Lieber Reantor,
“im übertragenen Sinn” (du weißt schon, was ich meine) kann die Nase auch schwelgen, [sic] assoziieren und z.B. auch “feiern” oder “protestieren”. Es ist das Wunderbare am literarischen Prozeß, daß solche Übertragungen in seinem Geviert ohne Weiteres möglich und ihm m.E. sogar substantiell sind.
Das wird am von @Buchling angerissenen Tatbestand schön deutlich: Denn nach meinem Dafürhalten dürfte der Zauber des Poetischen nicht zuletzt daher rühren, daß der “nackte” lexikalische Bestand – bezogen auf diverse Begriffsfelder – manchmal “dürr” ist und die Dichter diese Dürre durch entsprechende Bilder und Tropen zu transzendieren vermögen, indem sie … ähm … übertragen, analogisieren und auch der Metaphorizität eine Simme geben
Klarerweise “kann” die Nase all das, was du und ich gerade angeführt haben, natürlich nicht! Jedenfalls nicht im Rahmen dessen, was “wir” – also der moderne Mensch – bzgl. der entsprechenden physiologischen Prozesse glauben, daß es der Fall sei (ob das wirklich so ist, steht auf einem anderen Blatt).
Aber wenn du deinen Blick z.B. mal auf die frühgriechische Lyrik oder Epik wendest, merkst du schnell, daß unser rezenter Glaube nicht das Maß aller Dinge ist, denn daran kann nachvollzogen werden, daß die rein physiologische Dimension, anders als bei unseren Theorien heute, viel nahtloser – nicht dualistisch sozusagen – mit den psychischen Zuständen verbunden war. Das kann man etwa am thymos der Krieger bei Homer nachvollziehen, um nur mal ein Beispiel anzuführen. – Es ist interessant, wenn man das gegen heutige Analysen dessen hält, was etwa die Thymosdrüse im menschlichen Körper leistet …
Damit will ich sagen, daß die anfänglichen stilbildenden Mittel des poetischen Verfahrens, die ja anders als die medizinischen “Theorien” der Altorientalen oder Griechen bis heute noch Wirkung zeigen bei uns, aus einem anderen Vorstellungskontext (samt dazugehörigem anderen “Sprachgefühl”) heraus erwuchsen, als er jetzt instantiiert ist. Und es mag – u.a. – etwas mit der rezenten “Dürre” des modernen Lexikons, bezogen auf derlei Sachverhalte, zu tun haben, wenn wir inzwischen in Not geraten, sobald wir mal nicht rein technisch auf grundlegende physiologische Zusammenhänge zurückkommen, also wie etwa in literarischen Kontexten. Wobei das so gemeint ist, daß diese Dürre eben auch etwas damit zu schaffen hat, daß wir Modernen die Welt radikal “entpoetisiert”, oder wie Max Weber gesagt hat, “entzaubert haben” inzwischen. Die Literatur ist, von daher gesehen, auch eine Brücke zu einem eher ganzheitlichen, synthetischen (Selbst-)Verständnis des Menschen — also dezidiert gegen den analytischen Wahnsinn fetischisierter (und folglich ideologisierter, mythologisierter) Empirizität gerichtet.
In Diskursen wie diesem fällt uns das quasi – wie sonst selten nur noch – wieder auf oder mindestens vor die Füße (wenn nich gar auf die hauptsächlich noch positivistisch geeichte Birne). Und es gehört (nach meinem Verständnis der Sache) auch ein bißchen zur Tragik unserer diesbezüglich eher armseligen rezenten Situation, daß wir in bestimmten Kontexten dann nach jämmerlichen “Synonymwörterbüchern” und ähnlichem Krempel krallen müssen, um einen Ausdruck für ein inneres Bild zu finden, das wir für andere beschreiben – also auf Plausibilitäts- und Nachvollziehbarkeitslevel bringen – möchten, ohne nur stumpf zu blubbern dabei. – Sappho oder Pindar oder die Schreiber des Gilgameschepos bedurften solcher externen “Stützen” noch nicht: Sie konnten sich auf einen gewissen Esprit (i.S. göttlicher Begnadung) und eine mehr holistisch-lebensweltintegrierte Umgangssprache verlassen, die eben auch noch jenen Zauber mitintegrierte, den wir ihr inzwischen gründlich ausgetrieben haben. – Im Grund genommen ist das alles ziemlich jämmerlich, will mir scheinen … nicht zuletzt auch von jenem her betrachtet, was dann heutzutage so alles unter dem Label von ‘Literatur’ zu figurieren vermag …
Gruß von Palinurus