Ich führe Selbstgespräche mit meinen Protagonisten

Also ich lebe auch irgendwie mit meinen Figuren. Und stelle fest, dass sie eben nicht genau so sind, wie ich sie ursprünglich konzipierte.

Meine eine Protagonistin ist z.B. nicht Hotelangestellte, wie von mir geplant, und hat überraschenderweise auch keine Ausbildung als Sommelier, was meine Freundin meinte, als sie sie “kennenlernte”. Nein, sie ist selbständige Klavierstimmerin. Sie kümmert sich um die Instrumente in Konzerthäusern etc… und bleibt in Bereitschaft während die großen Stars auf den Bechsteins, Steinways etc… spielen, um im “Notfall” innerhalb von Minuten die Spielfähigkeit wiederherzustellen, falls etwas klemmt, eine Saite reist, ein Ton unscharf wird oder der Tastenkönig vom Gefühl einfach mit etwas nicht zufrieden ist.

Das hatte dann auch ganz praktische Auswirkungen. Z.B. bin ich ja Inselorganist auf Fehmarn (wirklich, kein Roman) und eine der beiden Gemeinden bekam für ihr Gemeindehaus ein Klavier aus einem Haushalt gespendet. Mit dem Wissen meiner Protagonistin konnte ich das Instrument besser beurteilen, ob z.B. da versteckt schnell irgendwelche größeren Reparaturen warten etc…

Und dann stand das Ding im Gemeindehaus und man wunderte sich über Klangveränderungen. Meine Protagonistin kam, vor mir, mal zu klären, wie der Raum beheizt wird, und ob das Klavier ggf. auf einer Fußbodenheizung steht. Steht es. Aber die 8 Bodenplatten auf denen es steht, sollen angeblich nicht “mitbeheizt sein” weil man da schon dran dachte.

Egal, das Ding war dennoch komisch. Also sagte mir die Protagonistin, ich solle doch einfach die Temperatur rings ums Klavier messen. Am Besten mit kleinen Badewasser-Thermometern. Die kosten fast nichts und können neben Wasser natürlich auch Luft messen.

Ich habe dann brav 8 Fischchen ums Klavier drapiert und am Sonntag hat der Pastor mir niedlicherweise gesagt, “er habe schon abgelesen”.

Zwei der Fische hatten “erhöhte Temperatur” gehabt. Das Klavier wurde daraufhin verschoben und alles wurde gut…

Ohne Jessica, ihre Ideen und Ratschläge (Dinge, die ich nur wusste, weil ich mich in die Figur, ihr Umfeld, ihre Leben und ihren Beruf eingearbeitet hatte) wäre da nie wer drauf gekommen.

Also: Redet mal schön brav mit Euren Romanfiguren. Sie treten manchmal aus den Büchern heraus in Euer Leben, erweitern Eure Horizonte und sind sogar in ganz praktischen Situationen ein wertvoller Helfer…

Einen schönen Sonntag Euch allen

Eckhard

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An Rina und jedem etwaigen dazu Interessierten:

Der Fragebogen von Marcel Proust ermöglicht - mutatis mutandis - eine Art Grund-Psychoanalyse der jeweiligen Figur, womit auch auf der dem Autor bis zu dem Zeitpunkt bewußten Ebene unerwartete Einsichten in deren tiefere Seelenleben erreicht/erzielt/„erbeutet“ werden dürften…

Zumindest mir selber erschließt sich teilweise diese Dimension, wenn ich im Geiste jener Figur besagten Fragebogen vorlege.

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Danke für den Link @Abifiz
Ich werde es auf jeden Fall mal ausprobieren. Da hab ich mehrere Kandidaten für.

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Das ging mir auch schon so. Wenn ich mal wieder - mimimi - meine, ich schaffe was nicht, tritt mir mein Protagonist schon mal gern in den Hintern und macht mich darauf aufmerksam, dass er wohl nie so weit gekommen wäre, wenn er so ein Jammerlappen wie ich gewesen wäre.
Hab durch seine stärkende Begleitung schon viele Klippen überwunden, die mir ohne ihn wie unbezwingbare Wände vorgekommen wären.

Ich persönlich finde das nicht schlimm, wenn ich mir von ihm helfen lasse. Schließlich ist er auch eine Figur, die aus mir entstanden ist. Sozusagen ein Stück von mir, das sich personifiziert hat.
Und es gibt noch jede Menge andere Figuren, die sich in gewissen Situationen neben mich stellen und mich unterstützen. Männliche wie weibliche.

Hm, vielleicht sind Autoren doch eine Art gespaltene Persönlichkeiten in gesunder Form :D;).

Liebe Grüße,
Vroni

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Ich finde das übrigens gar nicht seltsam. Ich rede mit meinen Katzen, ich träume von meinen Figuren - manchmal lustig, manchmal weniger lustig - und wir führen in meinen Gedanken hitzige Diskussionen, weil man früher für bescheuert erklärt wurde, wenn man laut Selbstgespräche führt.
Heute, könnte man denken, dass das jeder Zweite tut, wenn man das Headset nicht sieht. :wink:

Ich glaube sogar, dass wir unter all den telefonierern gar nicht mehr auffallen, wenn wir Selbstgespräche führen. :wink:

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Nein, wir fallen auf, wenn wir es nicht tun.

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