Eine Urlaubskarte ohne Foto
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Autor auf Urlaub
Wie sieht eigentlich ein Urlaub für einen Autor aus? Geht er auf Reisen und lässt dabei die Arbeit am aktuellen Text hinter sich, vernachlässigt die offenen Fragen in seiner Geschichte, gönnt dem Laptop eine Auszeit? Packt Badesachen in den Koffer? Träumt von einer angenehmen Flugreise und 14 Tagen ohne Nervereien durch ungeduldige Figuren, die endlich in den Vordergrund rücken möchten anstatt als Nebencharakter herumzudümpeln? Wie schön wäre es doch, wenigstens einmal im Jahr zur Ruhe zu kommen. Dieses Mal klappt es. Ganz bestimmt.
Eben noch schnell die Datei sichern, zuvor kurz die Szene überfliegen, an der zuletzt gearbeitet wurde und stopp! Was um Himmels willen ist das denn? Idealerwohnziweise? Wie kommt dieses absurde Wort in den fehlerfreien Entwurf? Das muss unbedingt untersucht werden. Der Flieger geht erst in 4 Stunden, bis zum Flughafen sind es nur 30 Minuten. Also kein Grund zur Eile. Kurz umschreiben. Passt nicht. Der komplette Absatz ist sperrig. Egal. Das vorwitzige Wort, das niemand, aber auch wirklich niemand, in den Text eingefügt hat, kann warten. Bis zum Ende des Urlaubs. Der Autor möchte schließlich entspannen.
Innere Unruhe macht sich breit, verdrängt den Urlaubsgedanken, zwingt den Autor, den Laptop doch in die Tasche zu packen. Obenauf. Die Badesachen müssen eben etwas Platz machen. Kann ihnen ja egal sein. Sie bekommen im Gegensatz zum Lieblingshemd, das auf seinen Einsatz in einer exotischen Disko wartet, keine Falten. Nun aber los.
Idealerwohnziweise. Die Buchstaben hämmern im Kopf des Autors. Er bestellt beim Servicepersonal von Flug QT38QS ein Glas Wasser und eine Kopfschmerztablette. Der Flug verläuft ruhig. Für den Piloten. Und alle anderen. Nicht jedoch für den Autor. Was hat es nur mit der seltsamen Vokabel auf sich?
«Fliegen Sie das erste Mal?»
«Äh, wie bitte? Nein. Wieso?»
«Sie sind so blass. Hilft das Wasser nicht? Also nicht, dass ich mich einmischen will. Aber wenn Sie mich fragen …»
Die Sitznachbarin ist furchtbar, ebenso schlimm wie das komische Wort und die noch komischeren Figuren, die in der Geschichte eigentlich nichts zu suchen haben und permanent stören, das Unterbewusstsein traktieren, auf den Nerven surfen.
Urlaub! Warum ist das blöde Ding mit dem Textverarbeitungsprogramm im Koffer gelandet? Wer es eingepackt hat, bleibt ein ebenso großes Rätsel wie dieses eigenartige Wort. Der Autor lässt sich nicht beirren. Er ist schließlich der Herr über seine Geschichte. Ebenso über sein Gepäckstück. Er entscheidet, wann und wo er Urlaub macht. Also lässt er den Koffer einfach zurück. Auf dem Gepäckband. Auf keinen Fall! Die Tyrannei des Textes darf unter keinen Umständen Einfluss auf ein bisschen Entspannung nehmen. Der Autor nimmt den Koffer an sich. Auf dem Weg zum Hotel plagen ihn wieder diese Kopfschmerzen.
Er checkt ein, vernichtet kurze Zeit später die alkoholfreien Getränke aus der Minibar, öffnet den Koffer, befreit den Laptop aus seinem Gefängnis, hängt sein Lieblingshemd liebevoll in den abgenutzten Schrank, legt sich auf das Bett mit der viel zu weichen Matratze, nimmt den Rechner, startet die Software, markiert den kompletten Text, drückt auf ENTF und … hat endlich Urlaub!
In 14 Tagen wird er das Backup laden, das zu Hause auf der Festplatte wartet.