Kurz vor weg, ich habe das schreiben gerade für mich selber Entdeckt. Ich würde gerne mal eure Meinung zu meinem werk erfahren. Was noch komplett in Arbeit ist. Schon mal ansatzweise vorstellen
Prolog
Es war ein kühler Herbstabend. Der Himmel hatte längst sein Blau verloren und hing schwer über den Wipfeln des Waldes, während die Sonne als blutroter Schimmer hinter den Hügeln erlosch. Die Luft roch nach feuchtem Laub und kaltem Asphalt, und irgendwo in der Ferne krächzte ein einsamer Rabe.
Ich fuhr mit meinem Fahrrad die schmale Landstraße entlang. Kein Radweg, nur der dunkle Asphaltstreifen, der sich in einer engen Biegung am Waldrand vorbeischlängelte. Die Stille des Abends wurde nur vom leisen Surren meiner Reifen und meinem eigenen Atem durchbrochen. Ich wollte nur nach Hause – und doch spürte ich diese merkwürdige Unruhe, die zwischen den Schatten der Bäume lauerte.
Plötzlich blendete mich ein grelles Licht. Fernlicht. Ein Auto kam mir entgegen, viel zu schnell, die Scheinwerfer wie brennende Fackeln direkt in meine Augen gerichtet. Für einen Moment war ich blind, konnte den Straßenrand nicht mehr erkennen.
Ich hörte das Aufheulen eines Motors hinter mir. Ein zweites Auto – direkt auf meiner Spur. Der Fahrer hatte mich nicht gesehen.
Ein gellendes Hupen, ein Schrei, der mir kaum bewusst entfuhr – und dann der Aufprall.
Mein Körper prallte hart gegen die Motorhaube, spürte das Brechen von Metall, das Knacken von Knochen. Dann wurde ich in die Dunkelheit geschleudert, hinein in die starren Äste am Straßenrand. Holz splitterte, die Welt drehte sich.
Und Stille.
Nur das Ticken eines unsichtbaren Herzens in der Ferne, wie ein Schlag gegen die Wände der Wirklichkeit. Ich versuchte zu atmen, doch der Atem blieb mir im Hals stecken.
Das Letzte, was ich sah, war der Himmel – schwarz und grenzenlos – bevor er sich öffnete wie ein Vorhang. Dahinter glühte ein anderes Licht, kalt und fremd, wie das Auge eines schlafenden Riesen, das sich langsam auf mich richtete.
Dann fiel ich.
Tiefe, endlose Finsternis – und irgendwo darin begann eine neue Welt.
Kapitel 1
Der Duft von frisch gebackenen Brötchen und süßem Kakao hing schwer in der Luft, vermischt mit dem leisen Klirren von Tellern und dem rhythmischen Ticken der alten Wanduhr. Durch das Fenster fiel ein blasser Streifen Morgensonne, der sich auf dem Holztisch brach und das Geschirr in ein warmes, goldenes Licht tauchte.
„So, jetzt setzt euch endlich – sonst ist gleich alles kalt“, sagte meine Mutter mit diesem vertrauten Tonfall, der streng klingen sollte, aber immer ein bisschen nach Lächeln schmeckte. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab, bevor sie das letzte Glas auf den Tisch stellte.
Mein kleiner Bruder saß schon längst da, viel zu ungeduldig, um auf irgendwen zu warten. Seine Beine baumelten unter dem Stuhl, schlugen gegen die Luft, als könnten sie es kaum erwarten, in den Tag zu rennen. Mit einem übermütigen Ruck riss er ein Brötchen auseinander – doch die Hälfte sprang ihm aus der Hand, prallte auf seinen Teller und rollte klopfend auf den Boden.
Er erstarrte. Einen Sekundenbruchteil später gluckste er los – dieses helle, ansteckende Lachen, das alles im Raum in Bewegung brachte.
„Der wollte wohl abhauen!“, rief er kichernd, halb unter dem Tisch verschwunden.
Ich konnte nicht anders, ich musste mit lachen. Dieses Lachen, das aus dem Bauch kommt, das man nicht aufhalten kann, selbst wenn man wollte.
Meine Mutter versuchte, ernst zu bleiben. Vergeblich. „Na, der Brötchenflüchtling hat ja Glück, dass ich noch Vorrat habe.“ Sie reichte ihm ein neues, und ihre Augen funkelten dabei so warm, dass sogar der Nebel draußen an den Fenstern ein Stück heller wirkte.
„Das nächste hältst du aber bitte fest, verstanden?“ Sie hob den Zeigefinger, aber das Grinsen auf ihren Lippen verriet sie.
Ich schmierte mir inzwischen Butter aufs Brötchen, langsam, fast genüsslich. Doch kaum hatte ich die Marmelade aufgetragen, schob sich eine kleine Hand in mein Blickfeld.
„He! Gib mir das!“
Ich verdrehte die Augen. „Nimm dir selber die Marmelade, du hast doch zwei Hände.“
„Ja, aber du machst’s das so gut.“
Er grinste so breit, dass ich aufgeben musste. Ein Stück Marmeladenbrötchen wanderte auf seinen Teller, und er grinste, als hätte er gerade einen Schatz gewonnen.
Meine Mutter schüttelte lachend den Kopf. „Ihr zwei seid schlimmer als die Affen im Zoo.“ Sie nahm einen Schluck Kaffee, seufzte dramatisch und sagte gespielt erschöpft: „Wenn das so weitergeht, brauche ich bald drei Frühstückstische.“
Das brachte uns beide endgültig zum Lachen – diesmal so sehr, dass meine Mutter nicht mehr widerstehen konnte mit zu Lachen. Für einen Moment war der ganze Raum erfüllt von Stimmen, Lachen und dem Rascheln des Lebens.
Draußen zog der Nebel langsam weiter, schwer und träge. Aber drinnen, in dieser kleinen, hellen Küche, war es warm.
Warm – und voller Liebe.
Ein Augenblick, so leicht und flüchtig wie Dampf über einer Tasse Kakao. Und doch einer, den man nie vergisst.
„Also, was habt ihr heute so vor?“, fragte Mama, während sie sich ein Brötchen aufschnitt. Ihre Stimme klang hell und ruhig, so wie an fast jedem Morgen, aber man hörte, dass sie es eilig hatte.
Ich nahm mir ein Stück Marmelade und zog mit dem Messer eine dicke Spur über mein Brötchen. „In der Schule ist heute nix Besonderes. Nur Mathe… und wahrscheinlich wieder Hausaufgaben ohne Ende.“
„Na, das klingt ja spannend“, meinte sie trocken und stellte ihre Tasse ab.
„Ich hab Sportwettkampf!“, platzte Erik plötzlich dazwischen. „Und ich bin diesmal bestimmt der Schnellste – ich hab gestern extra geübt!“
„Geübt?“, fragte ich und grinste. „Wie denn? Du bist doch nach den Hausaufgaben sofort eingeschlafen.“
Er zog eine Grimasse. „Nur kurz! Ich bin wenigstens nicht so lahm wie du beim Fahrradfahren.“
„Ha! Ich war beim letzten Rennen zehn Meter vor dir im Ziel!“
„Warst du gar nicht!“
„War ich wohl!“
Mama seufzte und hob die Hände. „Jungs, bitte! Es ist noch nicht mal acht Uhr, und ihr führt euch auf wie beim Wettkampf.“
Wir mussten beide lachen. Ich konnte nie lange sauer auf ihn sein – er war eben mein kleiner Bruder. Nervig, aber irgendwie auch mein bester Freund.
„Und was ist mit dir?“, fragte Mama und sah mich an. „Nach der Schule direkt nach Hause, verstanden? Kein Umwege.“
Ich wollte gerade protestieren, aber ihr Blick ließ mich innehalten. „Ich treff mich nur kurz mit Ben und Jonas, okay? Wir müssen das Plakat für Bio fertig machen.“
„Aha, Plakat…“ Sie zog die Augenbrauen hoch, doch man merkte, dass sie sich das Lächeln verkneifen musste.
„Echt jetzt!“, sagte ich und hob abwehrend die Hände. „Wir machen das bei Ben zu Hause.“
„Hm.“ Sie nahm einen Schluck Kaffee, dann lächelte sie doch. „Na gut. Aber bitte nicht zu spät. Und denk dran: Dein Vater kommt morgen früh. Ich will, dass es hier ordentlich aussieht.“
Kurz wurde es still. Ich starrte auf mein halb gegessenes Brötchen, und Erik spielte mit dem Löffel in seinem Kakao.
„Papa bringt bestimmt wieder was mit, oder?“, fragte Erik leise.
Mama nickte. „Bestimmt. Vielleicht Schokolade – so wie beim letzten Mal.“
„Oder was Cooles wie ein neues Fahrad“, sagte ich und grinste.
„Erst mal sehen, ob du dein altes repariert hast“, meinte sie und tippte mir mit dem Finger gegen die Stirn. „Sonst brauchst du gar kein neues.“
Ich lachte und nahm den letzten Schluck Kakao. Die Wärme breitete sich in mir aus – eine Mischung aus Geborgenheit und dem leisen Kribbeln vor einem neuen Tag.
Draußen war der Nebel inzwischen dünner geworden. Sonnenstrahlen fielen schräg durchs Fenster, zeichneten helle Linien auf den Tisch. Mama summte leise, während sie die Teller abräumte.
Ich sah sie einen Moment lang an – wie sie dort stand, ganz in Gedanken, und trotzdem alles im Blick hatte.
Es war einer dieser Morgen, die sich so normal anfühlen.
So friedlich, dass man nie auf die Idee käme, dass sie irgendwann einmal wichtig werden könnten.
„So, ihr zwei – Rucksäcke an und Schuhe zu!“, rief Mama aus dem Flur.
Ich kaute noch auf dem letzten Stück Brötchen herum, während ich mit einer Hand versuchte, meine Jacke zuzuknöpfen. Der Kakao dampfte noch halb voll auf dem Tisch, aber für einen Nachschlag blieb keine Zeit mehr.
„Ich find meinen Helm nicht!“, rief Erik hektisch aus dem Wohnzimmer.
„Er liegt im Flur, neben deinen Schuhen!“, antwortete Mama.
„Hab ihn!“, kam es kurz darauf, begleitet vom Geräusch einer zuschlagenden Schublade.
Ich lachte. „Man könnte meinen, du machst hier jedes Mal einen Wettlauf gegen die Zeit.“
„Ich will halt nicht zu spät kommen!“, meinte er, während er sich den Rucksack über die Schultern warf.
Mama kam hinter uns her, stellte sich in die Tür und sah uns beide an. „So, jetzt seid ihr bereit für die große Welt.“
Dann beugte sie sich kurz zu Erik hinunter, zog seinen Reißverschluss hoch und richtete ihm die Mütze. „Und du, kleiner Wirbelwind, bleib bitte auf dem Radweg.“
„Mach ich!“, sagte er stolz und rannte schon Raus.
„Und du“, meinte sie dann zu mir, „passt bitte ein bisschen auf ihn auf, ja?“
Ich nickte. „Klar. Ich hab ihn im Blick.“
Draußen war es kühl, der Morgennebel hing noch tief über den Vorgärten. Der Asphalt glänzte feucht vom Tau, und aus den Bäumen tropfte Wasser auf die Straße. Ich schob mein Fahrrad aus dem Schuppen, Erik tat es mir nach.
„Brrr, kalt!“, rief er, während er in die Pedale trat und kleine Atemwolken vor sich her pustete.
„Beweg dich einfach, dann wird’s warm“, sagte ich und holte ihn mit einem kräftigen Tritt ein.
Wir fuhren los – erst langsam, dann immer schneller. Die Reifen surrten leise über den nassen Asphalt, und irgendwo krähten die ersten Krähen.
Die Straße führte am Feldrand entlang, und durch den Nebel konnte man die Sonne nur als hellen, verschwommenen Kreis erkennen.
„Wetten, ich bin als Erster an der Kurve?“, rief Erik und trat stärker in die Pedale.
„Träum weiter!“, lachte ich und zog an ihm vorbei. Für einen Moment fuhren wir nebeneinander, Schulter an Schulter, bis er plötzlich lachte und mich mit einem kleinen Spritzer aus seiner Fahrradflasche traf.
„He!“, rief ich, doch ich musste selber lachen.
Mama stand noch immer in der Haustür, klein und ruhig in der Ferne. Ich drehte mich ein letztes Mal um und hob kurz die Hand. Sie winkte zurück.
Dann waren wir schon hinter der nächsten Kurve verschwunden – zwei Fahrräder, zwei Brüder, ein ganz normaler Morgen.
Der Nebel lichtete sich langsam, und mit jedem Meter fühlte sich der Tag ein Stück größer an.
Ich ahnte nicht, dass ich mich später an genau dieses Licht erinnern würde – an das leise Surren der Räder, an Eriks Lachen, das noch in der Luft hing.
Damals war einfach alles in Ordnung.
Der Nebel verzog sich langsam, während wir weiterfuhren. Die Straße führte an Wiesen vorbei, auf denen noch feuchte Spuren vom Tau glänzten. Aus einem Garten bellte ein Hund, irgendwo rauschte ein vorbeifahrendes Auto – das gleichmäßige Surren unserer Räder mischte sich mit dem leisen Rattern der Ketten.
„Komm schon, du bist ja voll lahm!“, rief Erik und beugte sich über den Lenker.
„Warte nur, bis’s bergauf geht!“, konterte ich und trat fester in die Pedale.
Er lachte laut, und für einen Moment war alles nur Bewegung, Atem, Wind im Gesicht. Das war unser täglicher Wettstreit – wer zuerst am Schulzaun ankam.
Kurz vor dem Tor gab ich noch einmal richtig Gas, und Erik versuchte verzweifelt mitzuhalten. Wir kamen fast gleichzeitig zum Stehen, beide keuchend, mit roten Wangen und breiten Grinsen.
„Unentschieden!“, japste er.
„Nur, weil ich dich hab gewinnen lassen“, sagte ich, während ich vom Rad stieg.
„Sicher doch!“ Er grinste frech und stieg ab.
Der Schulhof war schon voll. Überall standen Gruppen, redeten, lachten, manche rannten noch schnell zur Tür, bevor der Gong kam. Die Sonne kämpfte sich jetzt durch den letzten Nebel, warf helle Flecken auf die Pflastersteine.
Ich hockte mich hin und half Erik, sein Fahrrad am Zaun festzuketten. Das Schloss klemmte ein bisschen, und seine kleinen Finger wollten nicht richtig durch die Öse.
„Warte, gib her“, sagte ich ruhig und zog die Kette durch den Rahmen. Klick. Das vertraute Geräusch, das den Morgen beschloss.
„So, jetzt bist du sicher.“
„Danke“, meinte er leise, dann grinste er wieder. „Ich geh schon mal zu Max, der wartet da hinten!“
„Okay, mach. Und pass auf, dass du nicht wieder deine Jacke irgendwo liegen lässt!“
„Mach ich nicht!“, rief er und lief los, den Rucksack halb offen, wie immer.
Ich sah ihm kurz nach. Dann stellte ich mein eigenes Fahrrad daneben, schloss es ab und drehte mich zum Eingang. Meine Freunde standen schon beim Basketballkorb, lachten über irgendwas, das Jonas erzählt hatte.
Ich rief ein kurzes „Morgen!“ hinüber.
Ich schob mein Fahrrad endgültig an den Zaun, sah kurz zu Erik hinüber – er stand schon bei Max, grinste breit und erzählte irgendwas, das mit wildem Gestikulieren zu tun hatte. Ich musste lächeln.
Dann wandte ich mich um und ging zu Jonas und Ben, die wie immer beim Basketballkorb standen.
„Na, was ist denn hier so witzig?“ fragte ich, während ich mir die Hände in die Jackentaschen schob.
Jonas grinste. „Ben hat gestern die Mathehausaufgaben abgeschrieben – von Mia.“
„Und?“, fragte ich.
„Tja“, sagte Ben, „sie hatte alles falsch!“
Ich lachte. „Na dann Glückwunsch, du hast’s geschafft, dümmer zu werden, ohne was zu lernen.“
„Ey!“ Ben stieß mich mit dem Ellenbogen an, grinste aber. „Nächstes Mal kopier ich lieber von dir. Du machst wenigstens halbe Fehler.“
Ich wollte gerade kontern, da hörte ich eine vertraute Stimme:
„Oder du machst sie einfach selber.“
Ich drehte mich um – Lea stand da.
Lange, hellblonde Haare, leicht zerzaust vom Wind, Rucksack über einer Schulter, und dieses Lächeln, das mich jedes Mal irgendwie aus dem Takt brachte.
„Hey“, sagte ich schnell, versuchte dabei, locker zu wirken. Ich hoffte, man sah mir nicht an, dass mir gerade warm ums Gesicht wurde.
„Hey“, erwiderte sie und trat zu uns. „Was redet ihr da? Schon wieder über Hausaufgaben?“
„Über Bens Mathe-Desaster“, sagte Jonas. „Er hat von Mia abgeschrieben.“
„Ach echt?“ Lea lachte, und ihre Augen blitzten kurz zu mir, als wollte sie wissen, ob ich auch darüber lache. Ich tat’s. Natürlich. Vielleicht ein bisschen zu laut.
„Dann ist Mia ja schuld, wenn er morgen sitzenbleibt“, sagte sie und schob sich eine Strähne hinters Ohr.
„Sie ist schuld an vielem“, murmelte Ben gespielt beleidigt, und alle lachten. Nur ich stand da, grinste etwas verlegen und versuchte, nicht zu offensichtlich zu starren.
Der Wind fuhr über den Schulhof, trieb ein paar Blätter über den Asphalt. Lea zog ihre Jacke enger, und in diesem Moment schlug der Gong.
Ein schriller Ton, der alles durcheinanderwarf.
„Na los, sonst kriegen wir wieder Ärger mit Frau Bergmann!“, rief Jonas.
„Ich komm gleich“, sagte Lea und wandte sich noch einmal kurz zu mir. „Du hast doch die Bio-Mappen, oder?“
„Ja, klar“, sagte ich schnell. „Ich geb sie dir gleich in der Klasse.“
Sie lächelte. „Super, danke.“ Dann lief sie los, das Licht der Morgensonne in ihren Haaren.
Ich blieb einen Moment stehen, sah ihr nach, bis Ben mir leicht gegen den Arm stieß.
„Komm schon, Romeo. Der Unterricht wartet.“
Ich rollte mit den Augen, konnte mir aber ein Grinsen nicht verkneifen.
Wir liefen los – hinein in die Schule.
Das Stimmengewirr auf dem Flur hallte zwischen den Wänden wider. Schüler drängten durch die Tür, Stühle scharrten, Rucksäcke landeten neben den Tischen. Der Geruch von nasser Jacke und Kreidestaub hing in der Luft.
Ich setzte mich auf meinen Platz am Fenster, Jonas und Ben direkt hinter mir. Draußen hing noch ein Rest Nebel zwischen den Bäumen, aber die Sonne kämpfte sich schon hindurch und warf helle Streifen auf den Boden.
Lea kam ein paar Sekunden später herein, der Rucksack halb offen, ein Lineal schaute heraus. Sie lächelte kurz, als sie an mir vorbeiging. Ich versuchte, cool zu wirken, aber mein Herz machte diesen einen Sprung, den ich nie kontrollieren konnte.
„Guten Morgen!“, rief Frau Bergmann mit ihrer typischen Energie, während sie an die Tafel schrieb. „Heute machen wir Geometrie. Holt bitte euer Geodreieck heraus und schlagt Seite 72 auf – wir konstruieren Dreiecke.“
Ein leises Stöhnen ging durch die Klasse.
„Ich liebe Dreiecke“, murmelte Ben hinter mir ironisch.
„Ich liebe Ferien“, flüsterte ich zurück, und Jonas kicherte laut auf.
„Jonas! Ben!“, kam es scharf von vorne. „Wenn ihr so viel Energie habt, dürft ihr gleich an die Tafel kommen.“
„Ähm… lieber nicht“, sagte Jonas schnell, und ein paar Schüler kicherten.
Ich beugte mich über mein Heft, zog die ersten Linien. Das Rascheln von Papier, das Kratzen der Bleistifte – es war diese typische Stille zwischen Konzentration und Müdigkeit.
Ich zeichnete das Dreieck, maß die Winkel, aber mein Blick wanderte immer wieder zu Lea. Sie saß zwei Reihen weiter vorn, die Stirn leicht gerunzelt, während sie mit der Zunge zwischen den Lippen das Geodreieck ausrichtete.
Ich musste grinsen. Sie war so konzentriert, dass sie die Welt um sich herum vergaß.
„Sehr schön!“, sagte Frau Bergmann und klopfte mit dem Zeigestock auf den Tisch. „Und jetzt zeichnen wir noch ein gleichschenkliges Dreieck – diesmal mit Winkelangabe. Wer möchte an die Tafel?“
Stille.
Ich sah mich nicht um, aber ich spürte, wie Frau Bergmanns Blick den Raum abscannte.
„Dann eben ich selbst“, seufzte sie und begann zu zeichnen.
Die Stunde zog sich hin. Gegen Ende war das Licht draußen schon heller geworden, und die Sonne glitzerte auf den Fensterscheiben. Als der Gong ertönte, atmete jeder hörbar auf.
Kaum hatten wir den Klassenraum gewechselt, roch es nach Alkohol, Glasgefäßen und den alten Pflanzen, die auf der Fensterbank standen. Herr Krüger, unser Biolehrer, stand bereits vorne – wie immer leicht zerstreut, mit einem Kaffeefleck auf dem Hemd.
„Guten Morgen, zusammen! Heute reden wir über das Thema Zellen und ihre Bestandteile“, sagte er und klatschte in die Hände. „Also – was ist das Wichtigste an einer Zelle?“
Jonas hob sofort die Hand. „Dass sie kleiner ist als ein Reiskorn?“
Einige lachten.
Herr Krüger lächelte müde. „Nicht ganz falsch, aber das war keine wissenschaftliche Antwort, mein Lieber.“
Lea meldete sich. „Dass sie die kleinste lebende Einheit eines Organismus ist?“
„Sehr gut, Lea!“ Er nickte begeistert. „Genau das wollte ich hören.“
Ich sah kurz zu ihr hinüber. Sie lächelte stolz, und ich fühlte dieses kleine Ziehen in der Brust – eine Mischung aus Bewunderung und Verlegenheit.
Ich versuchte schnell, in meinem Heft mitzuschreiben, aber meine Gedanken waren längst woanders.
„Und jetzt schaut euch bitte Seite 48 an – das Schema einer Pflanzenzelle.“
Man hörte das Rascheln der Bücher, das Klicken von Kugelschreibern.
Ben flüsterte hinter mir: „Ich schwör, wenn er gleich wieder diese Mikroskope rausholt, seh ich nur noch grüne Flecken.“
„Das sind die Zellen“, flüsterte ich zurück, und wir mussten beide kichern.
„Hinten bitte Ruhe!“, kam es von Herrn Krüger, der sich gerade mit seiner Kaffeetasse drehte.
Ein paar Schüler kicherten, weil er wieder vergessen hatte, dass an seiner Tasse ein kleiner Plastik-Einhorn-Aufkleber klebte.
Die Stunde verging langsam, aber angenehm. Ich zeichnete sorgfältig die Zellstruktur ab, Strich für Strich. Irgendwie beruhigend.
Als der Gong zur großen Pause ertönte, atmete die ganze Klasse auf.
„Hausaufgabe: Zellen beschriften und lernen!“, rief Herr Krüger noch, doch die meisten waren schon halb aufgestanden.
Ich packte meine Sachen zusammen, sah kurz zu Lea, die sich gerade ihren Zopf neu band, und dann zu Jonas und Ben.
„Kommst du mit raus?“, fragte Jonas.
„Klar“, sagte ich. „Ich brauch frische Luft.“
Wir verließen den Raum – hinein in den lärmenden Flur, wo die große Pause gerade begann.
Die Tür flog auf, und sofort strömte Lärm in den Flur. Stimmen, Gelächter, Schritte, das Quietschen von Turnschuhen auf Linoleum.
Ich drückte mich durch die Menge hinaus auf den Schulhof – frische Luft, endlich.
Die Sonne hatte den Nebel endgültig vertrieben. Der Himmel war jetzt hellblau, und auf den Pfützen vom Morgen tanzten helle Lichtreflexe. Überall standen Gruppen, redeten durcheinander, knabberten an Broten oder zogen Trinkpäckchen aus ihren Rucksäcken.
Jonas und Ben liefen direkt zum Klettergerüst, wo schon ein paar andere Jungs standen.
„Komm, wir setzen uns rüber zur Bank!“, rief Jonas.
Ich folgte ihnen, warf meinen Rucksack neben mich und biss in mein belegtes Brötchen.
„Boah, ich schwör, ich kann keine Zellen mehr sehen“, stöhnte Ben. „Wenn der noch einmal sagt ‚Zellkern‘, wach ich morgen als Pflanze auf.“
Jonas lachte. „Dann stell dich wenigstens ans Fenster, du Sonnenblume.“
Ich grinste, kaute weiter und ließ meinen Blick über den Schulhof schweifen.
Ein Stück weiter drüben stand Lea bei zwei Freundinnen, mit einem Apfel in der Hand. Ihr Lachen war hell, fast musikalisch.
Manchmal konnte ich gar nicht sagen, was mich an ihr so faszinierte – vielleicht war es einfach dieses Unbeschwerte, das sie ausstrahlte.
„Erwischt!“, flüsterte Jonas plötzlich. Ich zuckte zusammen.
„Was?“
Er grinste breit. „Ich hab genau gesehen, wohin du gerade geguckt hast.“
„Quatsch.“
„Ja klar, quatsch. Du guckst sie an, als wär sie das siebte Weltwunder.“
Ich verdrehte die Augen. „Halt die Klappe, sonst erzähl ich Lea, dass du dich vor Mathearbeiten fürchtest.“
„Deal“, lachte er. „Aber wenn du sie nicht ansprichst, dann mach ich’s für dich.“
„Mach das, und du bist tot.“
Wir lachten beide, und Ben warf mit einem Stück Brötchen nach uns.
„Ihr seid so kindisch“, murmelte er, grinste aber.
Ein Windstoß zog über den Hof und ließ die letzten gelben Blätter von den Bäumen tanzen. Irgendwo schrie ein Lehrer nach einer Gruppe Fünftklässler, die wieder zu wild spielte.
Ich lehnte mich zurück, die Sonne im Gesicht, das Rufen, Lachen, Toben um mich herum – einfach dieser ganz normale Schultag.
Dann kam Lea vorbei. Sie blieb kurz stehen, direkt neben unserer Bank.
„Hey“, sagte sie und sah mich an.
„Hey“, erwiderte ich, etwas zu schnell.
„Du hast mir doch die Bio-Mappe mitgebracht, oder?“
Ich griff in den Rucksack, zog sie heraus und reichte sie ihr. „Hier. Ist alles drin.“
„Danke“, sagte sie, und ihr Lächeln war dieses warme, ehrliche, das einem kurz die Luft nimmt.
„Kein Problem“, brachte ich gerade noch heraus.
„Also dann – bis nachher.“ Sie ging weiter, ihre Freundinnen riefen schon nach ihr.
Jonas grinste nur und tippte mir gegen den Arm. „Na, läuft doch.“
Ich tat so, als würde ich ihn ignorieren, aber innerlich grinste ich genauso breit.
Das Klingeln kündigte das Ende der Pause an.
Überall begannen Schüler, ihre Sachen zu packen, Brotpapiere zu zerknüllen, Rucksäcke zu schultern.
Ich warf noch einen kurzen Blick zu Lea, die gerade in Richtung Eingang ging – dann stand ich auf, schwang mir meinen Rucksack über und folgte den anderen.
Noch ein paar Stunden, dann war der Schultag vorbei.
Alles fühlte sich ruhig an, vertraut, sicher.
Dritte Stunde – Deutsch
Der Wind hatte wieder aufgefrischt, man hörte ihn sogar durch die alten Fenster pfeifen, als wir uns alle in den Deutschraum setzten. Frau König, unsere Lehrerin, stand bereits vorn – Brille auf der Nasenspitze, Zettel in der Hand. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
„So, meine Lieben“, sagte sie, „heute schreiben wir einen kleinen Überraschungstest. Thema: Aufsatzformen und Rechtschreibung.“
Ein Stöhnen ging durch die Klasse.
Jonas sah zu mir und flüsterte: „Überraschung heißt bei ihr: sie hat’s seit Montag geplant.“
Ich musste mir das Lachen verkneifen, während die Blätter verteilt wurden.
Der Test war nicht schwer, aber lang. Wörter abschreiben, ein paar Sätze ergänzen, eine Mini-Erörterung schreiben – ich kam gut durch.
Hinter mir hörte ich Jonas leise murmeln.
„Hey, Ben… was hast du bei Nummer vier?“
„Psst!“, zischte Ben zurück.
Ich spürte förmlich, wie Jonas sich vorbeugte, um in mein Heft zu linsen.
„Jonas!“, schallte plötzlich Frau Königs Stimme durch den Raum.
Alles verstummte. Selbst die Uhr an der Wand schien kurz stillzustehen.
Jonas zuckte zusammen. „Ähm… ja?“
„Was genau tust du da?“
„Ich… äh… wollte nur…“
„Abschreiben also.“
Ein paar kichernde Stimmen. Jonas wurde rot bis zu den Ohren.
„Nein, Frau König, ich hab nur kurz—“
„Jonas!“, unterbrach sie ihn streng. „Ich hab’s gesehen. Test her.“
Er gab das Blatt zögernd ab, seine Augen flehten fast.
„Bitte nicht… keine Sechs, echt jetzt, ich schwör, ich wollte nur—“
Doch Frau König blieb unbewegt. „Regeln sind Regeln. Wer abschreibt, bekommt eine Sechs. Ende der Diskussion.“
Er sank in seinen Stuhl, ließ den Kopf hängen. Ben starrte stumm auf sein Blatt, wagte keinen Ton.
Die restliche Stunde war mucksmäuschenstill. Man hörte nur das Kratzen der Stifte – und irgendwo, ganz leise, Jonas’ leises Seufzen.
Vierte Stunde – Englisch
Nach der Pause saßen wir alle wieder im Klassenraum, diesmal bei Mr. Collins – unserem englischen Lehrer aus London. Immer gut gelaunt, immer zu freundlich, und immer der Meinung, dass Theatre Practice Spaß machen müsse.
„Alright, class!“, begann er fröhlich. „Today we’re doing something different. We will act out a short dialogue from the book – A Talk About Feelings.“
Jonas flüsterte: „Oh nein, Gefühle. Ich krieg jetzt schon Gänsehaut.“
Ben lachte leise.
„Let’s see… who wants to go first?“
Niemand meldete sich.
Mr. Collins lächelte. „Well then… I choose.“ Sein Blick glitt über die Klasse – und blieb bei mir hängen. „You and… Lea! Perfect! Come on, you two!“
Mir rutschte fast das Herz in die Hose.
„Äh… okay…“, murmelte ich und stand langsam auf. Lea tat dasselbe, leicht verlegen, aber lächelnd.
Wir gingen nach vorn zur Tafel, während der Rest der Klasse erwartungsvoll grinste. Jonas flüsterte laut genug: „Na, das wird spannend.“
Mr. Collins drückte uns zwei Zettel in die Hand. „Scene five: Best Friends or Maybe More. Read it together, please. Try to act it out.“
Ich las die ersten Zeilen und spürte, wie mir heiß wurde. Es war ein Gespräch zwischen zwei Freunden – Tom und Sophie –, die sich gegenseitig gestehen, dass sie vielleicht mehr füreinander empfinden.
Ich sah zu Lea. Sie lächelte unsicher. „Ready?“
„Ähm… ja, klar.“
Wir begannen zu lesen.
„Tom: I think you’re… different. In a good way.“
„Sophie: Different? What do you mean?“
„Tom: I mean… I like spending time with you.“
Ein paar Kicherer aus der Klasse.
Ich spürte, wie mir die Ohren glühten.
Lea las weiter, ruhig, fast zu echt:
„Sophie: Maybe I like you too… more than just a friend.“
Ein Raunen ging durch den Raum. Jonas hustete demonstrativ.
Lea sah mich kurz an – direkt in die Augen. Und plötzlich war da dieses kleine, echte Lächeln. Kein gespieltes, kein peinliches – einfach warm.
Ich stockte kurz, suchte nach der nächsten Zeile.
„Tom: Really?“
„Sophie: Really.“
In dem Moment klingelte die Glocke.
Ein schrilles, befreiendes Driiing!
Ich atmete auf. Die Klasse brach in Gelächter aus, und Mr. Collins klatschte fröhlich in die Hände.
„Very good! Very authentic! Excellent chemistry!“
Lea errötete, ich vermutlich auch.
Wir setzten uns schnell wieder hin, und Jonas grinste von hinten. „Na, Tom – war das Liebe auf den ersten Blick?“
Ich schüttelte nur den Kopf, grinste aber innerlich.
Für mich war’s irgendwie… mehr gewesen als nur ein Spiel.
Der Gong hallte nach, und alle sprangen gleichzeitig auf. Stühle quietschten, Rucksäcke wurden geschnappt, Stimmen durcheinander.
Ich war froh, dass die Englischstunde vorbei war – mein Gesicht fühlte sich immer noch heiß an.
Lea ging vor mir zur Tür, drehte sich kurz um, und in genau dem Moment, als ich ebenfalls loslaufen wollte, stießen wir direkt zusammen.
„Oh!“
„Sorry!“ sagten wir gleichzeitig.
Unsere Bücher rutschten fast aus der Hand, und für einen Moment standen wir uns so nah gegenüber, dass ich ihren leichten Vanilleduft roch.
„Alles gut?“, fragte sie leise, die Wangen leicht gerötet.
„Ja, äh… klar“, stammelte ich und wich einen halben Schritt zurück.
Hinter uns grinste Jonas breit. „Na, ihr zwei solltet vielleicht gleich die Szene weiterspielen.“
„Halt die Klappe“, murmelte ich, versuchte aber zu lächeln.
Lea biss sich auf die Lippe, als würde sie das Lachen unterdrücken, und ging dann mit ihren Freundinnen den Flur entlang. Ich sah ihr kurz nach, bis Ben mir leicht gegen den Arm stieß.
„Bruder, du hast’s aber auch erwischt, oder?“, flüsterte er.
„Quatsch“, sagte ich – und merkte selbst, dass es ziemlich unglaubwürdig klang.
Wir gingen hinaus auf den Schulhof. Die Luft war frisch, die Sonne stand nun hoch und blendete leicht. Jonas hatte sich schon auf die Bank gesetzt, die wir immer in den Pausen besetzten.
„Also“, sagte er, „nach der Schule zu mir? Wir wollten doch das Bio-Plakat fertig machen, oder?“
„Ja“, meinte Ben, „und danach zocken wir ’ne Runde. Ich hab gestern das neue Rollenspiel bekommen – Legends of Avaron. Voll krass! Man kann da ganze Städte bauen und Drachen zähmen!“
„Klar, du und Drachen“, lachte Jonas. „Wetten, du verlierst in den ersten zehn Minuten?“
„Vergiss es, diesmal mach ich euch fertig!“
„Klar doch“, sagte ich und grinste. „Aber erst Hausaufgaben, sonst kriegt Ben wieder Ärger mit seiner Mutter.“
„Ja, ja“, murmelte Ben und biss in sein Pausenbrot. „Aber nur, wenn du mir Mathe erklärst.“
„Mach ich, versprochen.“
Wir redeten noch eine Weile über das Spiel, über Lehrer, über das Wochenende. Jonas erzählte, dass sein Vater ihm bald ein gebrauchtes Mountainbike schenken wollte, und Ben schwärmte weiter von Avaron – wie echt das Wasser aussah, wie der Wind die Bäume bewegte.
Die Sonne stand inzwischen hoch, wärmte den Asphalt, und der ganze Schulhof schien voller Energie.
Für einen Moment war alles leicht, friedlich – genau so, wie ein Tag in der Schule eben sein sollte.
Dann schrillte erneut der Gong.
„Na super“, stöhnte Jonas. „Jetzt Sport.“
„Immerhin kein Mathe“, grinste Ben.
Ich schulterte meinen Rucksack. „Kommt, lasst uns gehen. Sonst müssen wir wieder Bahnen laufen, weil wir zu spät sind.“
Wir machten uns auf den Weg zur Turnhalle.
Irgendwo in mir war noch das Kribbeln von vorhin – von Leas Lächeln, ihrem Duft, diesem kurzen Zusammenstoß.
Aber nach außen hin war ich einfach nur ein ganz normaler Junge, der mit seinen Freunden in die letzte Runde des Schultags startete.
Wir liefen über den Pausenhof zur Turnhalle. Der Wind roch nach Laub und Staub, und man hörte schon von Weitem das dumpfe Dröhnen eines Basketballs aus einer anderen Klasse.
„Ich wette, wir müssen wieder Runden laufen“, stöhnte Ben.
„Oder Dehnübungen mit Herrn Schneider“, sagte Jonas. „Letztes Mal hätt ich mir fast die Hüfte ausgerenkt.“
Ich lachte. „Dann bleib einfach sitzen, das bist du ja gewohnt.“
„Sehr witzig“, konterte er und schubste mich leicht gegen die Wand.
In der Umkleide war wie immer Chaos. Turnbeutel flogen, Schuhe klatschten auf den Boden, jemand rief, dass er seine Socken vergessen hatte.
Jonas zog sich in Zeitlupe um und posierte dabei übertrieben. „Na, wer braucht noch ein Autogramm?“
„Vielleicht du selbst“, grinste Ben. „Auf dein Zeugnis.“
Alle lachten, und ich schüttelte nur den Kopf. Diese Sprüche – jeden Tag dieselben, und doch irgendwie lustig.
Wir zogen unsere T-Shirts über, schnürten die Sportschuhe und liefen in die Halle.
Herr Schneider stand schon da, pfeife um den Hals, Stoppuhr in der Hand. „Na, meine Sportskanonen, schön, dass ihr auch mal pünktlich seid.“
Einige grinsten, andere verdrehten die Augen.
„Also, heute dürft ihr entscheiden, was wir machen“, sagte er. „Abstimmung: Fußball, Basketball oder Völkerball?“
Sofort gingen Hände hoch.
„Fußball!“ riefen die meisten Jungs.
„Völkerball!“, riefen fast alle Mädchen gleichzeitig.
Ein paar riefen „Basketball“, aber das ging im Lärm unter.
Herr Schneider zählte. „Fußball: zwölf Stimmen. Basketball: drei. Völkerball: fünfzehn. Also – Völkerball!“
Ein paar Jungs stöhnten laut auf.
„Och nee, echt jetzt?“
„Ich dachte, das wär nur Aufwärmen!“
Ich grinste. „Wird schon, Ben. Versuch einfach, keinen Ball ins Gesicht zu kriegen.“
„Sehr witzig“, murmelte er.
Die Mannschaften wurden aufgeteilt – ziemlich gemischt, Jungs und Mädchen bunt durcheinander.
Schon beim ersten Pfiff flogen die Bälle kreuz und quer durch die Halle. Manche Jungs warfen so fest, dass der Aufprall noch nachhallte. Herr Schneider musste zweimal pfeifen, um sie zu bremsen.
„Nicht übertreiben!“, rief er. „Das ist kein Kriegsspiel!“
Trotzdem krachte es weiter.
Lea wich einem Ball geschickt aus, lachte und rief: „Ziel doch besser, wenn du’s kannst!“
Ich musste grinsen. Sie war schnell – richtig schnell.
Nach ein paar Runden war nur noch ein Spieler pro Team übrig.
Ich – gegen Lea.
Alle drumherum schrien, klatschten, feuerten ihr Team an.
Ich hielt den Ball fest in den Händen, sie stand mir gegenüber, konzentriert, das Haar etwas gelöst, die Wangen gerötet.
„Bereit?“ fragte ich.
„Immer.“
Ich warf – sie wich aus, griff blitzschnell nach dem Ball, drehte sich und warf zurück.
Wusch.
Der Ball streifte mein Bein. Nur leicht – aber getroffen.
„Treffer! Lea gewinnt!“ rief Herr Schneider lachend.
Die Halle brach in Jubel aus. Lea grinste breit, hielt triumphierend den Ball hoch, und ich musste einfach lachen.
„Okay, okay, du hast gewonnen!“
„Hättest du nicht gezielt wie beim Elfmeterschießen, wär’s knapper geworden“, neckte sie.
Als sich die Klasse langsam zerstreute, saßen wir beide noch kurz am Rand auf der Bank.
Sie rieb sich den Arm, atmete durch und sah mich an.
„Also… das mit der Englischstunde vorhin…“
„Hm?“
„Das war total peinlich. Vor allen, meine ich.“
Ich lächelte leicht. „Fand ich gar nicht so schlimm.“
„Nee?“
„Nein… eigentlich war’s ganz cool. Nur Jonas hätte seine Kommentare sparen können.“
Sie lachte leise. „Der ist unmöglich. Er meinte vorhin, wir hätten das zu echt gespielt.“
„Tja… vielleicht war’s das ja auch ein bisschen“, sagte ich, ehe ich drüber nachdachte.
Sie sah mich an – einen Moment lang still, dann lächelte sie nur und schüttelte leicht den Kopf.
„Du bist komisch.“
„Ich weiß“, sagte ich und grinste.
In dem Moment ertönte der Gong für das Ende der Stunde. Stimmen, Schritte, das Kreischen der Turnschuhe über den Boden.
Herr Schneider pfiff noch einmal laut. „Alle in die Umkleiden – und zackig!“
Wir standen gleichzeitig auf. Sie nahm ihren Ball, ich meinen Turnbeutel.
Beim Rausgehen streifte ihre Hand kurz meine. Nur ein Moment, kaum spürbar – und doch reichte er, um mein Herz wieder schneller schlagen zu lassen.
Der Unterricht war endlich vorbei. Die Sonne stand schon tiefer, und über dem Schulhof lag dieses träge Nachmittagslicht, das alles ein bisschen wärmer und langsamer machte.
Die letzten Schüler drängten Richtung Tor, Rufe, Lachen, das Quietschen von Fahrrädern.
Ich wartete wie immer bei den Fahrradständern. Nach ein paar Minuten kam Erik aus dem Nebengebäude, den Rucksack halb offen, die Jacke schief.
„Na, du Trödler“, sagte ich grinsend. „Wird’s heute noch was?“
„Warst du mal in Kunst bei Frau Lenz? Die hat uns fast ne halbe Stunde länger dabehalten!“ Er stöhnte gespielt dramatisch und schwang sich auf sein Rad.
„Na dann los, sonst schläft Mama noch ein, bevor wir daheim sind.“
Wir fuhren los. Langsam, Seite an Seite. Kein Rennen diesmal. Nur das leise Surren der Räder und das ferne Summen der Stadt.
Die Luft war mild, ein leichter Wind zog über die Felder, und irgendwo in der Ferne bellte ein Hund. Ich spürte, wie die Müdigkeit des Tages in mir sank – in den Beinen, in den Schultern, selbst im Kopf.
„Wie war’s bei dir?“ fragte Erik nach einer Weile.
„Geht so“, antwortete ich und grinste. „Mathe okay, Deutsch stressig, und in Englisch musste ich vor der ganzen Klasse was vorspielen.“
„Echt? Mit wem?“
„Mit Lea.“
Er sah mich neugierig von der Seite an. „Mit der Lea?“
„Ja, genau der.“
„Und?“
„Und… nix“, sagte ich, zuckte mit den Schultern. „War halt peinlich.“
Er lachte. „Klar, du und peinlich. Bist du rot geworden?“
„Quatsch!“
„Doch, bestimmt!“, neckte er mich und trat ein bisschen fester in die Pedale.
Ich grinste nur und ließ ihn gewähren.
„Und bei dir?“ fragte ich schließlich.
Er überlegte kurz. „War eigentlich ganz gut. In Sport war ich nicht Letzter! Und Max hat mir beim Werfen geholfen. Frau Becker meinte, ich hab Fortschritte gemacht.“
„Na siehst du“, sagte ich. „Wenn du so weitermachst, wirst du bald Klassenbester im Sprint.“
Er lachte. „Ich? Nie im Leben!“
Ein paar Minuten fuhren wir schweigend weiter. Die Sonne senkte sich langsam, warf lange Schatten über die Straße.
Vögel sammelten sich auf den Leitungen, und die Luft roch nach Holz und Herbst.
„Ich freu mich schon auf morgen“, sagte Erik schließlich. „Papa kommt doch, oder?“
„Ja. Bestimmt gleich früh. Mama hat gesagt, er bringt vielleicht wieder Schokolade mit.“
„Cool“, meinte er leise.
Wir bogen auf den letzten Feldweg vor dem Ortsschild. Das vertraute Knirschen der Reifen auf Schotter, das Rascheln der Blätter im Wind – all das fühlte sich so gewohnt an, so sicher.
Als wir in die Straße einbogen, glühte der Himmel bereits in einem weichen Orangeton. Die Sonne hing tief über den Dächern, und das Licht ließ alles friedlich wirken – die Häuser, die Bäume, sogar die alten Pflastersteine unter unseren Reifen.
„Endlich daheim“, murmelte Erik und ließ die Pedale langsam auslaufen.
Das vertraute Knirschen des Kieses unter den Reifen hallte durch die Einfahrt. Wir stellten unsere Fahrräder nebeneinander in den Schuppen. Ich lehnte meines an die Wand, und Erik ließ seins halb fallen, so wie immer.
„Na super“, sagte ich und grinste. „Wenn du so weitermachst, hat dein Rad bald mehr Beulen als du.“
Er lachte nur, schloss die Tür hinter uns und rannte schon Richtung Haustür.
Ich zog mir die Jacke aus, hängte sie an den Haken neben der Tür und trat ein.
Drinnen war es warm. Es roch nach gebratenen Zwiebeln, nach etwas Deftigem – und nach Zuhause.
Mama stand in der Küche, mit einer Schürze umgebunden, und drehte sich zu uns um, als wir hereinkamen.
„Na, da seid ihr ja endlich!“ sagte sie, und in ihrer Stimme lag Erleichterung, aber auch dieser vertraute Ton, der zwischen Freude und leichter Sorge lag.
„Ich dachte schon, ihr seid wieder irgendwo hängen geblieben.“
„Nee“, sagte Erik, „wir sind gleich nach der Schule gekommen. Ich war voll schnell!“
„Das glaub ich dir sogar“, meinte sie und strich ihm über den Kopf. „Und du?“, fragte sie mich und sah kurz prüfend auf meine Jacke, „alles gut in der Schule?“
Ich zuckte mit den Schultern. „War ganz okay. Viel los, aber nix Schlimmes.“
„Aha. Das sagst du jedes Mal, wenn du keine Lust hast, zu erzählen“, neckte sie.
„Na gut“, gab ich zu, „wir hatten Englisch mit Mr. Collins – und mussten was vorspielen.“
„Oh?“ Sie hob interessiert die Augenbrauen. „Und mit wem?“
„Mit Lea“, platzte Erik dazwischen, ehe ich überhaupt antworten konnte.
„Mit Lea?“ Mamas Lächeln wurde breit. „Die Lea, von der du schon mal erzählt hast?“
„Maaama“, stöhnte ich, „bitte fang jetzt nicht damit an.“
Sie lachte leise. „Schon gut. Ich sag ja nichts.“ Dann wandte sie sich wieder dem Herd zu.
„Was gibt’s zu essen?“ fragte Erik sofort.
„Spaghetti mit Tomatensauce. Eure Lieblingssorte.“
„Yesss!“, rief Erik, warf seine Tasche in die Ecke und setzte sich schon an den Tisch.
„Hey! Erst Hände waschen“, erinnerte Mama ihn.
Ich grinste und folgte ihm ins Bad. Als das Wasser lief und der Geruch von Seife die Luft füllte, fühlte sich alles so normal an – so vertraut, so friedlich.
Als wir zurück in die Küche kamen, war der Tisch schon gedeckt. Das Licht der Abendsonne fiel durch das Fenster und malte goldene Streifen auf die Wände.
Mama stellte den Topf auf den Tisch und sah uns beide kurz an – dieses zufriedene, müde, aber glückliche Lächeln, das sie manchmal hatte.
„Na dann“, sagte sie, „guten Appetit, Jungs.“
Der Duft von Tomatensauce füllte die Küche, als Mama die Teller auf den Tisch stellte. Das Licht war weich, warm, und das leise Klappern des Bestecks mischte sich mit dem Gluckern der Soße im Topf.
„Boah, das riecht richtig gut!“, sagte Erik begeistert und schob sich gleich eine große Portion auf den Teller.
„Langsam, du verbrennst dir sonst wieder die Zunge“, mahnte Mama mit einem Lächeln.
Ich drehte meine Gabel im Teller, beobachtete, wie sich der Dampf zwischen uns in der Luft verlor.
„Mmmh“, murmelte ich. „Das schmeckt echt perfekt.“
„Na immerhin einer, der’s würdigt“, sagte Mama schmunzelnd und sah zu Erik, der bereits die halbe Portion verschlungen hatte.
Für einen Moment war alles still – nur das leise Klirren von Gabeln, das Ticken der Uhr an der Wand, draußen irgendwo das Rauschen des Windes.
Dann sagte ich, halb in den Teller hinein:
„Ich muss nachher noch Ben anrufen.“
„Wegen eures Projekts?“ fragte Mama und sah kurz auf.
Ich nickte. „Ja. Wir wollten’s eigentlich heute machen, aber ich bin ehrlich – ich bin zu müde. Wir verschieben’s auf morgen.“
„Das ist vernünftig“, meinte sie und nahm einen Schluck Wasser. „Ihr wart ja den ganzen Tag in der Schule. Ein bisschen Pause darfst du dir auch gönnen.“
Erik grinste mit vollem Mund. „Ben hat bestimmt schon gezockt, wetten?“
Ich grinste zurück. „Hundertprozentig. Der hängt jetzt bestimmt mit Jonas im Spiel.“
„Na, dann ruf ihn lieber an, bevor er in irgendeinem Drachen-Level festhängt“, sagte Mama und zwinkerte.
Ich lachte. „Mach ich gleich nach dem Essen.“
Wieder wurde es ruhig. Draußen hatte der Wind nachgelassen, und durch das Fenster fiel das letzte Licht des Tages. Die Schatten in der Küche wurden länger, die Luft stiller.
Erik erzählte noch, wie er beim Sportwettkampf fast gewonnen hätte, und Mama hörte lächelnd zu, während sie die Teller nach und nach stapelte.
Ich lehnte mich zurück, sah aus dem Fenster. Über den Dächern färbte sich der Himmel langsam dunkelblau.
Es war einer dieser Abende, an denen alles friedlich war. So ruhig, dass man nicht glauben konnte, dass sich irgendwo auf der Welt gerade etwas veränderte.
Nach dem Essen half ich Mama noch, die Teller abzuräumen. Das Wasser lief, und das Licht über der Spüle flackerte leicht. Erik saß schon wieder im Wohnzimmer und sah irgendeine Kindersendung.
Der Duft von Tomatensauce hing noch in der Luft, vermischt mit dem leisen Klirren des Geschirrs.
„Ruf Ben ruhig jetzt gleich an“, meinte Mama, ohne sich umzudrehen. „Dann hast du’s hinter dir.“
Ich nickte, wischte mir die Hände an einem Küchentuch ab und ging ins Wohnzimmer. Der Fernseher flimmerte, die Stimmen klangen dumpf und vertraut. Ich nahm mein Handy vom Couchtisch, lehnte mich gegen den Türrahmen und wählte Bens Nummer.
Es klingelte zweimal. Dann meldete er sich:
„Hey, na? Ich dachte schon, du kommst gleich noch vorbei!“
Ich grinste müde. „Ja, das war eigentlich der Plan. Aber ehrlich gesagt – ich bin total durch. Ich glaub, ich schaff’s heute echt nicht mehr.“
„Boah, du bist so faul“, neckte er, lachte aber dabei.
„Nein, ehrlich jetzt“, sagte ich. „Ich bin einfach platt. Wir könnten’s doch morgen machen… oder besser noch am Wochenende. Dann haben wir mehr Zeit für das Bio-Projekt.“
Am anderen Ende war kurz Stille, dann hörte ich ihn schnauben. „Hm, stimmt eigentlich. Morgen hab ich eh nur bis Mittag Unterricht. Da könnten wir gleich danach anfangen.“
„Oder Samstagvormittag“, schlug ich vor. „Dann können wir’s ordentlich machen – mit Bildern, Texten, allem drum und dran.“
„Okay, machen wir so“, meinte Ben. „Aber wehe, du pennst Samstag wieder ein.“
Ich lachte leise. „Versprochen, diesmal nicht.“
„Na dann“, sagte er, „erhol dich. Ich zock jetzt noch ’ne Runde Avaron.“
„Wusste ich’s doch.“
„Ey, wenigstens einer, der seine Energie noch sinnvoll nutzt“, scherzte er.
„Ja, ja“, antwortete ich und gähnte. „Viel Spaß, Drachenreiter.“
„Bis morgen, Schlafmütze.“
Das Telefonat endete mit einem Klick. Ich legte das Handy beiseite und blieb einen Moment einfach stehen. Das Wohnzimmerlicht war gedimmt, nur der Fernseher warf flackernde Schatten an die Wand.
Erik lachte über irgendwas im Fernsehen. Mama kam kurz herein, sah mich an und fragte leise:
„Alles geklärt?“
Ich nickte. „Ja. Wir machen’s am Wochenende. Dann haben wir mehr Zeit.“
„Gute Idee“, sagte sie und streckte mir müde die Hand entgegen. „Und du gehst dann auch bald schlafen, ja?“
„Ja, gleich.“
Sie lächelte, strich mir flüchtig über den Arm und ging zurück in die Küche.
Ich ließ mich auf das Sofa fallen, hörte das leise Rauschen des Fernsehers, das Summen des Kühlschranks, irgendwo draußen das ferne Bellen eines Hundes.
Meine Augen brannten, der Tag steckte mir in den Knochen.
Ich sah kurz auf das dunkle Fenster – draußen spiegelte sich mein eigenes Gesicht.
Ein ganz normaler Abend, dachte ich.
Und trotzdem lag da etwas in der Luft. Etwas Unbestimmtes. Wie ein leises Flimmern, das man nur spürt, aber nicht sieht.
Nachdem ich Ben angerufen hatte, blieb ich noch eine Weile im Wohnzimmer sitzen. Erik lümmelte quer auf dem Sofa, halb eingewickelt in eine Decke, und lachte über die Zeichentrickfiguren, die über den Bildschirm flitzten.
Ich nahm mir ein Kissen, lehnte mich zurück und spürte, wie die Wärme des Raumes langsam meine Müdigkeit größer machte.
Mama kam kurz herein, stellte zwei Gläser Apfelschorle auf den Couchtisch und blieb in der Tür stehen.
„Ich bin oben, falls ihr noch was braucht“, sagte sie. „Aber nicht zu lange, ja? Morgen ist wieder Schule.“
„Schon gut, Mama“, murmelte ich.
„Ich bleib nur noch bis zur Werbung!“, rief Erik, ohne den Blick vom Fernseher zu nehmen.
Sie schüttelte lächelnd den Kopf und ging die Treppe hinauf. Das Holz knarrte leise unter ihren Schritten, und kurz darauf hörte man oben die Badezimmertür.
Im Wohnzimmer blieb es ruhig. Nur das leise Summen des Fernsehers, das Ticken der Uhr und das Rascheln der Vorhänge im Luftzug vom gekippten Fenster.
„Müde?“, fragte Erik nach einer Weile und sah mich an.
„Total“, antwortete ich und gähnte. „Ich glaub, ich fall gleich einfach um.“
„Ich auch. Der Sport heute war voll anstrengend. Aber cool. Ich war gar nicht so schlecht, oder?“
„Warst du nicht“, sagte ich ehrlich. „Du wirst echt besser.“
Er grinste stolz. „Vielleicht krieg ich irgendwann auch so’n Pokal wie die Großen.“
„Klar“, grinste ich. „Aber jetzt kriegst du erst mal Schlaf.“
Er nickte, stellte sein Glas ab und kuschelte sich tiefer in die Decke.
Ich schaltete den Fernseher aus – das Bild wurde schwarz, die Stille danach fast unheimlich ruhig.
Wir gingen gemeinsam die Treppe hoch. Das Licht im Flur war gedimmt, die Wände warfen lange, weiche Schatten.
Erik ging noch kurz ins Bad, kam dann barfuß und mit zerzausten Haaren in sein Zimmer.
„Gute Nacht“, sagte er leise.
„Nacht, kleiner Bruder.“
Ich blieb noch einen Moment in der Tür stehen. Er lag schon halb unter der Decke, die Augen geschlossen, das Gesicht entspannt. Es war ein friedlicher Anblick – einer, den man viel zu selten wirklich wahrnimmt.
In meinem Zimmer zog ich die Vorhänge zu. Draußen war der Himmel klar, nur ein paar Sterne blitzten zwischen den Wolken.
Ich legte mich aufs Bett, das Handy neben mir, und hörte noch das leise Klacken der Heizung, das ferne Rauschen der Stadt.
Meine Gedanken schweiften zurück – zu Lea, zu dem Spiel in der Turnhalle, zu Bens Lachen am Telefon. Alles war so nah, so vertraut.
Und gleichzeitig hatte ich dieses seltsame Gefühl, als würde der Tag irgendwie mehr bedeuten, als er sollte.
Ein letzter Blick auf das Handy-Display – 21:47 Uhr.
Ich legte es beiseite, zog die Decke bis zum Kinn und atmete tief durch.
Im Haus war es still. Nur irgendwo in der Ferne knarrte das Dach im Wind.
Dann fiel mir die Müdigkeit schwer auf die Augen, und die Gedanken verschwammen.
Der letzte Gedanke, bevor ich einschlief, war ein leises, warmes Bild:
Erik am Frühstückstisch, lachend, ein Stück Marmeladenbrötchen in der Hand.
Und ich wusste nicht, dass genau dieses Lachen das Letzte war, das ich je so hören würde.