Kill your darlings?

Moin zusammen. Ich überarbeite meinen Roman – gefühlt zum hundertsten Mal. Jetzt bin ich an dem Punkt, an dem es heißt: streiche alles, was die Geschichte nicht voranbringt. Und das ist für mich ein Problem.
Mein Roman ist eine leichte Liebesgeschichte mit Humor und Selbstironie.
Jetzt habe ich einen Nebencharakter, der – wenn ich ehrlich bin – die Story nicht voranbringt. Meine Jeanette kommt in einigen Kapiteln vor, hat aber eigentlich nur die Aufgabe, der Protagonistin auf den Keks zu gehen. Die Szenen mit ihr sind jedoch witzig und machen Spaß.
Ich könnte Jeanette um die Ecke bringen, ohne dass man es in der Gesamtgeschichte merken würde. Aber muss ich das, um zu straffen? Ich mag mein Jeanettchen, sie produziert witzige Szenen, ist das schon Daseinsberechtigung genug?
Wie handhabt ihr es?

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Das ist eine - leider - vielzitierte Vorstellung einer Textüberarbeitung, die ich ignorieren würde. Wenn man das wirklich streng befolgte, hat man danach keinen Roman mehr, sondern eine seelenlose Pressemitteilung.

Ja!

Was ich mag, bleibt drin.

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Ich streiche auch nicht viel, bei der Überarbeitung
Ein wenig abschweifen und auflockern finde ich gut.

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Das sehe ich auch so. Man sollte sich trauen, das was man mag, in der Geschichte zu lassen.

Anders ist es, wenn man selbst schon das Gefühl hat, diese oder jene Szene/Beschreibung oder dieser oder jener Prota ist überflüssig. Dann nochmal kurz darüber nachdenken, und wenn es dann so ist, kann das weg.

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Für mich gibt es da 2 Aspekte:

  • Die Geschichte muss vorangebracht werden
  • Die Geschichte muss unterhalten

Wenn vermeintlich überflüssige Charaktere die Geschichte also ohne jeden weiteren Nutzen auflockern, dann dürfen sie drin bleiben bzw. müssen es sogar.

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Wenn sich eine Figur bei mir „daneben benimmt“ kommt sie nicht mehr vor. Solange das Haustier überlebt, ist alles OK. :wink: Wenn du sie vielleicht später noch für eine Wendung brauchst, dann taucht sie einfach bis dahin nicht mehr auf.
Bei mir stirbt, in einem Ausblick auf 2060, meine Hauptfigur an Demenz. Sie ist die tragende Figur aller Geschichten und da ich im Präsens schreibe, werde ich das traurige Ende der Figur dann nicht mehr erleben müssen.

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Auch ich wäre sehr vorsichtig damit positive Figuren rauszukicken. Mit „Darlings“ sind für mich aber nicht nur Figuren gemeint, sondern vor allem Szenen, an denen ich hänge und die (im Moment) nichts zu Geschichte beitragen. Im Moment.
Ich strich etwa in meinem Roman eine zweinhalb Seiten lange Rückblende über einen Aufstand von Arbeiterinnen, der mir sehr wichtig war. Unter Schmerzen! Fünf Kapitel weiter ergab sich die Möglichkeit, diese Szene in einem einzigen Halbsatz unterzubringen. Und peng - es saß genau so, nein noch effektiver als vorher.
Mach langsam und hab Geduld. Deine Protas wissen schon, wie sie dir am Besten helfen können!

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Wenn ich das Gefühl habe, dass ich eine Szene oder Protas in meiner Handlunbg habe, die zwar aus meiner Sicht spannend/unterhaltsam sind und an denen ich hänge – die aber nicht zwingend notwendig sind – dann schiebe ich diese erst einmal in „Quarantäne“, sprich in eine eigene Datei, wo sie inkubieren dürfen. Das heißt, ich entferne die betreffenden Szenen/ Charaktere aus dem Plot und schaue, wie sich die Geschichte ohne diese entwickelt. Und manchmal passiert dann etwas, wie es @Gschichtldrucker erlebt hat: später entdeckt man nicht nur die Möglichkeit, die entsprechende Szene und Protas unterzubringen sogar gerade die Notwendigkeit! Dann hole ich sie reumütig von der Isolierstation und baue sie freudig wieder ein. Aber manchmal werden sie auch von mir vergessen und finden nie wieder einen Platz in der Geschichte. Dann waren sie wohl tatsächlich überflüssig. Lass Dich vor allem von Deinem Gefühl leiten und folge nicht blind irgendwelchen Grundsätzen, die unreflektiert in jedem Schreibratgeber gebetsmühlenartig wiederholt werden. Solche „Grundsätze“ sollte man immer wieder hinterfragen.

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Finde ich schon, ja. Wenn Deine Geschichte leicht und lustig ist, dann sind doch Charaktere und Szenen wichtig, die das transportieren, oder nicht? Vielleicht nicht für die Geschichte, aber für die Atmosphäre und den Unterhaltungswert.
Charaktere, die für die Handlung nicht extrem relevant sind, findet man auch in großen Meisterwerken. Oft fällt mir das bei der Verfilmung auf, wenn ganze Handlungsstränge gestrichen werden und die Geschichte als Film trotzdem noch funktioniert. Spontan fallen mir da zum Beispiel Tom Bombadil und seine Frau Goldbeere aus Herr der Ringe ein. Jetzt natürlich keine leichte, lustige und romantische Lektüre, aber Ihr wisst vermutlich trotzdem, worauf ich hinaus möchte.

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Danke an alle, Jeanette darf nun weiter ihr Chaos anrichten. Jetzt muss ich nur schauen, wo ich kürze. Mein Text ist ziemlich lang. :disappointed:

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„Lang“ an sich ist eigentlich nichts Schlechtes. Langatmig oder langweilig wäre schlecht, aber eine kurzweilige, unterhaltsame Erzählung möchte ich immer weiterlesen, die kann für mich gar nicht lang genug sein.

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Das sehe ich anders. Irgendwann ist es für mich genug. Wenn es weiter und weiter und weiter geht, bin ich genervt.

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Vor vielleicht drei Jahren hatte ich die J.D. Robb-Krimireihe von Band 1 bis Band 40 nochmal in einem Rutsch durchgelesen, mehr als 20.000 Buchseiten. Das war mir nicht genug!

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Also, wenn die Geschichten spannend sind. Die Protagonisten besonders gut ausgearbeitet sind und ich abtauchen kann…dann bitte mehr davon

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Schrecklich. Hauptsache, du hattest Freude daran. :heart_eyes:

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Meine Meinung grenzt für viele Fans schon an ‚Blasphemie‘, aber die Szenen mit Tom Bombadil waren in meinen Augen langweilig, fast nervig und so lang, dass die Story wie mit angezogener Handbremse weiterläuft. Tolkien hätte diesen ‚Darling‘ nicht gleich killen, aber weniger Raum schenken müssen. Gerade im Genre Fantasy mit großem Weltenbau ist die Gefahr des Verzettelns in öden Nebenstorys groß und ich habe aus diesem Grund schon Buchserien abgebrochen, weil der rote Faden die Farbe verlor.

Generell ist das doch Ermessenssache des Schreibenden. Manche Geschichten benötigen ein detaillierteres Ausführen und kurze Seitenstränge, um Atmosphäre oder Emotionen zu erzeugen. Autoren haben immer ein komplettes Szenario im Kopf, samt Empfindungen etc., aber das Komplettpaket muss auch so beim Leser ankommen – also kann nicht immer solange rausgestrichen werden, wie es das reine Verständnis erfordert. Jeder Jeck, nein, Leser ist anders und Ziel sollte sein, so viele wie möglich ‚abzuholen‘.

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Man hätte die Stelle durchaus etwas kürzer halten können, mich hat sie nicht gestört, ich mochte die beiden Charaktere. Bin aber auch kein großer Fantasy Fan und zudem ein geduldiger Leser. Langsame Entwicklungen in Geschichten stören mich nicht, wenn sie stilistisch gut geschrieben sind. Dann kann ich mich einfach an der Schönheit der Worte erfreuen, oder, wie in Jeanettes Fall oben, vermutlich auch an der Situationskomik etc. Wenn Jeanettes Passagen unterhaltsam sind, besteht das Problem ja wahrscheinlich auch nicht.

Bombadil war tatsächlich auch einfach das bekannteste und erste Beispiel, das mir gerade eingefallen ist und vielleicht nicht unbedingt das beste wählbare.

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Da Deine Jeanette den Roman ja in dem Sinne voranbringt, dass sie den Humor transportiert, der deine Geschichte ausmacht: Wie humorvoll wäre es noch, wenn sie fehlt?

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„Kill your darlings“ heisst, dass man das streicht, was der Geschichte nicht dient, sondern ausschliesslich mein Ego streichelt. Dann hat es, wenn es andere Menschen lesen sollen, darin nichts zu suchen.

Andere Regeln, die häufig missverstanden werden:

„Write drunk, edit sober“ Wenn wir diesen Rat wörtlich befolgen, wären alle Schriftsteller schwere Alkoholiker. Gemeint ist da viel eher, dass man nach Möglichkeit schreiben, und nicht gleichzeitig editieren soll. Das hindert den Schreibfluss und man kommt nie zu einem Ende.

„Write about what you know“ Auch hier: Es ist der Sinn, der Inhalt der Aussage, nicht die nakten Buchstaben die es ausmachen. Wenn ich nur über das schriebe, was ich kenne … Es gäbe keine Fantasy, Sci-Fi, Krimis, Thriller … man sieht worauf das hinausläuft. Aber wie ich mich in bestimmten Situationen fühle, DAS weiss ich, und dieses Wissen kann und soll ich in den Text einfliessen lassen.

Alle diese „Schreibregeln“ sind gar keine. Es sind Empfehlungen, weil sie sich auf die eine oder andere Weise bewährt haben. Wichtig ist hierbei IMMER den Sinn einer solchen Aussage zu verstehen und nicht aus dem Zusammenhang zu reisen und dann als absolut hinzustellen.

Um es weniger dozierend und kürzer zu sagen: Wenn es der Geschichte dient - auf welche Weise auch immer - dann kann es problemlos drin bleiben.

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Hallo Marc, ich habe mich von allen Antworten überzeugen lassen. Wäre mir auch schwer gefallen, meine Figur um die Ecke zu bringen. Streng genommen, hat sie keine Funktion, um die Geschichte voran zu bringen. Sie taucht in verschiedenen Situationen auf, fällt der Protagonistin auf den Wecker und sorgt beim Leser für Schmunzeln bis Kichern (Aussage Testleser) Also ein reines Element, um den humorvollen Stil zu transportieren.
Ich war halt verunsichert, als ich jetzt in der Überarbeitung angefangen zu streichen. Es fällt mir schon schwer, in den Dialogen die Füllwörter auszumerzen :grinning: