Immer kürzen oder auch mal stehen lassen?

Ich lese oft in Schreibratgebern: “Lösche überflüssige Szenen, wenn sie die Handlung oder die Figuren nicht weiterbringen. Kürze, straffe, schneide alles weg, auch wenn es schwerfällt.”

Darf ich von Leserinnen und Lesern nicht erwarten, dass sie sich auf Änderungen und Abzweigungen einer Geschichte einlassen? Darf ich nicht eine Szene oder gar ein ganzes Kapitel stehen lassen, *nur *weil es mir gefällt? Obwohl es zu nichts führt.

Ich habe bei Kolleginnen und Kollegen gesehen, dass sie jede noch so kleine Szene auf das Wer? Wo? Warum? Und überhaupt, abklopfen.

Wie ist das bei euch?
Knallhart kürzen, oder lasst ihr auch mal was stehen? Einfach weil es für euch gelungen und oder schön ist.

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Finde ich eine extrem interessante Diskussion. Ich persönlich bin jemand, der (zumindest bei anderen) lieber rauskürzt als stehen lässt. Dabei hinterfrage ich nicht akribisch in jeder Szene, ob sie auch wirklich alle Checkboxen abhakt, aber sie muss zumindest etwas zum Gesamtkonstrukt beitragen. Das heißt ja nicht, dass eine Szene sich unweigerlich dem roten Faden beugen muss, sondern sie kann ja auch für Character Arcs und World Building wichtig sein.

Das Problem liegt aber immer bei beiden Seiten, denn was man selbst als gelungen empfindet, würden andere rausstreichen. Wenn ich einen Korrekturleser habe, der mit mir auf einer Wellenlänge ist, lasse ich mir gerne alles sagen und streiche rigoros raus, auch wenn dich denke, dass der Satz jetzt irgendwie gut formuliert war oder die Szene ganz witzig. Am Ende steht nämlich das Projekt alleine auf den Beinen und da ist es wurscht, was sich der Autor möglicherweise gedacht hat. Lieber habe ich meine Geschichte tight geschrieben, als in Schönheit zu sterben.

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Es gibt viele, die von Mankell begeistert sind. Ich finde ihn furchtbar, weil er zu sehr abschweift. Für mich kommt es darauf an, ob die Abschweifung zur Beschreibung der Stimmung / Atmosphäre beiträgt oder einfach amüsiert, also auch positiv gemeint. In manchen Fällen (oder eben auch bei Mankell) finde ich es ermüdend und flüssiger als flüssig, nämlich überflüssig. In anderen Fällen mag es eine willkommene “Pause” von der eigentlichen Handlung sein. Ich finde, eine pauschale Antwort ist da kaum möglich.

Rigoros alles zu streichen, was unnötig ist, um der Handlung zu folgen, ist m. E. ein Stimmungstöter.

Ich finde: ja. Es kommt auf die Quantität an.

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Die Pause von der Handlung kann aber auch sein, dass zwei Charaktere einen Heben gehen, zusammen mit witzigem Dialog und allem. Das hingegen dient dann möglicherweise dem Charakterausbau, weil die beiden alkoholgeschwängert möglicherweise auf etwas zusprechen kommen, was sie sonst nicht würden. :wink:

Als reiner Leser fühle ich mich meistens veräppelt, wenn ich mich durch eine ganze Szene gelesen habe, die sich am Ende als unnötig rausstellt. Das weiß man freilich an manchen Stellen noch nicht, aber ich hab ja auch keine Zeit zu verschenken. Ich lese derzeit Der Schwarze Turm von King und der gute Mann hat auch die Angewohnheit, Dinge zu beschreiben oder die Perspektive zu wechseln, einfach weil er denkt, das sei an der Stelle irgendwie cool. Und ich stoße mich meistens daran, weil es lediglich dem Autor dient, nicht aber dem Leser. Am Ende schreibt man für den Leser (eine furchtbare Phrase), aber genauso gut kann der Leser der Spielball sein, mit dessen Gefühlen man spielen kann, wenn das, was man schreibt richtig gut ist. :wink:

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Ja. Das geht auch.

Ja. Stimmt ebenfalls.

Ich finde, es kommt auf das Geschick des Autors an. Im Idealfall fällt einem erst am Ende des Buches auf, dass es unnötige Stellen gab. Und dann ist es nicht mehr schlimm. Ganz im Gegenteil. Da hat der Autor dann die Kunst des Unterhaltens verinnerlicht und umgesetzt.

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Amen, Schwester! Besser hätte man das Thema nicht auf den Punkt bringen können.

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Noch was, das meistens nervt, aber nicht immer. Bei sehr dicken Büchern oder komplizierten Verschachtelungen finde ich eine Wiederholung hier und da sinnvoll, damit man am Ball bleibt. Aber nur sehr spärlich, bitte.

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Oh! Ich werde angebetet. :slight_smile: Leider beherrsche ich die o. g. Kunst nicht.

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Ich sehe das großzügiger und würde den Satz umformulieren: “Lösche überflüssige Szenen, wenn sie die Handlung oder die Figuren nicht weiterbringen ODER nicht interessant sind.”

“Weiterbringen” scheint mir ein überhöhter Anspruch. Ganz ehrlich, wer von uns kann für sich jeden Tag oder auch nur jede Woche behaupten: “Das hat mich, mein Leben, meine Persönlichkeit jetzt aber weitergebracht!” Große Ereignisse oder transformierende Sternstunden sind selten. Interessant könnte es aber trotzdem für den Leser sein, wenn ein nicht-weiterbringendes Alltagsleben beschrieben wird. Ganz einfach dadurch, weil man Persönlichkeiten, Grundstimmungen, Atmosphäre besser kennenlernt, oder *anders *kennenlernt, als wenn man die Figuren ständig in sich überschlagenden Extremsituationen oder emotionalen Ausnahmezuständen betrachtet. Aber natürlich und bitte nur einmal, ein Alltag reicht aus, und die Schilderung der Morgentrilogie von versoffenem Aufwachen, Duschen und abschließender Spiegelreflexion über den ehemals fitten, jetzt etwas untrainierten Körper sollte auch einmalig bleiben.

Darf man eine Szene oder ein ganzes Kapitel stehen lassen, nur weil es dem Autor gefällt? Ja, wenn es auch dem Leser gefällt.
Ich habe einem guten Freund 10 oder 20 Kapitel von einem Schreibprojekt zu lesen gegeben. Da waren wilde Dinge drinnen, die Handlung und Figuren ordentlich weitergebracht, weitergezogen, weitergeboxt haben. “Und, was ist Dein Eindruck?”, habe ich nervös gefragt, als er fertig gelesen hatte. Er hat geschwiegen, hat dann ein Kapitel aus dem Blätterstapel rausgezogen. und gesagt: “Das … das ist wirklich gut.” Es war ein Kapitel, das die Handlung nicht weiterbrachte, ja nicht einmal zur Haupthandlung gehörte; das mit eine vagen Idee begann, in dem wenig passierte, das im ergebnislosen Nichts endete und alle Figuren im Kapitel ein wenig ratlos zurückließ.
Ich hätte dieses Kapitel auf keinen Fall gestrichen, weil es für mich *gut *war und für mich passte; ich hätte es nur hartnäckig-wortlos verteidigen können. War nicht nötig.

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Hierfür vergebe ich ein “Amen”.

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Kurz gesagt: Es würde auch niemand über unser Leben bereichten, weils sterbenslangweilig wäre. :smiley:

Der Punkt ist einfach: Als Autor schreibt man eine Geschichte und eine Geschichte ist immer konstruiert, sie darf natürlich nicht so rüberkommen. Deswegen gibt es ja Schreibregeln - und die sehe vor, dass auch mal mäandert wird. Aber dieses Määndern kann ja auch mit Sinn und Verstand geschehen. Davon abgesehen: Wenn einem eine Szene besonders gut gefällt, sagt das nicht gleichzeitig, dass der Rest nicht so gut ist, wie er sein könnte? :stuck_out_tongue:

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Das finde ich nicht. Ich glaube, dass keine Lebensgeschichte sterbenslangweilig ist. Ich habe früher viel mit Biographien gearbeitet, von teils sehr “einfachen” Menschen. Langweilig war keine dieser Lebensgeschichten. Langweilig sind nur Wiederholungen, Verharren, Erstarren; und selbst da war es spannend, warum keine Entwicklung passiert ist und verharrt und erstarrt wird (und welche Dramen dahintersteckten).

“Das ist langweilig” heißt oft: Ich habe nicht genau genug hingesehen. Man muss natürlich auch die Chance zum Hinsehen haben, wenn der Kameramann nur hastig auf dem Weg zum nächsten Cliffhanger durchläuft, dann gibt’s in einer Szene auch nur wenig zu sehen.

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Das mit dem “Gefallen” ist aber so eine Sache. Jeder hat einen anderen Geschmack und vermutlich bekommt man auf diese Frage von 10 Menschen 12 verschiedene Meinungen.
Ich schreibe an sich schon ziemlich stringent. Vor Jahren habe ich mal ein Buch angefangen zu lesen, da lief ganz am Anfang jemand los, um einen anderen Jemand zu besuchen. Nach 8 Seiten war er immer noch nicht angekommen und mir erschloss sich nicht, was diese Szene sollte. Sie war schlicht langweilig, weil man auch die Hauptperson nicht kannte - und irgendwie auch nicht kennen lernte. Ich habe das Buch dann aus der Hand gelegt und niemals mehr in selbige genommen :wink:
Die Szenen müssen Spaß machen, sie zu lesen. Sie müssen nicht unbedingt die Figur voran bringen oder die Geschichte. Das ist wie mit den Füllerfolgen mancher Serien, bei denen der rote Faden mal verlassen wird. Das können völlig alberne Episoden sein oder ganz ernste. Völlig egal. Aber das mit dem Spaß, dem Geschmack ist eben immer sehr subjektiv, daher würde ich wohl sagen: Wenn der Autor die Szene mag, soll er sie bringen. Auf mehr kann er keine Rücksicht nehmen, weil der den hoffentlich zahlreichen Lesern sowieso nicht hinter die Stirn schauen kann.

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Teils, teils. Eigentlich versuche ich schon beim Plotten drauf zu achten, dass die Szene was beiträgt. Ob nun in Form von Handlung, Ambiente, Charakterentwicklung, das ist ja egal.
Und ich streiche auch Sachen raus, wenn ich merke, das es das nicht unbedingt braucht. Das schöne ist, diese Szenen haben trotzdem ihre Berechtigung. Weil sie einen während des Schreibprozesses weiterbringen. Für die Handlung etc. mögen sie hinterher nicht mehr von Interesse sein, aber ich habe beim Schreiben im Idealfall trotzdem etwas herausgefunden.
Hab letztens eine Szene rausgeschmissen, die eigentlich gut gelungen war, aber eben nicht relevant für die Handlung. Klar, man köööönnte sie drinnen lassen. Ich denk halt nur, der Leser verlässt sich auf mich und vertraut mir, dass ich sein Augenmerk auf die Dinge richte, die wichtig sind. Also versuche ich, mich dieses Vertrauens würdig zu erweisen. :roll_eyes:

Das stimmt! Aber auch solche Biographien würde man vermutlich radikal kürzen und aufbereiten, so dass jemand anderes sofort versteht, was das Besondere dieses Lebens ausmacht.

So wie diese Fliegen-Folge bei Breaking Bad vermutlich. Die wiederum bei den Fans gut ankam und nur aus der Not geboren war, weil die, glaube ich, nur in dem Labor drehen konnten. Es spricht ja auch nichts dagegen, solche Episoden, wie @Maxe schon geschrieben hat, bewusst zu verwenden, um Spannung rauszunehmen, dem Leser und den Protagonisten eine Verschnaufpause zu gönnen, um dann mit gesteigertem Tempo weitermachen zu können.

Ich finde, das hat nichts mit mögen zu tun. Die Szene, die ich rausgenommen habe, mochte ich auch. Aber sie trug halt nix bei. Vielleicht hätten meine Leser sie auch gemocht. Sie werden aber nie erfahren, was sie verpasst haben… :smirk:

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Diese Episode fand ich furchtbar. :smiley:
Ich mag solche bottled episodes eigentlich ganz gerne, einfach weil sie entweder clever erzählt sein können, ein bestimmtes Thema bearbeiten, das Handeln von Figuren reflektieren oder Figuren einfach mal in eine ganz andere Situation werfen. Im Falle der Fliegen-Folge von Breaking Bad habe ich mich am Ende gefragt, was das sollte. Ich habe nichts über die Figuren gelernt, es war nicht sonderlich witzig/spannend/interessant, sie war nicht metaphorisch…

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Ich mochte sie auch nicht. Aber da sieht man, wie die Meinungen auseinander gehen. Fand auch @Sentinel s obiges Beispiel sehr interessant.

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Das macht Donna Leon in ihren Krimis. Für manche mag das langweilig sein. Ich jedoch mag das sehr, eben weil es einer Figur Tiefe verleiht.

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Macht sie das dann mit der Hauptfigur? Der Punkt ist: Dann haben solche Szenen ja Sinn, weil sie dem Character Development dienen und sind nicht sinnlos. Dementsprechend passt es ja. :wink:

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@Maxe: Du hast Recht. Es passt. Donna Leon ist in meinen Augen trotzdem langweilig. Also muss es noch einen anderen Grund geben. Ich weiß allerdings nicht welchen, weil ich nur ein Buch von ihr angefangen hatte.

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Nicht nur.