So wie du es verstehst, als - sagen wir, erweiterten Faktencheck, würde ich das ja akzeptieren. Aber die Befürchtung ist - und die Eigenwerbung vieler “Sensitivity-Trainer” im Netz deutet darauf hin - dass es hier nur um vorauseilende Zensur im Sinne von politischer Korrektheit und positivem Rassismus geht. Diverse schützenswerte Minderheiten dürfen nur noch als Lichtgestalten dargestellt werden, jedwede moralisch-zeitgeistig fragwürdige Verhaltensweise eines Mitgliedes besagter Minderheiten ist direkt misogyn, rassistisch, sexistisch, whatever. Was “schützenswerte Minderheiten” sind, hat übrigens nichts mit tatsächlichen Mehrheitsverhältnissen zu tun, sondern damit, was ein elitärer, sich für unfehlbar haltender Zirkel dazu erklärt (tatsächlich gibt es bspw. mehr Frauen als Männer in Deutschland, es dürfte auf der Welt mehr PoC geben als “Weisse”, etc.). Am Ende dieses Filterprozesses durch literarische Sagrotanjunkies bleibt ein nach allen Seiten gefälliger, in der Gegenwart hundertprozentig politisch korrekter (aber wer weiß, was die Zukunft noch bringt) und entsetzlich öder Text.
In der NZZ gibt es einen lesenswerten Artikel zu dem Thema: https://www.nzz.ch/feuilleton/triggerwarnungen-und-sensitivity-reading-sind-totengraeber-der-kunst-ld.1657771
Unglaublich, aber wahr! Welch Wortschöpfung. Ist schon wieder (fast) einen neuen Roman wert.
Wenn ich jemanden einen Text geben würde, er alles ändert was er für zu ändern hält und er den dan veröffentlicht, dann würde unter Umständen sowas rauskommen.
Es zwingt mich aber niemand so mit meinem Werk umzugehen und niemand zwingt mich alles was der Sensitivity Reader zu bekritteln hat auch tatsächlich zu ändern.
Genauso wie mich ein Lektor nicht zwingt etwas zu tun, sondern vorschlägt.
Läuft es nicht so, sollte ich mir in beiden Fällen eine andere Person zur Zusammenarbeit suchen.
Wie in allen Bereichen gibt es gute und nicht so gute und welche die ich besser meide.
Wie willst du denn die meiden, die Bücher verhunzen, die du nicht selbst geschrieben hast? Das Buch wird zerfleddert, ob es dir passt oder nicht. Der von dir beschriebene Einfluss deinerseits passt doch nur auf deine eigenen Werke oder verstehe ich jetzt hier etwas ganz falsch?
Wenn jemand Pipi Langstrumpf umschreibt oder sagt, das Buch sei nichts für mein Kind und es wird deshalb nicht mehr lieferbar sein, kann ich dagegen doch nichts machen.
Hab’s jetzt extra etwas platt formuliert, damit klar wird, was ich meine.
In einer idealen Welt wäre das so. Was aber, wenn der Verlag sagt, ohne das Placet des Sensitivity Readers oder eines anderen Tugendwächters wird das Buch nicht veröffentlicht? Oder wenn du vielleicht etwas blauäugig einen Vertrag unterschrieben hast, bei dem ehemals sinnvolle Regelungen nun auf solche jakobinischen Anwandlungen ausgeweitet werden?
Seltsamerweise sind gerade die Vertreter der woke culture sonst schnell dabei, überall strukturelles Dies und Das oder “gläserne Decken” zu wittern, aber blind für die Implikationen ihrer eigenen Vorgehensweisen. Double standards, anyone?
Das ist nicht Sensitivity Reading. Sensitivity Reading ist vergleichbar mit einem themenbezogen Lektorat.
Na, dann kündigst du den Vertrag auf, wenn du nicht damit leben kannst und suchst dir einen anderen Vertrag. Und ein Sensitivity Reader ist kein Tugendwächter und auch kein Sensitivity Trainer, sondern jemand der dich auf themenbezogene Probleme in deinem Text hinweist.
Wenn du z. B. in deinem Text Vergewaltigung behandelst und dein Opfer zur Tat mit Minirock und High Heels betrunken nach Hause getorkelt ist und du im Text es so darstellst als wäre das die Tatursache, würde ein Sensitivity Reader zu diesem Thema dich darauf hinweisen, dass diese Darstellung einem oft verwendeten Stereotyp unserer Gesellschaft entspricht und nicht die Wahrheit darstellt.
Oh. Na dann sieht es etwas anders aus.
“Sensitivity Reading” ist ein Buzzword, für das es keine allgemeingültigen Definitionen gibt, sondern eine Projektionsfläche, wo jeder seine eigenen Vorstellungen unterbringen kann, ähnlich wie “familienfreundlich”.
Und natürlich geht es dabei um Gesinnungswertung. Wenn ich SciFi schreibe und einen Physiker frage, ob mein revolutionärer Überlichtgeschwindigkeitsantrieb halbwegs plausibel ist, dann ist das themenbezogenes Lektorat. Wenn mir der Physiker aber dann die Rückmeldung gibt, dass meine Dystopie “technikfeindlich” ist und meine Darstellung inakzeptabel ist, dass Wissenschaftler auch machthungrige Diktatoren sein können, hat das nichts mehr mit themenbezogenem Lektorat zu tun, sondern Zensur.
Wo ist das denn bitte Zensur?
Das ist eine Meining, nach der du nicht gefragt hast und die du achzelzuckend hinnehmen wirst, oder alternativ deine technikfeindlichkeit im Text anguckst und geschickt ausbaust, weil es reinpasst, oder überrascht bist, guckst und die technikfeindlichkeit rausnimmst, weil sie sich eingeschlichen hat und ansich nicht passt.
Zensur wäte, wenn er bewirken könnte, dass du deine technikfeindliche Dystopie nicht so veröffentlichen dürftest, und das sehe ich in deinem beispiel nicht.
Der Einwand ist berechtigt, allerdings könnte sich der Physiker, führend auf seinem Gebiet, weigern dem Autor bei seinem Buch zu helfen, während er der Konkurrenz bereitwillig Rede und Antwort steht, welche die Technik im goldenen Licht in ihren Werken erstrahlen lässt. So als Weiterführung des Beispiels…
Mich beschleicht ein gewisser Argwohn einfach schon aufgrund der Bezeichnung. “Sensitivity Reading” – wieso? Sensibilitätslesen – was ist denn das für ein Wort? Wieso heißt es nicht “Fachlektorat betreffs Darstellung von Minderheiten”? Oder “Beratungsstelle für Schilderung ungewöhnlicher sexueller Präferenzen”? Allein schon in der Bezeichnung schwingt – in meinen Ohren jedenfalls – mit, dass es darum geht, den Autor (sorry: den/die/das Autor_*ix) “sensibler” zu machen. Sprich: zu erziehen. Und ich hab was dagegen, erzogen werden zu sollen; dafür bin ich inzwischen zu alt.
Möglicherweise weil englische Begriffe gerade in sind.
Und? Immer noch keine Zensur.
Toll finden und dich vollmundig loben darf er, aber eine eigene Meinung, die dir nicht gefällt, darf er nicht haben?
Was ist das denn für eine Art Denkweise?
Hier musste ich lachen →
Dabei ging es mir vor allem um einen bestimmten Aspekt: Ich schildere das konfliktbeladene Zusammenleben zwischen Zwerginnen und den von ihnen diskriminierten Trollinnen. Mein erster Testleser meinte, dass er an [Rassismus[/URL] gegen BIPoC denken musste. Ich wollte daher sichergehen, dass sich das Buch nicht a) liest, als wäre es eine Analogie auf eine spezifische Situation und/oder Gruppe in unserer Welt, und dass b) Mechanismen von Rassismus und Diskriminierung nicht unzulässig vereinfacht oder gerechtfertigt werden.
Dabei ergeben sich durch ein „tolkieneskes“ Fantasysetting besondere Fallstricke, weil z.B. Troll*innen traditionell mit „Primitivität“, Gewalt und Dummheit in Verbindung gebracht werden – Eigenschaften, die auch Opfern von kolonialer Unterdrückung zugeschrieben wurden – und weil das Konzept verschiedener „Fantasyvölker“, oft mit typischen Stärken und Schwächen, sehr zu Essentialismus einlädt. Das war also etwas, dessen ich mir beim Schreiben und Überarbeiten bewusst sein und dem ich entgegenwirken musste. Und dafür habe ich mir dann Hilfe geholt.
→ https://sensitivity-reading.de/interview-swantje-niemann-und-nora-bendzko ](‚https://sensitivity-reading.de/tag/rassismus‘)
Das wurde in der Grundschule meines Sohnes sehr gut umgesetzt. Dazu gab es spezielle Kurse. Einzig das türkische Mädchen durfte am Sexualkundeunterricht nicht teilnehmen.
Was bedeutet das?
Furchtbar … Denglisch und Neusprech hängen mir so langsam zum Hals raus …
BIPoC ist die Abkürzung von Black, Indigenous, People of Color und bedeutet auf Deutsch Schwarz, Indigen und der Begriff People of Color wird nicht übersetzt. All diese Begriffe sind politische Selbstbezeichnungen.
Zensur ist tatsächlich nicht das passende Wort, eher eine Art politische Einflussnahme.
Ideologische Indoktrination über Sprachkontrolle. Hat George Orwell in “1984” ausführlich beschrieben, allerdings als Warnung, nicht als Gebrauchsanleitung.
[quote=„Fuxx, post:34, topic:13995“]
Hier musste ich lachen →
Dabei ging es mir vor allem um einen bestimmten Aspekt: Ich schildere das konfliktbeladene Zusammenleben zwischen Zwerginnen und den von ihnen diskriminierten Trollinnen. Mein erster Testleser meinte, dass er an [Rassismus[/URL] gegen BIPoC denken musste. Ich wollte daher sichergehen, dass sich das Buch nicht a) liest, als wäre es eine Analogie auf eine spezifische Situation und/oder Gruppe in unserer Welt, und dass b) Mechanismen von [
Also ich selbst schreibe auch Fantasy, aber extra ein Lektorat für sensitivity-reading empfinde ich als stark übertrieben.
Rassismus ist Teil unserer Welt, Teil des Alltags, bereits in Kindergartenkindern vorhanden, natürlich ist es nicht schön, das keineswegs, aber Fantasy ist nicht nur Eskapismus, sondern thematisiert auch die Gegenwart. Eine Fantasywelt, in der es keinen Rassismus gibt, geht Richtung Utopie, spiegelt sie aber in anderen Bereichen diese perfekte Welt nicht wieder, ist sie einfach nur unrealistisch. Klar sollte man Rassismus nicht fördern, sondern eher bekämpfen, nur zu viel des Guten wirkt unnatürlich und gekünselt. So beraubst du dir die Bühne um das Thema zu thematisieren, in dem du es einfach bewusst totschweigst statt unbewusst zu ignorieren. Im Grunde macht es also keinen Unterschied, nur mehr Arbeit.
Um es an einem Beispiel festzumachen: Du hast herausgestrichen, dass Trolle Drogen nehmen und handeln, weil es mit Cannabis und verarmten, perspektivlosen Afroamerikanern assoziiert wird? Also hierzulande assoziiere ich es eher mit gelangweilten Weißen, die entweder genug Geld haben um es zu konsumieren oder sich etwas dazuverdienen wollen und bei Gelegenheit eben die Ware selbst nutzen um sich den Alltag zu vertreiben. Nur weil deine Testleserin zufällig die entsprechende Hautfarbe hat, es gleich als Vorurteil gegen ihre Bevölkerungsgruppe einzuordnen und aus der Geschichte zu streichen beraubt dich jeglicher Möglichkeit das Thema Drogen zu thematisieren.
Außerdem impliziert diese Weltanschauung, dass es auf der ganzen Welt keine Schwarzen gibt, die Drogen nehmen, was Angesichts von Milliarden von Menschen mit dieser Hautfarbe an der Realität vorbeigeht.](https://sensitivity-reading.de/tag/rassismus)