Zweitausendundvierundachtzig

Diesen Text habe ich (heute nur geringfügig überarbeitet) bereits Anfang 2013 geschrieben und auf meinem Blog veröffentlicht. Papyrus ist der Ansicht, dass die Lesbarkeit zwischen 9 und 35 liegt. Ich bin der Ansicht, dass der Text sehr gut lesbar ist.

Ich würde gerne eure Meinung dazu hören.


2084

Im Jahre 2084 blicken wir auf ein ereignisreiches Jahrhundert zurück. Kurz nach Beginn des zweiten Jahrzehnts führte die IT-Branche eine der im Rückblick nachhaltigsten Änderungen ein. Dem Vernehmen nach auf Betreiben eines bekannten Softwareriesen wurde jedes neu gebaute Mainboard mit einem tief in den Eingeweiden verborgenen individuellen Schlüssel versehen. Damit sollte vordergründig verhindert werden, dass das damals verbreitetste Betriebssystem unerlaubt kopiert und auf nicht dafür vorgesehenen Rechnern installiert wurde. Jedenfalls nicht, ohne dafür ordnungsgemäß zu bezahlen. Doch das war nur der Anfang …

Das erste Jahrzehnt erlebte das glorreiche Scheitern des Versuchs, mit einem von staatlichen Stellen sanktionierten »Trojaner« einzelne PCs auszuspionieren. Ein Computerclub hatte mit Sachverstand die Software analysiert und festgestellt, dass die Programmierung überaus dilettantisch durchgeführt wurde. In der Folge beschäftigten sich auch Juristen mit dem Vorstoß, es gab großes Geschrei. Nach einiger Zeit schlief die Aktion dann scheinbar ein. Im Nachhinein betrachten Insider sie jedoch als reines Ablenkungsmanöver. Sowohl die dilettantische Software selbst als auch die halbherzigen Geheimhaltungsversuche und die Beteuerungen der Politiker, niemand habe etwas zu befürchten, schienen einfach nur auf eines hinzudeuten: Die Unfähigkeit der Verantwortlichen. Doch wahrscheinlich waren diese alles andere als unfähig, bereiteten sie doch in aller Stille die eigentliche Veränderung vor. Da die Medien sich aber auf diese eine Sache konzentriert hatten, ahnten sie nichts von der wahren Bedrohung unserer Freiheit.

Die stille Revolution

Ein Aspekt, der zu Beginn noch gar nicht öffentlich diskutiert wurde, entpuppte sich in der darauf folgenden Zeit als ernsthaftes Problem für den Rechtsstaat. Durch den natürlichen Alterungsprozess der IT-Hardware enthielten etwa 89 % der in Betrieb befindlichen Mainboards nach 10 Jahren einen eindeutigen Key. Was bei Mobiltelefonen seit deren Erfindung selbstverständlich war, gab es 2022 auch im PC-Bereich.

Sodann folgte in aller Stille die zweite Änderung: Alle Betriebssysteme wurden um die Fähigkeit erweitert, diesen Key auszulesen und regelmäßig und auf Anforderung an einen zentralen Server zu übermitteln. Nun war fast jedes Kommunikationsgerät über das Netz identifizierbar. In Verbindung mit der automatischen Updatefunktion der Betriebssysteme erledigte sich auch die Nachinstallation von weiterer Überwachungssoftware – eine Funktionalität, die dem Staatstrojaner noch das Genick gebrochen hatte. Da für deren Einsatz ein richterlicher Beschluss erforderlich war, und dieser folglich auf konkret angeordnete Aktionen beschränkt werden musste, war dies für Richter und Polizei gleichermaßen unerträglich – wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen. Aber wer fragt schon nach dem Richtervorbehalt für Betriebssystem-Updates?

Der Gläserne Bürger

Diese Möglichkeiten weckten verständlicherweise Begehrlichkeiten nicht nur bei den Ermittlungsbehörden. Insbesondere totalitäre Staaten bekamen damit ein erhebliches Überwachungspotential. Wer glaubte, dass Exportbeschränkungen irgendeine Wirkung gehabt hätten, musste sich schon zur Zeit des sog. »Kalten Krieges« vorwerfen lassen, ebenfalls an den Weihnachtsmann zu glauben. Trotzdem war das nichts im Vergleich zu den neuen Möglichkeiten, von denen der Staatssicherheitsdienst der DDR seinerzeit vermutlich nicht mal geträumt hatte und von dem er dennoch – bedenkt man die Geschwindigkeit der Entwicklung in der IT-Branche – nur einen Finger breit entfernt war.

Das Horror-Szenario, in dem man erst eine eMail mit illegalem Inhalt und 10 Sekunden später einen Anruf von der Sicherheitspolizei erhält, war nur die Spitze des Eisbergs. Die schon zuvor bei spezifischen Themen außer Kraft gesetzte Unschuldsvermutung wurde durch die neuen Möglichkeiten noch verstärkt. Die Chance zu beweisen, dass es dieselbe Behörde wäre, die das Material zugeschickt hat, hatte der Angeklagte schon gar nicht mehr, da jede Eigenrecherche zwangsläufig mit dem »Umgehen von Schutzmaßnahmen für besonders gesicherte Daten« einhergehen musste. Dieser Trick, den die Verantwortlichen von der Unterhaltungsindustrie gelernt hatten, verfing und führte zu der faktischen Unmöglichkeit eines Freispruches.

Synergieeffekte

Mobile Geräte mit GPS-Modul besaßen schon viele Möglichkeiten. Der flächendeckende Einbau der Computer in Individualbewegern (damals »Autos« genannt) ermöglichte sodann eine Revolution auf einem gänzlich anderem Gebiet, dem Finanzsektor. Auf den arbeits- und zeitintensiven Einsatz von Radargeräten einschließlich der Anschaffung der Geräte zur Verkehrsüberwachung selbst konnte spätestens 2028 vollständig verzichtet werden. Eine einfache Software für den Zugriff auf die Gerätedaten reichte aus. Von dem Moment an konnten alle Bürger vollautomatisch überwacht werden. Die gesetzlich verankerte Einzugsermächtigung bei hoheitlichen Verbrechen schloss dann den Kreis und ermöglichte dem Staat weitreichende fiskalische Beschaffungsmöglichkeiten.

Aus unserer Reihe »2084« brachten wir den ersten Teil des Bandes »Die frühen Jahre« mit freundlicher Genehmigung des Wahrheitsministeriums.

Genehmigung zur Veröffentlichung erteilt: Miniwahr 2084-01-30 Cj, ID: NCC-1701q

1 „Gefällt mir“

Hundert Jahre nach Orwell. Liest sich wirklich nicht gut für mich. Ich unterstelle aber, dass du das genau so wolltest… Hier meine These:
Ich vermute, du wolltest den Text gezielt „bürokratisch“ mit dem Charme eines uninspirierten Benutzerhandbuches schreiben - bzw.: Du wolltest, dass das „Wahrheitsministerium“ es nunmal so geschrieben haben würde (oder der Text von diesem Amt zumindest abgesegnet wurde).
Der Satzbau mit Hang zur reinen Informationsvermittlung (nicht alle, aber die meisten Sätze) nimmt mich nicht mit.
Der Papyrus-Analyse (schwer lesbar) schließe ich mich also an, vermute aber auch, dass das für deine Intention mit diesem Text das beste Ergebnis ist.
Es wäre schließlich nicht vom „Wahrheitsministerium“, wenn der ungebildete Pöbel es einfach so „weglesen“ könnte.

Abseits dessen:

  • Im Forum hier kommt erschwerend hinzu, dass sich alle drei Meter die Schriftgröße ändert.
  • Die wiederholten „sodann“ gehen mir auch auf den Kecks, wenn der Text direkt vom Amt kommt.

PS:
50% deines Textes sind wohl schon eingetroffen. Du hast 2013 dann schon einen guten Blick auf die Dinge gehabt :slight_smile:

5 „Gefällt mir“

Hallo, @ChrisJ,

ich fürchte, ich bin schon nach dem ersten Absatz raus. Es mag sein, dass @Stolpervogel recht hat und der Stil zum Inhalt passt, aber wenn der Stil so schwerfällig ist, dass man den Text einfach nicht gerne lesen mag, nützt es dir auch nicht viel . Zudem gibt es keine Beziehung zu irgendeiner Figur, die die geschilderten Fakten er"leben" würde. (Anders gesagt, der Text „lebt“ nicht.)
Beim Lesen von Belletristik geht es immer um das Schicksal von Figuren. Figuren, mit denen die Leser mitlachen, mitweinen, mitleiden, mitleben möchten.
Das ist hier nicht gegeben. Es erinnert mich an eine Mischung aus dem Inhalt einer Behördenakte und einem Infodump.
Für mich ist der Text nicht zum Lesen geeignet. Sorry.

3 „Gefällt mir“

Das, was du als Geschichte geschrieben hast, würde sich bei mir im Organizer als Notizen für einzelne Kapitel wiederfinden und zusätzlich - zusammengefasst als Überschriften - in einem Denkbrett. Dort würde ich die Dinge, die zusammengehören, miteinander verbinden, farblich hervorheben, etc. Darauf aufbauend würde ich die Geschichte kreieren.
Für mich ist dein Text also quasi die Vorbereitung einer Geschichte, die noch zu erzählen ist.

3 „Gefällt mir“

Ihr habt beide Recht, genau das war die Intention. „Geschichtsbuch“ könnte man noch ergänzen, 100 Jahre aus der Sicht von 2084. Also mit Absicht „Geschichte“, aber keine „Geschichte“ :slight_smile:

Unter diesem Aspekt, würde euer Urteil anders ausfallen?

Abgesehen von dem „sodann“, das nehme ich mir zu Herzen, vielen Dank.

Aus meiner Sicht ist es dennoch zu trocken.

2 „Gefällt mir“

Mir gehts hier wie @Suse, dein Text liest sich für mich mehr wie eine (schon etwas bearbeitete) Ideensammlung für eine Story. Man könnte was Tolles draus machen, in dieser Form ist es mir aber auch viel zu trocken.
Auch unter der Geschichtsbuch - Intention macht es nicht wirklich Spaß zu lesen, immerhin hast du sowohl Behördenslang als auch Infodump sehr anschaulich hinbekommen.
Hier wäre viel weniger viel mehr, ich würde diesen unverdaulichen Textbrocken in kleine Absätze zerlegen und diese der jeweiligen Story kapitel- oder auch szenenweise voranstellen.

Und die wechselnde Schriftgröße nervt wirklich :wink:

2 „Gefällt mir“

Stimmt, aber das kommt weder aus der PAP-Datei, noch aus dem exportierten HTML. Und auch im Browser-Quelltext sehe ich keine entsprechenden Hinweise im HTML, die das verursachen könnten. Ich poste das mal im „Forum-Feedback“-Forum, wenn ich es gefunden habe :slight_smile:

Der Text ist keine Geschichte, sondern der Rapport eines Ministeriums. Das führt zu Verwirrung, weil hier im Forum Geschichten mit Figuren erwartet werden.

2 „Gefällt mir“

Ok, das verstehe ich. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass der Begriff so eng gefasst verstanden wird. Sorry für die Verwirrung.

Hi @ChrisJ,

Manchmal erweitert Verwirrungen den Horizont. Ich könnte mir gut vorstellen, das @Milar das im Grunde gar nicht anders sieht. :wink:

mfg os|<ar

3 „Gefällt mir“

Aber er läuft schon unter Belletristik, oder? Immerhin ist es ein fiktionaler Text und kein Sachbuch mit Ratschlägen für die Lebensgestaltung.
Ich stehe auf dem Standpunkt, dass fiktionale Texte möglichst so geschrieben sein sollen, dass man sie gerne liest. Sonst bräuchte man sie ja nicht zu schreiben. Oder es wären Tagebucheintragungen, die nur für den Autor bestimmt sind. Aber ich glaube nicht, dass @ChrisJ den Text geschrieben hat, damit er nicht gelesen wird.
Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht (nur) dem Angler. Und beim Schreiben sind die Leser die Fische …

Diese vorgeschlagene Präsentation von @ChrisJ ist halt ein Stilmittel.

Wie so oft muss diese „Arznei“ aber sorgfältig dosiert werden, weil die Wirkung sonst in eine toxische umschlagen kann. @Pamina22 hat in diesem Falle recht: mir ist es auch zu viel …

mfg Os|<ar

4 „Gefällt mir“

Eine Möglichkeit, das wohldosiert zu verpacken, wäre, eine Figur als „Besserwisser“ einzuführen und in einem Dialog immer mal wieder kurze Sequenzen zitieren zu lassen, bis die anderen Figuren ihr sagen, sie soll die Klappe halten.
Oder der Protagonist könnte abschnittsweise einen Brief lesen, in dem dieser Inhalt vermittelt wird. Dabei unterbricht er sich immer wieder und denkt über das Gelesene nach, oder er führt einen Dialog mit seinen Freunden über den Text. Wichtig ist, dieses „Stilmittel“ so sparsam wie möglich einzusetzen und es immer wieder durch Dialog oder die weitere Handlung aufzulockern.

4 „Gefällt mir“

Das soll nicht so verstanden werden, dass ich nur Geschichten hier im Forum erwarte. Das ist ein Schreibforum, in dem man alle Texte einstellen kann. Auch ein technokratischer Text wie der vorliegende kann interessant sein und inspirieren. Wie @Pamina22 es vorschlägt. kann daraus eine Geschichte mit Figuren entstehen.
Wer Sachtexte oder Ratgeber schreibt, kann hier die Texte auf Verständlichkeit überprüfen lassen.

2 „Gefällt mir“

Hallo in die Runde.

Ja, mir ist das auch zu trocken. Viel Wissensvermittlung (vermutlich gewollt), wenig Handlung. Ich würde es nicht länger lesen wollen. Das Bild mit dem Köder/Fisch/Angler passt hier sehr gut. Was bringt es, wenn das Stilmittel (im weitesten Sinne) dem Schreiber sehr gefällt, es aber niemand lesen will.

Es wäre auch wie im „Original“ machbar: Es wird als Buch in die Geschichte eingebaut. Aber auch bei Orwell ging mir das nach wenigen Absätzen auf den Wecker. Also vorsichtig dosieren. Auch hier passt das Bild mit der Arznei/Dosis und dem daraus möglicherweise entstehenden Gift.

Nur meine Meinung.

Liebe Grüße

1 „Gefällt mir“

Ich danke euch allen für die Hinweise. Mir gefällt die Idee, dieses Thema in einer Geschichte verpackt nochmal anzugehen. Das wird etwas dauern, aber vielleicht bringe ich das eines Tages nochmal zur Neu-Beurteilung.

1 „Gefällt mir“

Hallo @ChrisJ, ich habe den Anfang deines utopischen Romans interessiert gelesen, bin aber ebenfalls zu der Meinung gelangt, dass diese Fiktionen hauptsächlich von Insidern verstanden werden und damit im Sachgebiet der Belletristik heute einen schweren Stand hätten, besser wäre „Utopische Fachliteratur“, aber die gibt es ja meines Wissens nach nicht. Dass sich Utopien im Laufe der Geschichte oft bewahrheitet haben ist bekannt und seit 2013 ist in Bezug auf den vorliegenden Text ja schon einiges geschehen. Damit würde ich deinem Roman in ferner Zukunft bessere Chancen einräumen, dann werden sich notgedrungen alle Menschen mit diesen Themen auseinandersetzen.
Danke für den Beitrag.

1 „Gefällt mir“