Liebe Community,
das hier richtet sich vor allem an diejenigen unter Euch, die plotten und versuchen, ein Stück weit unvorhergesehene Wendungen einzubauen. Umso weiter ich komme, umso mehr habe ich das Gefühl, die ganze Geschichte wäre völlig vorhersehbar, obwohl ich anfangs einen soliden Plot geschrieben habe, der sowohl plausibel, als auch abwechslungsreich erschien.
Ich möchte hier Ariadne Oliver zitieren und hoffe, das ist rechtlich in Ordnung:
»Der Mord selbst ist immer ganz einfach und leicht. Aber eben die Verschleierung nachher macht alles so schwierig. Weshalb sollte es denn jemand anders getan haben als …? […] Sie mögen sagen, was Sie wollen, aber es ist einfach unnatürlich, dass fünf oder sechs Personen anwesend sind, wenn B. ermordet wird, und noch dazu alle ein Motiv hätten, ihn umzubringen – es sei denn, dieser B. sei wirklich der ganzen Welt verhasst. Und in dem Fall würde sich kein Mensch darum kümmern, ob er nun erstochen oder vergiftet wurde.« (Zitat aus „Das fahle Pferd“ von Agatha Christie)
Geht Euch das auch so, dass Ihr im Laufe der Handlung immer mehr den Eindruck habt, der Leser könnte den Plot förmlich riechen? Oder ist das nur der eigene Eindruck, weil man selbst so ein klares Bild von seiner Geschichte hat? Wie löst Ihr dieses Problem?
Also wenn du einen wirklich detaillierten Plot ausgefeilt hast und dich stur an ihn hältst, dann kriegst du früher oder später genau diese Zweifel, dass dich deine Leser:innen durchschauen. Ist aber vermutlich nur bei erfahrenen Kennern deines Genres so. Agathe Christie beherrschte die Kunst des Falsche-Fährten-Legens exzellent und obwohl sich das Who-Done-it Thema bei ihr häufig wiederholt, wird das nie langweilig (was man von neueren Thriller-Autoren nicht immer behaupten kann.
Ich selbst habe mich wirklich bemüht zumindest ein grobes Plotgerüst zu definieren, aber meine Protas überraschen mich immer wieder. Die Gfraster machen was sie wollen und es herrscht ein ständiger Kampf zwischen ihnen und mir bei der Sache zu bleiben.
Nicht immer. Aber Gabis Argumente sind oft nicht von der Hand zu weisen. „Wir erleben das gerade, alter Mann“, sagte sie heute morgen zu mir, „wenn auch nur in deinem Kopf. Du hast es viel leichter, du musst es nur aufschreiben.“
Hihihi, ich schreibe einen netten heiteren Liebesroman, in dem im Grunde nur zwei Personen vorkommen. Natürlich erwartet der Leser ein Happy End, in dem die beiden zusammen glücklich sind, und natürlich enttäusche ich diese Erwartung nicht.
Für mein Projekt liegt die Kunst nicht im Plot, sondern darin, die Personen und ihre Erlebnisse so zu schildern, dass die Leser gerne Zeit mit ihnen verbringen möchten.
Sind denn deren Erlebnisse nicht der Plot? Eine Geschichte ohne Handlung kann ich mir nicht vorstellen, außer bei Pornografie. Obwohl, da wird ja gehandelt, aber eben keine Geschichte erzählt.
Die Wendungen, von denen ich bisher völlig überzeugt war, dass sie überraschend kommen, waren für meine Leser alle vorhersehbar
Jene, wo ich dachte, das riecht schon ein Blinder mit dem Krückstock trotz starker Erkältung drei Meilen gegen den Wind: mir wurde geraten, dass da und dort ein subtiler Hinweis nicht schlecht wäre, damit es nicht so völlig aus dem Nichts kommt
Aber ja, dass man den Plot selbst schon kennt, und man ihn daher für ziemlich mau hält, ist vermutlich für den Schreiberling das Hauptproblem. Darum ist es wohl das Wichtigste, ihn nicht krampfhaft zu verkomplizieren, nur um möglichst originell sein zu wollen. Da kommt dann kein Leser mehr mit.
Mir hilft es, wenn mir ein Gerüst zur Verfügung steht (Save The Cat, Snowflake etc), an dessen Pfeilern ich mich orientieren kann: Hier ist ein „Plot Point“, hier muss was passieren (klar, möglichst unvorhersehbar, aber auch nicht zu unwahrscheinlich - das ist die Kunst).
Trotz allem gilt der alte Theatersatz: „Mit dem Gewehr, das im 1. Akt an der Wand hängt, muss im 3. Akt jemand schießen!“
Es ist aber auch nichts dagegen einzuwenden, wenn in einem Roman gar nichts passiert und der Lesespaß einfach nur in einem ausgefeilten Stil besteht.
Beispiel Marcel Proust - der nimmt sich teilweise über drei Seiten Zeit, um einen Keks und eine Tasse Tee zu beschreiben. Damit würde man heute nicht mehr durchkommen - aber wir sind ja auch alle nicht Marcel Proust!
Ich bin leider nur so halb angesprochen - da ich nur lose plotte. Das heißt, ich schreibe organisch und überlege spontan, was jetzt interessantes passieren könnte. Zu jedem Zeitpunkt der Handlung. Das hilft den Geschichten einen „abenteuerlichen, unvorhersehbaren“ Touch zu geben, denn wie soll jemand etwas vorhersehen, was ich nicht geplant habe
Aber ich arbeite mit Meilensteinen, das so etwas wie Plotten ist. Das sind bestimmte Wendungen, oder Orte, oder Taten, welche die Protagonisten durchleben und meiner Handlung einen Rahmen geben. Beim Überarbeiten feile ich die Details aus und gebe auch Rückwirkend Hinweise, damit alles „so geplant“ wirkt. D.h. die Waffe, die ich in Akt 3 spontan benutzte, wird Rückwirkend in Akt 1 an die Wand gehangen. Lol.
Warum arbeite ich so? Weil ich genau dein Problem hatte. Ich habe früher komplette Handlungsbögen entworfen, um dann zu merken, dass die engen „Rahmen“, die ich konstruiert habe, nicht so gut funktionieren. Inzwischen sehe ich auch so ähnlich wie @_Corinna : Selbst wenn die Handlung z.b das Ende erahnbar wird, versuche ich die Geschichte so zu schreiben, dass sie trotzdem gern gelesen und der „Showdown“ genossen wird.
Ach ja, das Gewehr aus dem ersten Akt …
Meine Heros rüsten auch gerade zum Showdown. Die Beretta aus der Nazikiste haben sie ja im Kalkofen versteckt, Wotawa hat seine Makarow in der Schreibtischschublade, Lilli greift, ganz Old-School, zur Fahrradkette, Christoph hat noch die Garotte, die er sich für den Hund des Numismatikers gebastelt hat und Gabi gibt Robert das Springmesser zurück, das sie ihm bei der Rauferei im Hondaklub abgenommen hat. Aber wie kommt sie nun zu ihrem Bogen? Und wieso weiß niemand, dass Gerald den alten Husarensäbel aus Wien mitgenommen hat?
Oh, Mann ist das stressig! Leutnant Kelemen, bitte übernehmen Sie!
Und mal wieder seid Ihr eine große Hilfe. Vielen Dank an alle!
Ich fühle das total. Danke für Deine Ehrlichkeit
Absolut, das finde ich wichtig. Der Leser sollte gerade bei Thrillern und Krimis am Ende das Gefühl haben, er hätte eine Chance gehabt, anhand der Handlung den Täter und die Mordwaffe, sowie das Motiv zu erkennen, wenn er nur aufmerksam genug gelesen hätte. Nach Möglichkeit wünsche ich mir aber, doch ein wenig zu überraschen. Vielleicht nicht mit allem, aber wenigstens mit einem Teil der Handlung. Es wäre schön, das Gewehr schießt auf jemand anderen, als der Leser vielleicht erwartet. Oder jemand unerwartetes reißt das gute Stück an sich.
Ja richtig, das habe ich auch hier und dort versucht. Das Ding ist, im Nachhinein finde ich das jetzt auch wieder sehr vorhersehbar, obwohl diese Szenen ja gar nicht geplant waren. Hast Du mal Rückmeldungen von Deinen Lesern bekommen, ob und wie vorhersehbar Deine Handlung ist? Täuscht da vielleicht einfach die Eigenwahrnehung?
Das ist natürlich das wichtigste, wenn der Leser das Buch gern liest, hat man alles richtig gemacht. Plot vorhersehbar hin oder her.
Das liest sich so detailliert, da kommt bestimmt niemand drauf, wer da jetzt mit was als Waffe anrückt.
Könnt Ihr zuverlässig einschätzen, wie vorhersehbar Euer Plot ist? @_Corinna kann es ganz bestimmt, aber ansonsten frage ich mich inzwischen wirklich, wie realistisch da die eigene Wahrnehmung ist. Habt Ihr da mal Rückmeldungen von Testlesern bekommen? Und in @LazyBastard Fall: bist Du inzwischen zuverlässiger geworden in Deiner Einschätzung?
Also mein Text hier, war mal so ne Art Brainstorm, was noch alles passieren könnte in meiner Story. Aber wer weiß wirklich wohin das alles führt? Ich momentan nicht.
Was unerwartete Wendungen in meinem Roman betrifft: Ja, die gibt es tatsächlich (z.B. der Name des Mädchens, dass das ukrainische Baby gerettet hat, oder was in dem Buch stand, das Gabi unter der Bettdecke las oder wie sich Lilli im zweiten Teil entwickelt). Aber ich hab das eigentlich gar nicht so geplottet. Es passierte eben. Und ich freute mich, dass meine Testleser davon überrascht waren.
Ich nehme an, dass das okay ist, denn man legt ja Spuren. Zwischendurch kann der Leser dann verunsichert werden und denken „ach nee, das kann dann doch nicht sein“. Am Ende muss es aber schlüssig sein, der Mörder/die Auflösung sollte nicht wie Kai aus der Kiste springen und für die totale Überraschung sorgen. Mich stört es z.B., wenn die Auflösung darin besteht, das ein Antagonist ganz plötzlich ein Psycho ist und damit die Taten begründet werden. Daher finde ich auch das Denkbrett „Tschechows Waffe“ hilfreich, es muss sich ja nicht zwingend um Waffen handeln. Das hilft auch, frühere Andeutungen zu berücksichtigen, bzw. nicht komplett neue Ansätze aufspringen zu lassen.
Das zwar nicht, aber es ist mir ein wenig gleichgültiger geworden. Es ist nicht so, dass ich den EINEN großen Plottwist habe, sondern mehrere kleinere. Und nachdem nicht alle Leser gleich sind, erahnen die einen etwas schon früher, die anderen dafür gar nicht. Am Ende wird es sich hoffentlich die Waage halten und Hauptsache man liest weiter.
Es ist ja ein wenig wie bei einem Actionfilm oder bei den (allermeisten) Horrorstreifen - das Ende weiß man schon, bevor der Film begonnen hat
Der Zwischenpart muss den Leser halt auch bei der Stange halten.
Mir geht es auch wie @Tapio, ich habe Meilensteine. Dazwischen hangele ich mich am Seil durch. Da kann es schon passieren, dass am Ende ein Stein komplett umgedreht wird. Wenn es gut läuft, begrüße ich das, wenn nicht, denke ich: Was für ein Schrott.
Was dich umtreibt, sind Selbstzweifel. Die kennt sicher jeder, in der ein oder anderen Form. Manchmal denke ich auch, ist das jetzt zu banal, zu vorhersehbar oder schreibe ich irgendwelchen Müll, den sowieso niemand interessiert?
Schreibst du Krimis?
Hast Du denn Leser? Ich habe ja zum Beispiel schonmal Interesse angemeldet.
Macht es für Dich einen Unterschied, ob Du Leser hast?
Das Schreiben als Hobby ist einfach so schön. Vielleicht ist es am Ende egal, ob das Geschreibsel begeisterte Leser findet, oder nicht.
Irgendwie glaube ich, die meisten Autoren schreiben vieles, das niemand liest, selbst bekannte Schriftsteller. Und irgendwann ist dann etwas Gutes dabei, ein richtig guter Text, und dann braucht man immer noch Glück, um Leser zu finden, weil Vermarktung schwierig ist. Unabhängig davon, ob man Leser findet oder nicht, sagt das nicht unbedingt etwas über die Qualität der Texte aus. Man braucht auch immensen Mut für Lesungen, oder um seine Geschichten aktiv zu bewerben.
Ich wünsche Dir ganz fest, dass Du mit Deinen Geschichten Menschen Freude bereitest (oder Furcht, oder Herzschmerz, was auch immer du eben vermitteln möchtest).
Über so etwas muss ich bisher gar nicht nachdenken, außer Verwandten und Freunden wird mein Buch niemand lesen, und die muten sich das auch nur zu, um mir Tipps geben zu können, wie ich besser werde.
Uffh naja. Es ist mein erster. Und mein erstes, größeres Projekt noch dazu.
Bisher sonst nur Kurzgeschichten, und da eher Horror oder Grusel. Also das Buch ist wirklich nichts, was Potential zu großartiger Literatur hat, aber ich möchte es so gut schreiben, wie ich selbst es zum jetzigen Stand eben kann. Und mit irgendwas muss man irgendwann ja anfangen.
Ich hatte dich auch schon ins Auge gefasst und ich bin jetzt wirklich an einem Punkt, wo ich entscheiden muss, wo geht es hin. Denn ich bin selbst überrascht. Eigentlich sollte es eine Novelle werden ( die Rahmenhandlung mit einer „unerhöhrten“ Begebenheit ), jetzt ist aber die Rahmenhandlung die unerhörte Begebenheit und in der Mitte kommt die Erklärung dazu. Und der Knackpunkt: es könnte blutig werden. Das war gar nicht geplant.
Ich ziehe den Hut vor Autoren, die offensiv ihre Arbeit bewerben. Auf Lesungen und Messen gehen. Ich habe die Ausrede: keine Zeit. Was auch stimmt.
In meinem Umfeld zeige ich jetzt langsam mal was. Aber auch erst, seitdem ich hier im Forum unterwegs bin, weil ich festgestellt habe, ich bin nicht allein.
Mein Umfeld fand das natürlich alles super, was ja auch keine Kunst ist, weil sie selbst nicht schreiben. Das ist ja keine konstruktive Kritik.
Wenn du dir das wirklich ansehen willst, schicke ich dir mal meine jetzige Arbeit per PN. Hast du das Papyrus Programm?