Charaktere und Erzählstil

Ich möchte mal wieder Eure Kreativität und Kenntnis anzapfen: Wie haltet Ihr es mit dem Erzählstil, was unterschiedliche Charaktere betrifft?

Was ich nicht meine: Natürlich schreibe ich die jeweilige Szene aus der Sicht des Charakters, der sie erlebt. Und natürlich drückt sich dessen Wesen auch in seiner Sprache aus; vor allem in der wörtlichen Rede.

Und jetzt zu dem, was ich meine: Wie weit darf oder soll der Charakter die Sprache des Erzählers beeinflussen? Bei einem Charakter, der zur See fährt, würde (jedenfalls mein) Erzähler sicher eher nautische Metaphern nutzen als bei einem Cowboy. Wie weit geht bei Euch dieses sprachliche Setting? Wie stark darf oder sollte sich sogar der Stil des Erzählers unterscheiden, wenn er aus der Sicht des einen oder anderen Charakters erzählt?

Mir kam diese Frage in den Sinn, als ich meine jüngste Szene Korrektur las. Denn dort finden sich einige Stilschwächen (danke für den Hinweis, Papyrus ;)), die ich sonst vermeide. Triviales Halbsatzbeispiel:
Manchmal konnte er ihn einfach nicht ausstehen.
Bei einem anderen Charakter hätte ich das “manchmal” wahrscheinlich präzisiert, auf jeden Fall rausgeflogen wäre das “einfach”. Zu diesem Charakter aber scheint es mir zu passen. Verzeiht der Leser dann solche Stilschwächen? Auch, wenn sie schon ein paar Mal vorkommen, weil die Szene halt was länger ist?

Ichweißichweiß, die Stilanalyse gibt nur Hinweise, die Entscheidung treffe ich. Bislang habe ich sie so getroffen, daß ich dem oberflächlichen Schnösel seine Füllwörter gönne. Nun interessiert mich Eure Meinung. Wie handhabt Ihr das? Und darf, im Extremfall, eine Szene geschliffen und hochgestochen formuliert sein, weil es zum Charakter paßt, während die nächste aus demselben Grund komplett umgangssprachlich und voller Floskeln sein darf?

Danke für Eure Anregungen!

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Ja, das handhabe ich schon angepasst auf verschiedene Charaktere, wenn aus deren Sicht erzählt wird. Da klingt dann ein Kapitel schon mal schnodderiger oder gebildeter als ein aus einer anderen Perspektive Erzähltes.
Ich achte aber darauf (meistens, wenigstens), dass immer klar ist, wer gerade erzählt, und ich arbeite eher mit Kapiteln als mit Szenen. Dadurch, denke ich, fällt es mir leichter, solche Wechsel “zuzulassen”.

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Von Fall zu Fall verschieden, meist schaue ich aber auch, dass es zu der jeweiligen Figur passt. Und ich lese es mir dann gerne laut vor; es muss insgesamt gut und stimmig klingen, dann dürfen auch mal Stilschwächen drinnebleiben.

“Ey du Wichser, beim nächsten mal gibbets auffe Fresse!” Heinz schmiss seinem ehemaligen Kumpel die frisch geleerte Bierdose vor die Füße, rülpste kräftig und zeigte ihm den Stinkefinger.

“Ey du Wichser, beim nächsten mal gibbets auffe Fresse!” Heinz warf die leergetrunkene Bierdose zu Boden, stieß lautstark auf und bedachte seinen ehemaligen Freund mit einer obszönen Geste.

Bei Version 2 passen Dialog und Erzähltext einfach nicht zusammen, schlimmer noch, da macht der Erzähltext die ganze Wirkung kaputt. Ich würde sagen, der Erzählstil darf ruhig auch mal etwas angepasst werden.

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Ich finde es immer ziemlich toll, wenn ein Autor das beherrscht. Mir selber fällt das eher schwer, ich habe das Gefühl, mein Sprachstil bleibt immer gleich, egal, durch welche Brille ich das Geschehen gerade schildere. Ich treibe mich auch nicht so gerne in den Köpfen meiner Charaktere herum, ehrlich gesagt, sondern schreibe lieber “von außen”.

Für mich klingt das “Manchmal konnte er ihn einfach nicht ausstehen” Beispiel gut. Es bringt mich direkt in den Kopf desjenigen, der es sagt. Wie gesagt, ich hätte da manchmal in meiner eigenen Schreibe gerne mehr von.

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Für mich keine Frage: Der Hafenarbeiter sagt selten, dass “es ihm nicht konveniere”, der Professor nicht “leck mich fett und nenn mich Wanda!”
Meine kleinkriminelle Szene beherrscht den Genitiv natürlich nicht, sie würden immer “wegen dem Hund”, nicht “wegen des Hundes” sagen. Allerdings beanstandet dann ein Rechtschreibprogramm ständig diesen Slang.
Die Kombination wörtliche, sagen wir mal Hafenarbeiterrede mit niveaugleichem Text ist manchmal eine tolle Kombi. Wenn diese beiden allerdings konträr zueinander stehen, bzw. stark voneinander abweichen, ergibt dies lediglich einen anderen Stil. Und der Autor/Erzähler distanziert sich vom Slang des Sprechenden. Es ist ein anderes Betrachten der jeweiligen, beschriebenen Person.
Comme ci comme ça.

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Liebe Buchling,

meiner Ansicht nach hängt es wesentlich davon ab, aus welcher Perspektive erzählt wird, wenn die Frage nach dem Erzählstil aufs Tapet kommt. Will sagen: Wenn (einzig) die third-person-view das Mittel der Wahl ist, hast du weniger Möglichkeiten, im Erzählstil zu variieren. Denn m.A.n. “kommt es nicht so arg gut”, wenn der Dritte-Person-Erzähler (DPE) zu sehr das Chamäleon gibt. Seine Perspektive ist ja eigentlich die des Allüberblickenden und mithin auch von einer bestimmten (m.E. notwendig damit einhergehenden) Distanz geprägt, die dann jedesmal zusammenbräche, wenn eine “stilistische Assimilation” statthat (von bewußt gesetzten Nuancen in einigen Situationen natürlich abgesehen).

Eigentlich ist nach meinem Dafürhalten zur Binnendifferenzierung der Charaktere eher die wörtliche Rede der jeweiligen Figuren (oder deren indirekte Wiedergabe) das Mittel das Wahl, sofern auf eine Integration von Erzählelementen aus first-person-views (EPE) verzichtet wird; und wenn nicht, so kann dann natürlich der jeweils charaktersignifizierende Stil ungehindert zum Tragen kommen. – Ich persönlich würde das allerdings bei einem DPE nicht so arg weit treiben, denn faktisch zerfiele er dann ja in mehrere solche – wobei sich vielleicht die Frage stellten würde, warum die Erzählperspektiven nicht gleich fluktuierend angelegt werden, also so, daß eventuell zwischen DPE und EPE gewechselt wird oder diverse EPE’s auftreten …

Bei meinem aktuellen Projekt verfolge ich die letztere Variante, also indem die Dinge aus diversen Erzählperspektiven (DPE und EPE) beleuchtet werden. Das ist recht spannend.

Zum einen: Es gibt “den Leser” nicht! Und sicher würden dir einige ankreiden, so formuliert zu haben, weil “man das nicht macht”. – Ich finde, es kommt auf die Absicht an, bzw. präziser: die Intention, mit der so eine Phrase aufgeladen wird (oder eben nicht)! Will sagen: das ‘einfach’ kann, wenn es auf bestimmte Weise intendiert ist, etwas transportieren, das ohne es nicht “rüberkommen” würde: Prinzipienreiter (also die Man-Sager) oder gar Stilanalyse-Fetischisten (notorisch Algorithmus-Gläubige ohne eigenes Stilgefühl) gehen über so etwas hinweg und produzieren dann bloß Einheitsbrei. Es hängt also vom Kontext ab, ob solche Wörter tragen oder nicht. Jedenfalls sehe ich es so. Die Phrase "Manchmal konnte er ihn nicht ausstehen" kann geradezu jämmerlich wirken, wenn ein bestimmtes semantisches Umfeld eigentlich ein ‘einfach’ o.ä. erheischt! Es gibt gewiß keine Regel, die in der Literatur umwillen einer bestimmten Pointe nicht gebrochen werden könnte oder sogar sollte …
Zum anderen: Natürlich kann man derlei Einsprengsel auch gerade als solche Nuancen (s.o.) ansehen, wo gleichsam die Erzählperspektive einen jener kurzen “Risse” erhält, die sie spannend machen, auch wenn sie ansonsten vielleicht eher ein anderes “Niveau” zu halten versucht. Funktioniert auch vice versa, also bezogen aufs jeweilige Level des Sprachgebrauchs.

Gruß von Palinurus

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Ich bin ganz sicher, dass Palinurus unbedingt recht hat; ich weiss nur nicht genau, warum…
Ich sehe ähnlich wie der verehrte Palinurus. In meinen Romanen bin ich - zur Zeit jedenfalls - der Allwissende, und das erfährt der Leser dann auch. Und natürlich findet dann eine klare Abgrenzung zwischen dem Mono/Dialog und der Sprache des Erzählers statt.

Nach wie vor: Die einzige Regel, die existiert ist die, dass es keine Regeln gibt.
Nein, echt nicht.
Und für jeden der noch einmal nachfragen will: Nein.
Seht Euch um: In anderen Ländern gibt es diese „Regeln“ nicht. Im arabischen Raum ist es alles völlig anders, im afrikanischen ebenso. Wer erzählt eigentlich immer so einen Sch… von dies und das darf nicht?
Ich bin ganz sicher, dass ich hier keine Lanze brechen muss, aber es nervt mich schon ein bisschen. Es gibt meines Wissens auch keinerlei Formel, die Erfolg garantiert. Gäbe es diese Regeln, sollte man doch meinen, wenn man sich daran hielte, würde es immer ein Bestseller werden. Weit gefehlt. Es gab einmal den nutzlosen Versuch, alle, alle Beatlessongs in einen Rechner einzuprogammieren, und dieser sollte aus dem vorhandenen Material einen neuen Song produzieren, der nahtlos an den Erfolg der uns bekannten Beatles-Klassiker anknüpft. Das Ergebnis war eine Art lauwarme Fahrstuhlmucke, kaum zu ertragen.
Also bitte.

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Ich glaube es gehört zur Kunst eines Autoren genau diese Thematik zu beherrschen. Es ist auch ratsam, nachdem das Werk steht, explizit nach genau solchen Stolperstellen nachzusehen. Ich entwerfe Charaktere bevor ich loslege und mein Protagonist erhält schon mal eine Biographie von 60 Seiten. Da weiß ich ganz genau, wie er sich ausdrückt. Allerdings was ist mit Statisten? Oder den Nebendarstellern? Hier kann man sicherlich eine Menge über Dialoge ausdrücken.
Die Erzählstimme den Figuren anzupassen sehe ich als “schwierig” an. Schnell kann das schief gehen und der Leser merkt dann die Unsicherheit des Autors. Es gibt wirklich brillante Autoren die durch Handlung und wörtliche Rede ihren Charakteren die Besonderheiten einhauchen. Über die Erzählstimme eher weniger. Ich lasse mich gerne belehren, aber aktuell fällt mir kein Werk ein, indem das praktiziert wird. Daher würde ich es ebenfalls über Handlung und Dialog und auch im Verhalten wiedergeben.

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Ich weiss, show, don´t tell.
Das hatten wir in einem anderem Treat, gerade erst. Moby Dick,Herman Melville, erster Satz des Romanes:
„Nennt mich Ismael!“

Mark Twain verwendet diese Technik in vielen seiner Romane
Ich finde den Treat jetzt nicht so schnell wieder, aber es gab Dutzende von Beispielen.

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Liebe Krimitante, lieber Narratöör

ein tatsächlich brillantes Beispiel wäre hier der* Zauberberg* von Thomas Mann: Die unterschiedlichsten Charaktere in diesem Roman schauen wir alle durch die „mentale Brille“ des Hans Castorp und seinen speziellen Duktus an, ohne daß der – sozusagen in diese „Rolle“ schlüpfende – Erzähler dadurch monoton wirken würde, weil er es glänzend versteht, „durch Handlung und wörtliche Rede“ die sonstigen Einzelcharaktere in ihren jeweiligen Besonderheiten fein herauszuziselieren.
Sich vorzustellen, Th.M. hätte sich bei den Hunderten von Szenen je im Erzählstil an die gerade agierenden Figuren geschmiegt, ist wohl so gut wie unmöglich: Es wäre ein fürchterliches Machwerk!

M.E. sind gelegentliche narrative Perspektivwechsel vielen Erzählungen – von Kurzgeschichten über Novellen bis zu Romanen – sehr zuträglich. Zugegeben: Es ist nicht jederfraus Sache (sowohl was das Schreiben wie auch das Lesen angeht); aber bei etlichen Werken, wo das zur Anwendung kommt, kann ich mir gar nicht vorstellen, daß sie je hätten anders geschrieben werden können, ohne ihren spezifischen Reiz zu verlieren. – Das soll keineswegs heißen, es könne nicht anders gehen (Thomas Mann hat gezeigt, daß das Unsinn wäre, so etwas zu behaupten!). Wer allerdings wähnt, die „klassische Methode“ sei eine „sichere Bank“, irrt m.E. Denn nicht jede/r bringt es zur Meisterschaft des singulären third-person-view-Erzählens wie der Verfasser des Zauberbergs! Und wenn es dann öde wird aufgrund dessen, ist nichts gewonnen! Deshalb glaube ich, etwas herumzuexperimentieren und neue Erzählformen zu testen – auch (und gerade) in Kombination – kann nichts schaden …

Gruß von Palinurus

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Hier vielleicht: https://forum.papyrus.de/threads/vierte-wand-im-buch-durchbrechen.9103/#post-77511 ?

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Verehrter[

Ich bin nicht so konstruiert, dass ich mich fraglos in bestehende Regeln füge. Lasst Euch richtig gehen, immer raus damit! Try and Error! Ihr habt nichts zu verlieren, es steht niemand mit dem Hammer der Tradition hinter Euch!
Nebenbei: Wenn man einen Mono/Dialog darstellt und bedient sich in der nichtwörtlichen Rede dem gleichen Slang, wechselt das ja wohl andauernd. Beispiel siehe oben Hafenarbeiter und der Herr Professor. Ich hab so einen Wechsel bewußt noch nie wahrgenommen. Wenn das so wäre, würde ich mich umgangssprachlich als Leser etwas verarscht fühlen. Hat Jemand vielleicht ein Beispiel für diese Form?
Ich fabuliere einmal weiter - sollte der Leser das bewusst nicht bemerken? Oder doch?](https://forum.papyrus.de/members/palinurus.5897/)

Danke,Greifenklau! Hatten wir doch schon einmal!

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Sehr klares und gutes Beispiel, danke!

Hm. Allzu allüberblickend soll der Erzähler ja nun auch nicht sein, oder? Will sagen: Es gilt ja weniger als guter Stil, wenn der Erzähler etwas aus der allüberblickenden Perspektive statt aus der des Protagonisten (der Szene) beschreibt.

Ganz ehrlich: Weil ich die erste Person nicht ausstehen kann. Sie geht mir so sehr auf die Nerven, daß ich Bücher, deren Inhalt mich interessierte, oft allein aus diesem Grund nicht gelesen habe. Keine Ahnung warum, ich komme darauf einfach nicht klar.

Der Kontrast zwischen Deinem Stil und meinem Charakter bei diesem Satz illustriert schön plastisch, worum es mir bei dem bewußten Stilfehler geht :smiley:

Du hast in der Sache völlig recht. Allerdings können Regeln ganz gute Orientierungshilfen sein. Eine gut gebrochene Regel ist guter Stil; eine nicht gekannte Regel resultiert oft in schlechtem. Besonders all die Nuancen zwischen “darf man nicht” und “doch!” sind das, aus dem ich den meisten Nutzen ziehe. Deshalb frage ich hier so oft nach Regeln und wie Ihr alle in diesem Forum damit umgeht: Sie sind für mich nicht starr zum Befolgen da, sondern der Startpunkt zum bewußten Reflektieren.

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Lieber Narratöör,

bei diesem Statement komme ich nicht ganz mit! Womit ich sagen möchte, daß es doch gerade einen hohen Reiz ausmacht (jedenfalls für mich als Leser), wenn “unterschiedliche Welten” – vielleicht besser: unterschiedliche Lebensformen – aufeinanderprallen und es der/die Autor/in versteht, das dann auch sinnfällig werden zu lassen! Im Moment habe ich einige Szenen aus diversen Romanen von Iris Murdoch vor Augen, was bei ihr allerdings auch nicht wundernehmen muß, da es ihr “großes Thema” ist, konfliktuöse personale Konstellationen daraufhin auszutesten, ob und wie (oder eben nicht) die darin involvierten Figuren miteinander “zurande kommen”. – Sie löst das sowohl auf der dialogischen als auch auf der Ebene indirekter Rede, mit durchaus divergenten Ausgängen.
Letztendlich verbergen sich hinter solchen Situationen immer grundlegende ethische Fragestellungen – und daß es I.M. als Schriftstellerin dabei (was sich in anderen lit. Belangen nicht immer von ihr behaupten läßt, wie ich finde) zu einiger Meisterschaft brachte, liegt sicher nicht unmaßgeblich auch daran, daß sie sich als Philosophin v.a. damit auseinandergesetzt hat, wobei sie es für mein Verständnis zu einer durchaus bedenkenswerten Synthesis i.S. Wittgensteins berühmter Tractatus-Behauptung brachte, daß Ethik und Ästhetik letztlich eins seien. – Ich deute das explizit an, weil mir scheint, es sei wohl fast umgekehrt als so, wie du es andeutest: Warum sollte ich mich als Leser verarscht fühlen, wenn mir ein Autor die Ambivalenz einer Situation so vor Augen führt, wie sie nun einmal ist, wenn unterschiedliche Lebensformen aufeinanderprallen? Wäre es nicht seltsam, wenn das keinen sprachlichen Niederschlag fände? Zumal sich doch damit gerade auch ideale Möglichkeiten eröffnen, eine (ggf. auch selbst-)ironische Brechung in den Text ztu bringen! Und zwar so und so betrachtet: Will sagen: Man kann ja auch einen sprachlich wenig begabten Menschen irgendwelches “hochambitionierte Sprechen” reflektieren lassen; es muß nicht immer “andersherum laufen”.

Jedenfalls finde ich, daß dieses Feld optimale Möglichkeiten für Entwicklung spannungsvoller lit. Momente bietet. Man muß die dabei auftretenden sprachlichen Wellenbewegungen m.E. nicht zwangsläufig glattbügeln. Im Dialog sowieso nicht – das wäre nicht nur ungeschickt, sondern schlicht falsch. Aber ich sehe auch keinen Anlaß, das in indirekter Rede zu kaschieren.

Wo das auch auftaucht: In Cees Nootebooms Die folgende Geschichte. – Ein Latein- und Griechischlehrer von altem Schrot und Korn hat eine wundervolle Schülerin (die einzige unter Dutzenden von interesselosen Trotteln). Und dieses wundersame Mädchen hat eine Affäre mit dem Deutsch- und Sportlehrer, der der krasse Gegenteil vom Ich-Erzähler (der Altsprachenlehrer) repräsentiert. Der Punkt ist: Die Frau dieses Affen, die Biologielehrerin, fängt mit dem alten, häßlichen und gnomartigen Ich-Erzähler 'ne Affäre an, um sich für die Liaison ihres Mannes mit Lisa D’India (der schönen, latein- und griechischaffinen Schülerin) an diesem zu rächen.
Es kommt zu einem üblen Eklat deswegen – mit tragischen Folgen --; und dabei verliert der Altsprachenlehrer die sonst stetig geübte Contenance, wie er auch sonst überhaupt nicht zureichend in der Lage ist, gegenüber den desinteressierten Schülern und dem stromlinienförmigen Lehrer seine sonstigen Ideale aufrechtzuerhalten. Die Darstellung dieses (u.a. auch innerpsychischen) Konflikts läuft hauptsächlich über innere Monologe mit Integration der indirekten Rede. Gelegentlich kommt auch der Dialog zum Einsatz; im reflektierenden Teil auch Erzählperspektivenwechsel. Das ist gaaaaaanz großes lit. Kino gerade in jenem Sinn, wie ich es oben anzudeuten versuchte.

Viele Grüße von Palinurus

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Zack! Da haben sie Dich schon wieder! “Es gilt als” empfinde ich nahezu als provozierend.

Okay, wie beim Malen gilt: Ersteinmal die Techniken erlernen - dann erst diese Regeln brechen. Dann erst darfste tupfen oder klotzen oder einfach den Farbeimer über der Leinwand ausgiessen. Naja…
Ich gestehe - ich schreibe einfach. Struktur oder die lateinisch korrekte Bezeichnung kommen deutlich später und manchmal gar nicht. Das, was ich schreibe soll gefallen, Freude machen, Spannung erzeugen, fesseln. Und zwar mich und dann erst alle anderen. Macht mich das zum Anarchisten? Und schon suche ich nach einer Bezeichnung:confused:!

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Verehrter Palinurus;
vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Wenn der Herr Lateinlehrer die Contenence verliert und sich in Vulgärsprache ergeht - durchaus nachvollziehbar. Warum aber der Herr Professor eine Mahlzeit einnimmt und der Hafenarbeiter sein Scheiß-Käsebrot frisst, erschließt sich mir nicht. Also doch, natürlich sind mir die Unterschiede zwischen fressen und essen durchaus bekannt, aber dieser Sprachwechsel muß doch auffallen? Natürlich kann man eine Szene damit sicherlich stützen, aber im Wechsel muss das komisch aussehen. Ich als auktorialer Erzähler passe mich nicht der Ausdrucksweise meiner Helden an, ich bleibe bei meinem Stil.

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Liebe Buchling,

du hast sachlich völlig recht! Ich bin allerdings trotzdem nicht mit dir d’accord, weil sich diese Einlassung doch ziemlich klar auf ein inhaltliches Kriterium bezieht. Es ging aber um den Stil! Kurz: Ich neige nicht der Ansicht zu, daß sich der Narrator aus der third-person-view stilistisch der jeweils fokussierten Person anschmiegen sollte.
Wie hier schon von mehreren Mitdiskutanten angeführt, bewirkt das eine Diskontinuität des Erzählflusses, für die auch ich keinerlei Vorteil sehe, aber gewichtige Nachteile. – Warum sollte das nicht über Dialoge und indirekte Rede gelöst werden? Das erscheint mir wesentlich eleganter statt “Stilpatchwork” unter der – dann doch wohl unglaubwürdigen – Ägide eines drittpersonal eingestellten Erzählers.

Natürlich zählt letztlich immer, was “hinten rauskommt”. Ich lasse mich gern durch überraschende Ergebnisse von meiner Ansicht abbringen … – Dann wäre der Fall gegeben, daß ich’s selbst ausprobieren würde.

Viele Grüße von Palinurus

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Lieber Narratöör,

… oder ich habe dich einfach mißverstanden. Das hier …

… unterschreibe ich voll!

Mir ging es nur darum, daß in Dialog- und Indirekter-Rede-Situationen schon auch mal in Gegenwart von Professoren (oder deren dialogischer Erinnerung) “die Sau rausgelassen” werden oder vice versa im Hafenarbeiterslang bzw. -denke “überkandidelte Rede” – quasi als “Zitat” – zu stehen kommen kann.

Gruß von Palinurus

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Noch ein Nachtrag, ist mir eben erst eingefallen, lieber Narratöör:

Neben diesen schon angeführten Beispielen …

… möchte ich auch noch auf eine Szene in Peter Handkes sowieso sehr, sehr lesenswerten Kindergeschichte hinweisen: Infolge einer verblödeten Einlassung eines Bekannten erwachsen dem Erzähler ziemlich ausgewachsene Mordphantasien (es handelt sich um Handke selbst, aber in sehr, sehr distanzierter, manchmal fast unglaublich fremd wirkender Erzählweise; er berichtet vom alleinerziehenden Umgang mit seiner Tochter, wobei er nie der Vater, sondern immer nur der ‘Erwachsene’ oder ‘Erziehende’ usw. ist, genauso wie für die Tochter oft recht “uneigentliche” Audrücke gefunden werden). – Der Erzähler fällt dabei regelrecht “aus der Rolle”. Das ist als Kontrast zum Rest absolut faszinierend. Handke-typisch wird das dann später natürlich auch eingehend reflektiert.

Gruß von Palinurus

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Klingt sinnvoll. In meinem Buch habe ich mehrere personale Erzähler. Deren Stil paßt sich an die jeweilige Person an. Allerdings nicht so weit, daß man denken könnte, die einzelnen Kapitel hätten unterschiedliche Autoren verfaßt. Aus “meinem” Stil auszubrechen geht zwar, das muß ich aber aktiv erzwingen. Schreibe ich einfach flüssig vor mich hin, passiert es ganz automatisch, daß sich mein Erzählstil der jeweiligen Figur anpaßt. Ein alter Mann sieht, denkt und spricht anders als eine junge Frau. Wenn der Erzähler also in seinen Kopf schlüpft und das Erlebte aus seiner Sicht beschreibt, tut er das in seinen Worten und in seinem Stil. Das war mir beim Überarbeiten einer neuen Szene so bewußt geworden, weil sie sich anders las als die vorherige - anderer Charakter halt. Nach der fruchtbaren Diskussion hier und der durchaus unterschiedlichen Meinungen habe ich für mich beschlossen, daß mir das so gefällt. Der arrogante Schnösel kriegt seine Füllwörter. Erstmal. Später wird er weniger oberflächlich und bekommt weniger Füllwörter.

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