Ich habe in den letzten Wochen mehrere Bücher des selben Genres, aber von verschiedenen Autorinnen gelesen. Etwas hat mich jedoch sehr verwundert: Auf fast jeder Seite (ok, das ist ein bisschen übertrieben, aber nicht sehr) verengen ständig alle möglichen Personen die Augen zu Schlitzen und/oder ballen die Fäuste, sobald auch nur ein halbwegs negatives Gefühl aufkommt, sei es Wut, Ärger, Neid. Aber auch schon bei Zweifel oder Unsicherheit.
Ich glaube, in jeder dieser Geschichten werden mehr Augen zu Schlitzen verengt und Fäuste geballt als weltweit im selben Zeitraum. Ich kenne zum Beispiel niemanden, der das bei normalen Unterhaltungen ständig macht. Je häufiger das passierte, desto mehr fiel es mir auf und störte mich.
Ist das ein übertreibenes “show don’t tell”, oder bin ich einfach zu empfindlich? Verwunderlich war, dass es verschiedene Autorinnen waren - könnten aber auch Pseudonyme der selben Person sein.
Mein persönliches Highlight von zuviel “show, don’t tell” war die Beschreibung eines formellen Botschaftsempfangs in einem Roman.
Niemand durfte sich dort seine Gefühle anmerken lassen, dabei kamen dann die beiden Stilblüten
“im Geiste die Stirn runzelnd”
und “innerlich das Gesicht verziehend”
heraus.
Und der geneigte Leser sollte wohl erraten, ob der Held aus Eifersucht, Sorge, Ärger oder sonstwas im Geiste Grimassen schnitt, das ging aus dem Zusammenhang nicht hervor.
Solche Redewendungen werden ständig recycelt. Man liest es in einem Buch und übernimmt es in die eigene Geschichte. Ich habe mal an einer Geschichte moniert, dass die Figur aus Wut auf das Steuer schlägt. Achtet mal darauf, in wie vielen Filmen das passiert. Das ist völlig ausgelutscht. Es wird zuviel aus Büchern und Filmen in die eigenen Geschichten übernommen.
Das hat mit einem übertriebenem »show, don’t tell« schlicht gar nichts zu tun.
Das sind unausgereifte Charaktere! Sonst nichts!
Da wird nach Schema-F gearbeitet.
Wenn man die Charaktere ausarbeitet, erhält jeder Hauptcharakter typische, individuelle Reaktionen zu seinen Gefühlen.
Diese sind in seiner Geschichte begründet, die aber nur hier indirekt sichtbar wird (werden muß).
Die von Dir bemängelte Auffälligkeit ist also auf mangelndes Charakterdesign zurückzuführen (und auf mangelnde Phantasie beim Autor ).
Bei gut ausgebildeten Charakterdesign für den Protagonisten entwickelt sich dieser sogar und hat am Ende andere Verhaltensmuster als am Anfang!
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Ich schließe mich dem verehrten Stephan uneingeschränkt an.
Natürlich wiederholen sich Verhaltensweisen der Menschen immer wieder, aber es gibt auch Veränderungen, wie z. B. das aktuelle Handyverhalten. Aber es geht wohl eher darum, für diese sich wiederholenden Handlungen andere Worte, Blickwinkel etc. zu finden.
Liebe ist Liebe. Trotzdem wird seit Jahrtausenden versucht, diese zu beschreiben. Und in vielen Fällen gelingt es auch. Ändere Deine Sichtweise und Du wirst andere Worte finden. Das sehe ich übrigens auch als Teil unserer Aufgabe.
Ab-so-lut! Der geneigte Leser ist ja nicht - siehe auch Rian - doof. Das Verhalten - und dazu gehören auch Mimik und Gestik - ist immer individuell und sollte auch nachvollziehbar sein.
Wenn man im Flow ist, ergibt sich das oft von ganz allein. Mit der Figur und dem Fortschreiten der Geschichte, entwickelt sich ja auch der Autor…
Ich habe “Show, don’t tell” immer als einen sehr frustrierenden Rat empfunden und weil er dir in jedem Schreibratgeber in den Hals gerammt wird, versuchen viele Autoren und Autorinnen wirklich ALLES zu zeigen.
Ich habe mich immer gefragt, wie Thriller-Autor:innen extreme Gewaltvorstellungen bildhaft zu Papier bringen können. Seit der Hausmeister auf dem Nachbargrundstück heute morgen angefangen hat mit Kärcher, Rasentrimmer und Heckenschere der Natur zu Leibe zu rücken, ahne ich es. Wenn ich meine momentanen Gedanken anschaulich zu Papier brächte, würde meine Story garantiert auf dem Index landen.
Dito! Und es ist auch so einfach nicht wahr. Die Literaturgeschichte ist voll mit prominenten Erzählern. Für mich ganz weit vorn: Siegfried Lenz. Seitenweise Landschafts und Charakterbeschreibungen. Die ich als sehr treffend und angenehm empfinde.
“Ein Satz Krähen hat noch eine Verabredung in Stade.”
Ihr seht - hier schreibt ein Fan. Wenn tell gut gemacht ist, hat es durchaus seine Berechtigung. Ich denke, die Mischung macht es, und die Kombination Dialog und tell lockert einiges auf und vermittelt oft ein komplexeres Bild der Handlung.
Außerdem - man muss ja nicht alles beschreiben.
Wenn ich vermitteln will, wie man einen Vergaser aus einem 69 Ford Mustang ausbauen sollte, bleibt natürlich kein Platz und keine Freiheit in der Beschreibung. Wenn es um Menschen geht, funktioniert das, wie wir wissen, nicht. Und das will auch keinerwissen. Ich gehe schon sehr gründlich auf die Charakterisierung meiner Helden/innen ein, aber ich lasse auch Lücken. Ich setze einige, wichtige parameter, aus denen sich ein Charakter ergibt. Der laktoseintolerante, geschiedene Florist Mitte 40 und mit 5,3 Dioptrien auf dem linken Auge, ist sicher nicht der richtige Weg…
Wie oben erwähnt: Ich gehe von einem mündigen, aufmerksamen Leser aus, der durchaus imstande ist, diese Lücken - auch entsprechend seiner eigenen Situation, seinem Empfinden usw. - zu füllen.
Da muss ich gleich mal meine Augen zu Schlitzen verengen und die Fäuste ballen.
Ich denke, da kommt beides zusammen: Schlecht ausgearbeitete Charaktere, aber auch ein unüberlegtes oder übertriebenes “Show”.
Obwohl mir die Geschichten sonst gut gefielen und auch die Personen schon unterschiedliche Charaktereigenschaften hatten. Aber ständig diese beiden Reaktionen war schon richtig auffällig.
Das ist eine Mischung aus stereotypen Beschreibungen und Endloswiederholungen, weil es gerade “in” ist.
Wieviele Leute hat man im wahren Leben schon gesehen, die vor Wut kochen oder sich aus Verzweiflung die Haare raufen? Die “Show”-Beschreibungen menschlicher Gefühle sind nun mal nicht einfach, daher greift man gerne auf solche Formulierungen zurück, um den “tell”-Part (“…”, sagte er wütend) zu vermeiden.
Zum anderen sind bestimmte Formulierungen einfach Mode. Ein ganz anderes Beispiel: In den letzten zwei Jahren ist plötzlich alles mögliche “nicht mehr zeitgemäß” oder “wirkt, wie aus der Zeit gefallen”. Neben der inhärenten moralischen Hybris regt mich allein die Häufigkeit dieses Schmarrens auf. Da schreibt einer vom anderen ab.
Ich finde, das hat überhaupt nicht mir “show, don’t tell” zu tun. Für mich ist das was ganz anderes.
Ich kann schreiben: Klaus war ein großzügiger Mann.
Oder ich schreibe eine Szene, in der Klaus großzügig ist. Eine Frau an der Supermarktkasse hat nicht genug Geld und er hilf ihr mit einem Zehner aus.
Das ist für mich zeigen statt erzählen. Alles andere fällt für mich nicht darunter. Mit don’t tell ist nicht gemeint, dass man Gefühle in Handlungen übersetzt, was für eine komische Idee. Aber moderne Autoren haben noch ganz andere Angewohnheiten. Bücher zu schreiben zum Beispiel.
Ach nein? Was mir aufgefallen ist: Wenn im Film jemand wütend wird, kann man schon fast darauf wetten, dass im nächsten Moment ein Getränkeglas oder dergleichen gegen die Wand geschmissen wird. Muss das sein? Offenbar ja. Um die Erregtheit auch wirklich deutlich rüberzubringen … Das wirkt so theatralisch! Diesen inflationär ausgeübten expressiven Exzess kann ich mir eigentlich nur dadurch erklären, dass der jeweilige Aktant die nassen Scherben offenbar in den seltensten Fällen selbst zusammenzukehren braucht – was die Situation aber auch nicht realistischer erscheinen lässt. Insofern richtig: “eine komische Idee”.
Aber immerhin kann dich der Nachbar zu einer Story inspirieren. Und wer weiß, welche Leichen er mit Rasentrimmer und Heckenschere zu vertuschen sucht …
meine Frau rät mir in solchen Fälle, meine Aggressionen “in Papyrus zu parken”. Da macht man sich Notizen dazu und verwendet solche Szenen in einem Roman. Schreibt sich alles von der Seele.