Hallo, ich schreibe schon recht lange. Gedichte und Geschichten. Meist jedoch Fanfictions. Jetzt sitze ich allerdings an meiner „eigenen“ Geschichte. Mit schreiben verdiene ich, immerhin schon ein wenig Geld, da ich für die örtliche Tageszeitung im Lokalteil Artikel schreibe. Den Beginn dieser Geschichte, die jetzt kommt, habe ich bereits 2004 angefangen. Es soll eine Liebesgeschichte werden, die in München und Starnberg spielt. Angelegt ist die Geschichte in den Jahren 2005 - bis ca. 2017 und Mitte der 60ger. Ich stelle hier jetzt einfach mal das erste Kapitel rein. Ich habe inzwischen etwa schon 140 Buchseiten geschrieben, es sollen natürlich noch mehr werden.
Ich bin gespannt auf eure Rückmeldungen.
Kapitel 1
Hannes 2005
Ich starre in den Spiegel. Wie viele Jahre habe ich auf diesen Tag gewartet, die Monate, Tage und Stunden gezählt. Ich mustere die Falten meiner Stirn. Zeichen gelebten Lebens. Und Sie? Wird sie so ausschauen, wie ich sie in Erinnerung habe? Wie damals? Wie heute? Wie morgen?
Ich bin verwirrt und glücklich zugleich. Niemand hat je erfahren, was damals geschah. Die Presse war in Aufregung geraten, hatte mir aufgelauert und gefragt, wo sie denn hin sei. Ich blieb ihnen immer eine Antwort schuldig.
Mein Blick wandert zur Uhr. Viertel vor acht. Viertel vor endlich. Endlich wird sie wieder ein Teil von mir sein, und weiß doch gar nichts von ihrem Glück. Wird es denn ein Glück sein? War unsere Begegnung nicht eher ein un-glück? Was wird sie sagen, wenn sie mich wiedersieht?
Ich bin alt. Viel älter als sie und doch spüre ich ein kleines Gefühl in mir, was zum aufregenden Kribbeln wird. Mir sagt, dass ich noch jung bin. Ich mustere mich, überlege, wie andere mich sehen. Ich finde nicht, dass ich aussehe wie 75. Natürlich sind da mehr Falten als früher und die Figur hat auch etwas gelitten, doch wenn ich mich mit anderen Kollegen vergleiche… Meine Haare sind heller als früher, aber richtig grau sind sie nicht. Sie sind dicht, keine kahle Stelle ist zu sehen.
Meine Mutter hatte bis ins hohe Alter dunkles Haar. Mir wurde oft unterstellt, ich würde sie mir färben, aber es stimmt nicht. In meinem Beruf ist das Aussehen eben das Salz in der Suppe. Man muss darauf achten, dass die Dosis stimmt. Die Fans verlangen es. Ich habe es aber immer nur für sie getan. Habe mich gut ernährt, war sportlich. Bloß nicht schwächen.
Ich lächle mein Spiegelbild aufmunternd an. „Du hast es geschafft, alter Junge, heute hat dein Warten ein Ende!“ Ich verstumme, als hinter mir die Tür aufgeht.
„Herr Petersen, es ist soweit!“ „Danke, Marie, ich komme gleich!“ Höre ich ein Zittern in meiner Stimme? Heute muss sie klar und fest klingen. Heute Abend, so habe ich mir vor vielen Jahren geschworen, werde ich meinen besten Auftritt abliefern. Ich straffe meine Schultern, kehre meinem Spiegelbild den Rücken zu und laufe mit festem Schritt Richtung Bühne.
Während der Vorstellung jagt mein Blick verstohlen durch die Reihen. Wie oft habe ich schon auf den einen Platz gestarrt. Reihe 3 Sitz 28. ziemlich genau in der Mitte. Heute weiß ich, ich werde nicht umsonst starren, werde nicht enttäuscht wegschauen. Keine andere Frau, kein fremder Mann. Sie wird heute dort sitzen. Anna. Ohne zu wissen, welch Freude mich erfüllt, sie endlich wiederzusehen. Anna, die Ahnungslose, für die Morgen, wie sie mir selbst immer bestätigt hat, das Leben erst anfängt.
Der Applaus erfüllt das Theater wie das Klatschen eines heftigen Platzregens. Ich verbeuge mich tief. Höre laute „Bravo, Bravo“ rufe. Höre Annas Stimme durch den Regenschauer klatschender Hände. Nur noch sie. Als ich mich aufrichte, sehe ich das erste Mal seit über drei Jahrzehnten wieder in ihre Augen. Rasch schaue ich weg, sie darf nichts merken. So ahnungslos, so jung. Mein Herz schlägt schneller. Sie ist immer noch schön.
Ich frage mich, was sie an mir findet. Erst recht jetzt, wo ich doch so viele Jahre älter bin? Noch einmal verbeuge ich mich, küsse galant die Hand meiner Partnerin, reiche ihr einen Blumenstrauß und verlasse die Bühne.
In einer viertel Stunde habe ich es geschafft, mich abzuschminken und umzuziehen. Das alte, zerknitterte Foto zittert in meiner Hand. Ich bin wohl der einzige Mensch, der mit 35 schon wusste, wie er mit über 70 ausschaut. Eine Autogrammkarte. Anna gab sie mir, kurz bevor sie mich verließ. „Ich weiß ja, dass ich sie wieder von dir bekomme. Behalte Sie als Erinnerung. Damit du weißt, dass alles kein Traum war!“
Es war seltsam, diese Karte zu sehen, zeigte es doch eine Gegenwart, in der ich noch lange nicht angekommen war. Ich wische diese Gedanken weg, denn gleich wird sie sie genau dieses Bild wieder von mir bekommen, nur neu, nicht das alte, zerknitterte. Mit dem mysteriösen Fleck neben meinem rechten Ärmel. Mir wird wieder einmal das Paradox dieser ganzen Geschichte bewusst. Ich mustere den Stapel Autogrammkarten, der vor mir liegt. Denn eine davon ist genau diese, die ich gerade in den Händen halte.
Ich bete, dass sie es sich nicht anders überlegt hat. Nein, dafür kenne ich sie zu gut, werde sie so gut kennen lernen. Sie wird warten. Natürlich wird sie das. Das Autogramm ist Beweis genug.
Meine Knie zittern leicht, als ich Richtung Künstlerausgang gehe. Dort stehen jeden Abend Fans, meist Damen, mittleren Alters, die mir sagen, dass sie mit mir großgeworden sind. Immer das übliche Blabla.
So viele Jahre dasselbe Ritual, doch diesmal wird es anders sein. Diesmal bin ich aufgeregter als all die Fans, die je hinter dieser Tür auf mich gewartet haben.
Als ich nach draußen trete, bläst mir der Januarwind einen Schwall Schnee ins Gesicht. Ich schließe die Augen und wische die Kälte weg. Als ich sie wieder öffne, sehe ich hoffnungsvolle Gesichter. Gerötete Wangen, die versuchen, der Kälte zu trotzen. Ich erblicke Anna etwas abseits. Nervös tritt sie von einen auf den anderen Fuß, hat mich fixiert und lächelt dennoch. Und ab diesen Moment habe ich keinen Blick mehr für die anderen, für mich gibt es ab jetzt nur noch sie.
Mein Hals ist trocken und doch versuche ich, souverän aufzutreten. Am liebsten möchte ich alle unwichtigen Menschen beiseiteschieben, zu ihr laufen, und sie endlich in meine Arme ziehen.
Ich bin nicht umsonst Schauspieler. Versuche, meine Unsicherheit zu überspielen, ziehe den schwarzen Edding aus der Tasche, frage nach dem Namen und verteile die Autogramme. Anna ist als Letztes dran. Ich habe mir Zeit gelassen, will die Minuten, die ich mit ihr habe, genießen. Bin ich etwa ein Masochist? Bin ich es nicht schon die ganzen Jahre? Ich hätte sie schon viel früher kennen lernen können. Einmal hatte ich den Mut und bin in ihre Heimat gefahren. Sie hatte mir genau aufgeschrieben, wo sie wann lebt.
Zu der Zeit war sie neunzehn. Ich war zu ihrer Arbeitsstelle gefahren und hatte mich entfernt auf einem Parkplatz hingestellt. Den Ausgang gut im Blick. Irgendwann kam sie raus. Ich brauchte einen Moment, bis ich sie erkannte. Damals trug sie ihr Haar nur Kinn lang und hatte eine Dauerwelle. Sie unterhielt sich angeregt mit einer Kollegin und als sie auf einmal lachte, brachte ihr umwerfendes Lächeln mein Herz in Rhythmus Schwierigkeiten. Sie nur eine Minute sehen. Trotz des wissen, dass es noch so lange dauern würde bis zu diesem Abend, in einer gemeinsamen Gegenwart.
Ich muss mich zusammenreißen, um sie nicht beim Namen zu nennen. „Wie heißen Sie?“ Ich muss mich räuspern.
„Anna. Anna Siebert.“ Ihre sanfte Stimme jagt mir längst vergessene Schauer über den Rücken. Sie klingt so schön und klar, wie ich sie all die Jahre in Erinnerung hatte. Ich suche ihren Blick und versuche zu ergründen, ob sie mich erkennt. Versuche, ihre Augen hypnotisch in meinen Bann zu ziehen. ‚Hier bin ich wieder, Anna, und ich habe gewartet!‘, versuche ich ihr mitzuteilen. Sicher, sie kennt mich, aber sie erkennt mich nicht. Erkennt nicht meine Freude, meine Sehnsucht nach ihr. Noch nicht.
„Anna! Schöner Name!“ „Danke!“ „Möchten Sie eine Widmung dazu?“…‘In tiefer Sehnsucht, dein Hannes!‘, nein, so etwas kann ich nicht schreiben. Sie weiß noch nichts.
Ich denke daran, was auf dem alten, vergilbten Autogramm steht, welches sich in meiner Hosentasche versteckt hält. Bloß nicht herauskommen, wo ich doch gerade sein jüngeres ich beschreibe.
„Für Anna, vielen Dank für den Applaus, Hannes Petersen“ schreibe ich schwungvoll und reiche es ihr. Kurz berühren sich unsere Hände. Ihre sind eiskalt, viel kälter als meine. Ich schlucke den Klos in meinem Hals hinunter, und greife automatisch nach ihrer Hand, um sie zu wärmen. Sie endlich berühren. Das um uns herum noch andere Autogrammjäger stehen, ist mir egal.
Sie sieht mich erschrocken an. „Entschuldigen Sie, aber Ihnen ist offensichtlich kalt…“ Was für eine Ausrede! Ich sehe, wie sie auf unsere Hände hinab starrt, so als ob sie nicht fassen kann, dass ich nach ihrer Hand gegriffen habe. „Dass, das fühlt sich angenehm an.“, flüstert sie und lächelt ihr umwerfendes Lächeln. Fängt mich wieder ein, wie sie es früher getan hat.
„Vielen Dank, Herr Petersen, für, für den schönen Abend! Sie - sie waren einfach fantastisch, ich – ich wollte sie schon immer einmal auf der Bühne sehen. Aber sicherlich hören sie diese Sprüche ständig!“
„Ja“, gebe ich lächelnd zurück, „Aber ich habe mich noch nie so sehr darüber gefreut!“ Überrascht und fragend sieht sie mich an. Versteht meine Anspielung nicht, kann sie nicht begreifen. Ihre Hand – immer noch in meiner. Zarte Haut in alten Schwielen. Wir bemerken es beide gleichzeitig und lassen einander abrupt los.
„Können wir vielleicht noch ein gemeinsames Foto machen?“, fragt sie, nun mutiger. Ich nicke. „Sehr gerne!“ Ein anderer Fan, der etwas abseitssteht, kommt und greift nach der Kamera… Ich lege einen Arm um ihre Schultern, bin wie berauscht davon, sie so nah bei mir zu fühlen. Ich frage mich, wer hier der Fan ist. Ich kann nicht anders, als mich zu ihr zu drehen, um sie anzuschauen.
Nach meinem Geschmack sind die Fotos viel zu schnell geschossen und ich tue mir schwer, meinen Arm von ihren Schultern zu nehmen. Sie greift nach der Kamera und geht auf die Vorschaubilder. Wir blicken gemeinsam darauf. Das erste Bild ist noch normal, beide blicken wir in die Kamera. Doch das Zweite entlarvt mich. Ich werde rot, als sie von dem Bild zu mir hinsieht.
Auch sie hat es gesehen, die unausgesprochene Sehnsucht nach ihr, nach all den Jahren des Wartens. Ich räuspere mich. Auf einmal kommt mir eine verrückte Idee. „Wie wäre es, wollen sie noch etwas mit mir trinken gehen, Anna?“ Ich sehe sie gebannt an. Während sie mich verdattert anschaut. Sie hatte mir erzählt, dass sie in dem Moment kurz vor einer Ohnmacht gestanden hatte, nachdem ich sie bat, noch einen Absacker trinken zu gehen. Ich möchte sie nicht schon wieder gehen lassen.
Die paar Minuten reichten mir einfach nicht, können die vielen Jahre des Wartens nicht aufwiegen. Doch dann, nachdem sie den Schock über meine Einladung verdaut hat, lächelt sie mich doch wieder an. „Wirklich?“, fragt sie nun verdattert. „Sie möchten mit mir… etwas trinken gehen?“ „Ja, wie wäre es hier, mit der Bar?“, ich rieb meine Hände nun aneinander, allmählich wurde es doch kalt. „Nun, ja, warum denn auch nicht!“, sagt sie unsicher, kann nicht fassen, was da gerade passiert.
Ich greife nach ihrem Arm und wir betreten den breiten Aufgang zum Theater, biegen in einen anderen Gang ab und gehen die Treppen nach unten in die angesagte Hotelbar. Dort ist es schwummerig. Leise Musik klingt aus den Boxen. Zum Glück sind bei diesem Wetter heute Abend nicht allzu viel Leute da. Ich führe sie in eine Ecke, wo die hohen Korbsessel neugierige Blicke aussperren.
„Nun, was möchten Sie gerne trinken?“, frage ich sie und setzte mein stahlenstes Lächeln auf. Nein, ich muss es nicht aufsetzten, es ist so echt, wie es sonst kaum war. Ich fühle mich wieder so jung wie damals und bedauere zutiefst, dass ich die alternde Hülle nicht abstreifen kann. Anna hat die Karte studiert und nennt dem Kellner den gewünschten Cocktail. „Herr Petersen, das übliche?“ Ich nicke und einen Moment herrscht Stille.
Anna sieht mich nun offen an. „Tun sie das oft? Mit „Fans“ etwas trinken gehen?“ Ich schüttle den Kopf. „Nein, eigentlich nicht, aber ihnen war offensichtlich kalt und außerdem, würde ich sie gerne ein wenig kennen lernen!“ ,antworte ich leise. Bei ihr fehlen mir, dem Wortakrobaten doch tatsächlich die Worte, weil ich das, was ich gerne sagen würde, nicht aussprechen darf. Als die Cocktails da sind, prosten wir uns zu.
„Dass ich hier mit ihnen sitze….“, sie lehnt sich zurück und mustert mich scheu. „Ich kann das gar nicht glauben. Ich habe all ihre Filme und Shows gesehen!“, erklärt sie mir begeistert. „Sind sie nicht zu jung für all die alten Schinken?“, frage ich. Sie schüttelt den Kopf. „Ich mag diese Heile-Welt-Filme. Wann könnte man sie besser gebrauchen als heutzutage?“ Ich gebe ihr recht. Manchmal braucht man diese Fluchten. „Zudem höre ich sie in den Filmen gerne singen!“, gibt sie zu und ergänzt: „Oh je, sie halten mich sicher für einen durchgeknallten Groupie, aber glauben Sie mir, dass bin ich nicht, ich musste mich sogar überwinden, mich dort zu den anderen Damen dazuzustellen um um ein Autogramm zu bitten! Normalerweise tue ich das nie, ich denke immer, sie wollen doch auch ihre Ruhe haben vor den Fans!“
„Nun, in dem Fall habe ich ja Sie gefragt, ob Sie mit mir etwas trinken gehen! Und es gehört ja zu meiner Arbeit als Schauspieler, Autogramme zu geben, aber, soll ich ihnen etwas verraten?“, ich beuge mich verschwörerisch über den Tisch nach vorn und bin ihr auf einmal sehr nah. „Es sind nicht mehr allzu viele.“ Sie lächelt. „Dass kann ich mir zwar kaum vorstellen, aber wenn dem so ist, hatte ich ja wirklich Glück! Sonst wäre ich ihnen nie so nah gekommen!“
Sie strahlt mich an. Ich freue mich, dass sie nicht das verschüchterte Mädchen ist, das ich fast erwartet hätte. Es macht mich sprachlos, dass die anfängliche Anziehung von früher selbst heute noch wirkt. Auch damals herrschte eine direkte Vertrautheit zwischen uns.
„Warum haben Sie mich auf dem Foto – SO – angeschaut? Es wirkt auf mich, als ob sie mir etwas sagen wollen!“ Sie sieht mich herausfordernd an. Ich greife nach ihren Händen, die auf der Tischplatte liegen. Es ist ein natürlicher Reflex, den ich nicht zurückhalten kann. „Sie erinnern mich an eine Frau, die ich einmal – sehr gut - kannte.“ „Oh, ok, damit hätte ich jetzt nicht gerechnet! Haben Sie denn keinen Kontakt mehr zu dieser geheimnisvollen Frau?“ Ich schüttle den Kopf. „Der ging leider vor vielen Jahren verloren!“ „Das ist nicht sehr schön! War sie auch berühmt?“
„Sie hätte es werden können, aber dann – ist etwas passiert und – und wir wurden getrennt!“ Ich sehe, dass sie den Schmerz in meinen Augen erkennt.
„Aber sie haben trotzdem geheiratet?“, fragt sie mich nun. Ich nicke. „Ja, nachdem ich begriffen habe, dass sie tatsächlich nicht mehr zu mir zurück kommt habe ich dies getan. Aber, ganz ehrlich, die große Liebe war es doch nicht. Meine Frau hätte etwas besseres verdient – nun, sie ist vor ein paar Jahren gestorben, aber das werden Sie sicher wissen?“ Anna nickt. „Es tut mir leid für Sie – und - ja, ich habe es in den diversen Klatschblättern gelesen. Und danach gab es niemanden mehr?“, fragt sie vorsichtig. Ich schüttle den Kopf.
„Ich habe dann beschlossen, einfach zu warten!“, füge ich geheimnisvoll hinzu. Und Anna sieht mich fragend an. „Zu warten auf was?“ „Vielleicht dass ein Wunder geschieht!?“, frage ich leise und füge noch hinzu: „Und vielleicht hat mein Warten ja bald ein Ende!“
Sie mustert mich schweigend und beinahe wissend. „Ich kenne sie zwar erst ein paar Minuten, aber ich muss schon sagen, dass sie der rätselhafteste Mann sind, der mir je untergekommen ist.“ „Dieses Prädikat habe ich auch noch nie erhalten!“ Wir lächeln uns schweigend an und wieder ist die Spannung von damals zwischen uns und ich sehe, selbst in dem schwummerigen Licht der Bar, dass Anna unter meinem intensiven Blick errötet. Ich muss mich selbst ermahnen, mich zurückzuhalten, Anna SO zu studieren. Es ist ihr gegenüber nicht fair. Sie ist es, die die Stille und Spannung zwischen uns durchbricht, als sie zu ihrer Armbanduhr schaut. „Oh, jee… Herr Petersen, es tut mir wirklich leid, aber ich sollte besser gehen! Um die Zeit fahren die Trams nicht mehr so oft und bei diesem Wetter kann ich froh sein, wenn überhaupt noch eine Bahn fährt, zudem wohne ich etwas außerhalb!“
„Soll ich sie fahren?“ ,frage ich rasch. Sie schüttelt den Kopf. „Nein, hier fährt in 5 Minuten eine Bahn ab und ich muss ziemlich früh aufstehen.
Zudem wohnen Sie, wenn ich mich recht entsinne, genau in der entgegengesetzten Richtung. Sie wohnen doch in Starnberg? Oder?“
„Erwischt, ich erfülle das Klischee des alternden Stars von vorne bis hinten!“ Sie lacht. „Das mit dem alternden Star habe ich jetzt mal überhört. Und so oder so ist es am Starnberger See ja sehr schön!“
Nachdem ich den Kellner gerufen und schnell bezahlt habe, erheben wir uns und ich helfe Anna in die Winterjacke und ich muss mich zusammen reißen, weil ich sie eigentlich nur in meine Arme ziehen möchte. Wir verlassen gemeinsam die Bar und als wir wieder vor dem Theater stehen, dreht sie sich zu mir hin, um sich zu verabschieden.
„Ich habe hier noch etwas für Sie.“ Meine Hände zittern, als ich ihr zwei VIP-Karten für das Theaterstück reiche. „Kommen Sie einfach wann sie wollen. Bitte!“, füge ich eindringlich – und fast flehentlich hinzu.
„Ich würde – unser Gespräch – von gerade eben gerne fortsetzten!“ Wir blicken einander an und ich habe eine Deja Vu. So standen wir hier schon einmal, vor langer Zeit. Ihre braunen Augen, die hier, im schwummerigen Licht ganz dunkel wirken, sehen mich erfreut an. Sie versteht sie noch nicht, die Verbindung, die zwischen uns sein wird. „Das wäre sehr schön!“
Annas Blick lässt meinen los, geht zu den Karten und sie greift wie in Zeitlupe danach. „Ich komme sehr gerne wieder, Herr Petersen! Vielen Dank für die Karten – ich weiß gar nicht, womit ich die verdient habe!“ Sie sieht mich fragend an. „Und auch vielen Dank für diesen schönen Abend! Im Theater – und hier!“ Ihre Hand wieder in meiner. Wir halten einander fest, vielleicht einen Moment zu lang, doch es wird Zeit loszulassen. Bald wird sie alles wissen. Und wir haben die Gegenwart endlich für uns, und ich muss nicht mehr allein in der Vergangenheit schwelgen.