Entwickeln Romanfiguren ihr Eigenleben?

Heftig! Ich würde aber sagen, wenns so schlimm kommt, hat man im Vorfeld die Figur nicht ausreichend entwickelt. Oder aber, man ist sowieso ein Drauflosschreiber, da kann sowas viel leichter passieren.
Ich gehöre ja auch nicht gerade zu den Plottern, aber sowas hab ich noch nicht erlebt.

Jein. Gerade Sirius hatte für Harry einen besonderen Stellenwert, war ein bisschen der Vaterersatz. Sein Verlust dürfte ihn deshalb ganz besonders gettroffen haben.

Ganz im Gegenteil. In demselben Interview sagt er auf meine Frage: Sind Sie jemand, der einfach drauf los schreibt und seine Ideen dann später sortiert?
Nein. Das funktioniert meines Erachtens nicht. Sie müssen von Anfang an planen, sonst wird das nichts. Ich arbeite nach dem Stufendiagramm, um den Spannungsbogen kontinuierlich aufzubauen. Ich plane die Handlung sehr genau, wobei ich kurze Abschnitte im Detail plotte. Das heißt, ich weiß ziemlich genau, was beispielsweise auf Seite 10 bis 20 passieren wird, wie sich die Seiten 20 bis 40 daran anknüpfen und so weiter. Natürlich weiß ich die konkrete Seitenzahl nicht vorab, aber ich kenne die Größe der Abschnitte mitsamt deren Inhalt. Zusätzlich nutze ich das Schienendiagramm. So stelle ich sicher, dass ich keine Nebenhandlung vergesse und am Ende alle Erzählstränge zusammengeführt werden.

Dann finde ichs doppelt faszinierend; oder er plant nur den Handlungsablauf so akribisch und lässt die Figuren relativ locker draufloslaufen.

Vermutlich. Allerdings schreibt er Krimireihen. Da muss dann schon alles irgendwie zusammenpassen.

Ich bin echt platt! Wie du sehr richtig sagst, beim Krimi muss alles passen, das geht eigentlich nur mit sehr gründlicher Vorherentwicklung aller Faktoren, ganz besonders der Figuren.
Wie da gerade der Mörder plötzlich so total aus seiner Rolle fallen kann … echt ein Phänomen.

1 „Gefällt mir“

Das finde ich zu absolut. Das passt vll. bei dir, bei tausend Anderen halt nicht.
„Eins“ hat keine statische Relevanz.

Wieso bei mir? Das hat Erwin Kohl in einem Interview geäußert. Das ist seine Aussage, nicht meine.

Danke für Eure Antworten.

Besonders gefallen haben mir die Hinweise von den „Spontis“.
Ich kann auch nur so. Wenn ich schreibe, dann weiß ich nicht, was dabei rauskommt. Das führt dann dazu, dass die Figuren ein mehr oder minder bewegtes Eigenleben zeigen.

Ich vermute, es gibt Schriftsteller, die planen ihre Schriften, wie Ingenieure eine Brücke, ein Haus oder einen Hochofen. Machen Pläne, die ihnen Richtschnur und halt geben, für das, was sie sagen werden. Sie wissen, bevor sie beginnen, wie das Endergebnis aussehen wird. Sie füllen ihr Gerüst, wie die Maurer die tragenden Säulen eines Hauses mit Beton füllen. Daran finde ich nichts Falsches. Mir würde das keinen Spass machen.

@Pütchen
Wenn sich JivKa den Protesten ihrer Familie beugt, dann entwickelt sich die Geschichte automatisch anders, als JivKa es vielleicht vorhatte. Womöglich hätte der Tod dieses Protagonisten einen wichtigen Dreh in der Geschichte erzeugt.

In dem hier vorgestellten Fall brauchte ich den Hinweis meiner Testhörer. Hätte ich das Kind „getötet“, so hätte die Geschichte ein vorschnelles Ende gefunden.

Paar Worte zur Handlung, die um 1850 spielt:
Kath. Priester verführt ein Mädchen. Ergebnis: ein Kind ohne Vater. Stirbt das Kind, ist der Priester fein raus. Es bleibt aber in der Geschichte, bekommt eine Schwester, der Bischof schäumt, will den Priester exkommunizieren. Der aber wechselt zum ev. Glauben.

Stückchenweise im Familienkreis zu lesen, das war ein Entwicklungsprozess.
Heute lese ich laut, ohne Zuhörer. Oder ich mache eine Audio-Aufnahme. Das gibt mir Hinweise, ob das, was ich geschrieben habe, rund ist.
Was das Ableben von Romanfiguren angeht, so halte ich mich zurück. Ich würde nur noch meucheln, wenn dies in einem Krimi vorkommen soll.
Die grimmigen Brüder mit ihren Märchen haben das elegant gelöst mit ihrem: „und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute“.

1 „Gefällt mir“

Hallo, du hast das Thema zwar schon beendet - aber da war ich hier noch nicht angemeldet :wink:

Ich finde deine Idee gut, schwierige Stellen laut vorzulesen. Gerade bei Dialogen kann man so manchmal herausfinden, ob der „Wortwechsel“ passt. Papyrus kann da wunderbar den Rest der Szenerie „Ghosten“.
Wenn deine Familie aufschreit „Wie kannst du nur?!“, wenn jemanden etwas passiert - bist du vielleicht auch auf den richtigen Weg. Du hast sie emotional so erreicht, dass sie Partei ergreifen wollen. Perfekt.

Ich bekenne mich zum „teilweisen Drauflosschreiber“, der seinen Romanfiguren Eigenheiten zulässt, aber auch viel plant. Ich plane meistens die Szene „Die jetzt folgt“ im Kopf, und manchmal auch eine Reihe von Kapiteln, die einen bestimmten Sinn widergeben sollen. Das plane ich mit Mindmaps, die dann Details beinhalten - ähnlich wie ein Theatersetting (Wetter, Details, Kleidung, Stimmung etc) Ein ganzes Buch zu planen, hat bei mir (2 mal versucht und abgebrochen) nicht funktioniert. Die Idee war meistens nicht so gehaltvoll, wie in der Vorstellung. Beim Schreiben hatte ich Probleme, die akribisch geplanten Kapitel mit Spannung zu füllen. Ich brauche die Freiheit die Szenerie und den Plot beliebig modifizieren zu können.
Was auch wunderbar funktioniert, ist nach Ende des Werke rückwärts zu plotten.
Du hast ein paar Details hinzugefügt, die am Anfang des Buches keine Rollen spielten? Kein Problem - einfach rückwärts durch die Zeit (dein Buch) gehen und sie sehr sorgsam und selten platzieren. Der Leser wird glauben, dass war schon von Anfang an so geplant :wink:

Die Protagonisten, hm, die sind bei mir schon relativ fertig gestellt. Also ihr Verhalten, Innenleben, Art und Weise zu Sprechen und Probleme anzugehen. Ich weiß zwar manchmal nicht, wohin die Geschichte führt, aber wenn ich einen Protagonisten mit Platzangst in eine dunkle, enge und baufällige Ruine schicke, weiß ich genau, wie er sich benimmt.

Tapio,
Danke. Gefällt mir was du schreibst. Ich schreibe drauflos. Was dann hinten rauskommt sind überwiegend Kurzgeschichten. Die sind überschaubar und leben sowieso von einem Thema und das muss nicht geplottet werden.
Grad lese ich Jean M. Auel’s Earth’s Children. Unglaublich komplexe Handlungen und Beschreibungen. Das kann man sicher nicht ohne detailiertes Konzept schreiben.
Nur mir würde das Wauerlebnis fehlen. Manchmal lese und lese ich mein Erdachtes und denke: oh, das hab ich geschrieben und dann frage ich mich, woher kommen die Ideen. Erst war da ein leeres Blatt und dann nicht mehr. Es ist wie ein innerer Zwang. In der Frühe, im Dämmerschlaf, kommen die Einfälle und, weil sie flüchtig sind, müssen sie sofort festgehalten werden.
Sorry, ich weiche wohl vom Thema ab.

1 „Gefällt mir“

Gerade gestern wieder von meiner Geschichte verar… worden: Geplant war, dass die 3 Gefährten zusammen abhauen.
Stattdessen hat sich ein totales Drama entwickelt und zu allem Elend ist einer der Dreien nicht mehr auffindbar!
Das habe ich so nicht geplant!
Jeder Versuch, die Szene umzuschreiben, endet im Schreibstau.
Jetzt muss ich weiterschreiben, um herauszufinden, wo der Kerl steckt und wie sie aus dem Schlamassel wieder rauskommen.
Die halten sich einfach nicht an meinen Plot! Unerhört! :angry:
:smile:

6 „Gefällt mir“

Oh Danke. Ich habe gut gelacht.
Der Vermißte. Ist er ein Liebhaber? Vielleicht steckt er im Kleiderschrank oder in der Schublade, wenn er ein Zwerg ist. Und achte auf die anderen beiden, dass die nicht auch noch flüchtig werden.
Vielleicht können die Foris mit anderen Tipps weiterhelfen, oder haben den Flüchtling gar gesehen.

Er hat versucht, einen Fehler zu vertuschen…
Mehr Spoiler gibts nicht. :slight_smile:
Ich sag ja, die Figuren haben ein Eigenleben und die Geschichte will in ihrem Sinne geschrieben werden.

Das wäre auch mein Rat. Warum?

Es wurde Harry Potter erwähnt, und das hat mich besonders betroffen. Denn nachdem Dumbledore (meine Lieblingsfigur) gestorben ist, habe ich aufgehört zu lesen. Schluss, aus, Ende. Da ging nichts mehr.

Aber um Lieblingsfiguren geht es da nicht.
Es geht darum, dass Harry in Band 7 seine Schwierigkeiten nicht selbst lösen könnte oder müsste, wenn Dumbledore noch am Leben wäre. Dann hätte er Harry alles erzählt und es gäbe keinen Band 7.

Für ChrisJ offenbar sehr wohl, denn sonst hätte er ja weitergelesen.

1 „Gefällt mir“

Wie ist das zu verstehen? Die Figuren „tun“ nichts. Sie „leben“ nur, weil der Autor die Tasten drückt oder den Stift übers Papier bewegt.

Ich weiss, dass es viele Autoren gibt, die das so empfinden. Ich bitte ernsthaft darum, dass mir das mal jemand erklärt. Ich komme mir in diesem Zusammenhang vor wie einer mit Asperger unter neurotypischen Menschen. Der versteht auch nicht, was um ihn herum vorgeht. Daher nochmal die Bitte: Erklärt es mir.

Stimmt so nicht und ist ziemlich ableistisch. Gruß von einer Autistin mit autistischem Sohn. Und ja, beide „Asperger“, was man so auch nicht mehr nutzt.

Meine Figuren sind wie das Beispiel von Corinna. Was sie tun, weiß ich erst, wenn ich es geschrieben habe. Deswegen plotte ich auch fast überhaupt nicht, weil es sich nicht lohnt. Am Ende ist eh alles anders.

2 „Gefällt mir“

Ich meine jetzt beginne ich zu verstehen, was mit dem Eigenleben der Figuren gemeint ist. Danke für diese präzise, auf den Punkt gebrachte Erklärung

1 „Gefällt mir“

Ich musste erst nachschlagen, was ableistisch heisst. Ich habe niemanden auf (Un)Fähigkeiten reduziert, ich habe lediglich versucht, meine eigene Unfähigkeit so zu beschreiben wie ich es empfunden habe. Falls du dich dadurch herabgewürdigt gefühlt hast tut mir das leid. Das war nie meine Absicht.

Worum es mir mit meiner Aussage ging war folgendes: Ich kann (konnte) überhaupt nicht verstehen, was jemand mit „meine Figuren machen was sie wollen“ meint. Die Figuren sind Fiktion, entspringen meinen Gedanken. Zu behaupten, diese Konstrukte hätten ein „Eigenleben“ lässt vermuten, dass ich mehrere Personen in mir habe und mit jeder neu erfundenen Figur eine weitere hinzukommt.

Für mein Verständnis der Eingangsfrage war die Erklärung von @reimtuecke hilfreich. So wie er es beschreibt kann ich mit der Aussage, die Figuren hätten ein „Eigenleben“ etwas anfangen.