Die 11. Weihnachtswoche von Seitenwind

Weihnachten fällt aus!

Mach dir nichts vor, damit hättest du rechnen müssen, dass Weihnachten in diesem Jahr ausfallen wird. Aber du dachtest noch, dass das Quatsch ist und nie eintreffen wird!
Also hast du dich vorbereitet, die Zimmer mit Tannengrün und Kerzen geschmückt, Plätzchen gebacken und einen Braten besorgt. Du hast gefragt, was deine Lieben sich wünschen, hast Geschenke gekauft, bunt verpackt und unter dem Weihnachtsbaum ausgelegt.
Und dann kam er, der landesweite Lockdown, und Weihnachten fiel doch aus.

Dieser Text steht nicht mehr zur Verfügung.

Aschenbrödel und der magische Spiegel Teil 2

"Kann ich helfen?“

„Mama, da ist der nette Mann!“

Noch ehe ich es verhindern kann, hüpft meine Tochter zu dem Paketboten vom Vormittag und fällt ihm ums Bein.

„Na, wohin soll es denn gehen, kleine Dame?“ Er hebt sie hoch und sie johlt begeistert.

„Mama und das Christkind ohne Flügel suchen den Berggeist, weil der dem Christkind was geklaut hat, was es dringend braucht. Und der Freund vom Christkind ist ein Arschloch!“ Strahlt das Kind.“ Kannst Du uns helfen? Du bist doch der Weihnachtsmann- weil Du die Pakete bringst.“

„Ich helfe gerne. Ich weiß nur nicht, ob Deine Mama das erlaubt.“ Er mustert mich.

„Was hast Du denn gegen den Weihnachtsmann?“

Ich schüttele den Kopf.

„Ich habe kein Problem mit Ihnen. Ich bin nur traurig, weil ich an Weihnachten meine beste Freundin und mein Pferd besonders vermisse und weil ich nicht wusste, wie ich alles schaffen soll, was ich vor Heiligabend schaffen wollte. Da war ich im Stress. Es tut mir leid. Und außerdem bin ich traurig, weil mein Pferd gestorben ist und meine Freundin schwerkrank ist und ich trotz aller genialen Geisteslehren an so einem Tag keinen Trost finde und mich fühle, als fehle mir ein Körperteil.“

Der Fremde mustert mich aufmerksam.

„Wann habt Ihr es verloren?“

Ich bedeute meiner Tochter, bei Angela zu bleiben, und gehe mit dem Fremden ein Stück zur Seite.

Ich schüttele den Kopf und beiße auf meine Unterlippe.

„Mein Pferd war mir mehr als Mutter und Vater zusammen. Und dann klemmt es sich den Kopf ein und ich kann es nicht befreien. Egal, was ich mit meinen Händen tue. Er bricht sich den Schädel- und meine Hände sind noch da. Aber ich wundere mich jeden Tag weshalb. Und es tut mir leid, wenn ich ruppig und undankbar zu Ihnen war. Wirklich. Ich kann an solchen Tagen nur möglichst viel tun, um nicht denken zu müssen. Tut mir leid.“

„Ich verstehe.“

„Ja, das ist sicher kein Vergleich zu dem, was Ihr erlebt habt - ich meine – Krieg ist Traumatisierung an jeder Ecke. Ich hatte immerhin eine gute Tierklinik, die ihn erlöst hat, und ich konnte anschließend wieder in mein heiles zu Hause und mein Leben - meine Familie. Meine Freundin. Und Ihr habt Euer Auge verloren- und Eure Heimat -“

Der Einäugige lächelt weise.

„Auch wenn es stimmt, was Ihr sagt, trifft es nicht zu. Ich bin kein Kriegsflüchtling. Und mein Auge habe ich nicht verloren, ich habe es geopfert. Das tat weh, aber es war es wert. Erkenntnis bekommt niemand umsonst, sie hat immer ihren schmerzhaften Preis. Und das mit Euren Händen mag Euch fremd vorkommen. Ihr könnt Euch nicht erklären, wie direkt neben Euch jemand, den ihr liebt, tödlich verletzt wurde und ihr heil bliebt. Und ihr habt recht. Das funktioniert nicht. Ihr fühlt eine schwere Verwundung, die ihr mit Euren beiden Augen nicht sehen könnt, und doch ist sie real. Auf einer anderen Ebene. Auf der Ebene, auf der ich sehen kann, seit mein Auge fort ist. Wenn zwei Wesen sich nahestehen, verbinden sich ihre feinstofflichen Energien und werden eins. Das ist das Geheimnis. Und die Rettung zugleich. Wenn Ihr Euer Pferd seid und Euer Pferd Ihr seid - was seid Ihr dann jetzt?“

„Immer noch eins- nur halb?“ Flüstere ich.

„Und was ist passiert?“

„Ein Teil von uns ist gestorben?“

„Und was passiert, wenn jemand stirbt?“

„Er geht ins Jenseits.“

„Leuchtet Euch jetzt ein, was passiert ist?“

„Er hat mein ganzes Leben gesprengt und alles hat sich neu geordnet. Er hat mir die Kraft gegeben, daran zu glauben, dass ich anders bin, als ich dachte. Er hat es mir gezeigt. Mir wurde immer vermittelt, dass ich da bin, um Leistung zu bringen. Zu funktionieren. Hätte ich das nicht getan, hätte mein Leben keinen Sinn gehabt. Ich als Person war gar nicht anwesend. Er war die liebste Person, die man sich wünschen kann. Und er kam als Pferd, weil kein Mensch mich auf diese Art hätte erreichen können. Wir sprachen ohne Worte. Ich musste lernen, ihn zu sehen. Über das hinaus zu sehen, was vor meinen Augen war. Er war der perfekte Lehrer. Nur Leistung bringen konnte er nur begrenzt, weil er körperlich eingeschränkt war durch ein irreparables Ereignis vor meiner Zeit. Ich bin erst nach und nach dahintergekommen und habe ihm manches Mal Unrecht getan. Aber er hat mir immer verziehen. Er hat mir gezeigt, was Liebe bedeutet. Danach hatte ich den Mut, ein Kind zu bekommen. Früher war das indiskutabel. Ich wollte vermeiden, noch jemandem solch einer Kindheit auszusetzen. Und meine Kindheit fand ich schrecklich. Ich hatte aber keine Ahnung, was eine glückliche Kindheit ausmacht. Wenn man materiell gut gestellt ist, denkt man, man müsste glücklich sein. Vor allem, wenn man immer zu hören bekommt, dass man undankbar ist, wenn man trotzdem unglücklich ist. Aber ohne die Liebe ist eben alles nichts.“

„Und wäre er friedlich irgendwann im hohen Alter in Euren Armen an Altersschwäche gestorben, denkt Ihr, Ihr hättet Euch das Hirn über alles zermartert, was er für Euch bedeutet hat und was er Euch gelehrt hat? Keiner bekommt Erkenntnis ohne ein großes Opfer. “

Ich reibe meine Augen.

„Ich weiß. Aber es tut trotzdem immer noch weh.“

„Ich weiß.“ Der Fremde deutet auf seine Augenklappe. „Wie kann ich denn jetzt helfen?“

„Ich denke, das wisst Ihr schon. Die Dame aus dem Spiegel, die gerade mit meiner Tochter zusammen auf der Lichtung Chips ist, braucht etwas vom Berggeist. Zaubertinte. Sonst kann ich ihr kein Happy End schreiben. Er hat ihr eine magische Feder verkauft, aber die ist ohne Tinte wertlos, und wenn wir nicht bis Mitternacht ihre Geschichte umschreiben, muss sie zurück in ihr Märchen. Nur dieses Mal wird sie den Prinzen nicht gewinnen, weil der Berggeist ihre Armbrust für die Feder haben wollte. Und dann landet sie ohne Aussicht auf Besserung in der Hölle ihrer missbräuchlichen Stieffamilie.“

„Die Ihr nur zu gut kennt.“ Der Fremde nickt. „Deswegen wollte sie unbedingt zu Euch.“

„Seid Ihr sowas wie die Spedition für Märchenwesen? Ein Transferunternehmer zwischen den Welten?“

Der Fremde schmunzelt und klopft auf einen Stein.

„Es gibt welche meiner Art, die heutzutage mehr gefragt sind als ich. Ich bin im Grunde in Vergessenheit geraten, etwas unmodern und langweile mich oft genug. Wenn dann mal eine Anfrage reinkommt, mit der keiner so richtig was anfangen kann, geht die an die, die wenig zu tun haben. Umso mehr freut es mich, wenn ich dann mal jemanden besuchen kann, der mich nicht ganz vergessen hat.“

Ich schüttele den Kopf.

„Tut mir leid, ich -“

„Das macht nichts- Ihr kommt noch drauf. Aber erst müsst Ihr Eurer Freundin helfen, oder?“ Er deutet auf einen leuchtenden Eingang im Berg. „In der Höhle da wohnt er. Aber seid vorsichtig. An Weihnachten ist der noch schlechter gelaunt, als im ganzen Jahr. Ich warte dann mal hier. Ruft mich, wenn ihr Verstärkung braucht!“ Verschmitzt zwinkert der Einäugige meiner Freundin zu und winkt meiner Tochter. Die stürmen beide in Richtung der Höhle.

„Ach herrje!“ Ich renne ihnen hinterher.

Es geht vorbei an Nischen mit Gold und Kisten voller Edelsteine, bis wir in eine große Halle kommen, in der noch mehr Reichtümer aufgetürmt sind.

„Wo steckt dieser Schuft???“ Angela sucht wutschnaubend alles ab. Meine Tochter setzt sich auf den Boden. „Mama schau mal, ganz viel Glitzer!!!“ Begeistert packt sie ihre Hundefiguren aus. „Willst Du mit mir spielen? Funkel, funkel, kleiner Stern! Mama, kann man das an einen Tannenbaum hängen?“

„Kann man sicher… Aber wir müssen zuerst jemanden finden, der Angela was geklaut hat.“

„Dem Christkind?“

„Ja, genau…“ Ich suche forschend den steinernen Raum mit meinen Augen ab. Überall stehen brennende Kerzen, kein Berggeist. „Vielleicht ist er unterwegs?“

„Ich habe meine Armbrust!!!“ Triumphierend schwingt Angela ihre Waffe durch die Luft und schnallt sich den Pfeilköcher auf den Rücken. „So, nun wollen wir mal schauen, wo der fiese Giftzwerg steckt!“

Kaum hat sie das ausgesprochen, erscheint eine kleine Gestalt in der Ecke hinter einer Schatzkiste. Noch ehe er losschimpfen kann, schießt Angela einen Pfeil ab und tackert ihn zielgenau mit dem Kragen an der Wand fest. Dann schnappt sie ihn sich, schüttelt ihn und wettert los.

„Ich will die Tinte, Du hast mich belogen, rück sie sofort raus, ich will endlich mein Leben, Du - Du Arschloch!!!“

Meine Tochter kichert.

„Der darf doch noch gar nicht mit Tinte schreiben, der ist ein Vorschulkind!“

„Du – Du Hexe, Du garstige Gans, der Teufel hat Dir den Eingang gezeigt!“ Kreischt der strampelnde Berggeist.

„Rück sofort die Tinte raus, sonst vergesse sich mich!“ Angela ohrfeigt ihn.

„Das war der nette Paketbote. Der Mama den Spiegel gebracht hat! Und dann ist das Christkind bei uns eingezogen!“ Strahlt meine Tochter.

Angela zerrt den Berggeist hinter sich her, während der verzweifelt versucht, seinen Zauberstab zu erreichen. „Wo ist die verdammte Tinte, wo???“

„Hast Du was ausgefressen? Ich meine, warum versohlt das Christkind Dir den Hintern? Mama, warum-“

„Weil der Berggeist böse war und dem Christkind ein Fass Tinte schuldet“ seufze ich genervt.

„Gar nicht wahr, das war nicht Gegenstand unserer Abmachung, es ging nur um die Feder!“ Grollt der Berggeist. „Und gleich verwandle ich Euch alle zu Stein!“

„Dafür brauchst Du aber das hier, oder? Ups. Wie ungeschickt von mir. Ich habe halt zwei verkehrte Hände.“

Ungläubig starrt mich der Berggeist an.

„Du hast zerbrochen, was nicht zerbrochen werden konnte, Unselige!“

„Das war das sagenhafte Schwert, was in dem Stein steckte - kein Holzstab!“

„Das war mein Zauberstab!“

„Dann war er offenbar schon vorher morsch!“ Knurre ich.

„Ihr Weiber, ihr ödet mich alle derart an!!!“ Stöhnt der Berggeist verzweifelt. „Erst mein Bart, dann das!“

„Das ist Dein Problem, ich will jetzt meine Tinte!!!“ Kreischt Angela.

„Gib dem Christkind seine Tinte, sonst kriegst Du keine Weihnachtsgeschenke, Du Huhn!“

„Wenn Du keine Weiber magst, kannst Du ja meinen Prinzen heiraten!“ Brüllt Angela außer sich.

„Ich habe noch nie Weihnachtsgeschenke bekommen, DAS ist mein Problem!!!“ Der Berggeist sackt auf sein Hinterteil und schaut belämmert. Offenbar wundert er sich selber über seine letzten Worte.

„Schön, da haben wir unser Thema. Ein bisschen Scroogde, ein bisschen Grinch. Und ich würde ja gerne Deinen Umgang mit anderen diskutieren, wenn die Zeit nicht so knapp wäre. Rück einfach die Tinte raus, dann gehen wir und hören auf, Dich zu nerven. Ansonsten rufe ich gleich um Hilfe und dann kommt so ein Einäugiger, der weiß, wo Du wohnst. Ich glaube, der mag das Christkind.“

„Ich hab gar keine Tinte.“ Seufzend lässt der Berggeist die Schultern hängen. „Eigentlich ist nichtmal die Feder magisch. Und es stimmt, mein Zauberstab ist schon lange kaputt.“

„Was???“ Angela ist fassungslos.
„Ich hab das nur gesagt, weil –“ betreten ringt der Berggeist seine Hände. „Nachdem das mit Schneeweißchen und Rosenrot passiert war, wollte keiner in der Märchenwelt mehr was mit mir zu tun haben. Ich konnte mich so oft mit meinem Bart festklemmen, wie ich wollte, keiner hat mich mehr losgeschnitten. Beschimpft werden ist das eine, aber wenn keiner einen mehr anschaut oder ein Wort über einen verliert, dann ist da für ein Märchenwesen schlimmer als der Tod.“

„Besser negative Aufmerksamkeit, als gar keine.“ Ich reibe meine brennenden Augen.

„Ihr Menschen habt die Wahl. Ihr sucht Euch aus, ob ihr mehr Licht oder mehr Schatten in Eure Welt bringen wollt. Bei uns ist das anders. Wir sind Stereotypen. Wenn wir unsere Rollen nicht mehr spielen wollen, hören wir auf zu existieren.“

„Warum hast Du mir diese Feder dann überhaupt untergejubelt?“

„Ich dachte, wenn Du Deinen Prinzen nicht mehr kriegst und Deine Rolle nicht mehr spielst, wäre ich nicht mehr allein?!“ Heulend sackt der Berggeist in sich zusammen.

„Arschloch!“ Knurrt Angela und schnappt sich ihren Bogen. „Wenn es keine Tinte und keine Zauberfeder gibt, dann sind wir fertig hier. Kommt ihr zwei?“

„Und Dein Leben? Deine neue Geschichte?“ Ich ergreife ihren Arm. „Vielleicht finden wir hier noch was, was Dir helfen kann!“

Angela schüttelt den Kopf.

„Lass es gut sein. Ich habe heute mehr Neues erlebt, als in den letzten fünfzig Jahren. Lass uns nach Hause gehen und ein paar Stunden Weihnachten feiern. Bitte.“

„Und dann gehst Du wieder in diesen Spiegel – und das war´s, ja?“

„Was bleibt mir übrig? Ich bin eben eine Märchenfigur.“

„Das tut mir so leid, ich wünschte…“

„Ich weiß. Das ist-“ Angela nimmt mich in dem Arm.

„Eine Eisenbahn!!!“ Trällert meine Tochter entzückt. „Hat der Weihnachtsmann Dir die gebracht?“ Sie zupft den Berggeist am Ärmel.

„Ach, die… Nein, die habe ich mal irgendeinem Kind für irgendwas abgeschwatzt. Mir hat noch keiner was geschenkt, dafür bin ich zu böse.“

„Du stehst im bösen Buch, wie die Ratte aus der Eiszeit!“ Kichert das Kind.

„Ja, wenn Du so willst …“seufzt der Berggeist.

„Magst Du Rettungshunde? Schenke ich Dir. Hatte ich im Adventskalender doppelt.“ Sie drückt dem verdatterten Berggeist eine kleine Figur in die Hand und winkt ihm zu. „Wir gehen jetzt nach Hause. Fröhliche Weihnachten!“

Der Einäugige erwartet uns am Eingang. Während meine Tochter und ich Hand in Hand über den Pfad nach Hause laufen, bleiben Angela und er ein wenig zurück.

„Das Christkind und der Paketbote wollen heiraten!“ Schmunzelt meine Tochter.

„Naja, irgendwann vielleicht …“ Lächle ich.

„Mama, da ist eine Sternschnuppe! Da dürfen wir uns was wünschen!“

„Ich habe mir schon was gewünscht.“

„Ich auch! Die Eisenbahn!“

„Richtig“ seufze ich und krame nach dem Handy. Paket beschädigt, ging Retour. Das Geld wird Ihnen binnen 7 Tagen erstattet. Danke, Jeff.

Als wir unser Haus erreichen, fehlt von Angela und dem Fremden jede Spur. Ich spüre einen Stich, doch meine Tochter hüpft schon fröhlich hinein.

„Papa, Papa, das Christkind hat geheiratet und ihr Kind mag auch die Rettungshunde.“

Der Mann begrüßt die Tochter und wendet sich dann an mich.

„Was war denn los? Ist ihr Freund aufgekreuzt und hat sich entschuldigt?“

Ich schüttle den Kopf.

„Das kann ich kaum in Worte fassen. Aber ja, sowas in der Art.“ Traurig betrachte ich den Weihnachtselch an der Wand. Nein, bitte keine Haselnüsse für Aschenbrödel heute Abend. Aber natürlich flimmert es pünktlich über den Bildschirm, nachdem wir Bescherung gemacht und gegessen haben. Alle Jahre wieder.

„Sollen wir lieber was anderes schauen?“ Murmelt der Mann, während unsere Tochter mit ihren Geschenken spielt.

„Gerne. Irgendwas Lustiges. Ich will nur noch schnell draußen die Lichter anzünden- wie jedes Jahr.“

„Na klar.“

Es nieselt immer noch. Ich gehe mit meinen Lichtern nach draußen, ins Dunkle und entzünde sie. Eins nach dem anderen, für jeden, den man liebt. Die Lebenden und die Toten.

„Tut mir leid“ seufze ich nach einem Blick auf die Uhr. „Man steht daneben und kann doch nichts tun. Diese Ohnmacht ist unerträglich.“ Einen Moment schließe ich die Augen, dann gehe ich zur Tür, da greift jemand nach meinen Arm.

Angela! Sie kichert und strahlt und ist ganz außer sich. Sie bedeutet mir, leise zu sein, und zieht mich über die nasse Wiese an den Waldrand. Dort liegt alles in dichtem Nebel. Ich höre Huftgetrappel - oder ist das der Regen auf den Blättern? Ein Wiehern. Wer lässt bei dem Matschwetter seine Pferde nachts draußen?

„Keine Sorge, die vertragen das!“ Der Paketbote steht aus dem Nichts grinsend neben mir.

„Du – noch hier? Ihr zwei?!“

Angela schmiegt sich verliebt an den Boten.

„Ja, irgendwie gefiel er mir schon, als er mit dem Spiegel ankam …“ Flötet sie.

„Und sie mir erst … Seit bald fünfzig Jahren bin ich heimlich in sie verliebt. Also noch nicht so lange …“

„Wie kann das sein? Wir hatten keine magische Tinte, und die Feder war unecht! Ich konnte Dir doch keine Geschichte schreiben, kein Leben, das tut mir so leid!“

„Oh, das hast Du schon getan. Dankeschön. Und fröhliche Weihnachten. Wir sehen uns!“

„Garantiert!“ Zwinkert der Paketbote. Bilde ich mir das ein, oder stehen da mehrere Pferde zwischen den Bäumen? Sie scharren mit den Hufen. Aber sie wirken schemenhaft. Beinahe transparent. Kann ich etwa ihre Knochen sehen? Was sind das für altmodische Zäume? Und ist das ein Kettenmorgenstern? Ihre gerüsteten Reiter mustern mich ungläubig und lachen, aber der Paketbote muss sie nur ansehen, dann senken sie die Blicke.

„Was geschieht hier?“ Stammle ich.

„Du bist beim Schreiben eingeschlafen …“ Grinst mein Mann. „Ich habe das Laptop auf den Boden gestellt, damit es nicht von der Couch fällt. Alle Jahre wieder.“

„Ach so … Danke. “ Murmle ich verwirrt.

„Und der Elch?“

„Hängt an der Wand.“

„Und der Spiegel?“

„Hast Du wieder was bei den Kleinanzeigen erstanden, um unser Haus zu verschönern?“ Zwinkert er.

„Nein, das war …“ Ein Traum, seufze ich in mich hinein.

„Wie spät ist es eigentlich?“

„Gleich Mittag.“

„Na, dann will ich mal schauen, was wir im Kühlschrank haben …“

„Ich habe gerade eingekauft.“

„Super …“ Auf dem Flur ist weit und breit kein neuer, goldener Spiegel zu sehen. Nur eine verwaiste Tapetenwand.

„Mama, es hat geklingelt …“ Ruft meine Tochter über den Flur. „Und ich möchte immer noch einen Kakao …“

„Sofort!“ Rufe ich und eile zur Tür.

„Das ist meine Eisenbahn!“

„Das hoffe ich!“ Hastig öffne ich die Tür.

„Überraschung!!!“ Angela und der Paketbote stehen vor mir. Sie hat einen Kuchen dabei, er ein Paket.

„Ach Du Scheiße!“ Entfährt es mir.

„Na, das ist ja mal eine Begrüßung! Deine Freundin Angela aus Köln hatte eben angerufen, als Du geschlafen hast. Sie wollte Dich überraschen. Hat einen neuen Freund in unserer Gegend! Herzlich willkommen!“ Mein Mann nimmt beiden schon die Jacken ab, als hinter ihnen ein kleiner Junge zum Vorschein kommt. Schüchtern balanciert er ein Paket in seinen Händen. Mir drohen die Sinne zu schwinden. Der Kleine sieht aus wie der Berggeist aus meinem Traum, nur ohne Bart, dafür im Rettungshunde Pullover.

„Kommt doch rein …“ Stammle ich.

Meine Tochter stürmt heran und springt Angela auf den Arm. Die Katzen kreisen begeistert um den Besuch.

„Hallo Christkind! Hast Du ein Geschenk für mich?“

„Na klar!“ Lacht sie.

„Schöne Einrichtung, da fehlt nur noch ein antiker Spiegel …“ Zwinkert sie mir zu.

„Da ist ja dranzukommen, mit Antiquitäten kenne ich mich aus …“ Grinst der Paketbote.

„Gut zu wissen …“ Lache ich erleichtert.

„Das ist für Dich …“ Stammelt der kleine Junge und reicht mir das Paket.

Als ich es öffne, schnappt meine Tochter zu.

„DAS ist MEINE Eisenbahn, Du Huhn!“ Fährt sie den Kleinen an, dann stürmen die beiden lachend ins Wohnzimmer.

„Ist das normal, dass Eure weiße Katze an den Baum pinkelt?“ Meldet sich der kleine Junge.

Frohe Weihnachten!