Was mich an der Genderei stört ist die Vehemenz, mit der das Thema angegangen wird. Das man das von der Politik übergestülpt bekommt, ob man will oder nicht. Und falls nicht, in einer Ecke landet und abgestempelt wird.
Die Situation der Frauen und Mädchen weltweit ist nach wie vor schlecht und das hauptsächlich in Ländern, in denen nicht gegendert wird. Dass sich etwas ändern muss, ist klar. Aber nicht durch irgendwelche Punkte und Striche.
Warum ist eigentlich noch niemand von den Gender-Befürwortern auf das Zitat von @anon37238882 eingegangen. Wenn ich es verpasst haben sollte, bitte ich um Entschuldigung.
Es geht in dem Link unter anderem darum, dass Sehbehinderte ihre Schwierigkeiten mit dem Gendern in schriftlicher Form haben. "… auch der deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) ist von der Lösung nicht überzeugt, da die Punkttrennung innerhalb des Wortes für die Betroffenen problematisch sein kann." Wie könnte denn eine Alternative für diese Menschen aussehen? Denn die wollen ja auch lesen, Romane, Nachrichten, wissenschaftliche Studien, was auch immer. Wenn ich einen Text mit dem Sternchengewirr lese, ist er auch für mich schwer verständlich, obwohl ich keine Probleme mit den Augen habe. Wie mag es dann für jemanden sein, der/die/das sich den Text erfühlen muss. Da kommt man doch völlig durcheinander, wenn auf einmal tausend Doppelpunkte und/oder Sternchen auftauchen.
Eine Diskussion, so wie sie gerade geführt wird, finde ich gewinnbringend, manche Dinge habe ich bislang nicht bedacht, das ist für mich nur positiv, das auch mal von einer anderen Seite zu betrachten.
Doch was mich an diesem Thread bislang gestört hat und mich dazu bewogen hat, überhaupt einen Kommentar zu schreiben, ist, dass sich über Seiten hinweg über gendergerechte Sprache lustig gemacht wird. Das finde ich nicht okay, denn im Endeffekt möchte gendergerechte Sprache in meinen Augen nichts anderes, als nicht männliche Menschen zu Wort kommen lassen.
Mir ist klar, dass die Anpassung der sprachlichen Ungleichheit die soziale Ungleichheit nicht ausradieren wird. Doch Gendern ist gut gemeint, ob es gut ist, wird die Zukunft zeigen. Aber sich wie in den letzten Seiten dieses Threads übers Gendern auszulassen, sich lustig zu machen über die falsche “Korrektheit” von gegenderten Worten, die Sachen betreffen und nicht Menschen, das stößt mir auf. Natürlich sind Nomen genusfest, doch es geht ja um Sexus, also können nach meinem Verständnis eben wohl nur personenbezogene Worte gegendert werden und dann über Schiffe und Autos vermeintlich witzige Diskussionen zu führen mag ich eben nicht. Denn dieses Thema ist vielleicht für den ein oder anderen hier nicht relevant oder wichtig. Doch es gibt Menschen, die in gendergerechter Sprache einen Sinn sehen (Ich auch) und vielleicht auch Hoffnungen damit verbinden und da finde ich, hat dieser Thread eine ziemlich miese Außenwirkung.
Ja, Genderbefürworter bewegen sich sicherlich auf dünnem Eis, denn was in der Sprache ist, muss noch lange nicht in den Köpfen sein. Da stimme ich voll zu, doch kann es nicht ein Anlass sein, zumindest bei einigen, den Weg von der Sprache in die Köpfe zu finden? Und ja, ich verstehe auch, dass Länder mit genuslosen Sprachen, wie z.B. die genannte Türkei, bei der Geschlechtergerechtigkeit Vorreiter sein müssten. Ich glaube auch nicht, dass durch eine veränderte Sprache politische Versäumnisse plötzlich ohne weiteres Zutun aufgeholt werden können. Aber ich glaube, dass Minderheiten Gehör gegeben wird, dass Jungen und Mädchen in ihrer Berufswahl weniger stereotypen Rollenbildern folgen, dass es vielleicht eben diese sind, die in ein paar Jahren den Stein ins Rollen bringen und unsere Gesellschaft gerechter machen. Und dass Menschen mit z.B. nicht binärer Geschlechtsidentität in der Gesellschaft aus ihrem “Schattendasein” heraustreten können und sichtbar werden.
Ich denke diese Diskussion ums Gendern ist auf gewisse Weise vergiftet, denn so, wie ich es jetzt herausgelesen, bzw. wahrgenommen habe, wird sowohl von Gegnern, wie auch Befürwortern auf gewisse Weise angenommen: Wer gendert, ist “gut”, wer es nicht tut ist “böse”. Das sollte vermieden werden, denn das Ziel, mehr soziale Gerechtigkeit ist sicherlich für den Großteil der Menschen erstrebenswert.
Es geht um Sichtbarkeit!
Und Worte, egal in welchem Text, spiegeln nun mal das Leben (wider). In Texten aus dem Mittelalter kommen Frauen z.B. nur vor, wenn sie a) einen wichtigen Mann zur Welt gebracht, b) heilig gesprochen wurden oder im besten Fall beides hinbekommen haben. Über eine ganz normale Frau findet man erschreckend wenig Informationen und das entspricht genau ihrem Wert, den sie in dieser Ordnung gehabt hat.
Ungleiche Bezahlung, nicht geteilte Hausarbeit, nicht wertgeschätzte “Frauenberufe” etc sind doch auch nur Formen dieser Geringschätzung.
Das aktuelle Gendern ist sicher keine elegante Lösung, für blinde Menschen ein Hindernis und verkehrt, schlecht ausgesprochen, die Verhältnisse ins Gegenteil. Ernstgemeinte Vorschläge, wie es besser gehen könnte, sind herzlich willkommen.
Aber allein, dass so viel darüber diskutiert wird, hat das Denken in Bewegung gebracht. Und das ist das eigentlich Gute an der ganzen Sache.
Gendern ist doch - leider - keine basisdemokratische Idee. Diese Sprache hat sich nicht “normal” gebildet, sondern wird von bestimmten Kreisen als “das Richtige” verkauft. Damit rückt sie, wie @RalfG schon angerissen hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, kräftig in die Nähe von Orwells “Zwiesprech”.
Die Begründung ist von denen, die Gendern propagieren, ins “Unanfechtbare” gestellt.
Das alleine rückt das geschlechtergerechte Sprechen (“Gendern” an sich ist ja schon ein Kunstwort) ins Dubiose. Mit Demokratie hat’s nun wirklich gar nichts zu tun, denn die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung schüttelt verständnislos den Kopf.
Und es denen, diesen uneinsichtigen Tölpeln (und Tölpinnen) einhämmern zu wollen, ist im höchsten Maße diktatorisch (ich wiederhole hier zur Bekräftigung noch ein Argument von @RalfG).
Die Sinnhaftigkeit ist nun mehr als kritisch zu sehen, denn Geschlechtergerechtigkeit an einem Doppelpunkt oder Sternchen festzumachen, hat mit Verlaub schon etwas sehr Blauäugiges und Weltfremdes.
Aber sei’s drum:
DER Punkt hier in einem Schriftstellerforum (!) sollte sein, ob und wie die Lesbarkeit der Sprache gefährdet wird - und darüber ist hier schon viel Richtiges gesagt worden.
Sprache kommt von “Sprechen” - und wie hahnebüchen das klingt, darf man, ich mit leidender Miene, sich im Öffentlich-Rechtlichen anhören, die hier voranpreschen. Wiederum “von oben”.
Bleiben wir doch also bitte beim SPRECHBAREN. Liebe Mitleser und Mitleserinnen. So geht’s doch auch.
Anstatt die Sprache zu verhunzen mit etwas, was unlesbar ist, sich nicht bei der breiten Masse durchsetzt und damit “Pseudointellektuellen-Sprech” sein und bleiben wird.
Ich als Lektorin werde manchmal gefragt, ob “wir” (mein jeweiliger Autor und ich) nicht gendern sollten - meine Antwort “um der Götter Willen bloß nicht, wenn Du gelesen werden willst!” wird im Regelfalle erleichtert aufgenommen.
Also, soweit dies Plädoyer für eine gute, schöne, lesbare und höfliche Sprache im harmonischen Miteinander.
Ich denke ansonsten, dass hier die große Gefahr besteht, dass wir uns im Kreise drehen und alles gesagt ist, klären werden wir’s nicht, die einhellige Mehrheit hier scheint aber der Sprache verpflichtet zu sein und lehnt das Gendern als schriftstellerisch unpraktikabel ab.
Wir sollten Schluss mit der Diskussion machen, denn hier werden wir (außer dem vielfach geäußerten schriftstellerischen Gefühl der Verletzung der Sprache) es kaum klären. @Ulli?
Ich habe keinen besseren Vorschlag, empfinde aber die verschiedenen Schreibweisen mit Sternchen, Doppelpunkt, Unterstrich oder Binnen-I als unglücklich. Die Verwendung von nominalisierten Gerundiven (die Mitarbeitenden) klingt für mich eher nach Behördendeutsch, empfinde ich als unschön.
Ich verwende die ausgeschriebene Form: Kolleginnen und Kollegen.
@IrmaM:
Ich stimme dir bis auf den letzten Punkt zu. Es gibt immer mal wieder neue Entwicklungen, neue Gesichtspunkte und neue User. Threads sollten nur geschlossen werden, wenn die Diskussion vollkommen aus dem Ruder läuft und zu einem Flamewar wird. Das Thema hier wird durchaus kontrovers, aber nicht beleidigend diskutiert. Von daher bin ich für offenlassen.
Die Frage, ob nun Huhn oder Ei zuerst da war, oder welches der beiden hätte zuerst da sein sollen, hat weder je eine Antwort gefunden, noch etwas an der Tatsache ändern können, dass heute beides da ist und beides da sein muss damit eines von beidem da sein kann.
In der kognitiven Linguistik gibt es genau die gleiche Frage: Was war zuerst da? Sprache oder Denken? Was beeinflusst was?
Exkurs:
“Beweise” sind in der Wissenschaft grundsätzlich schwierig. Und das gilt, würde ich behaupten, auch in der Mathematik. ABER das heißt nicht , dass gewissenhaft ausgeführte Studien mit dem Spruch “Die können doch gar nichts beweisen” abgetan werden sollten.
Linguisten arbeiten in quantitativen Studien übrigens auch grundsätzlich mit Statistik, also mathematischen Gleichungen, und können damit, auf Grundlage des p-values, sehr wohl “beweisen”, dass die Null-Hypothese (z.B “x hat keinen Einfluss auf y”) in der jeweiligen Studie abgelehnt werden kann. Was bringt das? Ganz einfach: In wissenschaftlichen Arbeiten werden Hypothesen über die Null-Hypothesen getestet.
Soll heißen: Dr. Hühnerei möchte testen, ob weiße Hühner öfter bunte Hühner angreifen als andere weiße Hühner. Ihre Arbeitshypothese (H1) und Null-Hypothese (H0) lauten dann …
H1: Weiße Hühner greifen bunte Hühner öfter an als sie andere weiße Hühner angreifen.
H0: Weiße Hühner greifen bunte Hühner nicht öfter an als sie andere weiße Hühner angreifen.
Am Ende der Arbeit wird nicht H1 bewiesen sein, sondern Dr. Hühnerei wird auf Grundlage der von ihr gesammelten Daten bewiesen haben, dass man H0 mit einer Wahrscheinlichkeit von 99% oder 95% ablehnen oder eben nicht ablehnen kann. Bei welcher Wahrscheinlichkeit die H0 abgelehnt werden kann, wird vor der Datenauswertung festgelegt. In der Medizin sind 99% üblich (weil Fehler hier üblicherweise schwerwiegender sind) und in der Linguistik sind 95% üblich.
Wenn also eine gewissenhaft ausgeführte Studie zB eine Korrelation (Zusammenhang) feststellt, dann darf man gerne neugierig werden. Oftmals werden Studien auch von anderen Wissenschaftlern mit anderen (aber vergleichbaren) Datensätzen reproduziert und, sollten diese auf die gleichen Ergebnisse kommen, dann wird es langsam schwierig diese Ergebnisse einfach abzutun. Weichen die Ergebnisse ab, geht es zur Ursachenfindung und wieder weitere Studien werden ausgeführt, um die Hintergründe noch besser zu verstehen.
Zurück zum Gendern:
Es gibt wahnsinnig viele Studien, die Korrelationen zwischen Sprache und Denken beweisen. Korrelation bedeutet hier “Zusammenhang”, also z.b. “wenn x steigt, dann steigt y” (positive Korrelation) oder aber “wenn x steigt, sinkt y”.
Für mich bedeutet das, dass man annehmen sollte, dass gegenderte Sprache zumindest potentiell das Denken der Sprachgemeinschaft beeinflusst und möglicherweise sogar das Selbstbewusstsein und -vertrauen und die Träume derjenigen Kinder (negativ) beeinflusst, welche von der Sprache öfter ausgeschlossen werden. Und genügt nicht ein mögliches Risiko, um vorbeugend Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere wenn die Maßnahmen eigentlich nicht weh tun?
Ich verstehe übrigens nicht @RalfG wie man argumentieren kann, dass nicht gegendert werden sollte, weil das ja zulasten der männlichen Form geht - immerhin würde die männliche Form dann ja verunstaltet und die Männer dadurch diskriminiert. Ach so? Das ist dann blöd, aber wenn die Frauen gar nicht erwähnt werden passt’s schon? Das empfinde ich als gemütliche Doppelmoral.
Sich über die Doppelpunkte oder Sternchen und die Art und Weise wie gegendert werden “soll” aufzuregen - okay das ist eine Sache. Aber übers gendern an sich? Ne. Verstehe ich nicht.
Auch das Argument, man würde eine Abwertung der Frau in Kauf nehmen, in dem man Mathematikerin statt Mathematiker zu ihr sagt, ist für mich nur auf den ersten Blick schlüssig und auf den zweiten Blick zeigt es, wie durchzogen das Denken von Misogynie ist. Denn warum sollte das Anzeigen des Geschlechts irgendwelche Rückschlüsse auf Kompetenzen oder Qualifikationen erlauben?
Ob mir meine Freundin zuschreit, dass ein Löwe von hinten auf mich zuprescht oder eine Löwin - ich renn bei dem Hinweis, dass es sich um die weibliche Ausführung handelt, nicht langsamer weg. Und genau das ist doch auch einer der Problempunkte: Warum zur Hölle ist in dem Denken eines Großteils von uns verankert, dass das “-in” bei Doktor-in oder Mathematiker-in oder Pilot-in auch gleichzeitig eine andere Bewertung erfordert?
Und zuletzt:
Es verlangt niemand von Schriftstellern, jedes Nomen zu gendern. Warum wird hier also so getan?
Es geht insbesondere um offizielle Texte, Berufsbezeichnungen, Gesetzestexte… Und wo wir vorhin schon bei Doppelmoral waren: Als letztes Jahr mal ein Gesetzestext umgeschrieben wurde, sodass er statt männlicher, weibliche Formen verwendete, gab es einen riesigen Aufschrei. Wie könne man nur? Ach so? Aber anders herum ist supi-dudeldi-dupi? Denkt mal darüber nach.
Und bevor es nun falsch verstanden wird: Es liegt mir nichts ferner, als nun alles nur noch in weiblicher Form zu beschreiben. Das wäre genauso scheiße - aber ja wie wäre es denn mit beidem?
Um nochmal zurück zum Huhn und zum Ei zu kommen:
Wenn wir ein Ei möchten, brauchen wir auch ein Huhn.
Wenn wir Gleichstellung in einem Bereich wollen, brauchen wir auch in allen anderen Bereichen Gleichstellung - und dazu gehört nun einmal auch die Sprache.
So. Fertig-gemonologisiert.
„Die Ärtzinnen des Klinikums" = „Die Ärztinnen und Ärzte des Klinikums“
"Die Studentinnen“ = „Die Studierenden“
„Der Vorstand“ = „Die Geschäftsleitung“
Das finde ich vermutlich aber auch alles nur akzeptabel, wegen eines kruden Mangels an Sprachgefühls, den ich mir selbst zutraue hüstel …
Sicher wurde es auf den vorherigen 23 Seiten schon irgendwo als unelegant zerrissen.
Und das jetzt alles mal primär im Kontext Information der Öffentlichkeit und Wissenschaft. In der Belletristik ist das *innen selbst mir zu schräg.
Ich spreche natürlich nur für mich, aber ich glaube ganz ehrlich nicht, dass es um „eine Revanche“ geht, sondern wirklich um ein Herstellen von Gleichgewicht durch sichtbar machen, wie auch Sumsa schreibt.
Ich selbst fand es tatsächlich schockierend, wie selbstverständlich ich bei der Besetzung mancher Rollen auf die Annahme einer bestimmten Geschlechtlichkeit gepolt bin - in beide Richtungen. Und ich versuche mich selbst mehr dafür zu sensibilisieren und merke einfach, dass es mir hilft immer wieder von *innen zu lesen, oder vor allem mehr starke Frauen solche Rollen (die ich zunächst persönlich tendenziell männlich „besetzt“ hätte) ausfüllen zu sehen (egal ob live, in Dokus, in Interviews, in Berichterstattung).
Der ganze Hintergrund: Wenn ich mein Geschlecht in einer Rolle nicht als „zuhause“ empfinde, dann sinkt doch die Wahrscheinlichkeit, dass ich mir zutraue mich in eben diese Richtung zu entwickeln,… dann braucht es ungleich mehr Kraft, mehr charakterliche Stärke und Bewusstsein für die eigenen Fähigkeiten um sich zu zu trauen diesen Weg auch zu verfolgen.
Das Bildungsbürgertum fängt sicher einiges vielleicht wieder ab, sagt seinen Kids: „Du kannst werden was immer du willst, mein Schatz!“, aber ich fände es klasse, wenn eine Generation junger Frauen aus allen sozialen Schichten, auf diese Idee kommt - idealerweise weil die Gesellschaft Ihnen genau das mitteilt. Sprache ist nur ein Weg dafür, aber ich persönlich finde den nicht schlecht,…
(Entschuldigung, falls sich viele Fehler eingeschlichen haben sollten, ich bin müde und es besteht keine Chance, dass ich sie in diesem Zustand finde …)
Da hast du mich falsch verstanden. Es ging mir nicht darum, das Klagelied über diskriminierte Männer anzustimmen, sondern auf den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit besagter Feministinnen hinzuweisen. Auf der einen Seite fordert man gleichberechtigte Sichtbarkeit, auf der anderen Seite findet man es ok, alles nicht-weibliche der Sprache selbstherrlich abzuändern oder selbst “mitzumeinen”. Und das ist Doppelmoral.
Ich kenne auch keine mittelalterlichen Texte über Hufschmiede, Kürschner oder Bader. Es wurde schon immer wenig bis nichts über das “normale Volk” geschrieben, unabhängig ob Frau oder Mann. Die Repräsentation in literarischen Texten hat eher mit dem sozialen Status zu tun. Es gibt Tonnen von Büchern über Könige, Fürsten, Bischöfe, Päpste, was weiß ich. Wenn Frauen eine solche Position innehatten, wurde auch über sie geschrieben (Nofretete, Kleopatra, Queen Victoria, Marie Curie, etc.). Mit der Gleichberechtigung, die in unserem Land sogar im Grundgesetz festgehalten ist, stehen diese “herausgehobenen” Positionen auch allen Frauen offen. Eine prominente Vertreterin wurde gestern erst abgewählt. Sichtbarkeit wird durch Taten erreicht, nicht durch Sprachzwänge.
Ich stimme dir zu, es ist falsch, Diskriminierung zu schreien und dann selbst zu diskriminieren. Und ich kann auch nachvollziehen, dass falsches gendern ebenso wie kein gendern diskriminiert. Allerdings finde ich nicht, dass das bedeutet, dass wir uns nicht auf die Suche nach einer Lösung begeben sollten, welche Diskriminierung minimiert und dabei idealerweise auch noch möglichst elegant ist.
Mit “versuchen” gehen auch immer Fehler und Fehlschläge einher. Aber nur daraus kann man lernen und schließlich Fortschritte machen. Das wissen wir als Autoren doch alle sehr genau. Die erste Fassung ist meist alles andere als perfekt und Bedarf noch sehr viel Arbeit bis es zufriedenstellend ist. Warum bei Gendern erwarten, dass es gleich perfekt ist?
Das ist der Punkt. Ich finde, wir hatten eine elegante Regelung, in dem man entweder beide Geschlechter aufführt (Ärztinnen und Ärzte) oder eben das generische Maskulinum, das per Definition alle Geschlechter umfasste. Manchmal frage ich mich, ob wir diese ganze Diskussion auch hätten, wenn das Ding statt “generisches Maskulinum” einfach “inklusiver Plural” geheißen hätte.
Nur, damit ich nicht missverstanden werde:
Es war mitnichten meine Absicht, den Wissenschaft-abwertenden Spruch »die können doch gar nichts beweisen« abzulassen.
Ich bin ein großer Freund von Wissenschaft, ich bin mir aber bewusst, dass endgültige Beweise in den Natur- und Sozialwissenschaften nicht existieren. Alles ist immer nur »nach heutiger Kenntnis«. Kein (seriöser) Wissenschaftler wird etwas anderes behaupten. Das schmälert aber den Wert der Wissenschaft überhaupt nicht – denn schließlich lernen wir ja dabei ja immer mehr, oder (wie ein populärer Herr im TV gerne sagt): Wir irren uns empor. Es ist allerdings durchaus möglich, eine Hypothese endgültig und für immer zu falsifizieren, in der Regel reicht dazu sogar ein einziger Fall, in dem die Hypothese nicht zutrifft.
(Und übrigens, doch, in der Mathematik sind endgültige Beweise möglich, die für immer und ewig gelten werden.)
Das nur, um klarzustellen, dass ich ganz und gar kein Wissenschaftsfeind bin – im Gegenteil.
Und um auch wieder zu gendern zurückzukommen:
Sprache beeinflusst sicher unser Denken in gewissen Maße. Dinge, die ich nicht gelernt habe, zu benennen, werde ich meistens auch nicht wahrnehmen. Kann aber eine aufgezwungene Sprachänderung auch das Denken beeinflussen? Da habe ich meine Zweifel.
Aber gut, wir befinden uns ja gerade in einem großen Feldversuch – eine Studie mit so vielen Teilnehmern wünscht sich jeder Wissenschaftler.
Eben, s.o. (»Wir irren uns…«).
Die aktuelle Form halte ich eher für einen falschen Pfad, ich würde mich über einen besseren Vorschlag freuen.
Ja, der hat eigentlich auch schon viel mehr inkludiert, als meistens bemerkt worden ist:
Die Studenten packten ihre Bücher zusammen, dann gingen sie nach Hause.
Feminine Artikel und Pronomina im Plural…
Mich hatte Deine kleine Geschichte auch etwas verwirrt, was jedoch weniger an “Dr. Müller” lag als daran, dass Du “der Chirurg” schriebst.
Klar, oft wird einem Titel (unbewusst) ein bestimmtes Geschlecht zugewiesen, viel deutlicher geschieht dies aber durch den Einsatz des männlichen Artikels, den Du in Deinem Beispiel benutzt.
@alle
Im übrigen tun hier viele so, als gäbe es verbindliche Vorschriften für alle, ab heute gendern zu müssen. Dies ist jedoch nicht so. Ich sehe im Grunde ein sprachsenibles Gendern als eine Form des Respekts und der Höflichkeit an.
Peter
So halte ich es auch. Und warum kann es so nicht bleiben? So ist jeder/jede sichtbar, es ist sprechbar und lesbar. Keiner wird diskriminiert, oder verunglimpft.
Und nicht so verwirrend für ausländische Menschen, wenn sie unsere Sprache lernen.
Es gibt kein Gesetz dafür, aber es wird einem überall ungefragt aufgedrängt. Sei es von Politik, den Medien oder von den Genderbefürwortern, die meist ein überbordendes Sendungsbewusstsein besitzen. Daneben gibt es in genügend Firmen oder öffentlichen Verwaltungen von oben vorgegebene Genderleitfaden, was ich schon als verbindliche Vorgabe ansehe.
Und hier ist wieder das Narrativ der moralischen Selbstüberhöhung, das holier-than-thou. Wer gendert, ist sensibel, respektvoll und höflich. Was dann im Umkehrschluss bedeutet, dass derjenige, der nicht gendert eben unsensibel, respektlos und unhöflich ist. Und dann wundert man sich über Gegenwind?
@RalfG Ach, Ralf, Du musst Dir den Schuh doch nicht anziehen!
Ich glaube auch, dass Dein Vergleich mit “moralischer Selbstüberhöhung” hinkt: Wenn ich es z.B. für respektvoll und höflich halte, jemandem die Tür offenzuhalten oder in den Mantel zu helfen, so ist doch nicht jeder gleich unhöflich oder ließe Respekt vermissen, wenn er dies nicht täte.
Von daher denke ich, ist Dein “Umkehrschluss” nicht zutreffend.
Ich wundere mich nicht über “Gegenwind”, sondern eher darüber, dass Deine etwas polemische Argumentation versucht, anderen Ansichten ihre Ernsthaftigkeit abzusprechen.
Peter
Mit den verschiedenen Schreibweisen haben nicht nur Blinde ihre Probleme. Sondern auch viele Legastheniker. Es ist für diese Menschen sehr verwirrend, wenn es unterschiedliche Schreibweisen gibt. Das verunsichert. Es bräuchte sowohl für die Screenreader als auch für die Menschen, die nur mühsam selbst lesen können, einfache und einheitliche Regeln.
Ich finde die ausgeschriebene Form auch viel ansprechender. Ist mein ganz persönliches Empfinden.
In Geschichten werde ich wohl zwischendurch anders gendern: Ich erschaffe ungewöhnliche Charaktere und zeige damit die Vielfalt und verschaffe Sichtbarkeit. Oder ich verwende bei Mehrzahl gezielt ungewöhnliche Formulierungen, z. B. einfach mal „Ärztinnen“, „Erzieher“, „Ingeneurinnen“, „Bügler“ usw. Oder ich lasse die „Putzmänner“ ihre Arbeit tun.
„Die Putzmännerkolonne ist noch nicht durch …“
Warum eigentlich nicht über den Tellerrand sehen und gucken, ob es nicht auch literarisch möglich ist, gendergerecht zu schreiben? Ich habe den Eindruck, dass in diesem Bereich die Phantastikszene um einiges aufgeschlossener ist als der Rest der Autorenwelt. Wer mal über den Tellerrand hinausschaut und nach “gendergerechter Roman” sucht, wird tatsächlich fündig werden. Mit “Wasteland” von Christian und Judith Vogt gibt es so einen Roman, der bei Knaur erschienen ist. Wer sich näher mit der Thematik beschäftigt und der Phantastik nicht abgeneigt ist, wird auch bei Kleinverlagen fündig, in der einen oder anderen Anthologie finden sich in den letzten Jahren vermehrt Kurzgeschichten, die gegendert sind oder Neopronomina beinhalten.
Wir als Autoren wissen doch, wieviel Macht in Worten steckt und was sie bewirken können. Kein Gendern um jeden Preis, aber eine gewisse Offenheit und die Möglichkeit zu gendern, ohne dafür verurteilt zu werden, wäre in meinen Augen wünschenswert.