Nach 28 Kapiteln mit rund 170.000 Wörtern geht meine Romantrilogie dem Ende zu. Eben habe ich Lilli, das Bikergirl aus der Geschichte gebracht, die Krankenschwester Karin, die Lehrerin Brigitte und die Sozialarbeiterin Ella verblassen, Lea und Maria haben mit ihren Kindern Frieden geschlossen. Jetzt steht nur mehr der Showdown mit dem Superschurken an, dann endet die Geschichte, die mich seit drei Jahren rund um die Uhr beschäftigt hat und ich muss auch Gabi und die Jungs gehen lassen.
Haltet mich für einen Idioten, aber ich fürchte mich davor. Der horror vacui post finem hat mich voll gepackt. Was mach ich jetzt ohne meine Protas? Einfach so weiter und mich in die nächste Alibi-Realität stürzen? Ich fürchte, das geht nicht, auch weil diese Geschichte nicht nur mein Leben als Jugendlicher erzählt, sondern ihm einen ganz besonderen Sinn gegeben hat.
Wie macht ihr das? Seid ihr erleichtert, wenn die Geschichte aufgeschrieben ist? Verspürt ihr sowas wie Trauer? Habt ihr Rituale, das Ding auch in eurem Herzen zu beenden oder bin ich einfach nur ein dummer alter Mann?
Da gibt es kein Konzept.
Aber die Zeit lässt Bilder blasser werden.
Deine Figuren werden immer in deinem Geist rumspuken aber sie werden leiser.
Mach etwas völlig anderes, überrasche dich selbst.
Ich hab einen Kurzurlaub mit meiner Frau gemacht und alle Elektronik zu Hause gelassen.
Sicher nicht.
Nach einem so großen Herzens-Projekt ist es normal, erst einmal in ein Loch zu fallen, denke ich.
Aber Du musst ja nicht in diesem Loch versauern - stell Dir einfach vor, jeder Tag ist eine Stufe nach oben, ans Licht und in neue Abenteuer. Mit anderen Protas, anderen Ideen - in deinen Posts hier habe ich schon einiges blitzen sehen. Geh unter Leute, Nachbarn, Familie, vielleicht sogar ehemalige Kollegen - überall lauern neue Geschichten. Versprochen.
Vielleicht musst Du die Geschichte nicht in Deinem Herzen beenden, sondern darin bewahren.
Und Schmerz war doch schon immer der Preis, den wir für die Liebe bezahlen…
Der geschlossene Buchdeckel ist aber nicht das Ende. Ich glaube, dass Deine Geschichte (soweit ich sie still mitgelesen habe) etwas ganz besonderes ist. Es wäre falsch, wenn da nicht diese stille Melancholie zu spüren wäre.
Du tust mir an dieser Stelle nicht leid. Im Gegenteil: ich freue mich für Dich, dass Du etwas so Besonderes erreicht hast.
Wenn Du ein Ritual brauchst: Nimm Dir morgen ein gute alte Schreibmaschinenseite A4 aus weißem Papier, lege sie auf Deinen Schreibtisch und betrachte die weiße Leere. Atme ein, atme aus. Brustkorb raus und mit lauter Stimme sagen:
„Ich nehme die Herausforderung an!“
Das Phänomen ist bekannt. Ich komme damit aber gut klar.
Die Belohnung ist, dass Buch physisch in der Hand zu halten und jederzeit wieder darin zu lesen .
Da warten viele Geschichten, die noch geschrieben werden wollen und wenn ich wollte, könnte ich ein Spin-off einer älteren Geschichte konstruieren und gewisse Charaktere wieder aufleben lassen. War bisher aber nicht nötig.
Allerdings habe ich aktuell den zweiten Teil eines Buches geschrieben, weil die Welt und die Geschichte das hergab und ich noch *So gut in der Welt drin war "
ich kenne das - mir ging es bisher dann immer so, dass ich die Geschichte am liebsten gar nicht zu Ende geschrieben hätte… weil, dann könnte ich mich auf das Finale ja noch freuen. Hab es aber trotzdem getan und dann die anderen Ideen weiter verfolgt, die ich sowieso schon im Kopf hatte.
Bei dir ist es natürlich auch noch etwas anders, wenn das Autobiographie war… aber neben dem Verlust der Beschäftigung mit der Story kommt dann eben auch die Erleichterung und Freude, etwas, was dir wirklich wichtig war, bis zum Ende gebracht zu haben - da bin ich mir sicher
Du hast ja auch beim Schreiben dein Leben reflektiert, behauptete ich mal. Es war nicht nur eine Idee für eine Story. Jetzt neigt sie sich dem Ende entgegen und du bist damit fertig. Das ist aber nicht das Ende von deinem Leben. Vor dir liegt noch soviel Neues. Es ist Zeit Vergangenes loszulassen.
Dabei ist es egal, ob die Geschichte bei dir, zu Ende geschrieben, in der Schublade liegt oder du sie noch weiter in die Öffentlichkeit bringst. Jetzt hast du sie vollendet. Dafür hast du meinen gehörigen Respekt. Du kannst richtig stolz sein.
Du hattest doch auch schon Fans für den Versuch Fantasy zu schreiben. Vielleicht lenkt dich das ab?
Nein, überhaupt nicht. Das liegt aber wohl daran, dass meine Geschichte fiktional ist und die Protagonisten keinerlei persönliche Relevanz für mich haben. Ich habe eine Geschichte erfunden und beendet. Deine Geschichte hat für dich eine vollkommen andere emotionale Tiefe.
Ich glaube, sowohl die Trauer als auch die Leere sind vollkommen normale Empfindungen nach Beendigung eines autobiografischen Textes. Du hast dir vielleicht buchstäblich etwas von der Seele geschrieben. Das musst du aushalten und dich wieder ‚erden‘. Am besten gelingt das, wenn du den Weg mit einem physischen Buch abschließt, in das du immer wieder hineinschauen kannst.
Danach wirst du irgendwann den entstandenen Leerraum erneut füllen wollen und können.
Vielleicht eine dumme, nicht realisierbare Idee. Kannst du deine aktuellen Protas in deinem nächsten Projekt eventuell als Randfiguren unterbringen. Das wäre dann das, was man in der Medizin „ausschleichen“ nennt - langsam verschwinden lassen.
Vielen Dank für euren Zuspruch, liebe Schreibgeschwister. Das habe ich gestern abend gebraucht.
Für einen Moment war mir gerade wie an dem Tag, als ich im Kinderzimmer meiner Tochter stand, nachdem sie schon drei Jahre zuvor ausgezogen war, auf das Nirvana-Poster starrte, It Smells Like Teen Spirit hörte und überlegte, mir ein Arbeitszimmer draus zu machen.
@ @EffEss : Ja, genau. Am Wichtigsten war es, die Geschichte aufzuschreiben. Aber vielleicht liest sie ja außer euch noch wer und erkennt sich darin wieder
@ @nolimit : Hab ich auch schon daran gedacht, aber ich werde, glaub ich, kein Entzugsdelir kriegen. Die nächste Story (same place, other people) braut sich schon in meinem Kopf zusammen wie ein Gewitter, und @ @michel : Ich nehme die Herausforderung an. Ganz sicher.
Ich kenne dieses Gefühl, beschreibe es als Melancholie, weil es so schön war, sich mit der Geschichte zu beschäftigen und sie zu formen. Vielleicht sollten wir versuchen, uns in einen Sportler hineinzuversetzen. Der spielt nach 10 Jahren sein letztes Spiel für seinen Verein, um zu wechseln. Was passiert? Die Liebe zum Club und den Menschen im alten Zuhause bleibt, eine neue Herausforderung mit neuen Farben und anderen Menschen steht bevor. Das ist doch eine Situation, die zu neuen Höchstleistungen antreibt. Oder?
Ja! Ich hatte jedes Mal richtiggehend Liebeskummer, was total bescheuert ist, da es Liebesromane mit zuckersüßem Happy End waren bisher. Und trotzdem: Ich wollte keine einzige meiner Figuren loslassen, nicht umsonst wurde es eine Reihe, die sogar noch Potential für einen vierten Teil bietet.
Also loslassen tu ich nach einem „Ende“ noch lange nicht.
Da fällt mir ein Zitat ein, dass ich vor Jahren mal irgendwo gelesen habe - „Finishing a good book is like leaving a good friend.“ Trifft wahrscheinlich auf das Lesen und auf das Schreiben zu.
@Gschichtldrucker
Ich kann in dieser Hinsicht nicht aus Erfahrung sprechen. Doch wenn man lange auf ein Ziel hinarbeitet und dies einen großen Teil des Tages ausmacht, ist das „Ende“ erstmal bittersüß. Außerdem ist deine persönliche Verbindung sehr tief. Ich denke, ja so würde es mir auch gehen.
Feiere es! Das würde ich tun. Finde ein Ritual, so ähnlich wie Michel schon schrieb. Ein Fest mit Familie und lieben Freunden. Feiere Erreichtes, dein Leben, das Ergebnis . Deine Protas und du ihr bleibt euch doch und da draußen warten schon welche darauf (Protas und Leser), dass du ihre Geschichte erzählst.
Alles hat seine Zeit und nicht weit von dir liegt eine neue Gschichte!
Was wäre ein Abschied ohne Schmerz? Auf alle Fälle wäre er nicht poetisch. Es ist Deine Geschichte aber sie ist ja damit nicht vorbei. Robert‘s Leben hat ja gerade erst angefangen, coming of age und so. Und Wotawas Geschichte ist noch nicht erzählt… rote Fäden die in andere Ecken weiterführen. Nicht nur im Abschied denken, sondern das Denkmal schenken (laut Pumukel ist es gut wenn sich Dinge reimen). Aber ich verstehe die Trauer. Ich glaube ein Urlaub (hatte jemand oben vorgeschlagen) klingt gut. ( Vielleicht an den Ort der Geschichte um sie dort Lea „vorzulesen“….? Und dem einen der Jungs, der dort geblieben ist und bei Lea weilt.) (Oder vergiss den Quatsch, ich bin noch im Halbschlaf).
@HannahK !
Ich träumte gestern Nacht, von einer jungen Frau, die Nüsse in meinem Garten sammelte. Sie trug Shorts, Docs und ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Smash fascism“. Erst dachte ich, es sei Gabi (wäre nicht das erste mal, dass sie mich auch im Schlaf verfolgt), aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Denn sie sagte fast genau den Satz zu mir, den du hier schriebst: „Erzähl doch die Geschichte der Jungs , alter Mann!“
Very spooky! Ihr habt recht, ich brauch Urlaub.
Und gefeiert wird auch. Aber erst, wenn das Buch physisch vor mir liegt. Seit 2007 wartet eine Flasche Bordeaux aus dem Weinberg von keinem Geringeren als Günther Grass auf diesen Tag.
Eine, ich weiß, verdammt prosaische Antwort wäre, nachdem „Ende“ getippt (und der gewaltige Schritt der Überarbeitung gemacht!!) wurde - denn 1/3 der Arbeit für ein erfolgreiches Buch liegt doch noch vor Dir:
Marketing!
Echte Testleser organisieren und das Buch (ehrlich) bewerten lassen. Influencer anschreiben. Poster in umliegenden Bäckern, Fleischern und anderen Läden kleben. Lokale Buchläden mit Kommissions-Versionen versorgen. Social Media mit Deinem Buch füttern - Facebook, X, Tiktok / BookTok, Insta, …
Lesungen organisieren. Nicht nur in Bibliotheken. Es sind überraschend viele Businesses offen dafür - eine der schönsten Lesungen, an denen ich mal als Zuhörer teilgenommen habe, war beim Bestatter Grieneisen! Kein Scherz.
Aus diesem „Mal-was-anderes“ - und aus dem daraus resultierenden Erfolg - Kraft schöpfen fürs nächste Buch!