ich schreibe zur Zeit über eine Person im mittleren Alter, die ihren bisherigen Lebensweg verlässt und gewalttätig wird. Kann mir jemand ein bisschen was darüber erzählen, wie sich Personen in ihrer Persönlichkeit verändern können, wie ausgeübte Gewalt rückwirken kann? Es geht mir dabei auch um Symptome, die ich im Alltag einbauen kann wie z.B. Kontrollzwang. Wie kann der Start aussehen, wie steigert sich das, wie sieht die ausgeprägte Form aus und wann dämmert dem Umfeld, dass da was im Gange ist?
Vielleicht hatte ich bisher nicht die richtigen Suchworte, aber ich konnte nichts finden, was mir auch nur annähernd weiterhilft und hänge in meinem Geschreibsel fest.
Das Netz voll von Infos und es gibt zum Thema auch viele gute Bücher. Jede gute Buchhandlung kennt die entsprechenden Titel.
Du solltest dich vielleicht auch in die Grundlagen der Psychologie einlesen. ein gutes Lehrbuch ist der sogenannte “Zimbardo-Gerrick”, es gibt aber auch noch jede Menge andere.
danke für die schnelle Antwort. Vermutlich habe ich mich nicht exakt genug ausgedrückt.
Ich habe ziemlich viel zum Thema gelesen aber kaum etwas gefunden, was Erwachsene im Blick hat, die zuvor weder mit Traumata noch mit Gewalterfahrung zu tun hatten. Mir geht es darum, wie sich ein Erwachsener verändert/verhält, der im mittleren Erwachsenenalter beginnt, selbst Gewalt auszuüben ohne traumatische Vorgeschichte.
Es gibt eine Menge Info zu traumatisierten Kindern und Jugendlichen, von Straftätern etc. etc., aber das hilft mir alles nicht weiter, es sei denn ich sehe den Wald vor Bäumen nicht und es gibt keinen Unterschied.
soll dein Erwachsener denn traumatisiert werden? Dann käme die posttraumatische Belastungsstörung in Frage.
Ansonsten fällt Gewalttätigkeit nicht vom Himmel, ausgenommen Notwehr.
“Mir geht es darum, wie sich ein Erwachsener verändert/verhält, der im mittleren Erwachsenenalter beginnt, selbst Gewalt auszuüben ohne traumatische Vorgeschichte.” Eine solche Figur halte ich für sehr unwahrscheinlich.
Ein psychisch gesunder Mensch wird nicht einfach gewalttätig. Es gibt entweder eine Vorgeschichte oder einen konkreten Anlass, wie z.B. PTBS.
Motive wie Habgier, Hass, etc. setzen M.E. immer ein kranke Psyche voraus.
Inzwischen jedoch denke ich, dass Martin recht hat. Dass es um ein Trauma geht.
Und noch eine Frage: Kann man sich selbst traumatisieren in dem man sich z.B. in eine Situation begibt, die sich dann als traumatisch erweist? Hm, dann wäre die Situation traumatisch, auch wenn sie selbst herbeigeführt wurde, oder? Wobei SVV retraumatisierend ist, als Symptom, nicht als Ursache. Uff. Kann man sich selbst traumatisieren?
Ich denke für das Trauma brauchst du irgendeinen Auslöser. Es muss nichts dramatisches sein. Oft genug reicht auch eine Kleinigkeit die in die Lebensweise der jeweiligen Person einfach nicht passt.
Der Flügelschlag eines Schmetterlings in China kann einen Sturm in Europa auslösen.
So ist es auch mit Persönlichkeitsveränderungen.
Ein unbedachtes Wort in der Jugend, ein nichtiges Ereignis, das für sich genommen und in den Augen aller anderen unbedeutend ist, können später große Auswirkungen haben.
Wir brauchen uns nur selbst anzusehen. (Es muss ja nicht immer eine Persönlichkeitsveränderung im Negativen sein) Aber wir verändern uns alle. Keiner ist mehr der, der er früher einmal war. Wenn ich zurückdenke, wie ich als Kind war. So kommt es mir vor als denke ich an einen Menschen mit dem ich zwar viel gemeinsam habe aber von dem ich mich auch sehr unterscheide. Und ich kenne viele Ereignisse, die mich so werden liesen, wie ich heute bin und ich halte sie nicht für besonders bedeutend für die Augen anderer.
Dinge die man tut können einen genauso verändern, wie Dinge die man nicht tut.
Ich hab in der zweiten Klasse mal einem Mädchen nen Arschtritt gegeben. Bis heute tut´s mir leid und ich glaube, bis auf ganz wenige Ausnahmen hab ich nie mehr die Hand gegen jemanden erhoben.
Später einmal (ich glaube sechste oder siebte Klasse)war ich bei einem Mitschüler zuhause. Da waren wir auf dessen Balkon wir eine entkräftete Wespe entdeckten, die umher trapste. Mein damaliger Kammrad nahm sein Feuerzeug und traktierte das Tier damit. Noch heute kann ich das Bersten des Chitinpanzers hören und die ganzen anderen Geräusche, die in meinen Erinnerungen hellen Schreien glichen.
Wenn ich an früher denke, da hat mich meine Oma mit ner Schüssel Salz losgeschickt auf Schneckenjagd. Das fand ich zwar dann später und vor diesem Ereignis auch schon schlimm (und es ist sehr grausam) doch nach dieser Wespe hab ich kaum noch ein Insekt getötet. Da musste mich eine Fliege schon sehr nerven, bis ich mich wehre. Und vor ein paar Wochen erst hab ich eine Weinbergschnecke über die Straße getragen, da ich nicht wollte, dass sie überfahren wird. Mal schauen, wo das noch hinführt.
Aber es geht auch in die andere Richtung. Ich war früher wesentlich Idealistischer, da hab ich vieles verloren. Von der Gesellschaft zurechtgeschliffen.
Auch das waren für sich genommen Kleinigkeiten aber so wie sich der Fluss in Jahrtausenden sein Bett in den Fels gräbt so bestimmen die kleinen Ereignisse unser Leben und vermutlich mehr als die großen.
Der Weg zum Beispiel könnte sein:
Fröhlicher ausgeglichener Mann wird arbeitslos => freut sich über die Abfindung. Hat seinen Job eh nicht gemocht / schickt Bewerbungen los, wird abgelehnt => erster Frust macht sich breit. Freundin tröstet ihn. Sie gehen ins Kino. Ablenkung / Weitere Ablehnungen=> Mann wird demoralisiert/ dann eine Zusage => Hoffnung macht sich breit/ Erste Euphorie weicht Ernüchterung, man muss sich seinen Platz erst wieder erarbeiten/ Mann versagt und wird nach zwei Wochen gefeuert => Wechsel von Erfolg und Misserfolg/ Das Spiel mit den Bewerbungen fängt von neuen an => Mann ist gereizt / Geld wird knapp => Einschränkungen im Leben folgen / Man kann nicht mehr soviel Unternehmen => Freunde wenden sich ab=> Trauert ihnen und seinem alten Leben hinterher und ist dennoch froh darüber diese Freunde losgeworden zu sein/ Andere Freunde unterstützen => Mischung aus Dankbarkeit und Kontrollverlust / Licht geht nicht, Strom wurde abgestellt=> Eine weitere Demütigung / Freundin beschwichtigt.Mann ist sauer und schubst sie weg um ins Schlafzimmer zu gehen um allein zu sein => Erster tätlicher übergriff (erste Grenzüberschreitung)/ Mann sieht keinen Sinn mehr in Bewerbungen schreiben => Trotzfase / Freundin die ihm den Rücken stärkt kann ihn zwar verstehen aber andererseits auch nicht => Mann wird immer mehr zur Doppelbelastung. Nicht nur das er nichts tut er schafft, auch noch arbeit=> die Reibungspunkte werden mehr/Schlüsselereignis Nach einem Streit verlässt der Mann das Haus. Am Supermarkt sieht er eine Frau, die sich zu schwere Tüten ans Rad gehängt hat und ins Straucheln gerät. Er hilft ihr beim Aufsammeln der Einkäufe=> In ihm breitet sich das gute Gefühl aus etwas Richtiges getan zu haben / Als die Frau sich bedankt und wegfährt sieht er das ihr Portmonee noch im Dreck liegt/ als er ihn aufhebt entdeckt er das sich darin ca. 200 Euro befinden => Gewissenskonflikt (Es ist falsch es zu nehmen aber er braucht es) Weitere Grenzüberschreitung / Mann geht heim. Frau frägt ihn vorwurfsvoll, wo er war.=> Mann noch im Gewissenskonflickt gefangen. Wütend über sich selbst und das er darüber ernsthaft nachdenkt, ob er das Geld behalten soll oder nicht ist von der Situation überfordert./ Die Wut über sich projiziert er auf die vorwurfsvolle Art seiner Freundin. Er schubst sie weg. Sie hält ihn am T-Shirt zurück. Mann schlägt zu. Es ist leicht. Es leicht es tut ihm Leid. Es ist dennoch das erste mal. => Weitere Grenzüberschreitung
Ich hab jetzt mal den Alkohol außen vor gelassen, den ich denke, man braucht ihn nicht und es gaukelt einem nur das Bild vor man könne nur mit Alkohol abstürzen. Wichtig finde ich auch den Wechsel von Erfolg und Misserfolg. Das Leben geht nicht nur in eine Richtung. Und es ist zermürbender wenn sich diese Ereignisse abwechseln.
Ich vergleich´s mal mit ner Schlagbohrmaschine. Ohne Schlag, müht man sich ganz schön ab um ein Loch in die Wand zu bekommen mit Schlag, gehts wie durch Butter.
Danke für die Antworten. Josef, danke für deine Ausführungen. Es geht mir nicht um ein Trauma, bzw. die Entstehung eines Traumas, sondern um die Veränderungen eines Menschen, der beginnt zu morden. Das entsteht aus bestimmten Ereignissen eher nach dem Motto: Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht. Mein Protagonist erlebt die Kette der Ereignisse nicht als Trauma. Das beginnt erst mit den Morden und damit beginnt auch die Veränderung. Darum geht es mir. Die Rückwirkung der ausgeübten Gewalt.
Euer Input hat mir ein Fädchen in die Hände gespielt, an dem ich vorsichtig ziehe. Bin gespannt, welche Ideen dranhängen. Danke!
Dieses Thema ist zwar schon eine Weile her, aber ich hätte da auch noch meine 2 Pfennig.
Du suchtest etwas, was einen Erwachsenen verändert, so dass er gewalttätig wird?
Da ich auf einer Gerontopsychiatrischen Station arbeite, hätte ich dir etwas, was kein Trauma voraussetzt.
Es ist eine Demenzform und nennt sich ‘frontotemporale’ - siehe auch de.wikipedia.org - dabei verändert sich der vordere Teil des Gehirns.
Es kann schleichend gehen oder auch schneller, es kann jüngere aber auch ältere Erwachsene erwischen (wir hatten mal eine unter 50jährige damit). Das Wesen ändert sich, und sie haben sich einfach nicht mehr im Griff, das betrifft sowohl die sexuelle als auch die gewalttätige Richtung. Ist es weiter fortgeschritten erinnern sich die Leute auch nicht mehr an das was eben war (Erinnerungsspanne bis unter 5 Minuten).
Das Pflegepersonal weiß, dass es bei solch einer Diagnose extrem vorsichtig sein muss, einfach weil es sein kann, dass so ein Patient quasi aus dem ‘heiteren Himmel’ zuschlägt. Sie tun diese Dinge aus dem Affekt heraus und für Aussenstehende nicht unbedingt nachvollziehbar. Ein Beispiel, er/sie putzt sich gerade die Zähne und die Pflegeperson steht neben ihm/ihr, plötzlich holt er/sie aus und schlägt so zu, dass die Pflegeperson noch wochenlang mit einem Veilchen herumläuft.
Dass die Umwelt dann vorsichtiger wird, ist klar… aber ich glaube es war dir mehr um die Auswirkungen die es auf die Person selbst hat. Nun, so lange sie es noch mitbekommt, hat sie Angst vor den eigenen Ausrasten, weiß nicht wie damit umgehen, lebt eher die sexuelle Ungehemmtheit aus und genießt dies (oft mit den Folgen einer oder mehrerer Scheidungen), es kann aber auch in das Extrem umschlagen, dass sie sich nicht mehr vor die Tür trauen, aus Angst, dort jemanden zu verletzen.
Ich weiß nicht, ob dir das jetzt noch was bringt. Aber sagen wollte ich es
nyrianne, das ist klingt ja wirklich interessant. In der Wiki kam mir gleich Ludwig II in den Sinn, der im Artikel dann auch genannt wird.
Ich stelle mir gerade vor, wie stark diese Krankheit unsere Lebenswelt verändern kann. Privat oder beruflich, im Kontakt zu unseren Mitmenschen, Geschäftspartnern, Politiker, Staatsoberhäupter, Diktatoren.
solche anfängliche Teildemenzen beeinträchtigen auch die Möglichkeit des Betroffenen, einigermaßen adäquat mit dem etwaigen Mord umzugehen, wobei mir persönlich keine Fälle bekannt sind, die infolge der Pick-Erkrankung zu einem Mord geführt hätten. Direkte Erfahrungen damit hatte ich während der Berufsausübung kaum. Ich kenne sie hauptsächlich vom Studium und der Fachliteratur.
Tötungen können im Rausch, im Krieg, unter schwersten psychischen Belastungen, in Notwehr, etc. erfolgen, sind jedoch keineswegs ein Mord oder Morde.
Ich knüpfe an die Äußerungen des Kollegen Martin Conrath: Ein Mord, solche Art von Gewalt fällt einfach NICHT vom Himmel. Mir nicht bekannt. Weder beim Studium, noch in der Praxis, noch in der Fachliteratur. Die Weichen müssen schon in der Kindheit in einem ersten Schub gestellt worden sein, zusätzlich eventuell in manchen Fällen genetisch und epigenetisch.
Keine Abfolge von Streitigkeiten, Arbeitslosigkeit, Deklassierungen und Verlusten führt sonst zu einem Mord.
Außerhalb meines Faches, bei der Polizei, zitiere ich die Bemerkungen des sehr professionellen und erfahrenen Ersten Kriminalhauptkommissars Metzger aus Karlsruhe:
"ZEITmagazin: Man sagt, dass das Böse in uns allen wohnt, dass jeder zum Mörder werden kann. Sehen Sie das auch so?
Metzger: Das würde ich so nicht unterschreiben. Es ist ein sehr weiter Weg dahin. Ich würde es so formulieren: Es soll sich niemand zu sicher sein, dass ihm nicht etwas widerfahren wird, mit dem er als Mensch nicht mehr klarkommt und eine Reaktion zeigt, die so ausfällt, wie er es nie für möglich gehalten hätte. Dazu kann auch gehören, dass man zuschlägt. Oder kurz die Kontrolle verliert."