"
„Hey Mary, guck mal da vorne.“
Ein großer Mann kommt in die Klasse und geht ohne Worte direkt auf Frau Sabrowski zu. „Ah, Batman! Habe ich was verpasst? Ist schon wieder Fasching?“, ruft George von hinten. Tatsächlich, der Mann ist komplett in Schwarz gekleidet und trägt sogar eine Maske, auch in Schwarz! „Wer sind Sie und was wollen Sie hier? Würden Sie bitte wieder gehen, denn Sie stören gerade meinen Unterricht!“ Der Mann öffnet wortlos langsam seinen Mantel und holt etwas Längliches hervor. Jetzt ticken Sebastian und Manuela aus der ersten Reihe vollkommen aus! „Er hat ein Gewehr, es ist ein Gewehr. Frau Sabrowski, er hat ein Gewehr dabei.“ Manuela springt hysterisch auf und will wegrennen, wobei sie Sebastian umstößt, der der Länge nach auf den Fußboden knallt. „Au! Bist du verrückt?“ Er versucht aufzustehen und schlägt dabei mit dem Kopf gegen die Tischkante, so dass er wie ein k.o.-gegangener Boxer wieder zu Boden geht. Komische Situation. Wie in einem Film. Ich muss lachen, als ich im gleichen Augenblick sehe, wie der Mann tatsächlich ein Gewehr wie in Zeitlupe hochhebt, bis es genau auf den Kopf von Frau Sabrowski zeigt. Jonny tauscht gerade mit Claudia wieder Liebesbriefchen aus. Die haben immer noch nicht mitgekriegt, was hier passiert. „Können Sie nicht in der vierten Stunde noch einmal kommen, da haben wir bei Herrn Schreiber, der ist auch Batman Fan, der wird sich bestimmt freuen, Sie mal persönlich kennen zu lernen.“ Der Mann schaut nur mit einem kurzen Blick in Georges Richtung, dreht sich zu Frau Sabrowski zurück, ein kurzer Blick und … Peng, peng!!!
Ein Doppelknall zerreißt die Luft, während Frau Sabrowski zusammenbricht! Er hat ihr einfach direkt in das Gesicht geschossen, direkt ins Gesicht! “NNNNNNNEEEEEEEEEEEEEEEEEEEIIIIIIIIIIIIIIIIIIINNNNNNNNNNNNN!!!”
Nein, nein nein nein nein NEIIIIIN ! Der hat jetzt wirklich geschossen! Das kann doch gar nicht sein. „Frau Sabrowski, Frau Sabrowski, so sagen Sie doch was!!!“ „Frau Sabrowski …“, rufen alle durcheinander. Mein Kopf schmerzt so sehr, als hätten die Schüsse mich getroffen. Nein! Das kann nicht sein! Das gibt es doch gar nicht! Nein!!! Ehe ich erfassen kann, dass sie wirklich getroffen wurde und gerade vor der Tafel blutüberströmt zusammenbricht, knallt es erneut.
„Er schießt auch auf UNS!! H i l f e !!!“
Ohrenbetäubende Schreie, ersticktes Weinen. Alle rennen wild kreuz und quer durch den Raum, kriechen unter die Tische, halten sich aneinander fest, weinen, schreien, fallen zu Boden, stehen wieder auf. Wieder ein Doppelknall! Dieses Knallen, es tut so weh. Schüsse sind so entsetzlich laut, es tut so sehr weh! Hinter mir kracht es, wahrscheinlich hat er gegen die Wand geschossen. Doch es ist George, der jetzt getroffen wurde. Er liegt mit offenen Augen und zerfetzter Brust auf seiner Bank. Die ganze Wand voll mit Blut, auch Sven und Susanne haben etwas abbekommen, sind voll mit Georges Blut bespritzt. Jetzt haben auch die Letzten kapiert, was hier losgeht, dass wir von einer Sekunde auf die andere in der Hölle gelandet sind. In der Hölle des gnadenlosen Tötens, in der es jeden erwischen kann, ohne die geringste Aussicht sich dagegen wehren zu können. Ohne eine Chance zu wissen, warum?! Was haben wir diesem Menschen getan? Was hat Frau Sabrowski dem getan? Warum erschießt der uns einfach? Das Blut läuft in Strömen an Georges Arm herunter, tropft auf den Fußboden. George hält noch sein Jo-Jo in der Hand, mit dem er im Unterricht immer heimlich gespielt hat. Das helfe ihm den langweiligen Unterricht zu überstehen, hat er immer gesagt.
George, NEIN!! George, George! Tot, einfach so!? Meine Hände zerkratzen mir das ganze Gesicht, während ich an meinem Schreien fast ersticke. Ich will das nicht sehen! Doch da spüre ich, dass das Gewehr auf mich gerichtet ist. Wieso ich? Ich habe doch überhaupt nichts gemacht! Tatsächlich: Er zielt auf mich und drückt den Abzug! Klick! Kein Knall! Kein Schuss? Bin ich jetzt doch nicht getroffen? Doch nicht tot? Nur im Augenwinkel bekomme ich mit, wie er mit dem Gewehr herumhantiert. Nein, das Gewehr hat nicht geschossen, also lebe ich noch. Ich stürze mich auf den Boden, als Glas zerspringt. André, der neben mir am Boden liegt, hat gesehen, dass er das Gewehr durch das Fenster auf den Schulhof geworfen hat. „Vielleicht ist es kaputt gegangen und er hat es deshalb aus dem Fenster geworfen?“ Das Klirren der Scheiben ist regelrecht eine Erholung zu dem entsetzlichen Knallen der Schüsse. Wie pervers, so etwas zu denken, das als angenehmer zu empfinden. Vielleicht ist es jetzt vorbei, wenn er kein Gewehr mehr hat? Ich schaue vorsichtig nach oben und sehe ihn eine Pistole ziehen und peng, peng, peng, peng, peng… auf alles schießen, was sich bewegt. Immer mehr werden getroffen …
Das ist die Hölle, so muss die Hölle sein! Einige versuchen, in den Flur zu fliehen.
Jetzt rennen Jonny und Claudia los, doch die nächsten Schüsse gelten ihnen. Jonny muss getroffen worden sein. Er liegt in der Tür, während Claudia versucht, ihn in den Flur zu ziehen. Umsonst. Meine blutig gebissenen Lippen lindern nicht den Schmerz und die ohnmächtige Wut, die in mir hochkommt und sich als gnadenloser Hass durch meine Brust in den Hals drückt, mich fast besinnungslos vor Angst und Schmerz werden lässt.
Wie kann ein Mensch so etwas tun? Mir sackt das Blut aus dem Kopf und ich spüre nur noch, wie ich gegen die Wand krache, auf den Boden sinke, die Schreie und Schüsse …
Peng, peng, peng, peng, peng, peng, peng…
Das Knallen scheint jetzt etwas leiser zu werden. Wahrscheinlich geht er weg von hier, vielleicht nach unten? Doch es geht weiter und weiter: peng, peng, peng, peng, peng, peng, peng … Diese Schüsse und die Schreie, dieses entsetzliche Krachen und Schreien macht mich wahnsinnig. Hört das denn nie auf?!! Nein, es hört nicht auf! Es hört einfach nicht auf!
Peng, peng, peng, peng, peng, peng, peng … Es klingt wie ein Schusswechsel? Schießen da noch mehr, sind da etwa noch mehr, um uns zu töten?
Brrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr… Was ist jetzt los? Pause! Es klingelt zur Pause! Es klingelt wie immer zur Pause, als ob nichts passiert wäre! Wie kann es jetzt einfach so zur Pause klingeln? Schaltet denn niemand das Klingeln ab? Es klingelt wie immer zur Pause! Selbst in dem größten Schmerz eines solchen apokalyptischen Chaos, geht das Leben einfach weiter und weiter und weiter… Einfach nur völlig egal, was geschieht, das Leben geht mit absoluter Gleichgültigkeit, ohne auch nur einen einzigen Augenblick innezuhalten, weiter. Nur noch ein Schuss??
Auf einmal ist es still! Nichts mehr! So still, dass es in den Ohren wehtut. Ist es jetzt etwa vorbei? Endlich vorbei? Vorsichtig öffne ich die Augen, um mich zu vergewissern, dass es wirklich vorbei ist. Aber vielleicht ist es wieder nur so eine Pause! Was ist, wenn er wiederkommt und auch die letzten von uns noch umbringt, wenn er nur eine Pause gemacht hat?
Kommt da eine dunkle Gestalt durch die Tür?"
Der Text stammt von 2018 und ist aus einen Entwurf über die Geschichte eines Amokschützen. Genauer, wie ein unbescholtenes Kind zum Massenmörder (Auszug: die Szene) wird.
Ich bin mit der Geschichte damals nicht mehr weitergekommen.
Was meint ihr, sollte ich sie weiterschreiben oder lieber lassen, weil es zu grausam wird?
(Bitte nicht in dem Text streichen.)
Danke fürs Lesen.