Hallo Jannick,
Du hast ganz recht! Alle Logik ist menschlich. Sollte es auch „nicht-menschliche“ Logik geben, wäre das gleichgültig, weil wir sie dann ja nicht kennten und sie uns mithin auch vollkommen gleichgültig sein könnte. Im Zug der Ausbildung monotheistischer Religionen – am extremsten im Christentum während der Scholastik – kam die Idee auf, daß es vielleicht auch eine „göttliche Logik“ geben könne, weil es ja bekanntlich eine Reihe von logischen Paradoxa gibt (also nicht auflösbaren logischen Problemen), man aber nicht glauben wollte, daß sie für IHN auch unlösbar wären, weshalb dann eben auch noch die „vollkommene“, angeblich nur GOtt zugängliche Logik existieren sollte (bzw. ER mit ihr „eins wäre“). Davon gehen die Logiker heute aber nicht mehr aus, obwohl die logischen (Grund-)Probleme eher größer geworden sind als etwa zuzeiten der Scholastiker (denke z.B. an Gödels Sätze oder das Cantor-Problem).
Die Grundlage der Formalisierung des Logik-Universums legte Aristoteles (mit bis heute anhaltender Gültigkeit) – vorher wurde Logik eher unsystematisch betrieben --, weshalb die klassische (abendländische) Logik bis dato auch die „aristotelische“ genannt wird. Ich betone dabei ‚abendländisch‘, weil es im Buddhismus eine Logiklehre gab/gibt – vor allem ausgearbeitet vom berühmten Nagarjuna --, die einige der notorischen Probleme des aristotelischen Systems umgehen konnte. Sie war der früheste Typus mehrwertiger Logik. Heutzutage werden mehrwertige Logiken und Fuzzy-Logik in diversen Bereichen eingesetzt, um technische Probleme zu lösen, die die zweiwertige aristotelische Logik nicht lösen kann (folgend aus dem Grundsatz: tertium non datur).
Ein moderner alternativer Vorschlag, der u.a. auch Nagarjunas Gedanken vom Catuṣkoṭi wiederaufnimmt, ist die Polykontexturale Logik des dt. Philosophen Gotthard Günter, die nicht nur „Reparatur“ am aristot. Modell betreiben möchte wie o.g. Alternativstränge, sondern eine grundsätzlich andere, neue Logik etablieren möchte, die sozusagen autopoietisch funktioniert. Ob das einmal erfolgreich sein wird, steht bisher dahin. Die Schüler G.G.'s arbeiten jedenfalls nach wie vor daran.
Dann bleibt noch die heutzutage – vor allem durch die beiden Logik-Genies Kurt Gödel und Saul Aaron Kripke stark gemachte – Modallogik zu erwähnen, die heute unverzichtbar geworden und in Aristoteles’ System auch schon angelegt ist; erste, noch unsystematische Anwendungen modallogischer Argumente lassen sich schon in der Antike erkennen; aber systematisch entwickelt und angewandt wurde sie v.a. von so Leuten wie Kripke und Gödel. So ist z.B. der valide [sic!] und vielumstrittene ontologische Gottesbeweis Kurt Gödels modallogisch aufgebaut. Unglaublicherweise sogar „nur“ in Stufe S2 (wer sich den Beweis formalisiert anguckt [kann im Netz recherchiert werden], will es eigentlich ob seiner scheinbaren Komplexität nicht wahrhaben, aber es ist so), was aber erst computergestützte Beweisprüfprogramme erkannten: die besten Logiker dieser Tage waren immer von einem viel höheren Level ausgegangen, weshalb auch lange unerkannt blieb, daß Gödels Gottesbeweis gültig ist); desgleichen sind auch einige zentrale Argumente Kripkes – die in der heutigen Erkenntnistheorie und Ontologie maßgebend sind – modallogisch unterlegt.
Letztlich, das hat dieser kleine Exkurs vielleicht augenfällig werden lassen, ist die Logik also v.a. ein System von Schlußverfahren, will sagen: Mit ihr kann geprüft werden, ob Sätze wahr sind (sofern dem Prüfkalkül sinnvolle Axiome [was dann freilich nicht wieder geprüft werden kann, weil sich sonst ein infiniter Begründungs-Regreß etablieren würde] unterlegt sind). Der Streit darüber, ob die Logik in diesem Sinn das Operieren unserer Vernunft – im Zusammenspiel mit dem Verstand – abspiegelt, hält bis heute an und ist nicht entschieden. Was dafür spricht, ist die Tatsache, daß die formale Struktur der Sprache (Grammatik) offenbar zu gewissen Teilen nach logischen Regeln rekonstruierbar ist. Wäre nicht das unendlich komplizierte (und bisher völlig offene) Übersetzungsproblem, ließe sich diese These also erhärten (z.B. basieren ja KI-Träumereien u.a. auf dieser Prämisse); nur ist es eben so, daß alle Versuche, eine formal beschreibbare Universalgrammatik zu entwickeln, bisher gescheitert sind (vgl. dazu insbesondere Noam Chomskys und seiner Schule Ansatz) – und es mehren sich im linguistischen Lager die Stimmen, die sagen, das würde womöglich einfach nicht zu machen sein.
Ich persönlich glaube an die Existenz einer Universalgrammatik, bin aber davon überzeugt, daß sie nicht auf die Weise, wie Chomsky es versucht, rekonstruierbar wäre (ich bin auch nicht sicher, ob sie grundsätzlich zu rekonstruieren wäre – und wenn überhaupt, dann gewiß nicht mit jenen logischen Mitteln, die heute zur Verfügung stehen: Da müßte dann schon so etwas wie Günters *Polykontexturale Logik *her, wovon wir aber scheinbar noch meilenweit entfernt sind). – Es ist eben so, wie das schon bei Nagarjuna ausgeführt wird (er war ein ungeheuer schlauer Geist!): Wir können zwar lebenspraktisch i.S. einer mehrwertigen nicht-aristotelischen Logik vorgehen und sogar in einigen Fällen Maschinen danach operieren lassen (Fuzzy-Logik usw.), aber wir bringen das offenbar nicht in ein in sich konsistentes, luzides System. – Wäre das richtig (was ich nicht weiß), würde unsere Vernunft auch nicht-logisch arbeiten, also im Sinn dessen, daß dann ihr eigentlicher Operationsmodus für immer unabbildbar bliebe. – Gucke ich nun z.B. auf die Literatur (und ästhetische Phänomene überhaupt), will mir das einleuchten, weil daran rein gar nicht formalisierbar ist (aufs Ganze betrachtet) und die Chose trotzdem funktioniert. Das hieße, mal pragmatisch gewendet, daß es auch niemals eine Maschine geben könnte, die Romane zu schreiben in der Lage wäre … Jo, das ist der Stand der Dinge. Wir können jedoch nicht voraussehen, was die Zukunft noch alles bringen wird … sie ist offen (von Determination keine Spur). Und auch das ist eine Konsequenz logischer Operationen …
Ich wünsche dir jedenfalls viel Freude bei deiner weiteren Beschäftigung mit der Logik, lieber Jannick, es ist ein wirklich spannendes und hochinteressantes Thema … und für Schriftsteller ziemlich wichtig …
Viele Grüße von Palinurus