Charaktere und Erzählstil

Wenn meine einzige Kommunikation im Alter mit der Jugend aus dem Satz “Das ist kein Fahrradweg!” besteht, springe irgendwo herunter…

Hormone, da kannste nix machen. Und das ist auch gut so, zumindest im Grundgedanken. Bringen einen aber auch zu völlig irrationalen Handlungen. “Mein Sohn macht so ewas nicht!” Dabei hat der kleine Racker bereits eine ganze Latte an nicht angezeigten Übeltaten im Bällebad und auf dem Spielplatz begangen. Das darf man den Eltern leider gar nicht sooo übel nehmen.
Es ist aber eine Art alte Tradition - keine Ahnung woher das kommt - dass Eltern den Kinderlosen immer diesen Satz “Du hast ja keine Ahnung!” um die ahnungslosen Ohren schlagen, gern in der Kombination mit wissend gewölbten Augenbrauen. Da kann man auch nicht mit Patenkindern oder anstrengenden Nichten und Neffen aufwarten - keine Chance, eigene Kinder sind ewas völlig anderes! Vielleicht ein uralter, sippenerhaltender Vorwurf aus der Zeit, als Kinder noch Reichtum bedeuteten.

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Nach dem Motto: Wenn du schon nichts für meine Rente tust, will ich wenigstens Recht haben.

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Hallo Claudia,

Deine Anmerkungen und Erläuterungen fand ich persönlich besonders hilfreich, danke dafür.

Ich werde mir unter diesen Prämissen die Szene nochmal durch den Kopf gehen lassen und überarbeiten, so dass das Kind weniger als evil mastermind rüberkommt. Deine Beschreibung des freien Assozierens zu den tatsächlichen Geschehnissen und das Entstehen einer Geschichte und damit der Wahrheit für das Kind sozusagen zur Laufzeit des Erzählens finde ich sehr überzeugend. Erinnert mich so ein bisschen an den Spruch “Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage” :smiley:

Interessanterweise hätte ich den Ablauf, den Du beispielhaft aufführst, als zu kindlich für einen Fünfjährigen verworfen.

Bezüglich der Rolle und Wirkungsmacht von peer pressure warte ich mal die weitere Diskussion ab. Nachdem zunächst recht einhellige Ablehnung vorhanden war, kommen ja nun auch gegenteilige Meinungen vor. Und beide Seiten haben durchaus einleuchtende Argumente.

Aber um vielleicht ein Missverständnis aufzuräumen:

Natürlich war nicht gemeint, dass sich die kleine Hortensia-Chantal hinstellt und verkündet “Justin-Dimitri, ab jetzt sagst du ‘Dad’ zu deinem Paps!”
Das würde natürlich sofort Widerspruchsgeist hervorrufen. Gruppendruck funktioniert ja eher so, wie es in Deiner Signatur steht, Duane:
“Klar kannst du das so machen, aber dann bist du halt kacke.” Oder uncool/altmodisch/rechts/links/unsozial/etc.
Und danach lässt man denjenigen im eigenen Saft schmoren. Und da wir (fast) alle akzeptiert werden wollen und uns nur in der Gradzahl, wie weit wir uns verbiegen wollen, unterscheiden, ist diese Taktik so erfolgreich.

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Lieber Ralf, liebe @ClaCla ,

die Sache mit dem “freien Assoziieren” möchte ich aus meiner Erfahrung unterschreiben; und ja: das ist im Gesamtkomplex ein wichtiger Hinweis! Was ich noch dazu beisteuern möchte: Mir will scheinen, daß Kinder – übrigens m.E. länger als nur im KiKa-Alter – diese Assoziationsmethode dadurch abfedern, daß sie sehr genau auf die mimisch-gestischen Reaktionen des Zuhörenden achten (kluge, lebenserfahrene Zuhörer werden die Kinder ja dabei nicht unterbrechen!) und durchaus fähig sind, die Ergebnisse entsprechend bestimmter Reaktionen zu variieren.

Glaubt man Anthropologen und Entwicklungspsychologen (etc.), ist das übrigens ein bereits evolutionär eingeschliffenes Muster, aus einem Überlebensimperativ bw-fähiger Tiere herrührend (u.a. sehr wichtig bei der Ausbildung altruistischer Verhaltensweisen), der durch Integration (und reflektierte Überformung) mit sprachlicher/n Elemente/n natürlich enorme Entwicklungsmöglichkeiten freisetzt, wie gleicherzeitig allerdings auch manipulative respektive affirmative Verhaltens- und Handlungsweisen.
Ich glaube, in diesem Sektor liegt immer auch großes literarisches Potential im Sinn dessen, was man vielleicht ‘Charakterformung’ nennen könnte.

Gruß von Palinurus

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Hallo Mathies,

Die Aussage halte ich in ihrer Absolutheit und Pauschalität für falsch. Ich stimme Dir zu, dass Kinder nicht so komplex und intrigant Rache nehmen wie Erwachsene und schon gar nicht lange damit damit warten können. Ihre Reaktionen sind direkter und unmittelbarer.
Aber wenn ein Kind ein anderes mutwillig schubst, dann wird es das andere Kind nicht einfach auf sich beruhen lassen, sondern in vielen Fällen zurückschubsen. Das würde ich schon als “heimzahlen” sehen.

Diese Passage hat mich ehrlich gesagt schockiert. Aufgrund der geschilderten kleinen Situation derart apodiktisch der Mutter Soziopathie zu bescheinigen und eine Meldung ans Jugendamt wegen Kindeswohlgefährdung zu rechtfertigen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Im Ernstfall hängen von solchen Diagnosen Existenzen ab und ich will einfach hoffen, dass vom Gericht oder Amt bestellte Gutachter ihr Urteil erst nach sorgfältiger Abwägung vieler Tatsachen fällen und nicht nur aufgrund eines Schlaglichts. Ansonsten wäre es wohl mehr Projektion eigener Weltanschauungen/Ideologien als fundierte Diagnose.

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Hallo @narratöör ,

Hier erlaube ich mir zu widersprechen. Ich halte Mami/Papi/Kind-Szenen für deutlich schwieriger als Gewaltszenen, weil sich da jeder für einen Experten hält. Jeder war mal Kind, kennt ein Kind, etc. und wähnt sich deshalb im Besitz der alleingültigen Wahrheit™. Da sind irgendwelche Psychopathen-Metzeleien doch deutlich einfacher zu „verkaufen“. :kissing:

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Allerdings vergisst man nur zu leicht, dass Glaubwürdigkeit nicht nur daran hängt, wie wahrscheinlich oder schlüssig einem das Verhalten des Kindes vorkommt. Die Kunst des Autors ist die, etwas Unglaubliches so zu erzählen, dass es einem durchaus wahrscheinlich oder logisch vorkommt. Als Beispiel sei hier Oskar Matzerath aufgeführt.

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Ich wußte gar nicht, dass es das gibt, die allgemeingültige Wahrheit?
Und bei Kindern schon gar nicht. Man kann nicht sagen, Kinder seien so oder so. Das wäre so, als würde man behaupten, die Erwachsenen seien alle gleich. Ich bin ganz sicher, wenn es einen Begriff für diese seltsame Umkehrung von, äh, Generationsvorurteilen gibt, wird ihn Palinurus kennen. Es gibt sicherlich mindestens soviel Wahrheiten, wie es Menschen gibt, Menschen, nicht Frauen oder Männer oder Kinder. Ich habe drei Mädchen aufgezogen, drei Schwestern, und die waren bereits als Würstchen so unterschiedlich, als seien sie nicht einmal miteinander verwandt. Sie konnten unterschiedlicher kaum sein.

Ach, ja, der gute Oskar, der beschließt, einfach mit dem Wachsen aufzuhören. Wer glaubt so etwas? Und doch ist “Die Blechtrommel” zwar völlig irrational, besonders die Erklärungen von Oskar, aber irgendwie schlüssig. Tja, Günni eben.

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Lieber Narratöör,

dir beispringend in diesem von Weisheit [sic!; also nicht Wahrheit] geprägten Statement möchte ich’s so formulieren: Wer immer von der Wahrheit über einen Menschen – oder gar noch: die Menschen – faselt, redet wirres Zeug, also die Unwahrheit (was allerdings nicht mit ‘Lügen’ gleichzusetzen ist, weil man sehr wohl lügen und dabei Wahres sprechen kann).

Zwar ist der Begriff der Wahrheit nicht vollkommen nutzlos, denn tatsächlich gibt es wahre Aussagen, aber die meisten Menschen haben wenig bis gar keinen Dunst davon, worauf sich das (logische) Prädikat des Wahrseins realistischerweise überhaupt anwenden läßt und worauf nicht, womit impliziert ist, daß längst nicht alles, was Menschen für wahrheitsfähig halten, auch tatsächlich unter diese Kategorie fällt.
Das hat viel damit zu tun (vgl. oben Angedeutetes), daß in der Welt das üble Mißverständnis grassiert, wo die Lüge im Spiele sei (bzw. exakter: der Geltungsanspruch auf Wahrhaftigkeit) müsse doch auch die Wahrheit immerzu mitgesetzt sein. – Dem ist allerdings nicht so! Leider begreift das so gut wie niemand außerhalb jenes oft verlachten Haufens, der sich ‘philosophisch’ nennt (Wahrheitstheorien sind seit eh und je eine exklusiv philosophische Domäne).

Der Punkt im hiesigen Zusammenhang ist nach dieser “Lesart” mithin folgender: Ein Mensch ist (verhält sich/handelt) authentisch, wenn er seinen tatsächlichen (Handlungs-)Intentionen wahrhaftigen [sic] Ausdruck verleiht, also sich gegenüber seinen Mitmenschen aufrichtig verhält. Und das ist deshalb nicht ident mit “Wahrsein”, weil es aus grundsätzlichen Sachverhalten (unhintergehbar) so ist, daß man zwar (bei bestimmten Redetypen automatisch) erhobene Geltungsansprüche auf Wahrheit diskursiv prüfen kann, aber nicht jene auf Wahrhaftigkeit.
Wie Habermas schön gezeigt hat – indem er’s bei Wittgenstein abgeschrieben hat, ohne das richtig namhaft zu machen --, kann die Aufrichtigkeit/Wahrhaftigkeit einer Handlung oder Aussage stets nur bestenfalls im Nachhinein, an den Handlungsfolgen nämlich, abgelesen, aber nicht diskursiv geprüft werden, wie im Fall von Wahrheit und auch Richtigkeit (was keinesfalls dasselbe ist). Bei Witti heißt dieses Handlungsfolgen-Ablesen einfach: “es zeigt sich” … :stuck_out_tongue: (oder eben auch nicht!).

Bezogen auf Menschen (inkl. Kinder): Es ergibt sich in etlichen Situationen die Möglichkeit (aber nicht notwendig – daran ist vielmehr etwas prinzipiell kontingent!) die … ähm … Authentizität eines Menschen, also seine Aufrichtigkeit oder eben deren Gegenteil einschätzen zu können. Sagt also jemand: “Dieser da ist ein aufrichtiger Mensch” oder es wird die negierte Version ausgesagt, so ist das stets …

  1. ein Urteil unter dem Vorbehalt, daß sich prinzipiell auch noch etwas anderes zeigen könnte

und

  1. niemals ein vollständiges (also immer [allgemein] geltendes) Urteil, weil es ja stets situationsbezogen gefällt wird und der Urteilende ergo nie alle denkbaren Situationen für so ein Urteil zu berücksichtigen vermag, sondern immer nur einige.

Wie leicht ersichtlich, kann sich also niemand, der noch alle Latten im Zaun hat, im Besitz “der Wahrheit” über wen auch immer, sogar die eigenen Kinder, wähnen; er kann bei gegebenen Bedingungen allerdings einigermaßen sicher (wenn entsprechende Erfahrung vorliegt) ein Urteil darüber fällen, ob jemand aufrichtig agiert oder nicht (im Grund genommen ist das der Kern des principle of charity als unhintergehbare Voraussetzung für verstandgeleitete zwischenmenschliche Kommunikation überhaupt).

Ich hege die Überzeugung, lieber Narratöör, daß ein “armes Schwein” (ein ganz, gaaaanz aaaaarmes sogar) ist, wer “so etwas” nicht zu glauben vermag. Denn “Günni” hat ja im Modus der (ästhetischen) Fiktionalität geschrieben und nicht eine Aussage mit Geltungsanspruch auf Wahrheit formuliert (gleichwohl er ebenfalls keineswegs gelogen hat dabei, wie es Platon den Schriftstellern vorwarf und sie deshalb aus der *politeia *(dem Staat) entfernen wollte!). Will sagen: Oskar der Trommler ist ein Produkt ungeschminkter Aufrichtigkeit (und natürlich existiert er auch [vgl. dazu etwa [I]Naming and Necessity und andere Schriften von Saul Kripke] im Vollsinn dieses Begriffs!) von G. Grass; und falls irgendwer daran zweifeln sollte, wäre es schön, wenn er dafür ein Strategie vorlegte, wie er die Widerlegung dieser Aussage würde bewerkstelligen wollen …

Jo. Das war jetzt sozusagen das Wort zu Sylvester :cool:

Liebe Grüße an alle und einen Guten Rutsch ins Neue Jahr von Palinurus

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Äh, jo! Na, sag ich doch!