Ich kenne die Worte nicht (von ModderWater)
Der Sommer ist vorüber, die Zeit der Frühnebel beginnt, die Wälder färben sich bunt. Es ist ein früher Sonntag, unser letzter Urlaubstag im Hochschwarzwald.
Auf den Höhen liegt Nebel, über dem Urlaubsort hängt er wie eine weiße Decke. Kein Hauch regt sich, die Landschaft verschwimmt in vagen Umrissen. Tautropfen übersäen die geparkten Autos. Es ist still; die vertrauten Geräusche des Ortes dringen nur gedämpft zu uns durch.
Wir beschließen, vor der Abreise ins nahe Hochmoor zu wandern.
Der Weg führt uns vom Ort fort in eine lautlose Weite. Der Blick tastet im grauen Einerlei umher, ohne Halt zu finden. Selbst die nahen Birken verschwimmen zu bloßen Schemen. Unter unseren Füßen knirscht leise der Weg. Aus der Ferne dringt der helle Gesang eines Rotkehlchens herüber, und aus einem Busch ertönt das Tack-Tack einer Amsel – ob sie vor uns warnt? Wir rücken enger zusammen, inmitten dieser grauen Unendlichkeit fühle ich mich unerwartet geborgen.
Im nahen Wald klärt sich der Schleier, zarte Dunstfäden steigen aus sonnenbeschienenen Lichtflecken auf. Entlang des Weges leuchten die Altweibernetze an Farnen, hohen Gräsern und Büschen – ihre mit Tau benetzten hauchfeinen Netze fangen das Sonnenlicht ein. Lange bleiben wir stehen und lassen diesen unverhofften Anblick auf uns wirken.
»Wie schön!«, sagt Sie und kuschelt sich in meinen Arm: »Das vermag man sich nicht auszudenken.«
Die Stunden fliegen vorüber, der Heimweg wartet. Auf der Rückreise rasten wir im Höllental, nur wenige Meter abseits einer der größten Kuckucksuhren der Welt. Nach dem Nebel am Morgen hat die Sonne an Kraft gewonnen. Die Luft ist klar, aus den Büschen mischt sich das Brummen und Summen der Insekten mit dem Rauschen des fließenden Verkehrs auf der nahen Bundesstraße.
Wir sitzen in der warmen Sonne vor dem Ausflugslokal, löffeln unsere Gulaschsuppe und tunken frisches Landbrot hinein. In meinem Blickfeld nimmt eine junge Familie Platz: Vater, Mutter, ein Junge im Vorschulalter, ein Säugling.
Als Vater und Junge aufstehen, um im Lokal die Bestellung aufzugeben, beugt sich die Mutter zu ihrem Jungen hinunter, wendet sich ihm zu und spricht so leise wie eindringlich mit ihm. Mir scheint es so, als gäbe es in diesem Moment nur sie und ihr Kind. Diese einfühlsame Zuwendung ist es, die meine Aufmerksamkeit auf sie lenkt.
Sie nimmt den Säugling an die Brust, gelassen, entspannt. Auf ihren Zügen liegt ein stilles Lächeln. Für mich ist es, als würde ein inneres Licht ihr ganzes Wesen durchdringen und nach außen strahlen. Ihre Haltung, der warme Blick auf das kleine Gesicht ihres Kindes, die Sanftheit ihrer Hand, mit der sie über die feinen Haare streicht – alles fügt sich zu einem Bild vollkommener Harmonie. Die Schönheit dieses Moments … Ich kenne die Worte nicht.
Ich widme mich erneut meiner Gulaschsuppe, doch immer wieder blicke ich verstohlen zu ihr. Seltsam, ich nehme nur noch ihr Gesicht wahr – so anmutig und von stillem Glück erfüllt.
»Wo siehst du dauernd hin? Du strahlst ja über beide Backen!« Sie schaut mich an, die Brauen hochgezogen.
»Einige Bänke hinter dir sitzt das Glück selbst. Wenn du dein Geschirr wegbringst, wirst du es sehen. Es zieht den Blick unmittelbar auf sich«, antworte ich.
Sie bringt ihren Teller zur Geschirrstation, bleibt einen Augenblick hinter mir stehen, streichelt meinen Rücken und nimmt schweigend wieder Platz. Lange schaut sie mir in die Augen, bevor sie leise sagt:
»Ja, es berührt, nicht wahr? War ich nach der Geburt unseres Ersten auch so?«
Ihre Hand findet die meine auf dem Tisch, drückt sie sanft.