Tote Weihnachten (von Annabell)
Er hasste Weihnachten und er hasste seinen Job. Wenn wie heute beides aufeinandertraf, war der Drang, einfach alles hinzuwerfen, nur sehr schwer niederzukämpfen.
»Was haben wir?«
»Einen toten Weihnachtsmann.«
»Das sehe ich auch.« Es fiel ihm schwer, den jungen Kollegen von der Gerichtsmedizin nicht anzuschreien, der scheinbar nicht in der Lage war, mehr als die offensichtlichen Fakten zu liefern. Diese neue Generation an Kriminalbeamten oder überhaupt Menschen war nicht zu gebrauchen. Die hasste er auch. »Seit wann ist er denn tot?«
»Schwer zu sagen bei der Kälte, dazu muss er in die Pathologie. Aber deine Kollegen sind drin bei der Ehefrau, vielleicht weiß sie mehr.«
Er hasste diese neue Generation. Seit wann war es in Ordnung, einen dienstälteren Kollegen einfach zu duzen? Bevor er noch einen Mord beging, wandte er sich um und bewegte sich langsam um den Weihnachtsmann im Rollstuhl herum und betrat das saubere, aber deutlich in die Jahre gekommene Haus. Er ließ sich von leisen Stimmen leiten und landete schließlich in einer Küche, die irgendwann in den 80ern vielleicht modern gewesen war, jetzt jedoch beinahe schon antik wirkte. Genau wie er.
Zwei Kollegen saßen einer älteren Dame an einem ebenso alten Resopaltisch gegenüber und er beschloss, sich lieber an die Küchenzeile zu lehnen, so dass die Frau ihn gut sehen konnte.
»Guten Tag, ich bin von der Kripo. Sind Sie die Ehefrau?«
Er erhielt von ihr keine Antwort, doch einer der Kollegen drehte sich zu ihm um.
»Sie sagt nichts«, informierte ihn der Kollege.
»Zwoundvierzsch«, antwortete die Frau sehr nachdrücklich und brachte ihn so dazu, die Augenbraue in Richtung des Kollegen zu heben.
»Gut, das sagt sie. Aber wir wissen nicht, was das bedeuten soll.«
»Sie sind Frau Maier, richtig?«, wandte er sich an die Frau, die nach wenigen Sekunden bestätigend nickte. »Und Sie sind die Ehefrau?« Wieder ein Nicken. »Gut. Da keiner von diesen Grünschnäbeln jemals etwas anderes als das Polizeihandbuch und bestenfalls noch die Strafprozessordnung gelesen hat, ganz sicher aber nicht irgendetwas von Douglas Adams, könnten Sie uns vielleicht für Anfänger erklären, was passiert ist?«
»Zwoundvier´g Johr hab´sch dem ´ne Jans brate müsse. Jedet Weihnachten, während der Kerl jedes Johr nur draußen jesessen hätt unn denne Pänz jewunke. Dann sät der hück, nach zwoundvierz´g Johr, minge Weihnachtsjans würd´ nit schmecke, die ich wegge dem jedes Johr mache musst nach dem Rezept singer Mudder unn dann stürbt der einfach, bevor´sch dem mit der Jans erschlaje hätt künne! Also hab´sch den rusjestellt mit singe Rollstuhl, wie jedes Johr. Nu hab´sch minge Ruh unn de Pänz künne immer noch winke. Woll’nse die Jans haben? Is jleich so weit.«
»Können Sie das bitte noch einmal in Deutsch wiederholen? Ich habe nichts verstanden. Wir können auch einen Dolmetscher holen, wenn Sie den brauchen.«
»Banause«, antwortete die Frau nur, schüttelte den Kopf und verstummte erneut.
»Viel Spaß noch, Kollegen. Ich bin fertig, ich gehe in den Ruhestand. Und ich nehm die Gans mit.«
»Was für eine Gans?«
Er sparte sich die Antwort. Ja, definitiv, er hasste diese neue Generation. Und Weihnachten.