Anfrage Leseprobe Dialogform (philosophisch inspiriert)

Hallo LeonMalte,
im Moment habe ich relativ wenig Zeit (und auch nur wenige Eingebungen…) zum Schreiben.
Trotzdem stelle ich einfach mal ungefragt das aktuelle Ende von „Kurt im Spiegel“ hier rein.
(Eine kurze Anmerkung zur Entwicklung des Manuskripts: Das Gesellchaftliche hat mich schon immer berührt. Als ich meine Niederschrift „Der Bronzerücken“ veröffentlicht hatte, ging ich davon aus, dass das Schreiben erledigt sei. (Außer in der Schule und Liebesbriefe per Hand, hatte ich nie das Bedürfnis, mich über das Schreiben mitzuteilen.) Nur wenige Wochen nach der Veröffentlichung kamen Impulse, die ich erst einmal niederschrieb. Inzwischen ist das neue Manuskript 1,5-mal so lang wie das erste.)
Viel Spaß! (Poesie setzt sich aus…)

In diesem Moment bekommt Selma eine SMS. Sie liest, schaut verwundert.
„Was ist los, Selma?“ Kurt kannte diesen Gesichtsausdruck. Überschwängliche Freude sieht anders aus.
„Die Nachricht ist von Michel. Es geht um Paula.“
„Und?“ Jetzt waren auch Nathalie und Dieter neugierig. „Wollt ihr euch unter vier Augen besprechen? Sollen wir kurz rausgehen? Das Wetter spielt ja mit…“
„Michel schreibt: Ich heirate Paula nächsten Sommer, wenn sie kommt. Das hatten wir so ausgemacht! Sie ist nicht zurückgekehrt – schätze, dass sie nicht zu mir gehört…“
„Sie ist nicht zurückgekehrt – schätze, dass sie nicht zu mir gehört… Michel ist aufgewacht, Selma!“, fasste Nathalie zusammen. „Und nachdem er einmal zu dieser Art des Sehens gelangt war, war er nicht mehr imstande in anderer Weise zu sehen, so wie wir in eine einmal aufgeklärte Täuschung uns nicht wieder zurückversetzen können.“
„Was hast du gesagt?“
„Nichts weiter, Selma. Lebenserfahrung ist durch nichts zu ersetzen. Das ist das Handicap junger Philosophen.“
„Jetzt wird der Abend ja doch noch interessant, Nathalie.“
„Heute nicht mehr, Dieter…“
„Ich habe mehr deine Andeutung zu den jungen Philosophen gemeint…“
„Das würde mich auch interessieren!“
„Echt jetzt, Kurt?“
„Warum nicht, Nathalie? Dieter hat einen hervorragenden Wein atmen lassen…“
„Was blieb mir auch weiter übrig?“ Lacht verschmitzt.
„Von wem stammt die Äußerung, es gäbe eine Blindheitsverabredung? Gemeint ist die gesamte neuere Philosophie mit ihrem verkennungsleitenden Desinteresse.“
„Heute nicht mehr, Nathalie! Du redest dich bloß wieder um Kopf und Kragen.“
„Keine Angst, Dieter! Ich halte mich zurück.“
„Danke!“
„Aber es ist immer ein Managementproblem, wenn der Laden nicht läuft.“
„Nathalie, heute nicht!“
„Ich meine ja nur! Zu Haushaltssperren bräuchte es in der Demokratie nicht zu kommen, bei dem Geld, das jede Sekunde hin- und hergeschoben wird.“
„Irgendwie war mir dein philosophischer Ansatz lieber, Nathalie.“
„Nicht doch, Selma. Alles, was ich sagen wollte, ist, die Menschen müssen sich ihres poetischen Weltvertrags nur endlich bewusstwerden.“
„Meinst du etwa mich, Nathalie? Poesie setzt sich aus. Wer sagte das noch einmal? Ich komme gerade nicht drauf!“
„Du, Kurt, bist Wittgenstein und Sloterdijk schon ziemlich weit entgegengekommen!“
„Danke, Nathalie! … Und das heißt?“
„Eigentlich bin ich ein Mensch, der gefragt werden möchte. Entsprechend respektiere ich den anderen Menschen. Aber wenn mir der Kragen platzt, dann platzt mir der Kragen! Der Schriftsteller hat mehr zu sagen, als ihm manchmal bewusst ist.“
„Siehst du, Dieter, Nathalie hätte Geraderücken – ein Rückgrat nicht verboten…“
„Was kommt den jetzt noch, Kurt? Dein Buch habe ich nicht verboten, ich hätte es der Gesellschaft nur erspart!“
„Dieter… Nathalie!“
„Ich sage es mal sinngemäß: Es gibt Schreiber, die den Bindungsbedarf der Menschen bedienen. So werden die Menschen niemals frei sein, weil sie es sich bequem gemacht haben. Ich weiß selber, dass mein Dieter gerne Nietzsche zitiert.“
„Du redest aber nicht mit Nietzsche, meine liebe Nathalie.“
„Da hast du wohl Recht, mein lieber Dieter! Wir haben eine Bindungsindustrie und eine Selbstbindungsindustrie!“
„Gott, redest du geschwollen! … Irgendwie von oben herab.“
„Ach, Selma, die Leute wollen so genommen werden, wie sie genommen werden. In diesem Punkt kann ich meinen Dieter… und seinen Nietzsche sehr gut verstehen! Wir weigern uns, die eigene Komfortzone zu verlassen. Aber wehe, wenn es ums Überleben geht…“
„Was liest du eigentlich gerade, Nathalie?“
„Auf meinem Nachtschrank liegt Zur Welt kommen – zur Sprache kommen von Peter Sloterdijk.“

Ende.

Hallo Udo,
ich habe den Text gleich mehrfach gelesen und jedes Mal neue Stellen entdeckt, die mich haben schmunzeln lassen. Klasse!

Du schaffst es, philosophische Gedanken bekannter Vertreter in ansprechende Dialoge zu integrieren.

Gruß
LeonMalte

Herzlichen Dank!
(Mehr möchte ich im Moment nicht zum Besten geben. Ich fühle mich wirklich geehrt…)

Hallo LeonMalte,
jetzt habe ich einige Minuten. (Bin vorhin direkt von der Arbeit rein; inzwischen Abendbrot, nachher noch Post durchgucken, einige Impulse ins neue Manuskript einarbeiten und die Lesung (am Samstag in einem Pflegeheim) mental vorbereiten.
Ich möchte zwei zitierte Stellen erwähnen, die hier nicht als Zitate für jeden erkennbar sind.
Ich heirate Paula … nicht zu mir gehört.“, ist aus dem Lied „So“ von Keimzeit. Ich liebe dieses Lied!!!
Und nachdem er einmal zu dieser Art des Sehens … uns nicht wieder zurückversetzen können.“, ist aus „Krieg und Frieden“ (Leo Tolstoi; S. 268 in meinem Buch).
Natürlich sind die Zitate im Manuskript aufgeschlüsselt.

Es freut mich wirklich, dass Du einen Zugang dazu hast. Es gibt mir so viel. Viele Impulse kommen nachts. Manchmal stehe ich direkt auf, arbeite ins Manuskript ein. Manchmal mache ich nur eine Notiz.
Die ganze Entwicklung begann im Dezember 2019. Damals war es nur ein Ventil. Inzwischen hat sich auch in mir einiges getan, bin froh, dass ich noch nicht veröffentlicht hatte, weil ich die Ich-Du-Philosophie jetzt besser erarbeiten kann. Du hast Deinen Anteil daran!!! Danke!

Gruß,
Udo

Hallo LeonMalte,
darf ich Dir (und jedem, der einen Zugang dazu hat) eine Freude machen? Warum? Dir verdanke ich, dass ich mich auf meinem Weg mit der kleinen Zielgruppe trotzdem sehr wohl fühle…
So wie jeder Mensch in seinem realen Leben auch Anerkennung braucht, so sucht mein „Kurt“ auch seine Anerkennung. Über Deine Empfehlung zu Sloterdijk habe ich mich ein wenig mit Wittgenstein beschäftigt. Der „Zufall“ ergab, dass „Nathalie“ Wittgenstein zitieren konnte. Als ich bemerkte, wie gut das ins Manuskript passt, habe ich die gleiche Freude erlebt, wie ich sie mit Nietzsche schon hatte. Um mit Tolstoi zu sprechen: *Nichts ist einem jungen Mann so nötig, als der Umgang mit klugen Frauen." (Das ist auf Nathalie bezogen.)
(P.S.: Gestern hatte ich eine Lesung in einem Pflegeheim. Für die Bewohner war die Abwechslung sehr willkommen. Ich konnte etwas üben. Gelegentlich informiere ich meinen Verlag über meine Aktivitäten. Meine Ansprechpartnerin ist immer sehr interessiert. Wichtig ist für mich, dass Energie fließt…)
Jetzt aber…
Gruß, Udo

In diesem Moment bekommt Selma eine SMS. Sie liest, schaut verwundert.
„Was ist los, Selma?“ Kurt kannte diesen Gesichtsausdruck. Überschwängliche Freude sieht anders aus.
„Die Nachricht ist von Michel. Es geht um Paula.“
„Und?“ Jetzt waren auch Nathalie und Dieter neugierig. „Wollt ihr euch unter vier Augen besprechen? Sollen wir kurz rausgehen? Das Wetter spielt ja mit…“
„Michel schreibt: Ich heirate Paula nächsten Sommer, wenn sie kommt. Das hatten wir so ausgemacht! Sie ist nicht zurückgekehrt – schätze, dass sie nicht zu mir gehört…“
„Sie ist nicht zurückgekehrt – schätze, dass sie nicht zu mir gehört… Michel ist aufgewacht, Selma!“, fasste Nathalie zusammen. „Und nachdem er einmal zu dieser Art des Sehens gelangt war, war er nicht mehr imstande in anderer Weise zu sehen, so wie wir in eine einmal aufgeklärte Täuschung uns nicht wieder zurückversetzen können.“
„Was hast du gesagt?“
„Nichts weiter, Selma. Lebenserfahrung ist durch nichts zu ersetzen. Das ist das Handicap junger Philosophen.“
„Jetzt wird der Abend ja doch noch interessant, Nathalie.“
„Heute nicht mehr, Dieter…“
„Ich habe mehr deine Andeutung zu den jungen Philosophen gemeint…“
„Das würde mich auch interessieren!“
„Echt jetzt, Kurt?“
„Warum nicht, Nathalie? Dieter hat einen hervorragenden, vollmundigen Wein atmen lassen…“
„Was blieb mir auch weiter übrig?“ Lacht verschmitzt.
„Von wem stammt die Äußerung, es gäbe eine Blindheitsverabredung? Gemeint ist die gesamte neuere Philosophie mit ihrem verkennungsleitenden Desinteresse.“
„Heute nicht mehr, Nathalie! Du redest dich bloß wieder um Kopf und Kragen.“
„Keine Angst, Dieter! Ich halte mich zurück.“
„Danke!“
„Aber es ist immer ein Managementproblem, wenn der Laden nicht läuft.“
„Nathalie, heute nicht!“
„Ich meine ja nur! Zu Haushaltssperren bräuchte es in der Demokratie nicht zu kommen, bei dem Geld, das in jeder Sekunde hin- und hergeschoben wird.“
„Heute nicht, Nathalie!“
„Die Basis der modernen Ökonomie ist doch nicht die Wertschöpfung, sondern der Geldstrom. Alles fließt. Alle sind im Fluss. Oder kann es sein, dass ich mich irre?“
„Irgendwie war mir dein philosophischer Ansatz lieber, Nathalie.“
„Nicht doch, Selma. Alles, was ich sagen wollte, ist, die Menschen müssen sich ihres poetischen Weltvertrags nur endlich bewusstwerden.“
„Meinst du etwa mich, Nathalie? Poesie setzt sich aus! Wer sagte das noch einmal? Ich komme gerade nicht drauf.“
„Du, Kurt, bist Wittgenstein und Sloterdijk schon ziemlich weit entgegengekommen!“
„Danke, Nathalie! … Und das heißt?“
Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen. – Wittgenstein - falls jemand fragen wollte… Eigentlich bin ich ein Mensch, der auch gefragt werden möchte. Entsprechend respektiere ich den anderen Menschen. Aber wenn mir der Kragen platzt, dann platzt mir der Kragen! Der Schriftsteller hat mehr zu sagen, als ihm manchmal bewusst ist.“
„Siehst du, Dieter, Nathalie hätte Geraderücken – ein Rückgrat nicht verboten…“
„Was kommt den jetzt noch, Kurt? Dein Buch habe ich nicht verboten, ich hätte es der Menschheit nur erspart!“
„Dieter… Nathalie!“
„Ich sage es mal sinngemäß so: Es gibt Schreiber, die den Bindungsbedarf der Menschen bedienen. So werden die Menschen aber niemals frei sein, weil sie es sich bequem gemacht haben. Ich weiß selber, dass mein Dieter gerne Nietzsche zitiert.“
„Du redest aber nicht mit Nietzsche, meine liebe Nathalie.“
„Da hast du wohl Recht, mein lieber Dieter! Wir haben eine Bindungsindustrie und eine Selbstbindungsindustrie!“
„Kurt sagt, die wahre Philosophie liege seit Jahrzehnten im Sterben…“
„Wie kommst du denn darauf?“
„Wittgenstein sagte… und meinte wohl auch: Philosophische Probleme kann nur verstehen oder auflösen, wer begreift, durch welche Fehlanwendung von Sprache sie überhaupt erst erzeugt werden. Ziel philosophischer Analysen ist die Unterscheidung von sinnvollen und unsinnigen Sätzen durch eine Klärung der Funktionsweise von Sprache: „Alle Philosophie ist ‚Sprachkritik‘.“
„So, so, Nathalie…“
Dagegen scheint mir die Wahrheit der hier mitgeteilten Gedanken unantastbar und definitiv. Ich bin also der Meinung, die Probleme im Wesentlichen endgültig gelöst zu haben. Und wenn ich mich hierin nicht irre, so besteht der Wert dieser Arbeit zweitens darin, daß sie zeigt, wie wenig damit getan ist, daß die Probleme gelöst sind.“
„Also doch! Und lässt sich mein Geraderücken – ein Rückgrat fachlich - oder wenigstens philosophisch – auch einordnen? Es würde mir sehr viel bedeuten, Nathalie. Mit Dieter bin ich nicht wirklich an ein Ziel gekommen…“
„Ich kann nur mit Wittgenstein sprechen, Kurt: Man könnte den ganzen Sinn des Buches etwa in die Worte fassen: Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen.
„Gott, redest du geschwollen! … Irgendwie von oben herab.“
„Das hast du sehr gut erkannt, Selma! Es liegt einfach daran, dass die Menschen geführt werden wollen. Es ist einfacher, eine gefühlte Verantwortung, die ins Unbekannte führen könnte, auf jemanden zu übertragen. Mit der schwindenden Verantwortung schwinden aber auch Einfluss und Macht. In den entsprechenden Kreisen weiß man das.“
„Und die Wissenschaft? Wir brauchen doch auch immer eine Begründung?“
„So langsam verstehe ich, warum Musen so gefragt sind…“
Die Menschen heute glauben, die Wissenschaftler seien da, sie zu belehren, die Dichter und Musiker etc., sie zu erfreuen. Dass diese sie etwas zu lehren haben, kommt ihnen nicht in den Sinn.“
„Kein Mitleid mit den Konsumenten! Ich sage es immer wieder.“
„Und ich fange auch langsam an, es zu glauben, Dieter!“
„So, so…“
„Ach, Selma, die Leute wollen so genommen werden, wie sie genommen werden. In diesem Punkt kann ich meinen Dieter… und seinen Nietzsche sehr gut verstehen! Wir weigern uns, die eigene Komfortzone zu verlassen. Aber wehe, wenn es ums Überleben geht…“
„Was liest du eigentlich gerade, Nathalie?“
„Auf meinem Nachtschrank liegt seit einigen Tagen Zur Welt kommen – zur Sprache kommen von Peter Sloterdijk.“

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