Unbarmherzig flimmernde, unermüdlich nach-flimmernde Hitze. Staub. Ermattung.
Hitze.
Anhaltende monotone Marschlaute. Fernes, leises Gelächter aus den hinteren Reihen; metallisches Klappern; Aufschlag des schweren Schuhwerkes; die Rhythmen kommend und gehend. Menschen wie gestreckte staubige Schatten, Schatten und Menschen, Soldaten und Schatten…
Die Hitze wird mich noch einschläfern. Die Hitze des späten Nachmittags, den Staub durch-anreichernd, gedehnt in der Zeit, stumpf, überwältigend. Noch presse ich mich in die Bügel, versuch mich in Haltung; an Mathilde mich stützend. Sie tänzelt, ist munter geblieben. Ich spüre ihren Bauch, ihre Muskeln; rieche betört ihren Schweiß. Wund und platt meine Hoden.
Un-ermüdet wie durch ein Zauber Danilo voran vor mir stapft; wackelt dabei auf und ab mit seinem feisten dreiß’gjährigen Arsch; weiß, ich starr’ ihn unverwandt an; dösiger Hauptmann, verirrt in der Weite. Gänzlich verirrt.
Komm Abend, komm. Komm Abend, komm endlich, komm. Komm Abend, komm.
Denn abends verführerisch schimmert der Staub, bricht und bricht er das Licht; nicht mehr schwebt über allem der grausame Tod.
Müde, sehr müde nun muten, nachdenklich, meine Kroaten an, summen eine getragene Weise. Ihre Bartwichse rieche ich in Wellen animalisch; lasse mich mehr und mehr einfangen von ihren langsamen, verdreckten Bewegungen; folge ihnen dumpf; reitender Sack auf nervigem Pferd; weiter vorwärts rhythmisch schlafwandelnd und murmelnd die Kompanie; ein schütterer Erst-Hauch von Einkehr-Erinnerung, beinah von Frieden…
Doch hektisch, ungleichmäßig und heftig schlagen an-gegen der Russen Kanonen erneut; zunächst noch weit weg ihre Einschläge, West-Nordwesten vielleicht, Richtung der Dnjepr, des fernen Gewässers.
Abrupt zerreißt das Vesperlicht, zerreißt dabei doch der Bann; die Luft schlägt jetzt um, säuerlich werdend und zittriger; der Staub schimmert nun fahrig, bedrohlich. Vor mir erbeben die Reihen, schaukeln in fiebrigen Wellen, denn brüllend donnert sich Tod uns heran, will uns abmähen.
Die Falbe bockt, zerrt.
Nun eben zurück, von links, melden sich aber die Regimentshaubitzen der Monarchie. Regelmäßig, sonorer, wummernd.
Skandieren einen festen Gesang:
„Felix Austria, gehst du unter,
greises Austria, gehst du unter,
Austria, uns Austria, Austria,
Gott beschütze Franz den Kaiser,
braun-gelb die Fahnen,
bum, bum, bum,
seht welch ein Abgang!“
Später flüstert mir Danilo zu, in deren eigenen fickrigen Dialekt palaverten schon lange die Triester an der Kolonnenspitze komplett auf Desertion. Wie werde ich denn mich dazu verhalten, mit meinem trist besternten Kragen in Verstoß geraten in dieser mich verzehrenden Steppe? Ob sie gar meinen ragusaner Träumer mitzuschleppen gedenken?
Ja, in Ragusa…, jene Zeit… damals…
Noch trugen damals des Kaisers Röcke bunteste Farben oder gleißendes Weiß in der Sonne Dalmatiens, noch läuteten Glocken katholisch und nicht für das Siegen, noch stieg ich dem jungen Danilo beharrlich mit süßestem Äuglein und klopfendem Herzen nach, noch bargen die Sommer die Früchte der Lust, des träumenden Küssens, der sanften Zephir-Winde der Küste auf unserer nackigen Haut. Ich umarmte den Jungen, rieb meine Nase an seiner, tauchte in das Braune der Augen, jenseits der Zeiten, Abfolgen und Pflichten; horchte auflachen, lachte mit ihm, mich wälzte mit ihm, und vergaß, bis als er schrie, er komme, er komme… Ja, ich hab’ seine Backen liebkost und benetzt, bin nach Jeruschalaim damals gestiegen. In Ragusa die Zeit, die Sommer gemeinsam, aufwachsend vertrauend, die Sommer der Freude, des Blinzelns und Stillens.
In Ragusa die Zeit; dalmatinische, so ferne, die Sommer…
Wummer! Wummer!
Ehre und Staub,
alles umsonst,
Wummer! Wummer!
Austria setzt sich heute hart durch,
Morgenthaler, der ewige Oberst,
und unser Polacke-Major, Herr der Kanonen,
triangeln wieder manöverperfekt,
noch ist das Regiment schwermütig intakt,
braun-gelb, rot-weiß-rot die Fahnen…
Aus der Nachhut aufgeregt schließt auf Pawlak die Klette, sein Wallach stets wie immer etwas nach links zu-zappelnd. Pawlaks freudloser Seehundsbart zittert dienst-eifrigst. „Melde Herrn Hauptmann gehorsamst, Mannschaft und Lage klaß vortrefflich, Aufmarsch in Reihe!“
Die Dumpfbacke kriegt vom Leben gar nichts mit. Woche für Woche laß ich ihn grausam unnachgiebig belobigen öffentlich. Ihn freut es.
„Arg recht liegt er, Stabswachtmeister, weitermachen!“ winke ihm gnädig graziös mit einem schmuddeligen Handschuh zu wie weiland Ludwig Capet der Geköpfte seinem getreuen Peuple entgegen. Übermütig sprintet der Seehund zurück. Mit etwas Glück bricht er sich das Genick, dann gibt es für die ganze Kompanie die Belobigung und zum Nachtisch endlich eingerexte Pfirsiche.
Das einzig bislang Geglückte aber an diesen endlosen zwei Jahren Krieg sind Danilos salzige Adria-Arschbacken und die melancholischen Märchen, die traurige Weisheit, der lebende Witz Morgenthalers gewesen, beide einzige Anzeichen Seines, des angeblichen Herrn allen Geistes, sehr, sehr sporadischen Streifens durch unser’ Einöde…
Das Belfern der Zarengeschütze bröckelt zäh ab; dessen strenggläubigen Artilleristen schicken sich wohl wieder strebsam in die Flucht oder Meuterei oder Plünderung oder alles zusammen an. Morgen werden die Kosaken ihre blutige Spur unter sie säen, der Barmherzigkeit des Groß-Zaren unerbittliche Geltung verschaffen, die umliegenden ukrainischen Dörfer herzlos verwüsten.
Dem verstärkten k.u.k. Infanterieregiment Nr.20 hat solches Wüten manchen Weg bisher ja erleichtert…
Noch einige Male wummert es präzise und majestätisch, dann geruht die siegreiche Monarchie zu schweigen.
Ein aufatmendes Raunen huscht tour-retour die Kompaniereihen durch. Den Staub schmecke ich nun wieder eindringlich, metallisch, nicht mehr feindselig. Mathilde bockt nicht mehr; es glätten sich ihre Nüstern; sie tänzelt wieder anmutig.
Der Abend ist fast da.