Mehr als zwanzig Jahre hab ich kein Fantasybuch mehr gelesen. Und nach Terry Pratchett wusste ich: Das Niveau kriegst du nie hin. Also ließ ich es auch. Aber dann musste ich ja meinen Senf zum Thread von @Conny1 dazugeben. Und @Tapio sowie @michel den ihren zu meinem. So, und jetzt seht, was dabei herausgekommen ist: eine ganze Szene, bei der ich unheimlich Lust bekommen habe, mal in diese Richtung weiter zu fabulieren. Vielleicht sogar zu zweit, wenn sich wer findet hier unter euch Profis in diesem Genre. Vielleicht aber sollte ich es aber auch wieder bleiben lassen. Was meint ihr?
Ich bin ein Schreiber. Das ist kein besonders aufregender Beruf wie Wachmann oder Jäger und auch nicht so einträglich wie Kaufmann oder Stadtrat, aber es reicht drei Kinder, zwei Katzen und eine Frau zu erhalten. Das liegt auch daran, dass diese Fähigkeit in unserer Stadt nicht allzu sehr verbreitet ist. Nur wenige hatten das Glück, (oder ist es Pech?), eine Bildung zu erhalten, die über das Notwendige hinausgeht. Einen Tisch zu machen etwa oder ein Fenster einzuglasen, einen Laden zu führen, ein Schwein zu schlachten oder Leder zu gerben.
Ich aber hatte dieses Glück. Oder Pech. Es war mein Vater, der mir Lesen und Schreiben beibrachte. Er war der Stadtschreiber und Chronist, damals vor dem großen Umbruch, der ihm nicht nur den Beruf, sondern auch das Leben kostete. Und dass ich noch immer schreiben kann, nein, besser darf, trotz dessen, was mein Vater tat – angeblich tat! – ist ebenso ein Glück. Oder sollte ich hier von Gnade sprechen, wie unser Stadtvogt? Ich weiß es nicht. Ich glaube, es war eher der Notwendigkeit geschuldet, die auch der Senat sah, dass da Menschen seien, die Schreiben können und diese Kunst dem einfachen Volke zur Verfügung stellen.
Gleichwohl das, was ich schreiben darf, sei es im Auftrag meiner Klientel oder aus eigenen Stücken, streng begrenzt ist und stets vom Zensor kontrolliert wird. Sei’s drum. Ich mische mich nicht ein in die Niederungen der Politik, das Schicksal meines Vaters ist mir Lehre und Mahnung zugleich. Oder sollte ich, um der Wahrheit willen sagen: »Mischte ich mich bislang nicht ein«?
Nein, ich bin nur Schreiber, das ist kein aufregender Beruf. War es nie, zumindest nicht dort, wo ich jeden Morgen, nach dem Frühstück mit einem Stoß Papier, Tinte und dem Federkiel meines Vaters – das Einzige, das mir von ihm verblieb – hingehe: der Korbflechtergasse am Markt. Dort setze ich mich vor des Küfers Haus an ein altes Weinfass und harre der Kundschaft, die sich von mir Briefe und Eingaben an die Ämter der Stadt, selten auch Berichte schreiben lässt. Damit, dass eines Tages, kurz nach der Sommersonnenwende ein Fremder kam, den kein Bürger je gesehen hatte, und mir einen dicken Batzen Geld bot, um seine Geschichte aufzuschreiben, konnte ich nicht rechnen. Auch nicht mit dem Inhalt dieser Geschichte. Und schon gar nicht, mit dem, was dann folgte.
»Du bist ein Schreiber?«, sprach er mich an. Und trotz dass er auf seinem Pferd saß, einer falben Stute, die mich ansah, als sei in ihr eine verwunschene Rachegöttin versteckt, wirkte seine Rede nicht von oben herab, sondern so, als stünde er direkt neben mir, auf gleicher Augenhöhe.
»Ja, Herr«, antwortete ich, »ich bin der Schreiber dieses Viertels. Aber gern auch sonst noch jederzeit und jedermann zu Diensten!«
»Soso, jederzeit?«, bemerkte er und sein Mund hinter dem kurzen grauen Bart lächelte spöttisch, »Und jedermann auch noch dazu?« Er war nun abgestiegen und zu mir getreten. »Nun, wenn du so schreibst, wie du sprichst, dann hat der Zensor bei dir viel zu tun.«
Ich konnte nicht verhindern, dass ich errötete, murmelte eine Entschuldigung und blickte beschämt zu Boden, er aber blieb weiter freundlich und einem Geschäft nicht abgeneigt. Stumm und noch immer lächelnd sah er mich an, als wollte er mich prüfen, ob ich seiner würdig war. Oder, als ob er etwas sah, wiedererkannte, das ihn einst belustigte oder erfreute.
Aber auch ich konnte ihn mir nun näher ansehen. Sechs Fuß groß, von hagerer Gestalt und mit dem Gesicht eines Mannes, der mehr Nächte unter freiem Himmel als in einem Bett verbracht hatte, verrieten die Narben auf seinem Armen, dass auch er am großen Umbruch beteiligt gewesen war. Auf welcher Seite er wohl gekämpft hatte? Wie alt mochte er sein? Fünfzig Winter oder sechzig gar? Schwer zu schätzen.
»Ist das Euer Pferd, Fremder?« Die Wache, Nun das war zu erwarten.
Langsam drehte sich mein neuer Kunde zu den Bütteln um.
»Ja, ist es. Hat es auf eure schöne Straße hingeschissen?«
Entweder war er verrückt oder überaus selbstbewusst. Eher Letzteres, denn die Wache reagierte nicht auf die Provokation, vielleicht auch wegen des Langschwerts, das in einer ledernen Scheide an seinem Rücken hing.
»Es ist wegen der Armbrust an Eurem Sattel«, erklärte einer der Büttel, »In der Stadt sind Schusswaffen verboten!«
»Ebenso wie Klingen länger als eine Elle«, fügt der Zweite hinzu.
»Es sei denn man hat eine Genehmigung dafür, stimmts?«, sagte der Fremde.
»Habt Ihr eine solche?«
»Noch nicht. Ich bin dabei einen Antrag dazu stellen zu lassen, von diesem guten Mann hier!« Ich wusste nicht, ob ich über diese Werbung erfreut sein sollte. Und auch den Bütteln schien es nicht zu genügen.
»Euren Pass, Fremder!«, forderte der Jüngere der beiden.
Der Angesprochene zögerte einen Moment, als müsste er überlegen, ob er dem Befehl Folge leisten wolle, doch dann griff er in sein ledernes Wams und zog ein Bündel Papiere hervor. Eines davon nahm er und hielt es dem Fragesteller hin.
Der Büttel nahm es, tat einen Blick darauf und es war offenkundig, dass auch er nicht lesen konnte. Er hielt es seinem älteren Kollegen hin. Der konnte lesen und das, was er las, ließ ihn erblassen. Er faltete das Blatt und gab es dem Fremden mit gesenktem Kopf zurück.
»Verzeiht mein Herr«, stotterte er, »wir tun nur unsre Pflicht.«
»Daran hege ich nicht den geringsten Zweifel«, sagte der Angesprochene und steckte den Pass zu seinen anderen Papieren .
»Nun denn, Fremder. Zwei Glockenschläge nach Mittag in der Präfektur. Mit der Genehmigung des Magistrats oder den Waffen!«, kam es halbgar von dem Jüngeren. Sein Kamerad zog ihn zurück und schubste ihn, mit einem scheuen Blick an meinen Kunden, unsanft von uns weg.
Der Fremde tippte grüßend an seine Stirn und die Büttel zogen ab. Dann wandte er sich wieder mir zu. »Wohl an, Meister des Wortes, wir wollen die Herren nicht allzu lange warten lassen.«
Ich setzte mich an mein Fass, nahm ein Blatt Papier und schrieb den Antrag. Ein leichtes Unterfangen, kaum drei Zeilen lang. »Euren Namen noch«, verlangte ich, als ich fertig war.
»Gebhart Stahl« antwortete er. Ich setzte den Namen unter das Schreiben. Woher kannte ich diesen Namen? Wie ein Schatten tauchte er in meiner Erinnerung auf, ein Schemen, das gleich wieder verschwand und dennoch irgendwie blieb.
Ich drehte das Blatt um. »Nun eure Unterschrift, Herr. Auch ein Fingerabdruck würde reichen!«
Er sah mich kopfschüttelnd und mit seltsamen Blick an. Dann nahm er meinen Kiel und setzte sein Zeichen darunter – eine Elbenrune, wie ich sie zuletzt vor fünfzehn Sommern sah.
»Zwei Schilling, wenn es recht ist«, nannte ich meinen Preis.
Er warf einen Silbertaler auf das Fass.
»Ich kann euch kein Wechselgeld geben«, sagte ich, »Nicht auf diese Summe!«
»Dann lass es gut sein so!«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Herr, das ist viel zu viel. Zudem: Die Preise sind vom Magistrat bestimmt. Der Wucher wird hier streng bestraft!«
»Der Wucher also«, sagte er, noch immer sein spöttisches Lächeln im Gesicht. »Soso. Dann sieh das als Anzahlung für einen größeren Auftrag an.«
»Was für einen Auftrag?«, rutschte es aus mir heraus.
»Den Auftrag, mein Leben zu schreiben.«
Sein Leben zu schreiben? Was hieß das denn nun? Ich war ein öffentlicher Schreiber, kein Biograph, die standen alle im Sold des Magistrats. Ich sagte ihm das, doch wieder dieses Lächeln. »Ich suche keinen Biographen!«
Ich verstand kein Wort, Narr, der ich damals war und heut noch immer bin. Aber hätte ich eine Wahl gehabt? Vielleicht, ich weiß es nicht.
»Noch einmal neunundneunzig Silbertaler warten auf dich, heut abend, im Krug zum roten Troll!«
»Den gibt es nicht mehr, Herr. Die Farbe Rot darf keiner heut zu tag erwähnen. Jetzt heißt das Wirtshaus ›Krug zum blauen Helden‹.«
Er verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. »Dann eben dort, schlag sechs. Ich werde auf dich warten, Matthäi!«
Dann wandte er sich zum Gehen, doch ich rief ihm noch mal zu: »Woher wisst Ihr meinen Namen? Ich habe ihn Euch nicht gesagt!«
Er blieb stehen, drehte sich um und sein Lächeln war verschwunden. »Du nicht, mein Freund«, sagte er, »Dein Vater wohl.«
Dann stieg er auf sein Pferd und verschwand aus der Korbflechtergasse.