Adventskalender - 04.12.2024

Tote Weihnachten (von Annabell)

Er hasste Weihnachten und er hasste seinen Job. Wenn wie heute beides aufeinandertraf, war der Drang, einfach alles hinzuwerfen, nur sehr schwer niederzukämpfen.

»Was haben wir?«

»Einen toten Weihnachtsmann.«

»Das sehe ich auch.« Es fiel ihm schwer, den jungen Kollegen von der Gerichtsmedizin nicht anzuschreien, der scheinbar nicht in der Lage war, mehr als die offensichtlichen Fakten zu liefern. Diese neue Generation an Kriminalbeamten oder überhaupt Menschen war nicht zu gebrauchen. Die hasste er auch. »Seit wann ist er denn tot?«

»Schwer zu sagen bei der Kälte, dazu muss er in die Pathologie. Aber deine Kollegen sind drin bei der Ehefrau, vielleicht weiß sie mehr.«

Er hasste diese neue Generation. Seit wann war es in Ordnung, einen dienstälteren Kollegen einfach zu duzen? Bevor er noch einen Mord beging, wandte er sich um und bewegte sich langsam um den Weihnachtsmann im Rollstuhl herum und betrat das saubere, aber deutlich in die Jahre gekommene Haus. Er ließ sich von leisen Stimmen leiten und landete schließlich in einer Küche, die irgendwann in den 80ern vielleicht modern gewesen war, jetzt jedoch beinahe schon antik wirkte. Genau wie er.

Zwei Kollegen saßen einer älteren Dame an einem ebenso alten Resopaltisch gegenüber und er beschloss, sich lieber an die Küchenzeile zu lehnen, so dass die Frau ihn gut sehen konnte.

»Guten Tag, ich bin von der Kripo. Sind Sie die Ehefrau?«

Er erhielt von ihr keine Antwort, doch einer der Kollegen drehte sich zu ihm um.

»Sie sagt nichts«, informierte ihn der Kollege.

»Zwoundvierzsch«, antwortete die Frau sehr nachdrücklich und brachte ihn so dazu, die Augenbraue in Richtung des Kollegen zu heben.

»Gut, das sagt sie. Aber wir wissen nicht, was das bedeuten soll.«

»Sie sind Frau Maier, richtig?«, wandte er sich an die Frau, die nach wenigen Sekunden bestätigend nickte. »Und Sie sind die Ehefrau?« Wieder ein Nicken. »Gut. Da keiner von diesen Grünschnäbeln jemals etwas anderes als das Polizeihandbuch und bestenfalls noch die Strafprozessordnung gelesen hat, ganz sicher aber nicht irgendetwas von Douglas Adams, könnten Sie uns vielleicht für Anfänger erklären, was passiert ist?«

»Zwoundvier´g Johr hab´sch dem ´ne Jans brate müsse. Jedet Weihnachten, während der Kerl jedes Johr nur draußen jesessen hätt unn denne Pänz jewunke. Dann sät der hück, nach zwoundvierz´g Johr, minge Weihnachtsjans würd´ nit schmecke, die ich wegge dem jedes Johr mache musst nach dem Rezept singer Mudder unn dann stürbt der einfach, bevor´sch dem mit der Jans erschlaje hätt künne! Also hab´sch den rusjestellt mit singe Rollstuhl, wie jedes Johr. Nu hab´sch minge Ruh unn de Pänz künne immer noch winke. Woll’nse die Jans haben? Is jleich so weit.«

»Können Sie das bitte noch einmal in Deutsch wiederholen? Ich habe nichts verstanden. Wir können auch einen Dolmetscher holen, wenn Sie den brauchen.«

»Banause«, antwortete die Frau nur, schüttelte den Kopf und verstummte erneut.

»Viel Spaß noch, Kollegen. Ich bin fertig, ich gehe in den Ruhestand. Und ich nehm die Gans mit.«

»Was für eine Gans?«

Er sparte sich die Antwort. Ja, definitiv, er hasste diese neue Generation. Und Weihnachten.

22 „Gefällt mir“

„Pänz“ musste ich Banausin tatsächlich nachschlagen (da fällt mir ein, das ist ja wieder so ein Verb der alten Generation…). Schöne Idee @Annabell

3 „Gefällt mir“

Klein und gemein. Das mag ich. Und dank einer Suchmaschine weiß ich jetzt auch, was Pänz bedeutet . Mundart am morgen? Mein Gehirn ist jetzt ganz verknotet. Aber ich musste lachen. Danke für die schöne Geschichte.

2 „Gefällt mir“

Ich bin zwar kein Fan von Mundart-Passagen und musste „Pänz“ und „hück“ recherchieren, aber letztlich sprang der Funke über. Grinchige Weihnachten!

1 „Gefällt mir“

Schöne Geschichte! Habe sie gleich 2x gelesen, bis ich alles verstanden hatte. Hat sich aber gelohnt. Super …

1 „Gefällt mir“

:smiley: Danke für die Geschichte. Für mich eine Lawine von Assoziationen an die ganz großen Erzählungen.
D. Adams, Loriot, Dickens… und natürlich den Grinch.
Gans schöner Kurzkrimi mit sehr lebendigen Figuren. :gift::smiley:

1 „Gefällt mir“

Schön. Ein Grinch muss auch dabei sein

2 „Gefällt mir“

Nau seavas, do gehds zua, bei de Deidschn. Fost wia bei uns daham!

Danke für den morgendlichen Flashback an meine „deutschen Jahre“. War fast ein bisschen wie nach Hause kommen.

2 „Gefällt mir“

Herrlich! Ein Misanthrop zu Weihnachten. Danke für die schräge Geschichte.

1 „Gefällt mir“

Ha, voll aus dem Leben gegriffen.
Und wie es sich für einen Krimi gehört, erst einmal eine falsche Fährte gelegt,
Nach »Zwoundvierzsch« wollte ich schon aufhören, habe aber aus dem Augenwinkel die weiteren Dialektpassagen gesehen.
Geschickt gemacht.
Ist das Kölsch?

1 „Gefällt mir“

:blush: Sehr gut. Ich musste auch zweimal lesen, aber eine richtig schöne Geschichte.

1 „Gefällt mir“

Richtig, allerdings leicht angepasstes Kölsch, damit man es halbwegs versteht. Alles verstehe ich auch nicht auf Kölsch.

Und das zu schreiben ist ungleich schwerer als Sprechen, habe ich gemerkt :smile:

Eine Hommage an eine leider verstorbene Nachbarin, die immer ihrem Mann drohte, ihn einfach in den Vorgarten zu stellen, sollte er sterben.

4 „Gefällt mir“

Schön, kurzweilig und witzig irgendwo. Danke sehr :laughing:

1 „Gefällt mir“

Sehr sehr schön! Voll mein Ding. Ich liebe die Anhalter und von der Story her ein echter Roald Dahl, wie in „Küsschen, Küsschen“.
Ja, mit der 42 hast du mich auch voll auf die falsche Fährte gelockt. Als dann plötzlich kölsche Sprache anklang (die ist tatsächlich noch viel schwerer zu schreiben als die frankfodder Schnauze), war ich echt irritiert. Aber wieder Heimvorteil, dass ich seit Jahren in Köln wohne und einfach durchlesen konnte.

Ich bedanke mich dafür mit einem herzlichen „Don’t panic!“ und was den toten Weihnachtsmann angeht, da würde der Kölner sagen: „Wat fott es es fott“

2 „Gefällt mir“

Paragraph 4 des Kölsche Grundgesetz.

So isset

Gefällt mir! Danke. Solange man den noch nach draußen stellen kann, kriegze bestimmt auch noch Rente für den Alten.

@SuperGirl Ich habe Dir vor ein paar Tagen eine PM geschickt. Würde mich über eine Antwort freuen. :slight_smile:

1 „Gefällt mir“

Ich bin kein Fan von geschriebener und dann gelesener Mundart, aber irgendwie verleiht es der Figur durchaus Charakter. Hingegen bin ich ein großer Fan von popkulturellen Anspielungen wie auf den „Anhalter durch die Galaxis“.
Eine kurze und knackige Geschichte. Hat mir, trotz Mundart, gut gefallen.

1 „Gefällt mir“

Tja, da empfehl ich dir doch glatt „Da Jesus und seine Hawara“ von Wolfgang Teuschl zu Weinachteln!

Ich liebe Mundart - klar, i komm ja au aus’em Schwäbischa.
Und diese Krimi-Weihnachtsmann nervt Weihnachtsfrau das hat er nun davon Geschichte ist schräg und lustig zugleich. Gans/z nach meinem Geschnmack :smile:

1 „Gefällt mir“