Originaltitel: Shantaram
Autor: Gregory David Roberts
Taschenbuch: 1088 Seiten
Verlag: Goldmann Verlag (12. April 2010)
Sprache: Deutsch
Der 23jährige australische Ich-Erzähler gerät nach seiner Scheidung und dem Verlust des Sorgerechts für seine kleine Tochter auf die schiefe Bahn. Er wird heroinsüchtig, begeht bewaffnete Raubüberfälle, wird geschnappt, erhält 24 Jahre Haft und kommt in ein Hochsicherheitsgefängnis. Nachdem er zwei Jahre abgesessen hat, flüchtet er spektakulär über die Frontmauer des Zuchthauses und gelangt mit falschen Papieren nach Bombay. Genauer, er landet in Colaba, jenem Viertel Bombays, das den Spitz der sichelförmigen Halbinsel der 20 Millionen-Stadt bildet. In den frühen Achtzigerjahren berühmt/berüchtigt für korrupte Polizisten, Schutzgelderpressung, Drogenhandel, Prostitution, Kinderpornos, Fälscherwerkstätten für Dollars, Pässe, Visa, Dokumente aller Art. Schlicht, ein Paradies für sämtliche Sparten von nationalem und internationalem Gesindel.
Und just als er dort von Bord geht, beginnt der Roman David Roberts, der sich fortan Lin nennt. Der erste Schlepper, dem er am Busbahnhof Colabas begegnet, der Inder Prabaker, entwickelt sich zu seinem treuesten Freund, mit ihm gemeinsam entdeckt er die hellen und dunklen Plätze Bombays. Er lernt Hindi und Marathi, wird ausgeraubt, verliert sein Geld und muss in den riesigen Slum ziehen, der sich gleich neben dem World-Trade-Center befindet. Mit Hilfe seines Freundes Prabaker, der zugleich sein Nachbar im Elendsviertel ist, entwickelt er sich zum beliebten Slum-Doktor, er behandelt die Bewohner mit seinem Erste-Hilfe-Kasten, unterstützt durch Kenntnisse aus geliehenen Büchern und einem vor Jahren absolvierten Sanitätskurs. Während eines monatelangen Aufenthalts im Heimatdorf seines indischen Freundes erhält Lin von dessen Mutter den Namen Shantaram, was „der Friedvolle“ heißt.
Lin kehrt nach Bombay zurück, kurz danach gerät er in Kontakt zur lokalen Mafia, für die er zu arbeiten beginnt. Der große Don Bombays, Abdel Khader Khan, ein Afghane, sieht ihn als Ziehsohn an und bindet ihn mehr und mehr in seine kriminellen Machenschaften ein. Als er ihn Jahre später bittet, mit ihm in den afghanischen Befreiungskrieg zu ziehen, willigt Shantaram ein …
Gleich vorweg: Roberts Epos ist kein hochliterarisches Werk. In diesem Buch wimmelt es von Kitsch, Pathos, Selbstbeweihräucherung, pseudophilosophischen Betrachtungen und übertriebener Brutalität. Dazu kommt die rosarote Brille, mit der Roberts nicht nur das Elend in den Slums Bombays relativiert. Selbst über schlimme Verbrechen wird eine verklärende Decke gebreitet, stellenweise geschönt, dass sich die Balken biegen. Teile des Werks wirken konstruiert, im besonderen der (entbehrliche) Kriegszug nach Afghanistan, wo Shantaram zum weißen Mudjahedin mutiert.
Der Roman ist äußerst dialoglastig, hat viele Längen. Auch ist es kein Buch über Indien, wie in manchen Rezensionen behauptet wird. Es ist ein Buch über Bombay, vielmehr über sein historisches Zentrum Colaba und dessen (fiktive) Unterwelt. Positiv zu erwähnen sei die Fabulierlust des Autors, auch wenn sie da und dort etwas ausartet, die liebevolle, atmosphärische Beschreibung Bombays, sowie seine lebensecht wirkenden Figuren, von deren Dialogen die Handlung primär getragen wird.
Wer einen biografischen Entwicklungsroman erwartet hat, wird enttäuscht. Roberts beschäftigt sich so gut wie nicht mit seiner Vergangenheit, die findet man bloß werbewirksam im Klappentext; am ehesten ähnelt die Lektüre einem Schlüsselroman. Darin präsentiert er eine fantastische Räuberpistole, in der es von krassen Ereignissen, kitschiger Liebe, Brutalität und Bandenkriegen nur so wimmelt.
Es gibt keine erkennbare Entwicklung der Hauptfigur, keine Brüche, Einsicht oder Reue. Dieser Roman hat keine Prämisse, keinen erkennbaren zentralen Konflikt. Er endet wie er begonnen hat: Mitten im Strom.
Gegen Ende der Geschichte resümiert sein Antiheld: „Ich habe Arbeit, eine schöne Wohnung und viel Geld. Warum bin ich unzufrieden?“
Warum wohl? Die Arbeit, von der Shantaram, der Friedvolle hier spricht, besteht aus Schwarzgeldwechsel, Goldschmuggel, Dokumentenfälschung, Schutzgelderpressung und Schlägereien. Nicht anders, als zu Beginn der Geschichte, nicht anders, als die Zukunft zu werden verspricht.
Popstar Madonna äußerte sich zu Shantaram via Klappentext: „Dieses Buch müssen Sie lesen!“
Es wäre nach ihren Worten das einzige, das sie auf die berühmte, einsame Insel mitnähme.
Gregory David Roberts gelang mit seinem Erstling Shantaram ein weltweit millionenfach verkaufter Bestseller, die Filmrechte sicherte sich Johnny Depp. Bislang wurde die Verfilmung nicht umgesetzt.