Gesucht: Der Oberfiesling

Kennt ihr das Gefühl, dass in einem Buch oder auch Film eine Figur so abgrundtief verdorben und gemein ist, dass ihr sie am liebsten erst plattprügeln und dann ungespitzt in den Boden rammen würdet?
Dass ihr, wenn sie dann tatsächlich das Zeitliche segnet, euch sagt, was, viel zu gut, ein so ein gnädiges Ende hat diese Charaktersau niemals verdient?

Hut ab vor jedem Autor, der es schafft, beim Leser solche Emotionen freizusetzen, denn so einfach ist das gar nicht.
Damit ein Fiesling seinem Namen auch wirklich gerecht wird, brauchts mehr als nur ein schlichtes ‚er ist halt böse‘, oder ein ‚er will die Weltherrschaft an sich reißen‘.

Ich habe gerade festgestellt, dass in meinem aktuellen Projekt mein Antagonist immer noch viel zu harmlos ist, und bin am Überlegen, wie ich ihn gemeiner kriege.

Ein Paradebeispiel ist für mich Cersei Lannister aus Game of Thrones.
Absolut gnadenlos verfolgt sie ausschließlich ihre eigenen Interessen, keine Opferzahl ist ihr zu hoch, keine Intrige zu schmutzig und keine Beleidigung zu gering, als dass man dafür nicht blutigste und grausamste Rache nehmen könnte. Wenn dabei die restliche Welt im Chaos versinkt und draufgeht, wen kümmerts.
An dieser Frau ist nichts Liebenswertes, sie besteht aus so viel vielschichtiger Verschlagenheit, dass ich mich nur demütig vor George R. R. Martin verneigen kann. (Nicht nur dafür, er hat ja viele großartige Figuren erschaffen).

Was mich jetzt interessiert: Was macht für euch einen wirklich fiesen Oberschurken aus? Welche Beispiele aus Film/Literatur fallen euch ein, die dieses Kriterium erfüllen und warum?
(Was euch sonst noch zum Thema einfällt, gerne mit dazu).

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„Rund“ ist der Bösewicht für mich, wenn er auch zum Protagonisten taugt.

Siehe Hannibal Lecter, oder auch den, gerade eben erst von dir hier im Forum erwähnten, faszinierenden Sand dan Glotka.
Die Figuren gehen mir nahe, weil sie auch etwas haben, was mir überlegen ist. Etwas, was ich eigentlich bewundern wollen würde. Lecters Bildung. Glotkas ehemaliger Helden(über)mut. Ich kann die Figuren beneiden und auch bedauern, warum sie sich „dem Bösen“ zugewandt haben anstatt mit solchen Gaben Gutes zu tun etc pp. - du weißt, worauf ich hinaus will.

Fies macht den Schurken, wenn er nach mehr als nur Vernichtung von XYZ trachtet, sondern den Weg dahin für alles und jeden so leidvoll wie möglich gestaltet.
Was immer gut funktioniert (aber leider daher auch viel zu oft genommen wird): Der Schurke stellt den/die Protas vor ein Dilemma der Marke „Du entscheidest, wer von deinen Lieben stirbt, oder es sterben alle…“

Ganz fies wird es, wenn ich mich ertappe, dass ich die Motive sogar verstehen kann (bei Marvel: Tanos hat guten Grund das halbe Universum auslöschen zu wollen).

Zur Konstruktion der Figur Hannibal Lecter gab es mal eine tolle Doku. In Kurz: „Ach, ich hab mal geschaut, was die schlimmsten Verbrecher in den Polizeiakten so furchteinflößend machte… und dann habe ich das alles kombiniert.“

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Das ist für mich ein ganz schwieriges Thema. Ich tue mich immer schwer damit, einen Antagonisten wirklich fies zu gestalten. Merkwürdigerweise hat es in Angel I anscheinend trotzdem funktioniert. Eine Mitforistin schrieb, dass sie sich über eine Figur so aufgeregt habe, dass muss man erst mal hinbekommen. Ich war ziemlich überrascht, weil ich auch für diese Figur viel Verständnis hatte und versucht habe, das auch mitzuliefern.
Eine böse Figur, die mich sehr beeindruckt hat, ist der Killer in »No Country for old man« von den Coen-Brothers … der mit der Gasdruckflasche. Der war echt eiskalt und kam in seiner gnadenlosen Professionalität auch sehr stimmig rüber.
Hannibal Lecter fand ich interessant. Aber unterm Strich erschien mir seine Neigung irgendwie zu abstrakt – und daher auch etwas konstruiert. Insgesamt finde ich den Film aber super.
Ich glaube, ich bin einfach zu weich. Als ich meinen ersten Thriller geschrieben habe – der eigentlich ein Krimi werden sollte – zählte ich so in der Mitte mal die bis dahin Getöteten durch. Die schiere Anzahl hat mich entsetzt und habe sofort angefangen, die, bei denen das noch möglich war, wiederzubeleben. Schwer verletzt manchmal, aber immerhin.

NACHTRAG: Spannend finde ich den Anta in „Der Horla“ von Guy de Maupassant. Gerade, weil er nie in Erscheinung tritt und sein Verhalten schwer vorhersehbar oder gar zu durchschauen ist. So meine ich das jedenfalls verstanden zu haben. Lange her, dass ich die Geschichte gelesen habe.

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In einer Folge von Inspektor Barnaby (es ist eine, in der Greifvögel eine Rolle spielen) wird jemand ermordet, der zwei Rentnerinnen, die bei ihm im Haus leben tyrannisiert und ihnen ihre gesamte Rente wegnimmt. Er behandelt die beiden absolut respektlos. Sie dürfen nicht einmal leise Radio hören. Da ist man richtig froh, wenn er (endlich) umgebracht wird. In diesem ganzen Elend helfen die beiden Damen sogar noch und sind nett zu ihm, bis sie am nächsten Morgen feststellen, dass er tot ist.
Dass die beiden ihn trotz der Ungerechtigkeiten bestmöglich versorgen, lässt den Fiesling noch fieser erscheinen.

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J.R. Ewing aus Dallas.

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Oh ja! :slight_smile:

Da aber vorsichtig sein. Wenn der Tod für die Figuren zu oft gar keiner ist, fühlt man sich schnell betrogen.

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absolut richtig. Ich habe die Geschichte bereinigen können, bevor sie veröffentlicht wurde.

Ich flüchte mich dann gern in die Ausrede: Ich will meine Leserschaft nicht erschrecken sondern unterhalten. Am liebsten aber, möchte ich sie betroffen machen.

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@Neri
Ich meinte damals die Mutter der Kleinen, wollte da aber nicht zu sehr in die Geschichte reingehen um nicht zu spoilern.

@Silla
das weiß ich Silla. Und ich weiß es auch zu schätzen, dass du nicht spoilern wolltest. Das muss ich noch lernen, deswegen drücke ich mich manchmal so unscharf aus :wink:

Gut finde ich immer, wenn die Bösewichter in ihrer Rolle irgendwie nachvollziehbar sind. Sie sind nicht einfach nur böse, sondern sie sind böse, weil. Schwere Kindheit, Hirnschaden, jemand noch Böseres, der abgefärbt hat, was auch immer.
Was sie dann böse oder fies macht … Ist die Frage. Bei „fies“ ist die Person gemein zu all denen, die es nicht in den Kreis ihrer Günstlinge geschafft haben, meistens geäußert über Lästern, Sprüche unter der Gürtellinie, ausgenutzte Gutmütigkeit, gestellte Beine, son ein bisschen Schulhofdrama nach meinem Empfinden. Bei „böse“ werden dann Leute generell ausgenutzt, Ziele rücksichtslos verfolgt, Häuser zerstört und Leute umgebracht, ohne Empathie.

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Ich glaube auch, dass es Abstufungen gibt. Es gibt den Fiesling, der dem Protagonist klar macht, dass er schwach und unbedeutend ist. Evtl. Sogar mit einem Hauch Wahrheit dessen Schwächen offenbart und darauf herumreitet.
Snape oder Draco aus Harry Potter, wären ein Beispiel.

Und den Bösewicht. Dieser sollte in seiner Art glaubwürdig sein. Sauron aus Herr der Ringe z.b ist ein relativ ‚schlechter‘ Widersacher, weil dessen Gefühlswelt kaum einsehbar ist.
Seltsame Neigungen und Motive machen den Widersacher glaubwürdig. Game of Thrones hat davon gleich mehrere. (Der sadistische Prinz, der komische Cousin mit den Hunden etc.) z.b macht es sie auch spannend, wenn sie sich an einen eigenen Moralkodex halten. (Joker aus Batman)

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Super Thema! Hochkomplex und sicherlich nicht objektiv in richtig oder falsch einzustufen.
Ein paar Villains von meiner Seite aus

  • Der Teufel (ok, nicht zu schlagen)
  • Dracula / Archetyp des Fremden und Bösen
  • Goldfinger, Dr No und Co / Aufgabe den Helden strahlen zu lassen
  • Gargamel / der Schurke darf auch lustig sein
  • Michael Meyers / kein Motiv, keine Absichten, keine Hintergrundgeschichte. Von Geburt an böse.
  • Annie Wilkins / Misery. Individuelles Motiv trifft Geisteskrankheit. Hochkomplexe Person.
  • Skynet / das böse muss nicht einmal ein Mensch sein
  • Darth Vader / Held, Opfer, Täter, auferstander Held
  • Lady Macbeth / Intrigen und manipulativ
  • Jaws /. Nicht böse, aber Antagonist bis zum Schluss
  • Hans Gruber: Die hard. wirkt komplex, ist es aber in seinen Motiven nicht.

Die Frage für mich ist immer: was soll er leisten. Ich mag inzwischen den einfachen Schurken. Böse aus einfachen Gründen. Mittlerweile bin ich ubersättigt von der 10 Vorgeschichte des Schurken, die ihn (für mich) entmystifiziert.
Alles nur kurze Ideen vom Handy aus. Wäre ein Thema für einen ganzen Abend und viel Wein…

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Ja, die Folge kenne ich, das ist auch so ein Fall, wo man beim Ableben denkt, kein großer Verlust für die Menschheit.

Bei Schurken, bei denen man erfährt, warum sie so geworden sind, entwickelt man (ich zumindest) keine wirklich heftigen Aversionen. Glokta, Hannibal Lecter u.s.w., wobei diese Art von Schurken für einen Roman ja meist die ‚besseren‘ sind, denn kaum jemand ist wirklich nur böse, und auch der Antagonist braucht schließlich möglichst viele Facetten.

Sauron aus HdR ist in der Tat einer der unbrauchbarsten Schurken überhaupt, da keine der Figuren mit ihm persönlich zu tun hat und man auch sonst fast nichts über ihn erfährt. Er will halt ganz Mittelerde unterwerfen, wieso weshalb warum weiß der Geier. → Der Typ ist sterbenslangweilig.

Diese ganze Serie ist ja im Grunde ein verfilmter Heftchenroman und da gelten eigene Gesetze. Da braucht keine Figur echten Tiefgang und entwickelt sich auch nicht weiter, sie muss nur ihrem Klischee entsprechen. Und J.R. war halt da der Fiesling.

Und bei Harry Potter fand ich Voldemort auch immer ein bisschen farblos, jedenfalls kein Vergleich zu Dolores Umbridge!

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Dabei allerdings auch hocherotisch. Ist sogar von Bram Stoker so angelegt. Ist also doppelt interessant.

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Wie böse mir eine Täter-Figur erscheint, hängt bei mir stark davon ab, wie sehr mich der Autor in das Opfer hineinversetzt.
Wenn beispielsweise aus Sicht eines Scharfschützen erzählt würde, der seine Opfer nur als „Ziele“ wahrnimmt, wird der mir weniger böse vorkommen, als wenn eine Vergewaltigung aus Sicht des Opfers erzählt würde - obwohl objektiv natürlich Massenmord schlimmer ist als eine Vergewaltigung.

Toll auf den Punkt gebracht, ich meine, das ist in diesem Zusammenhang ein völlig zutreffender und wichtiger Satz.

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Den fand ich extrem blass.

Mir hat das Spaß gemacht. Damals. Ob ich das heute auch noch so sehen würde, weiß ich gar nicht. Das Heftchengedöne lebte nur durch ihn.

Ich war mehr der Denver Clan - Typ, zumindest eine zeitlang. :grin: :blush:

Noch ein ‚Oberfiesling‘, der (das) nicht böse im eigentlichen Sinne war: Das Alien. Lieber Himmel, was hab ich mich beim ersten Teil gegraust!

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Ich weiß nicht, ob sie wirklich die Oberfieslinge sind, aber mich erschrecken - ich sag mal - fanatische Sakralkriminelle immer sehr, die in ihrem Wahn alles tun, damit den Menschen die Angst vor Gott nicht genommen wird. Zum Beispiel Jorge de Burgos in Der Name der Rose.
Oder auch der Camerlengo in Illuminati.
Auch Inquisitoren sind fies, insbesondere zur Zeit der Hexenverbrennungen. Hauptsache grausam hingerichtet. Ob Hexe oder nicht.
Schurken, die von sich behaupten, im Namen Gottes zu handeln, finde ich extrem schlimm.

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Am spannendsten finde ich es oft, wenn der „Antagonist“/Fiesling/Oberschurke … der Agonist ist. Patricia Highsmith - Tom Ripley - hat es meisterhaft beherrscht, den Leser auf die Seite des Bösen/Verbrechers/Mörders zu ziehen.

Klassischer Antagonist im Film ist z.B. Darth Vader - wäre er das aber auch, wenn die Star-Wars-Saga in der chronologisch richtigen Reihenfolge mit der nachgeschobenen ersten Trilogie begonnen hätte, in der Vaders Vorgeschichte erzählt wird?