen Sekunden war sie nass bis auf die Knochen. Ihre Füße fanden kaum Halt auf dem matschigen Boden. Sie drehte sich um, sah zum Dach hinauf, und im selben Moment schlug der Blitz ein.
Alles wurde hell. Ein Standbild, das sich ihr ins Gedächtnis brannte. Der Jäger mit den hellen Haaren hoch oben auf dem Dach, ein großes Glas in den Händen. Der Blitz eine zackige Linie, die vom Himmel geradewegs in das Glas führte und weißblaue Funken in jede Richtung sprühen ließ. Ihre Haut prickelte, es lag ein Geschmack in der Luft, von dem sie noch Jahre später träumen würde.
Der Blitz versiegte, es wurde wieder dunkel. Sie hörte den direkt darauf folgenden Donner kaum. Der Jäger stolperte ein paar Schritte zurück, das leuchtende Glas an die Brust gepresst. Darin war ein bläuliches Licht, das zuckte wie die Aale, die ihr Vater im Sommer gefangen hatte. Er kam auf sie zugestürzt und hob sie hoch, fragte sie, ob alles in Ordnung war. Sie antwortete nicht, verrenkte nur den Hals, um dabei zuzusehen, wie der Jäger das Dach hinunter schlitterte. Der Stift rannte zum Haus und hob die Hände. Bevor er hinunter sprang, warf der Jäger ihm das Glas zu, und sie fragte sich, was passieren würde, wenn es auf dem Boden zerschellte – würde die Energie darin den ganzen Hof in die Luft jagen?
Ihr Vater trug sie hinein. Seine Stiefel hinterließen schmutzige Spuren auf den weißen Küchenfliesen. Ihre Mutter zeterte, wies aber eines der Geschwister an, eine Decke zu holen, in der sie sie prompt einwickelte. Ihr Vater hob sie auf den Küchentisch und fuhr ihr lachend mit der Hand durch die nassen Haare. Ihre Mutter hielt ihr eine Standpauke, die sie nach zwei Minuten wieder vergessen hatte.
Sie verbrachten den restlichen Tag im Haus. Am nächsten Morgen war das Gewitter weitergezogen, der Himmel wieder klar und hell. Die Jäger waren fort. Ihr Vater stapfte fluchend über die Felder, ihre Mutter sah besorgt aus.
Das Gewitter hatte die Hälfte ihrer Ernte ruiniert.