Der Adventskalender (von Erklärbär)
Erik
Noch nie war ein Siebenjähriger entschlossener zu seinem Adventskalender gelaufen. Mit festem Schritt steuerte Erik die Küche an. Es war der 24. Advent um 7 Uhr morgens. Das große Türchen wartete darauf, geöffnet zu werden. Sein Stoffhase Klopfer klemmte in der Armbeuge, um Zeuge des Triumphs zu werden. Er hatte kaum geschlafen vor Aufregung. Die Leckereien waren viel zu klein gewesen. Mal war es ein Ball, an einem anderen Tag ein Kleeblatt. An Nikolaus steckte wenigstens ein dicker Sack hinter der Tür. Doch heute würde es die ultimative Schokobelohnung geben. Das Türchen war riesig und prangte mitten im Adventskalender. Ein Doppeltürchen, das die Scheune im winterlichen Panoramabild abbildete. Darüber schwebte ein Engel und deutete ehrfurchtsvoll Richtung Schokotraum. Erik vermutete eine Krippe dahinter. Beim rütteln am Kalender hatte es ordentlich geklappert.
Voller Vorfreude stapfte er in die Küche und blickte zum Kaminsims. Da stand das Prachtstück. Türchen Nummer 24 war bereits geöffnet, die Schokolade entwendet. Erik erstarrte. Klopfer fiel unbeachtet zu Boden.
Marianne
Die Nacht war zu kurz gewesen. So sehr sie Weihnachten auch liebte, die Vorbereitungen raubten einem jede Energie. Die letzten beiden Wochen hatten es in sich gehabt. Essensplanung, Einkäufe, Geschenke, der Baum – alles wollte besprochen und erledigt werden. Tobias war ihr in dieser Zeit keine große Hilfe. Vor den Feiertagen forderte die Firma nochmals höchsten Einsatz, damit bis Neujahr nichts liegenblieb. Erik wollte bespaßt werden und sein Vater hatte nur Unfug im Kopf, was das Thema anging.
Sie drehte sich auf die Seite und sah auf die Uhr am Nachtkästchen. 7:05 Uhr. Sie hatte noch eine halbe Stunde. Sie kroch unter die Decke, als die Schlafzimmertür aufgerissen wurde. Erik stand in der Tür, mit tränenschweren Augen zog er schniefend jede Menge Rotz nach oben.
»Was ist denn passiert mein Engel?« Sie wollte aufstehen und zu ihm laufen, ließ es aber bleiben. Die Beine wollten nicht aus dem Bett.
»DaTürchenisisoffenunddiediedieSchokiiswegjemandhatdenEngelgeklautununundichhabababmichsoooodaraufgefreuiiiihhh…« Erik weinte herzergreifend.
Marianne schloss die Augen. Tobias.
Tobias
Es war egal, was er tat oder sagte, Marianne würde ihm nicht glauben. Als Erik ins Schlafzimmer gerannt kam, war klar, wer Schuld hatte. Seitdem standen Sie gemeinsam in der Küche und stritten.
»Ich schwöre dir mein Schatz, ich habe die Schokolade nicht gegessen.«
»Wer den sonst? Wenn unser Sohn es nicht war – und ich war es ganz bestimmt nicht – dann bleibst nur du übrig! Und wer hat erst letzte Woche zu ihm gesagt, dass er genau das tun würde?. Na? Du!«
»Aber das war doch nur so dahingesagt. Ein blöder Witz. Du weißt doch, dass ich ihn immer aufziehe.«
Mit verschränkten Armen starrte sie ihn an. »Du bringst das in Ordnung, mein Bester. Ich habe die letzten Tage mehr Stress und Arbeit gehabt als du dir vorstellen kannst und ich habe für diese Art von Blödsinn keinen Kopf. Wenn Du dieses Jahr noch an mein Türchen ran willst, gibst Du Dir besser ordentlich Mühe!«
Tobias kapitulierte. »Ich kümmere mich darum, auch wenn ich wirklich nichts mit der Sache zu tun habe. Wo ist Erik jetzt?«
»In seinem Zimmer.« Beinahe bekam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn so angegangen war. »Bitte lasse dir was einfallen. Er ist am Boden zerstört. Vielleicht findest du einen Ersatz. Und eine gute Geschichte dazu, warum das passiert ist.« Sie ging zu ihm und drückte ihn kurz. »Ich muss mich fertig machen, deine Eltern wollen zum Frühstück hier sein.«
Er zog sie an sich und seufzte. »Ich kläre das mit unserem Sohn, und dann helfe ich dir. Tut mir leid, das mit dem ganzen Stress.«
Marianne gab ihn einen Kuss auf sein Kinn. »Dann leg mal los.«
Wombald der Gemeine
Selbstzufrieden saß Wombald in seiner Nussschale und lauschte dem Streit. Es hatte funktioniert. Die Menschenfrau glaubte dem Menschenmann nicht im Geringsten. Und das nervige Menschenkind lag auf seinem Bett und greinte. Weichei.
Er beugte sich vor, brach ein Stück von der Schokolade ab und schob es glücklich in den Mund. Vor 8 Monaten war er hier eingezogen, in den Hohlraum hinter der Wand von Eriks Zimmer. Hatte seine kleinen Späße mit den Menschen getrieben und es sich gut gehen lassen. Als er den Menschenmann damit drohen hörte, das Türchen zu öffnen, war das wie ein Fingerzeig vom großen Wicht gewesen.
Hast du das gehört, Wombald? Welche Chance das für dich ist?
Klar habe ich das gehört. Und hier sitze ich, Meister, mit der Schokolade vom Menschenkind. Der keine Ahnung hat, warum ihm das passiert ist. Sollte das nächste Mal lieber aufpassen, wem er die klebrigen Popel an den Eingang schmiert. Heulendes Weichei.