Ich bin in den letzten Tagen mal wieder zu einem alten Romanprojekt gesprungen, weil mir dazu ein Anfang einfiel, mit dem ich den Leser schon auf der ersten Seite voll ins Chaos werfe und sowas wollte ich schon immer mal tun. Natürlich leidet darunter aber die Charakterentwicklung und das Story-Verständnis usw. Deshalb möchte ich nach den wenigen ersten Seiten an den eigentlichen Anfang zurückspringen. Dafür sehe ich vier Wege:
a) Ich mache einen harten Cut, lasse das Anfangskapitel enden und setze mit Kapitel 2 einfach früher in der Zeit ein und lasse den Leser das durch die Handlung merken.
b) Ich mache einen weichen Cut, leite durch einen Gedanken auf die Zeit zu der die Story anfing hin und gehe dann in Kapitel 2 eben auf diese Zeit
c) Ich lasse den ganzen Rücksprung als Erinnerung laufen. Das Gefällt mir eigentlich ganz gut, hat aber das Problem, dass das für eine Erinnerung eigentlich viel zu lang ist, weil wir den Chaos-Zeitpunkt erst wieder nach einigen Kapitel „erreichen“.
d) Ich setze meine Anfangsszene als „Prolog“ (quasi ein Teaser) vor die chronologische Handlung, die dann schon mit Kapitel 1 beginnt.
Ich tendiere zu (b) bin aber unsicher. Was denkt ihr? Habt ihr noch andere Vorschläge?
Hier mal der konkrete (etwas gekürzte) Übergangstext in der (b) Variante:
… Unwillkürlich fragte sich Mayer, wie er in diese Situation geraten war. Vor kurzem noch hätte er nicht im Traum daran gedacht, dass ihm so etwas je passieren könnte. Doch seit dem Moment vor zwei Wochen am Pier des Marinestützpunkts schien sich alles unausweichlich in diese Richtung entwickelt zu haben …
Kapitel 2: Landratte
Zwei Wochen zuvor in Wilhelmshaven
Alles begann, im strahlenden Sonnenschein.
„Keine Angst“, hatte Jens Backstedt gesagt, als sie zusammen auf der Kaimauer standen und Mayer die graue Wand des festgemachten Kriegsschiffs betrachtete, die vor ihm aufragte. „Wenn Sie erst mal an Bord sind, wird’s garantiert eher langweilig.“
Haha, mag sein. Vielleicht sollte ich das Zielpublikum noch erwähnen: es ist ein maritimer Krimi. Und die Hauptperson wird bereits im ersten Band eingeführt. Man weiß also von Anfang an, wer das ist, was das Problem etwas verkleinert.
In „deiner“ Variante (a) ginge der Textübergang übrigens ungefähr so:
… „Abwehrmaßnahmen erfolglos. Zwei Flugkörper weiterhin im Anflug, Distanz drei Kilometer, Peilung jetzt 70 Grad. Einschlag in zehn Sekunden.“ Man hörte förmlich, wie Lilly die Zähne zusammenbiss. Jetzt hatten auch alle anderen Soldaten in der Operationszentrale irgendwo einen festen Griff gesucht.
Kapitel 2: Landratte
Alles hatte im im strahlenden Sonnenschein am Marinestützpunkt Wilhelmshaven begonnen.
„Keine Angst“, hatte Jens Backstedt gesagt, als sie zusammen an der Pier standen und Mayer die graue Wand des festgemachten Kriegsschiffs betrachtete, die vor ihm aufragte. „Wenn Sie erst mal an Bord sind, wird’s garantiert eher langweilig.“
und wenn wir schon dabei sind, hier noch die Variante (c) „alles nur in der Erinnerung“:
Ob sich in den letzten Momenten vor dem Tod wirklich das ganze Leben nochmal vor dem inneren Auge entrollt oder nicht, Mayer hatte jedenfalls schon immer eine sehr visuelle Vorstellungsgabe und nun versetzte sie ihn zwei Wochen zurück. Zurück zu der Situation, die für all das hier verantwortlich war. „Keine Angst“, hatte Jens Backstedt gesagt, als sie zusammen im strahlenden Sonnenschein auf der Kaimauer standen und Mayer die graue Wand des festgemachten Kriegsschiffs betrachtete, die vor ihm aufragte. „Wenn Sie erst mal an Bord sind, wird’s garantiert eher langweilig…
…
Na Leute, die Klaus-Peter Wolf lesen. Ich will ja niemanden diskriminieren , aber das ist halt nicht das ganz „harte“ Thriller/High-Fantasy/Hard-SciFi Publikum.
pfff… oh Frau… Der hat ein gutes Dutzend sehr bekannte Ostfriesland-Krimis geschrieben. Aber du bestärkst mich gerade in der Annahme, dass deine Einschätzung zu dem, was man dem Leser zumuten kann, vielleicht nicht der des Zielpublikums entspricht, weil du es ja offenbar auch nicht bist (Lies das mal als Lob, wobei ich natürlich meine zukünftigen Leser nicht beschimpfen will… mein Buch wird natürlich viel, viel besser, als die Bestseller von Hr. Wolf. Aber das weiß der Leser ja am Anfang noch nicht )
Ich kenne nur die wirklich sehr unterhaltsamen Filme. Da wechselt regelmäßig die Hauptdarstellerin - auffallende schauspielerische Hochkaräterinnen wie Emmy-Preisträgerin Christiane Paul, die vermutlich keine Serien-Dauerheldin sein wollen.
Zur Frage: warum nicht einfach „Prolog“ und Zeitangabe? Das macht es für den Leser doch am einfachsten?
„Boulevard der Dämmerung“ (Billy Wilder) beginnt damit, dass der Hauptdarsteller leblos im Pool einer Hollywood-VIlla treibt und aus dem Off zu erzählen beginnt …
Persönlich hab ich’s trotzdem nicht so gern, wenn mir wichtige Entwicklungen der Geschichte vorab präsentiert werden. Es gibt ja Leute, die lesen bei einem Buch immer zuerst den Schluss … dazu habe ich nie gezählt.
Ich finde, das ist jedoch ein ganz anderes Thema.
Bei meinem aktuellen Bestatterroman starte ich mit dem Tod einer Person. Im Verlaufe erfährt der Leser wie es dazu gekommen ist. Ab etwa der Mitte erzähle ich linear weiter. Das war mir mal einen Versuch wert.
Ja, so soll es bei mir auch werden. Die Einstiegsszene ist nicht der Schluss des Buches, sondern markiert so ungefähr die Mitte. Der eigentliche Wendepunkt passiert sogar dann erst unmittelbar danach, also wenn die Szene ab da linear fortgesetzt wird.
Finde ich schon. Wenn ich das Ende vorweg nehme, heißt es ja nicht, dass ich nicht trotzdem ein Ende geschrieben habe. Da wäre es doch blöd, wenn jemand vorab meinen letzten Satz liest. Ich - zumindest für meinen Teil - nehme ja nicht das komplette Ende vorweg sondern einen Großteil der endenden Handlung. Eine Überraschung muss es trotzdem zum Schluss geben. Sonst ist es ja langweilig.
Ich finde, es hängt vom Genre ab. Bei Thriller und Krimi finde ich auch a) die schönere Lösung. Hier dreht sich alles um Spannung und Action. Leser sind da eher mit solchen Wendungen vertraut.
Ich habe mal in einem Roman gesehen, dass der Autor vergangene Ereignisse dadurch an Leser:innen bringt, indem sich Figuren über die Vergangenheit unterhalten. Ich weiß nicht, ob das für Krimis ein gangbarer Weg wäre und es hängt auch davon ab, wie lang die Vorgeschichte ist, die du erzählen willst.
Generell mag ich die Variante, den „Big Bang“ an den Anfang zu setzen. Wenn Leser dein Buch in der Buchhandlung aufschlagen, sollen sie ja gleich gefesselt werden. Ein Prolog stört da nur. Daher tendiere ich auch zu a), auch, weil man vielleicht nicht voraussetzen kann, dass alle Leser:innen den ersten Band gelesen haben. Aber alles daraus zu wiederholen ist natürlich auch kappes.
Ich bin ein Gegner dieser Zwei Wochen vorher Geschichten. Die Filme fangen mit Karacho an und dümpeln dann vor sich hin. Die Autoren / Regisseure halten sich für raffiniert, produzieren aber Pseudoaction. Damit kaschieren sie hanebüchene Plots und ihre Unfähigkeit, spannende Stories zu schreiben.
Davon sind die 0,5 Prozent der Geschichten / Filme ausgenommen, bei denen die Zeitsprünge Spannung ergeben. Das versucht man nachzuahmen.
Ja, es ist schwierig, mit dem Alltag anzufangen und später in die Vollen zu gehen. Hier zeigt sich, wer Talent hat. Aber so kann man die Spannung immer ansteigen lassen. Es gibt keinen Absturz oder das Ausbremsen durch längere Rückblenden.
Ich gehöre zu denen die das ende oder den Höhepunkt der Geschichte auf keinen Fall zu erst lesen wollen. Ja, ich habe deswegen schon Bücher abgebrochen.