Während der Arbeiten an meinem ersten Roman hatte ich in ein Ritual eingeführt. Sobald einige Seiten geschrieben waren, wurden diese meiner Familie vorgelesen. Geduldig haben Sie es ertragen und nie protestiert. Als ich eines Abends davon sprach, daß ich überlege, den Johann (unehelicher Sohn von Catharina) sterben zu lassen, gab es Protest: Kannste nich machen. Der gehört doch zu deiner Geschichte. Solche Einwände eben.
Die Frage, die mich seither umtreibt: Hat der Autor Macht über seine Geschöpfe, nach dem er sie in sein schriftstellerisches Werk eingeführt hat? Oder ist es eher so, daß die Figuren ihr Eigenleben führen und in gewisser Weise nach ihren eigenen Vorstellungen agieren?
Zum Beispiel der Pfarrer Tadeusz Masoweczki. Angelegt ist er als eine unsympathische Gestalt, die ich gar nicht leiden konnte. Im Fortgang der Geschichte kann man lesen, daß er sich zu einer liebenswürdigen Person mausert.
Ich schrieb:
Aber dieser hier, das ist einer, der gern und viel lacht. Einer, dem man, falls erforderlich, ohne nachzudenken einen lebenslänglichen Vertrauensvorschuß auf den Altar legen könnte.
Nun kann man so einen Roman lesen und vergessen, denn die Personen haben für unser Leben kaum Relevanz. Die meisten von Ihnen werden das so tun. Ich bin sicher, sie werden nicht die krausen Gedanken haben, die mir im Kopf herumgehen, siehe oben.
Aber für mich sind meine Romanfiguren lebende Geschöpfe einer anderen Wirklichkeit, deren Leid mir zu herzen geht oder deren Freude auch mich fröhlich macht, an deren Schicksalen ich lebhaft Anteil nehme. Catharina, die Babka, Tadeusz und die weiteren Figuren, sie »existieren«.
Weil ich so empfinde, deswegen bleibt das große Fragezeichen hinter mir an der Wand, nämlich:
Wer manipuliert wen, nach dem der Autor seinen Geschöpfen den aufrechten Gang gelehrt hat?
Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?