Dogma 95

Ich habe vor kurzen wieder einmal zwei Filme gesehen, die weitgehend nach den filmischen Regeln des Dogmas 95 entstanden sind und mich gefragt, was es für Schriftsteller bedeuten würde, wollten sie nach diesen Regeln schreiben. Ich beziehe mich auf sieben der zehn Regeln, weil die sich einigermaßen gut übertragen lassen.

  1. Als Drehorte kommen ausschließlich Originalschauplätze infrage. Keine Requisiten.
  2. Zur Aufnahme dürfen ausschließlich Handkameras verwendet werden.
  3. Die Aufnahme erfolgt in Farbe, künstliches Licht ist inakzeptabel.
  4. Spezialeffekte und Filter sind verboten.
  5. Der Film darf keine Waffengewalt oder Morde zeigen.
  6. Zeitliche oder lokale Verfremdung sind verboten. Der Film spielt hier und jetzt also nicht etwa im Mittelalter oder in einer entfernten Zukunft.
  7. Es darf sich um keinen Genrefilm handeln.

Punkt zwei entspräche dem Verzicht auf KI. Punkt drei bin ich ratlos, Punkt vier wäre sicher das Verbot von Farbschnitt und Kinkerlitzchen. Am besten gefallen mir die Verbote von exzessiver Gewalt und die eines Genrefilms.
Letztlich muss man konstatieren, dass Dogma 95 ein wahnsinnig interessanter Ansatz war, auch etwas bewegt hat, aber in Summe gescheitert ist. Vermutlich war es zu dogmatisch. Aber es wurde als größte europäische Leistung im Weltkino ausgezeichnet. Leider zu wenig gefeiert. 1995, erinnert sich jemand? Terminator zwei und Jurassic Park waren drei Jahre alt und den europäischen Filmschaffenden graute vor der Entwicklung, die dann ja auch prompt eintrat. Mich hat es gepackt, das Dogma. Lustigerweise im Hintergrund. Aber ich schreibe weitgehend nach diesen Regeln. Vielleicht weil ich zu wenig Fantasie habe, mir Welten auszudenken oder ich zu faul zum Recherchieren in Geschichte bin. Mord und Totschlag sind zu Effekthascherei verkommen. Sie sind mehr Mittel zum Zweck, als wirklich dazu da, eine Geschichte zu erzählen. Es ist mitunter inspirierend, sich beschränken zu müssen. Das Kammerspiel mit nur zwei Personen (oder einer), die Beschränkung auf eine Wortanzahl, die Vorgabe eines „normalen“ Verbrechens, die Einschränkung der Perspektive durch die 1. Person Singular.
Hält man sich ein bisschen an das Dogma, kommen andere Geschichten heraus. Geschichten, die keine Spezialeffekte brauchen, keine KI, keinen Kunstgriff wie Zauberei oder Ähnliches und vor allem, Geschichten, bei denen man nicht weiß, wie sie ausgehen.

Wer Lust bekommen hat, sich einen anzusehen, dem empfehle ich „Italienisch für Anfänger“ von Lone Scherfig. Wer psychisch stabil ist oder ohnehin unempfindlich, guckt „Das Fest“ von Thomas Vinterberg.

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Wie soll man einen Film ohne Requisiten drehen??

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Gar nicht, denn auch die Kostüme, Autoschlüssel oder ein Messer wären Requisiten.

Noch nicht mal die anspruchsvollste Fantasy oder Sci Fi Geschichte braucht KI.

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Ich provoziere jetzt mal extra. :slight_smile: indem ich das absichtlich fies für Bücher übersetze:

  • Es darf nur Schauplätze im Buch geben, die wirklich genau so aussehen. Jedes Zimmer, das beschrieben wird, hat man in seiner Bekanntschaft so schon gesehen, Städte, Straßen, usw. sowieso.

  • Es darf zwingend nur aus der Nahperspektive (im Grunde nur Ich-Erzähler) geschrieben werden. Dialoge sind „echt“ zu halten, einschließlich aller "ähhh"s, "hmmm"s und aller langweiligen oder banalen Teile. Erzählt wird grundsätzlich im Präsens.

  • Umgebungsbeschreibungen sind hyperrealistisch. Es darf kein Eindruck des Protas in die Beschreibung eingehen. Alles ist streng so beschrieben, wie es ist, nicht wie es wirkt. Metaphern u.a. sind unzulässig.

  • Beschrieben werden keine plastischen Gedanken, keine Träume, nichts, was durch die Wahrnehmung des Protas einen Filter erfährt.

  • Krimis, Thriller, alles andere mit Gewaltanteilen, also Fantasy, SciFi, etc. sind verboten.

  • Romance ist ebenfalls verboten, weil es zu sehr Genreform ist. Es bleibt die Beschreibung alltäglicher, aber gewaltfreier, Konflikte oder gesellschaftlicher Reibungen. In jedem fall reduziert auf den Moment und ohne „Story“ und Spannungsbogen, keine Pointen

  • Historische Romane, auch nur solche, die kurz zurückliegen sind ebenso verboten, wie Sci-Fi, einschließlich solcher, die die sehr nahe Zukunft beschreibt. Eigentlich sind nur „Live-Schilderungen“ erlaubt. Es gibt auch keine späteren Auflagen, denn die beschriebene Gegenwart ist dann aus Sicht des Lesers Vergangenheit.

  • Protagonisten dürfen nicht „überhöht“ sein - weder im Positiven, noch im Negativen. Nur normale Menschen, die Normales tun, sind zulässig.

  • Eine Überarbeitung des Textes darf nur minimal erfolgen. Die Rohfassung ist vorzuziehen.

→ positiv ausgedrückt bleibt literarische Askese, negativer ausgedrückt: ein langweiliges Buch.

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Irgendwie triffts das ziemlich genau.

Ein Buch ohne jegliche Fantasie, ein ganzer Rattenschwanz von Vorgaben, an die man sich sklavisch zu halten hat, Humor scheint mir auch sehr kurz zu kommen - ich war noch nie ein Freund von Dogmen.

Möglicherweise funktioniert das alles so im Film, zumindest für diese Richtung, für Literatur sehe ich es als ziemlich tödlich an.
Aber wers mag …

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Porno auf der grünen Wiese. :see_no_evil:

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Das wäre dann aber ein Genrefilm, also auch nicht erlaubt.

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Grauenvoll! Mir wird schon bei kurzen Filmsequenzen mit Gewackel, das Tempo und Echtheit suggerieren soll, k***übel – ein Grund für den :stop_button:-Button. Für das Äquivalent von @writers_headroom gilt das entsprechend.

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Ich würde die Regel festlegen, dass der Erzähler nicht lügen und keine Wahrnehmungsprobleme haben darf (keine Spezialeffekte und Filter), aber ein Ich-Erzähler im Präsens (die sind mir meistens ein Graus) könnte ja eigentlich nur wissen, wie etwas in dem Moment auf ihn wirkt, nicht, was in Wirklichkeit dahintersteckt.

Hhm, ich denke das wäre dann eine Art „Echtzeittagebuch“. Jeder berichtet live aus seinem Leben und das ist dann mehr oder eben weniger interessant.

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Ich halte nichts von Korsetts und Korsagen. Sie entziehen einem die Luft zum Atmen. Wären solch enge Strickmuster zum Schreiben Pflicht, würde ich stattdessen lieber den ganzen Tag Staub wischen. Da hat man am Ende wenigstens ein vernünftiges Ergebnis.

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Ich sehe es wie Suse. Ich halte mich nicht mal an die Heldenreise, oder Save the Cat Prinzipien. Ich kann es nämlich nicht leiden, wenn bei 70% das Drama kommt, ehe alles gut wird :wink: (Ausnahme Weihnachtsfilme)

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Würdest du darüber schreiben, wie du einen Tag mit Staubwischen verbringst, würde das wohl die Kriterien für einen Dogma95-Roman erfüllen.

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Ist der Staublappen kein Requisit? :wink:

Sie muss natürlich mit der Hand wischen. Und der Staub muss echt und nicht extra für das Buch liegengelassen worden sein.

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Wäre dann aber ein neues Genre: ‚Putziger Alltag‘, vielleicht. Oder ‚Magischer Realismus‘ – Make a Wis(c)h?

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Da musst du @Suse fragen, wie magisch so was ist. Es ist ja kein Feenstaub.

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Zumal Fantasy bzw Fantasyelemente zu verbannen etwas nimmt was sich durch die Menschheitsgeschichte zieht. In jeder Kultur gibt es zu allen Zeiten Gechichten und Legenden über Gestaltwandler, Vampire, Riesen, Kobolde, Trolle, Elfen, Greifen, Einhörner, Hexen, Zauberer und viele weitere die ich jetzt nicht genannt habe. Das heißt nicht, das jeder Fantasyelemente verwenden muss, aber es ist nichts Neumodisches das verdammt werden muss.

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Pusten! Dann puste ich den Staub eben weg.

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Da würde ich nun nicht hinterherjammern. Aber Dracula liebe ich.