Der Zugestiegene - eine Episode

Aber dort hatte sich alles zu einem Ganzen gefügt: Der Match, das durch die Fensterluken getrübte Licht, der Kanon stetigen Muhens und über allem lag Viehgeruch.

Das ist die “reine Lehre” :wink:

Vielfach würde eine Situationsbeschreibung auch und gerade bei Deinen Beispielen massiv helfen, ein starkes Bild beim Leser entstehen zu lassen. Ich sehe da einige grobe Verletzungen von “Show, don’t tell!”

Ängstlich davonlaufen - das ist schon “inneres Wissen”, als Hilfskonstrukt benutzt, um sich zu sparen, das genauer zu beschreiben. Hektische Bewegungen, Schweißtropfen auf der Stirn, hier gibt es lauter denkbare Bilder, die die Szene besser beschreiben.
Und jemand kann sich auch mutig genähert und die Zombies ausspioniert haben und läuft jetzt reinen Herzens :wink: davon, um seine Truppe zu warnen. Das “ängstlich” ist nicht zwingend. Vielleicht freut er sich ja tatsächlich - weil die Zombies auf die Fallgrube zulaufen. Und grinst breit, deswegen (oder wie auch immer man Freude beschreibt, ohne allwissend in die Figur hineinzuschauen).

Beim “schönen, starken Mann” kräuseln sich mir schon die Fußnägel, ganz ehrlich … Klar kann man damit etwas anfangen. Dennoch, tut mir Leid - platter geht’s nicht.
Man beschreibt den Körper, bspw. das Muskelspiel, oder dass er irgendetwas extrem Schweres trägt, ohne dass ihm Anstrengung anzusehen ist. Die Schönheit kann auch besser als durch eine grobe Wertung beschrieben werden. Wenn es sein muss, mit einer Beschreibung der Gesichtszüge, aber auch das geht besser. Schönheit geht im Regelfalle mit einer Außenwirkung einher.

Oder anders - hier widerspreche ich klar Deinem "… muss man aber nicht. Meine oder Deine Umschreibungen sind klar und eindeutig besser. Wobei mir auch noch besser gefiele “Der Rand vom Ärmel seines T-Shirts spannte über seinem Bizeps” - je neutraler, je weniger wertend, desto stärker wird das Bild an sich.

Auch die anderen Dinge - tut mir Leid, das ist auch Etliches nicht der Weisheit letzter Schluss und nicht zu Ende gedacht.
Matsch - ist nun einmal braun. Wenn es roter Lehmboden ist, dann spielt das entweder keine relevante Rolle und man lässt es weg, oder man muss es hinschreiben. Das “braun” ist redundant und ein Füllwort.
Wenn Licht “trübe” ist, hat das einen Grund, den man prima beschreiben kann. Der Raum wird nur von einer 10-Watt-Funzelglühbirne oder nur einer Mini-Kerze erhellt. Bämm, stärkeres Bild. Oder durch flirrenden Staub abgedunkelt. Bämm. Bild.
Muhen und Viehgeruch dürften Auswirkungen auf Protagonisten haben, die man zeigen kann.

Mit Bedacht und je nachdem, wie wichtig eine Szene ist, kann man sich da erheblich mehr Mühe geben, und gerade zu erkennen, dass man nur platte Adjektive hatte, hilft hier sehr, Szenen bildhafter zu machen und damit zu verbessern.

2 „Gefällt mir“

Also da bin ich völlig anderer Ansicht. Ich kann es nicht mehr ertragen, von T-Shirts, die sich über Bizepse spannen, zu lesen. DAS finde ich platt. Ich habe mal einen VHS-Schreibkurs mitgemacht. Und ich glaube, am Ende hätte JEDER sowas rausgehauen.

Aber letztendlich bleibt es ja zum Glück auch eine Geschmackssache.

Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber Stil ist nicht nur Geschmackssache.
Du kannst gern weiter in Deinem Stil schreiben. Niemand verbietet es Dir. Doch wenn Du nach einer Einschätzung fragst, darfst Du nicht verwundert sein, wenn sie nicht nur lobend ausfällt. Das hat Kritik halt so an sich.
Also: Sei nicht in jedes Deiner Worte unsterblich verliebt, sondern versuch Deinen Text objektiv und mit etwas Abstand zu sehen.

1 „Gefällt mir“

Ich finde es - kommt natürlich auf die PoV an - nicht grundsätzlich unstimmig, die persönliche mitschwingende Meinung des Protagonisten in eine Personenbeschreibung einzubauen. Wissenschaftlich betrachtet bewerten wir eine Person im ersten Augenblick. Manch einer kann diese erste Einsortierung neutraler halten und wartet erst auf weitere “Botschaften” bevor er eine Schublade aufzieht, andere warten weniger lang. Auch das ist ein subjektiver Grundton, der bei der Beschreibung durch den entsprechenden Protagonisten - meiner Meinung nach - mitschwingen sollte.
Manche Frau denkt sich beim aufgepumpten Oberarmmuskel, ob der Typ nicht einfach die richtige T-Shirt-Größe bestellen hätte können. Eine andere betrachtet die wohlproportionierten Rundungen und sieht sich schon in den Armen liegen. Die nächste überlegt sich, wie viele Steroide wohl für diese Muskeln nötig waren und die letzte denkt an die Geschichte einer befreundeten Arzthelferin, die ständig erbost ist, weil man dieser Art von Mann einfach nicht beibringen kann, dass es echt ätzend ist, eine Spritze durch einen angespannten Muskel zu bekommen und sich jedes Mal den Mund fusselig reden muss, weil die einfach nicht den Muskel entspannen.
Männer denken unter Umständen wieder etwas anderes dabei aber Neutralität würde ich in keinem Fall davon sehen.

Und Thomas hat eigentlich keinem hier wirklich widersprochen, letztendlich ist es nicht das Ziel jedes Adjektiv / Adverb aus dem Text zu schmeißen und jeder hat ein anderes Maß dabei.
Es kann auch nicht jeder Honig mit dem Löffel essen und nicht jeder mag jeden Autor und häufig liegt es an dessen Schreibstil. Von der Hinsicht würde ich Schreibstil und Geschmacksache nicht so weit von einander trennen.

Also ich finde schon, dass ab einem gewissen Punkt der Stil zur Geschmacksfrage wir. Sonst würden wir ja alle identisch schreiben. Das wäre doch schade. Und ich nehme keinem seine Kritik übel. Ich versuche gerade nur, meinen Standpunkt hinsichtlich der Angst vor dem Adjektiv darzulegen. Da geht es mir echt um die Sache.

Und nichts nichts gegen Show, don’t tell. Ganz im Gegenteil. Ich bin nur der Ansicht, dass sich diese Doktrin nicht auch noch in der kleinsten Beschreibung der Umgebung widerspiegeln muss. Für mich ist relevant, wie sich die Menschen verhalten und wie sie miteinander Reden. Hier steht für mich natürlich Aktion und Dialog an erster Stelle.

Und wo steht denn geschrieben, dass man Kritik nicht widersprechen darf? Ich finde ja, dass sich gerade im Austausch der Argumente vielleicht irgendwann etwas herauskristallisiert. Also mich darf jeder kritisieren, aber er muss dann auch damit leben können, dass ich versuche, meinen Standpunkt argumentativ zu behaupten. Ich glaube sogar, das ist das Wichtigste: für sich selbst herauszufinden, warum man schreibt, wie man schreibt. Für mich ist das ein Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist - sollte er vermurtlich auch besser nicht.

Für mich hat sich dieser Thread schon deswegen gelohnt, weil ich zum ersten mal versucht habe schriftlich zu fixieren, was sonst nur als diffuses Gefühl beim Schreibprozess ganz hinten im Bewusstsein herumtrieb.

5 „Gefällt mir“

Da sind wir einig. Mir ging es nur darum, Deine wertende in eine völlig neutrale Formulierung zu wandeln. Dass man das insgesamt besser ausdrücken kann, ist klar.

Relevant ist für mich, dass Einiges des Gesagten nicht mehr nur Geschmack (oder wenn, dann sehr schlechter) ist.
Ich stimme gern mit Dir überein, dass beide T-Shirt-Muskeln schlecht und platt sind. Die Umschreibung hattest aber Du aufgebracht :wink:
Ich halte es aber vor allem für unstrittig, dass “der schöne, starke Mann” nochmal ein, zwei Schubladenreihen tiefer liegt. Hier hänge ich mich aus dem Fenster und urteile.

Darin liegt halt die Meisterschaft bildhaften Schreibens. Das muss weder länger noch schwieriger noch “hochliterarischer” sein. Nur nicht platt. Und ja, es muss nicht alles “gezeigt” werden, wo eine ansprechende Beschreibung auch funktioniert und einen in einen - vielleicht sogar stillen - Ort hineinzieht, wo man bspw. gern verharren würde.

Das ist das Ergebnis und wahres Können. Und wenn wir mit der Papyrus Stilanalyse erreichen, dass man sich all seiner Textstellen sicher ist und mit der gebotenen Schärfe präzise weiß, WARUM man etwas gerade so und nicht anders geschrieben hat und welche Wirkung man so bestmöglich beim Leser erzeugt, dann passt’s.
Ich fand genial, als ich mal ein Interview mit dem Lektor vom Herrn der Ringe (im englischen Original) gesehen habe. Der arme Mann beklagte seine kaum machbare Aufgabe mit den Worten “Wie zum Teufel redigiert man einen TOLKIEN?” :slight_smile:

2 „Gefällt mir“

Schneematsch nicht.
Immerhin ist es Winter in der Geschichte.
Und wenn da im Winter Matsch auf dem Abteilboden liegt, muss man schon erwähnen, dass er braun ist, wenn er braun ist.

Korrekt. Ging nur nicht um den braunen Matsch auf dem Abteilboden, sondern den braunen Matsch auf dem lehmverschmierten Boden im Kuhstall aus der Erinnerung.

Da man vermutlich davon ausgehen kann, dass in einem gewöhnlichen deutschen Kuhstall der Matsch braun ist, streiche ich den Begriff an dieser Stelle gerne.

Was ich aussagen wollte, war, dass sich die Farbe von Matsch letztlich immer logisch ergibt und damit nicht erwähnenswert ist, außer, wenn man ihn forensisch betrachtet.
“DIESER rötliche Lehm-Matsch mit Zimtgeschmack, der unter der Leiche gefunden wurde, kommt nur in diesem einen Tal der Ardennen vor, wo nur Ulli sich aufgehalten hat - daher muss er der Täter sein!”, sagte Hercules Poirot.

Vielleicht noch der Hinweis, dass sich die Frage, was man wie beschreiben sollte, leichter klären lässt, wenn man sich darüber klar ist, dass jede Beschreibung auch den Beschreibenden – also: die Figur, aus deren Perspektive erzählt wird – charakterisiert. Darüber habe ich hiermal ein bisschen was geschrieben.

Da hätte ich gleich mal eine Frage an Dich, Andreas:

Was ist denn ein „Hochliterat“? :wink:

(Für die anderen: Wenn Ihr mal die Gelegenheit habt, Andreas bei einem Interview oder einer Lesung mit Vorstellung etc. zu erleben, wo fast unweigerlich diese Frage kommt, hat man richtig Spaß mit seinen Antworten hierzu :slight_smile: ).

Großartig, und sehr anschaulich geschrieben.
Da hätte ich glatt direkt eine Frage, aber vielleicht ist das ja auch etwas vermessen. Ich bin mir in dem unten aufgeführten Prolog nicht sicher, da erst zum Schluss eindeutig die Perspektive eines der Beteiligten eingenommen wird.

Vergesst den Text. Ich schreibe ihn gerade neu, komplett aus Roghsobs Perspektive. Ist ja durchaus möglich, ich hatte einen Knoten im Kopf.

1 „Gefällt mir“

Na, das Gegenteil von “Tiefliterat” natürlich. :smiley:

2 „Gefällt mir“

Für die, die es interessiert, hier zum Vergleich die neue, personal erzählte Version (ist natürlich auch noch nicht perfekt) und darunter der schwache, eher neutral erzählte Vorgänger.

Prolog (neu)

»Alles, was ist und alles, was wird, vom Anbeginn der Zeiten, alles Licht und alles Dunkle, Himmel und Wasser und Erde, und alles, was fliegt oder schwimmt oder kriecht, ist erschaffen in Weisheit und Vollkommenheit. Und alles, was lebt, soll demütig dienen dem sich selbst verzehrenden und ohne Unterlass aufs Neue gebärenden ewigen Sein. So war es, so ist es, und so wird es geschehen!«
Die Litanei der schneidenden Stimme riss Roghsob aus seiner Benommenheit. Sein Kinn war ihm auf dir Brust gesunken; nur mühsam vermochte er den Kopf zu heben. Auch schien sein Gesichtsfeld eingeengt, als würde er durch ein langes, dunkles Rohr blicken.
»Braghdalan!«, dröhnte es vielstimmig.
Roghsob begriff nicht. Er hatte diese Phrase das letzte Mal in seiner Kindheit gehört, als bestätigende Antwort auf eine Predigt. Aber was sollte das, wo befand er sich? Ihm war kalt und seine Kniegelenke schienen aus Gummi statt aus Knochen zu bestehen.
Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, war diese schmierige Spelunke, in der einen Zenquilla gekippt hatte. Zugegeben, einen gepanschten. Aber doch nur einen, oder? Und danach: Blackout. Jetzt hing er hier im Halbdunkel. Hing? Warum hing er? Er schaute an sich herunter. Das Oberteil seines Overalls war heruntergerissen worden. Armdicke Tentakel umschlangen seine nackte Brust und hielten ihn in einer halbwegs aufrechten Position. Sie fühlten sich kühl und klebrig an und entwuchsen zwei blassweißen, zylindrischen Körpern, die an mannshohe Maiskolben erinnerten. Kyrrlothen. Sie hatten ihn in ihre Mitte genommen. Ihrem Unterleib entsprangen vier dicke Tentakel, die der Fortbewegung dienten. Mittig wuchsen drei Fangarme, mit denen sie ihn festhielten. Am oberen, sich verjüngenden Rumpfende prangten die diffizilen Strukturen riesiger Krebse: dunkle, aufgesetzte Augenknöpfe, Mandibeln und ringsum eine Vielzahl sich wurmartig windender Ausstülpungen.
»Was ist das hier?« Roghsob wand sich an den Kyrrlothen zu seiner Rechten. Umgehend blieb ihm der Atem weg. Die Tentakel hatten sich ruckartig zusammengezogen.
»Still!«, zischte es zurück. »Hör auf Arruhls Worte!«
Roghsob sog durch aufeinandergepresste Zahnreihen die Luft ein. Gut, er würde besser erst mal die Klappe halten. Aber wer war Arruhl? Der Name sagte ihm nichts. Es war doch niemand, bei dem er Schulden hatte? Und wenn, warum befand er sich dann hier? Er versuchte, seine Benommenheit abzuschütteln. Nach angestrengtem Blinzeln kehrte auch seine Sehkraft zurück, und er begann, seine Umgebung zu inspizieren. Er schien sich auf einer in Stein gehauenen Bühne zu befinden, hinten, im abgedunkelten Bereich. Die Bühne wiederum stand in einem langgezogenen, schmalen Talkessel, der vom Geflacker knisternder Fackeln erleuchtet wurde. Ihre Holzgriffe waren in die Spalten der Felswände getrieben worden. Hoch am Himmel standen drei Monde. Sie verbreiteten fahles Licht; rot, orange und türkis.
Roghsob schluckte. Jedenfalls versuchte er es. Seine Zunge klebte jedoch trocken am Gaumen. Er befand sich nicht mehr auf Urghilla. Irgendjemand hatte ihn in bewusstlosem Zustand auf einen ihm vollkommen unbekannten Planeten verfrachtet.
Verrückt.
Er konzentrierte sich wieder auf seine unmittelbare Umgebung. Am vorderen Rand der Bühne lief eine ausgezehrte Gestalt auf und ab. Sie schien ein wenig zu hinken. War das dieser Prediger, sollte das Arruhl sein? Der Stimme nach hatte Roghsob ihn sich kräftiger vorgestellt. Gekleidet war er in ein altertümliches, grobes Gewand aus anscheinend handgewebtem Stoff. Es bestand aus einem schlichten dunklen Hemd und einer gleichfarbigen Hose von geradem Schnitt, die über lederne Stiefel fiel. Schuhwerk aus Tierhaut – das musste man ja als regelrecht archaisch bezeichnen. Wie Roghsob war er Valghoner, gekennzeichnet durch eine dunkelgraue Haut und einen kahlen Schädel, dessen Schläfen kurze Hörner entsprangen.
Vor der Bühne wogte eine schwer zu überblickende Menge, die sich anscheinend aus allen Spezies des bekannten Universums zusammensetzte.
Jetzt breitete Arruhl Aufmerksamkeit heischend die Arme aus und richtete erneut das Wort an die Menge. »Hört, ihr Aufrechten, hört zu, was ich euch verkünde! Die Zeit ist reif. Und nicht nur reif, sage ich, nein, sie ist überreif! Erhebt euch gegen die Frevler! Gegen die Schwachen, die es wagen, die heilige Ordnung der Natur mit ihren blasphemischen Werken der Technik zu besudeln! Sie nennen es Fortschritt, nennen es Zivilisation.« Arruhl spuckte die letzten beiden Begriffe aus. »Ich aber sage: Wer Stark ist, soll in Stärke leben. Wer jedoch schwach ist, soll nicht aufbegehren, sondern sich fügen in den ewigen Kreislauf des Vergehens und Entstehens!«
Roghsobs blinzelte. Was für ein theatralisches Geschwafel.
Als der Prediger einen Arm in die Luft reckte, taumelte Roghsob vorwärts. Die Kyrrlothen schleiften ihn ohne viel Aufhebens nach vorne und stellten ihn direkt vor Arruhl auf. Roghsob blickte in ein schmales Gesicht mit scharfgeschnittenen Wangenknochen. Augen mit tiefschwarz gefärbter Iris musterten ihn mit einem durchdringenden Blick, dem er sich nicht entziehen konnte.
Mit einem raschen Griff packte Arruhl Roghsobs linken Arm, der von der Schulter bis hinab zu den sechs Fingern metallisch glänzte. Er war genauso fein modelliert wie sein rechtes, organisches Pendant, doch es handelte sich um eine Prothese, ein voll funktionsfähiges Meisterwerk valghonischer Ingenieurskunst. Unvermittelt riss Arruhl mit aller Kraft daran.
Roghsob schrie auf.
»Seht!«, geiferte Arruhl. »Es ist künstlich und doch Teil seiner selbst!«
Die Menge quittierte die ihnen dargebotene Demonstration mit angeekeltem Murren.
»Bist du verrückt?«, ächzte Roghsob. »Warum habt ihr mich hierher verschleppt? Was ist das überhaupt für eine Versammlung? Was wollt ihr alle von mir?« Er spürte Schweiß unter seinen Achseln und blickte auf die Menge, die im trüben Geflacker der Fackeln zu einem amorphen Körper verschmolz.
Arruhl lachte höhnisch auf. »Verrückt? Der einzig Kranke an diesem geheiligten Ort bist du!« Er winkte einen weiteren Kyrrlothen herbei, der ihm eine grob geschnittene, aus schwerem Holz gefertigte Keule reichte.
Roghsobs Augen weiteten sich, als dieser Wahnsinnige vor ihm die archaische Waffe hoch über sein Haupt erhob. Dann ließ er sie kurz unterhalb der Schulter auf seine Armprothese krachen. Es knirschte metallisch. Blaue Funken regneten aus einem Riss in der Oberfläche. Roghsob stieß einen langgezogenen Schrei aus. Arruhl schlug noch einmal mit aller Gewalt zu und trennte den Arm von der Schulter. Ein Gewirr dünnster Drähte ragte aus dem zerfetzten Stumpf. Roghsob brüllte wie am Spieß.
»Seht nur! Er windet sich vor Qual, obwohl ich in tote Materie geschlagen habe«, rief Arruhl voller Abscheu.
»Was redest du denn? Tote Materie?«, presste Roghsob hervor. Er starrte auf seinen metallenen Arm am Boden, aus dem sich dünne Rauchfahnen wanden. »Es sind künstliche Nervenstränge!«
Arruhl lachte erneut auf. »Ein Widerspruch in sich! Kranke, widerwärtige Häresie! Eine Sünde wider die geheiligte organische Natur.«
»Ich verstehe nicht … warum tust du mir das an?«
»Geduld, schon gleich wirst du begreifen, Irregeleiteter. Wenn das reinigende Ekhrosin dich in den Naturzustand zurückführen wird.« Arruhl legte Roghsob mit einer beinahe sanften Geste seine Hand an die Wange. Doch in seinen Augen brannte ein Feuer, das von unnachgiebiger Besessenheit kündete. »Wie ich weiß, hast du einst seltene Tierarten gejagt, um sie in skrupelloser Gier an hirnloses Gesindel zu verschachern.« Er hob die Stimme. »Niemand soll sich bereichern an dem Tiere noch an jedwedem Belebten der Natur!«
»Ich habe meine Strafe verbüßt!« Roghsob begriff nichts. Er versuchte, in den fiebrigen Augen seines Peinigers eine Antwort zu finden.
»Vor einem Gericht heidnischer Narren!« Arruhl trat einen Schritt zur Seite, bückte sich, und tauchte mit einem hölzernen Eimer in den Händen wieder auf.
Er wandte sich der Menge zu und hob das Gefäß hoch über sein Haupt. »Heiliges Ekhrosin, reinige den Geist dieses Armen und führe seinen Körper zurück in das ewige, heilige Sein.«
»Braghdalan!«, rief die Menge erwartungsvoll.
Arruhl drehte sich um. Roghsob sah, wie sich der Eimer über sein Haupt neigte. Sogleich spürte er eine ölige, stechend riechende Flüssigkeit an seinem Körper herabrinnen. Verdattert blickte er dem Priester nach, der zur Felswand eilte, die linker Hand den Talkessel begrenzte. Mit Entsetzten beobachtete er, wie der Prediger eine der Fackeln aus ihrer Halterung riss.
»Ahhh …« Ein Raunen ging durch die Menge. Ein heiseres Stöhnen, schaudernd und lüstern zugleich.
»Nein!« Roghsob stierte auf das Feuer, mit dem Arruhl zu ihm zurücklief. Er versuchte, seine Bewacher fortzuschieben, spannte seine Beinmuskeln an, bis sie vor Anstrengung zitterten, aber die beiden Kyrrlothen standen unnachgiebig hinter ihm. Zwei mit der Erde verwurzelte Baumstämme.
Abrupt wurde er von ihnen fortgestoßen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Kreaturen hastig zurücksprangen. Doch ihm blieb keine Zeit, seine Freiheit zu genießen, denn Arruhl schleuderte ihm die brennende Fackel entgegen.
Eine Stichflamme schoss hoch und hüllte ihn in loderndes Feuer. Roghsob kreischte. Die Hitze fühlte sich im ersten Moment paradoxerweise eiskalt an, wurde dann aber zu alles versengender Glut. Das Letzte, das er wahrnahm, war die Menge, die begierig verfolgte, wie seine Haut begann, Blasen zu werfen.

Prolog (alt)
»Alles, was ist und alles, was wird, vom Anbeginn der Zeiten, alles Licht und alles Dunkle, Himmel und Wasser und Erde, und alles, was fliegt oder schwimmt oder kriecht, ist erschaffen in Weisheit und Vollkommenheit. Und alles, was lebt, soll demütig dienen dem sich selbst verzehrenden und ohne Unterlass aufs Neue gebärenden ewigen Sein. So war es, so ist es, und so wird es geschehen.« Arruhls Stimme rezitierte kraftvoll die ersten Zeilen des valghonischen Schöpfungsmythos.
»Braghdalan!«, antwortete die Menge vor ihm. Folgsam, wie es die Liturgie verlangte.
Wer nur die Stimme des Predigers vernommen hätte, wäre überrascht gewesen, wenn er dessen ausgezehrter Gestalt das erste Mal ansichtig geworden wäre. Auch hinkte Arruhl ein wenig, da ein Bein das andere an Länge etwas übertraf. Aus einem schmalen Gesicht mit scharfgeschnittenen Wangenknochen blickten Augen mit tiefschwarz gefärbter Iris, deren durchdringendem Blick man sich nur schwer entziehen konnte.
Gekleidet war er in ein Gewand aus handgewebtem Stoff. Es bestand aus einem schlichten dunklen Hemd und einer gleichfarbigen Hose von geradem Schnitt, die über lederne Stiefel fiel. Wie alle Valghoner kennzeichneten ihn dunkelgraue Haut und ein kahler Schädel, dessen Schläfen kurze Hörner entsprangen.
Der schmale Talkessel, in dem er seine Predigt hielt, wurde vom Geflacker knisternder Fackeln erleuchtet, die auf Holzpfählen in die Spalten der Felswände getrieben waren. Schatten zuckten über die Menge, die sich vor der rohen, aus Stein gehauenen Bühne versammelt hatte. Am Himmel standen drei Monde. Sie verbreiteten fahles Licht; rot, orange und türkis.
Die mindestens dreihundert Köpfe zählende Menge setzte sich aus Valghonern und allen anderen Spezies des bekannten Universums zusammen. Was sie einte, war die Zugehörigkeit zum Hinkhàdo, der ältesten valghonischen Religion.
»Hört, ihr Aufrechten, hört zu, was ich euch verkünde! Die Zeit ist reif. Und nicht nur reif, sage ich, nein, sie ist überreif! Erhebt euch gegen die Frevler! Gegen die Schwachen, die es wagen, die heilige Ordnung der Natur mit ihren blasphemischen Werken der Technik zu besudeln! Sie nennen es Fortschritt, nennen es Zivilisation.« Arruhl spuckte die letzten beiden Begriffe aus. »Ich aber sage: Wer Stark ist, soll in Stärke leben. Wer jedoch schwach ist, soll nicht aufbegehren, sondern sich fügen in den ewigen Kreislauf des Vergehens und Entstehens.«
Der Prediger hob seinen Arm.
Aus dem finsteren Hintergrund der Bühne schälten sich zwei blassweiße Körper. Kyrrlothen, deren zylindrische Formen an mannshohe Maiskolben erinnerten. Unten entsprangen vier dicke Tentakel, die der Fortbewegung dienten, mittig vier Fangarme mit dem Durchmesser von Schiffstauen. Die oberen, sich verjüngenden Körperenden ähnelten der komplizierten Struktur von Krebsen. Dunkle, aufgesetzte Augenknöpfe, Mandibeln und ringsum eine Vielzahl sich wurmartig windender Ausstülpungen.
Die beiden Geschöpfe schleiften Roghsob, einen sich panisch sträubenden Valghoner, nach vorne. Sie hielten seinen dunkelgrauen, entblößten Oberkörper mit ihren dicken Fangarmen umklammert. Jetzt, im Fackelschein, konnte man sehen, dass der linke Arm ihres Opfers von der Schulter bis hinab zu den sechs Fingern metallisch glänzte. Er war genauso fein modelliert wie sein rechtes, organisches Pendant, doch es handelte sich um eine Prothese, ein voll funktionsfähiges Meisterwerk valghonischer Ingenieurskunst.
Arruhl trat auf Roghsob zu, packte die Prothese mit beiden Händen am Unterarm und riss mit aller Gewalt daran.
Der Gefangene schrie auf.
»Seht!«, geiferte Arruhl. »Es ist künstlich und doch Teil seiner selbst!«
Die Menge quittierte die ihnen dargebotene Demonstration mit angeekeltem Murren.
»Bist du verrückt?«, ächzte Roghsob. »Warum habt ihr mich hierher verschleppt? Was ist das überhaupt für eine Versammlung? Was wollt ihr alle von mir?« Er blickte mit großen Augen auf die Menge, die im trüben Geflacker der Fackeln zu einem amorphen Körper verschmolz.
Arruhl lachte höhnisch auf. »Verrückt? Der einzig Wahnsinnige an diesem geheiligten Ort bist du!«
Er winkte einen weiteren Kyrrlothen herbei, der ihm eine grob geschnittene, aus schwerem Holz gefertigte Keule reichte.
Die Augen des Gefangenen weiteten sich, als Arruhl die archaische Waffe hoch über sein Haupt erhob. Dann ließ er sie kurz unterhalb der Schulter auf die Armprothese seines Opfers krachen. Es knirschte metallisch. Blaue Funken regneten aus einem Riss in der Oberfläche. Roghsob stieß einen langgezogenen Schrei aus. Arruhl schlug noch einmal mit aller Kraft zu und trennte den Arm von der Schulter. Ein Gewirr dünnster Drähte ragte aus dem zerfetzten Stumpf. Roghsob brüllte wie am Spieß.
»Seht nur! Er windet sich vor Qual, obwohl ich in tote Materie geschlagen habe«, rief Arruhl voller Abscheu.
»Was redest du denn? Tote Materie?«, presste Roghsob hervor. Er starrte auf seinen metallenen Arm am Boden, aus dem sich dünne Rauchfahnen wanden. »Es sind künstliche Nervenstränge!«
Arruhl lachte erneut auf. »Ein Widerspruch in sich! Kranke, widerwärtige Häresie! Eine Sünde wider die geheiligte organische Natur.«
»Ich verstehe nicht … warum tust du mir das an?«
»Geduld, schon gleich wirst du begreifen, Irregeleiteter. Wenn das reinigende Ekhrosin dich in den Naturzustand zurückführen wird.« Arruhl legte mit einer beinahe sanften Geste seine Hand an die Wange des geschundenen Valghoners. Doch in seinen Augen brannte ein Feuer, das von unnachgiebiger Besessenheit kündete. »Wie ich weiß, hast du einst seltene Tierarten gejagt, um sie in skrupelloser Gier an hirnloses Gesindel zu verschachern.« Er hob die Stimme. »Niemand soll sich bereichern an dem Tiere noch an jedwedem Belebten der Natur!«
»Ich habe meine Strafe verbüßt!« Roghsob blickte zitternd in die fiebrigen Augen seines Peinigers.
»Vor einem Gericht heidnischer Narren!« Arruhl trat einen Schritt zur Seite, bückte sich, und tauchte mit einem hölzernen Eimer in den Händen wieder auf.
Er wandte sich der Menge zu und hob das Gefäß hoch über sein Haupt. »Heiliges Ekhrosin, reinige den Geist dieses Armen und führe seinen Körper zurück in das ewige, heilige Sein.«
»Braghdalan!«, rief die Menge erwartungsvoll.
Arruhl drehte sich zu dem Gefangenen um und ergoss den Inhalt des Eimers über sein Opfer.
Roghsob spürte eine ölige, stechend riechende Flüssigkeit an seinem Körper herabrinnen. Er blickte dem Priester nach, der leicht hinkend zur Felswand eilte, die linker Hand den Talkessel begrenzte. Mit Entsetzten beobachtete er, wie der Prediger eine der Fackeln aus ihrer Halterung riss.
»Ahhh …« Ein Raunen ging durch die Menge. Ein heiseres Stöhnen, schaudernd und lüstern zugleich.
»Nein!« Roghsob stierte auf das Feuer, mit Arruhl auf ihn zulief. Er spannte seine Beinmuskeln an, bis sie vor Anstrengung zitterten, aber die Kyrrlothen standen unnachgiebig wie mit dem Boden verwurzelte Baumstämme.
Dann jedoch wurde er von ihnen fortgestoßen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Kreaturen hastig zurücksprangen. Doch ihm blieb keine Zeit, seine Freiheit zu genießen, denn Arruhl schleuderte ihm die brennende Fackel entgegen.
Eine Stichflamme schoss empor und hüllte ihn in loderndes Feuer. Roghsob kreischte auf. Das Letzte, das er wahrnahm, war die Menge, die begierig verfolgte, wie seine Haut begann, Blasen zu werfen.

Der Neue Prolog ist auf jeden Fall intensiver, direkter

Das passt nicht zusammen, oder wird hier schon deutlich, dass Arruhl ein Heuchler ist?

  • aber die beiden hättest Du in einen neuen Thread stellen sollen, das hat doch gar nichts mehr mit “Der Zugestiegene” zu tun?

Das habe ich dann wohl unscharf formuliert. Mir ging es um Bereicherung im gewinnorientierten, kapitalistischen Sinne. Es handelt sich um eine Naturreligion, die jede Technik ablehnt, die Verwertung der Natur zum Eigenbedarf jedoch gestattet. Ich versuche mal, eine präzisere Formulierung zu finden.

Oder ich schmeiße den Satz hier Schuhwerk aus Tierhaut – das musste man ja als regelrecht archaisch bezeichnen. einfach raus. Ist damit die Ursache der Irritation beim Leser eventuell bereits getilgt?

Habe es nur in diesen Thread gestellt, weil ich hier ursprünglich auch die Frage wegen der Erzählerspektive an Andreas gestellt hatte.