Fakten und Fiktion

Ich frage mich gerade, wie man (ihr) es mit euren „Aussagen / Behauptungen“ in euren Büchern haltet.
Zunächst kann man in einem Roman ja alles behaupten, solange es nicht die Rechte von Personen oder
Unternehmen berührt oder verletzt. Mir geht es in erster Linie um historische Fakten. In einem reinen Roman ohne Bezug zu Geschichte unterliege ich keinen Einschränkungen (IMHO). Ich muss nichts
beweisen oder belegen.

Hier soll es nur um historische Tatsachen gehen.
Ist es einfacher / besser / sinnvoller, wenn man etwas schreibt, das historisch belegt, aber wenig
beachtet oder dokumentiert ist, d. h. der Leser kann nur mit erheblichem Aufwand die echten
Hintergründe recherchieren?
Ist es einfacher / besser / sinnvoller, wenn man etwas schreibt, das historisch belegt und gut
dokumentiert ist, d. h. der Leser kann ohne großen Aufwand die Hintergründe herausfinden?

Gut, wenn ein historisches „Ereignis“ in einem Roman völlig frei erfunden ist, habe ich diesbezüglich
keine großen Einschränkungen. Aber wo liegen die Grenzen dessen, was man behaupten kann und was nicht?

Um es etwas klarer auszudrücken - mir geht es um eine historische Tatsache, die gut dokumentiert ist,
für die Handlung meines aktuellen Projekts aber noch nicht lange zurück liegt und somit zeitmäßig
nicht in die Handlung passt. Kann ich ein sehr ähnliches Ereignis frei erfinden, so dass es zeitlich passt?

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In meinen Erstling „Yuko, die Purpurlilie“ habe ich mit Absicht eine schlecht dokumentierte Zeit des japanischen Mittelalters gewählt (Zeit der streitene Reiche) da ich einen Kriegsfürsten und seinen Einflussbereich erfand. Mir war aber wichtig, dass es so gewesen sein könnte, daher war der Rest vom Setting gut recherchiert (wie sehen japanische Dörfer und ihre Behausung aus, wie wird der Tag verbracht, wie denken Dorfbewohner, Handwerk)
Betitelt habe ich es als „Historische Fiction“ und in diesem Augenblick kannst du dir etwas ausdenken.

Manche erfolgreiche Autoren haben sich komplette Fakten über historische Personen ausgedacht und kamen damit durch (z.b Die Vermessung der Welt) davon bin ich nicht uneingeschränkt Fan. Aber je länger es her ist, desto milder sehe ich es. (Z.b wie war Alexander der Große? Niemand weiß es.)

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Im letzten Buch war es nötig überhaupt zu recherchieren. Davor war alles Erfahrungsschatz.

Es ging da um die Stufenpyramide aus Sakkara und ich habe viel drüber gelesen. Google hat sogar eine Doktorarbeit ausgeworfen, wo untersucht wurde, wie Pyramiden gebaut wurden.
Das Wissen habe ich dann verarbeitet und Details so zurechtgebogen, dass zu meinem Plott passt. Wenn der Leser mit dem Buch durch ist, wird er wissen, warum die beiden B- förmigen Steingebilde auf dem Tempelplatz erbaut wurden. Ich verstehe gar nicht, warum kein Forscher das bisher gesehen hat, es ist klar wie Kloßbrühe.
Meriamun rockt die Pyramidenbaustelle und erfindet nebenher das Sandwich.

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Danke, das hilft ein Stück weiter.
Ich denke, man kann das auch in einem Setting verarbeiten, das zum Teil in der Gegenwart angesiedelt ist und in dem die gegenwärtigen Protagonisten zum Teil tief in die Geschichte eintauchen und dort auf erfundene Dinge stoßen, die historisch nicht einmal erwähnt werden sondern sich so zugetragen haben könnten.

Genau das ist mir in meinem Roman immer wieder passiert. Wie die Stalinisten ihre anarchistischen und trotzkistischen Kameraden im spanischen Bürgerkrieg denunziierten, wie NSDAP-Miglieder in SP-Regierungen integriert wurden, was mit den ukrainischen Zwangsarbeiterinnen nach 1945 passierte, wie sich Österreich in den 1960ern als Hitlers erstes Opfer inszenierte (selbst aber viele Kriegsverbrecher stellte), das alles ist seit langem gut dokumentiert und in Zeiten des Internets für jeden abrufbar.
Ich habe einen Roman geschrieben, in dem dies (auch) Thema ist, aber kein Geschichtsbuch. Die historischen Daten dazu sind penibel recherchiert und abrufbar. Wissen wollen muss man das aber schon selbst.
ZB erwähne ich einmal in einem Halbsatz die sog. Borodajkewycz-Affäre, einen Wendepunkt im österreichischen Geschichtsbewusstsein. Das muss niemand wissen, den nur die vordergründige Kriminalgeschichte meines Romans interessiert. Wers aber wissen will, findet das auch mit der Suchmaschine seines Vertrauens. Kann man machen, muss man aber nicht. Zu sagen, wir hätten nichts gewusst, geht aber gar nicht. Hinsichtlich mancher Fakten besteht auch eine Holschuld seitens der Lesenden, nicht nur eine Bringschuld der Schreibenden.

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Ich würde sagen, die Grenze ist, ob der Leser sich veräppelt fühlt oder nicht.
Wenn dem Leser von Anfang an klar ist, dass es sich um erfundene Ereignisse handelt, kommt er sicher gerne mit auf die Fantasiereise. Wenn der Leser den historischen Roman oder den Regionalroman gekauft hat, um auf unterhaltsame Art etwas über die Epoche oder die Region zu lernen, fühlt er sich veräppelt, wenn die geschichtlichen oder geographischen Informationen gar nicht stimmen.

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kannte ich noch nicht, das ist ein sehr interessanter Blick zum südlichen Nachbarn. Ansonsten kann ich die Aussagen zum eigentlichen Thema von @Gschichtldrucker unterstreichen. Ein Roman mit historischen Bezügen ist kein Lehrbuch und muss die Dinge, die angesprochen werden, nicht durcherklären. Aber meiner Meinung nach sollte der Autor / die Autorin trotzdem gründlich recherchieren, statt zu erfinden oder zu verschieben. Ausnahme ist für mich, dass der Roman als kontrafaktisch erkennbar ist, durch Genre, Ansatz, Stil etc. Die Vermessung der Welt beginnt z. B. recht satirisch (der große Gauß versteckt sich im Bett). Da finde ich es ok - viele andere völlig zurecht aber auch nicht.

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Nun, die geschichtlichen und geografischen Informationen stimmen in jedem Fall, was ich im Sinn habe, ist, einige Ereignisse, die so wie sie gewesen sind, nicht in eine andere Zeit zu transportieren, sondern davon auszugehen, dass sich etwas ähnliches auch schon zu anderen Zeiten ereignet haben könnte.

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Witzig ist es auch, wenn Fakten überraschend stimmen :stuck_out_tongue:

Ich las mal einen W. Hohlbein (Chroniken der Unsterblichen - Band … hm 4 vielleicht) Dort belagerte das osmanische Reich Wien. (Kulisse)
Der Held kämpft in irgendwelchen Katakomben gegen Vampirdiener und löst eine Explosion an der Stadtmauer aus, welche einen Vorstoß der Osmanen verhindert. (Begleiteffekt)

Ich dachte damals - das kann er doch nicht machen, sowas wüsste man doch! Ein bisschen Recherche später → es hat diese Explosionen an der Stadtmauer tatsächlich gegegeben. Das fand ich natürlich wieder witzig :stuck_out_tongue:

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Hi,

ich hab vor kurzem etwas am Flughafen recherchiert, am Infoschalter.
Spoiler: Es kam sofort die Polizei :innocent:

Delikt?

Fragen bezüglich der Mitnahme eines eigenen Sauerstoffgeräts; wurden beantwortet.

Ende vom Lied?

Ich entscheide mich bewusst dafür, in meinem Roman zu flunkern.

Aber: Spricht mich jemand auf die Szene an, so weiß ich durch die Recherche, wie es eigentlich abläuft.

All in all kommt es zum großen Teil auf das Genre an, ob alles stimmen soll/muss.

Vielleicht scherst du aber als Autor aus und das ist dann dein Wiedererkennungswert, deine Handschrift oder so. Die Frage wäre, ob Leser da mitgehen, oder, wer weiß, es sogar besonders finden?

Ich meine, es ist grundsätzlich nicht verkehrt, wenn man als Autor/in weiß, was man da fabriziert, sich ein wenig auskennt.

Will sagen, du kannst alles machen, jede Regel brechen, so dir das bewusst ist und du bestenfalls weißt, wie man es eigentlich machen würde.

Das dachte ich früher auch. Aber nö, kann man nicht, habe ich inzwischen bei einem Profi gelernt. Außer? Wenn es gelingt absolut glaubwürdig zu klingen. Den Leser gekonnt aufs Glatteis zu führen.

Behaupten kannst du beispielsweise prima in einem Märchen, einer Fabel oder Satire. :dizzy:

Robert Harris bei der Recherche zu Vaterland: „Halt doch mal eben mein Bier…“

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Ich hatte in meiner Schulzeit (bevor man jede Information im Internet finden konnte) für den Deutsch-Leistungskurs in einer Apotheke gefragt, wie viel Veronal für Arthur Schnitzlers Fräulein Else tödlich gewesen wäre. Sie dachten, ich würde Suizid begehen wollen! Der Apotheker kannte das Buch nicht, ich hatte das Buch auf meinem Ausflug in die Innenstadt nicht dabei, das wurde ein schwieriges Verhör. :laughing:

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Ichbin am Tag nach dem 11.9. geflogen. Weil och eine Blase an der Ferse hatte und so „komisch“ gelaufen bin, wurde ich zur Exteakontrolle gebten. Immerhin: Nach der Leibesvisitation hatte ich eine Gratisversorgung der offenen Blase.

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Hmm, man könnte eine beliebige Behauptung - wenn es nicht anders geht - in die wörtliche Rede eines Protas einbauen. Dann wäre es die Meinung/Ansicht dieses Protas. In dem Fall kann ich alles behaupten. Uach wenn es widerlegt würde.

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Na da waren doch aufmerksame Leute am Werk :innocent: :sweat_smile:

Jawoll - geht doch. Super Service. :sweat_smile:

Exakt! Gutes Beispiel. :+1:

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Achtung, das ist eine Laienmeinung!

Der Autor darf das. Warum? Weil er der Autor ist. Er darf lügen, bis sich die Balken biegen.

Zwei Beispiele: Im Film Inglorious Basterds werden am Ende in einem Kino die meisten Nazigrößen gleichzeitig mit dem Führer gegrillt. Hat es so stattgefunden? Nein. Warum hat Tarrantino es trotzdem so geschrieben? Weil er es konnte. Er ist der Autor, er darf das.
Robert Menasse hat in seinem Buch Die Hauptstadt einen EU-Politiker eine wichtige Rede halten lassen. Der Politiker war echt, die Rede nicht. Er hat sie so nie gehalten. Na und? Es ist scheißegal, denn es ist ein Roman und kein Aufsatz in Geschichte. Aber jetzt kommt der Clou: R. Menasse ist dafür gescholten und geschimpft worden, wie er die Rede verfälscht hat. Ein riesiger Kübel Scheiße wurde über ihm ausgeschüttet. Und warum? Weil ein paar beknackte Journalisten zu blöd waren, zu erkennen, dass man im Roman alles schreiben darf, weil es Fiktion ist. Die Welt verbödet.
Dein Roman ist deine persönliche Pippi-Langstrumpf-Welt, du machst sie dir, wie sie dir gefällt. Die üblichen Sachen darfst du nicht, echte Leute beleidigen und ehrabschneidende Lügen verbreiten.

Der Politiker Kohl von der CDU wachte eines morgens auf und beschloss, grüner Kommunist zu werden … (erlaubt)
Der Politiker Kohl von der CDU begehrte von einem auf den anderen nur noch Kinder … (verboten)

tl/dr Du darfst fast alles schreiben.

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Er hat sogar einen Roman zu once upon a time in Hollywood rausgebracht.
Da wird Sharon Tate eben nicht ermordet.

Ein happy end …

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Ja, kann man vielleicht (auch Laienmeinung), muss man aber nicht. Ich halte es eleganter, tatsächliche historische Personen mit feiner Klinge zu umschreiben, wo immer es geht.
In meinem Roman gibt es eine Szene, in der eine reale Politikerin auftritt, die ich nur mit ihrem Vornamen - Johanna - vorstelle. Im letzten Dialog der Szene lüpfe ich ein wenig den Vorhang:

»Wer war diese Frau?«, fragte ich.
»Die neue Jeanne d’Arc«, antwortete Wotawa knapp.
»Ich meine, ihren echten Namen!«
Er nannte ihn mir. Einige Jahre später kannten ihn alle Frauen Österreichs.

In einer anderen kommt ein Richter vor, von dem ich nicht mal den Vornamen nenne, bloß dass dieser der gleiche wie der eines bekannten Schlagersängers sei. Nur wenige Eingeweihte wissen, wen ich hier meinen könnte - den Präsidenten des Jugendgerichtshofes Udo Jesionek. Und das genügt (mir) dann auch schon.

Ich glaube, dass es in letzter Zeit immer schwieriger geworden ist, solche Anspielungen zu bringen. So hat erst kürzlich das Oberlandesgericht Wien den Kabarettisten Florian Scheuba zu 100 Tagessätzen a 70,- € verurteilt, weil er in einer - als Satire gekennzeichneten! - Kolumne dem Direktor des Bundeskriminalamtes folgenschwere Arbeitsverweigerung und rätselhafte Untätigkeit in der Ibiza-Affäre vorgeworfen hatte und dafür sogar nachvollziehbare Indizien angeführt hatte. Ebenso wurde die Tageszeitung „Der Standard“, in der die Kolumne erschien, zu 10.000 € Schadensersatz verurteilt.

Die Zeiten werden härter, Vorsicht scheint geboten. Aber: Nur wer sich rührt spürt seine Fesseln!

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Zur Zeit reagiere ich besonders empfindlich auf solche Mechanismen - von Post und Feed in den Sozialen Netzwerken, das hängt mit meiner Protagonistin in meinem aktuellen Roman zusammen und den damit verbundenen Recherchen zu authentischer vs. inszenierter Kommunikation.
Die ganzen Post kommen mir zur Zeit wie eine Fabrik für vorgefertigte Meinungen. Menschen kopieren erfolgreiche Formate, ohne zu verstehen, was sie da eigentlich von sich geben.
Authentizität ist mir schon wichtig, wenn es nicht eine Fantasy Geschichte ist.

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Ich habe meine Konten bei den „sozialen“ Medien gelöscht.
In diesen Sumpf geht es nur noch um Selbstdarstellung und gegenseitigem Niederschreien.

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