Der bunte Tupfen
Kleines Kapitel 1 – Zwei Freunde machen sich auf
„Die mag ich“, sagte der kleine Punkt und strahlte seinen großen Freund, den Tupfen, an.
Dieser lächelte und erwiderte: „Ich auch.“
Die beiden waren mal wieder auf dem Weg, wie sie es so oft waren. Denn es gibt eine Menge zu entdecken. Um das zu können, muss man eben unterwegs sein.
„Wie funktioniert das eigentlich, jemanden mögen?“ Fragte der kleine Punkt plötzlich. Er sah dabei sehr nachdenklich aus. Der Tupfen kannte diesen Gesichtsausdruck und wusste deshalb, ab jetzt hat ihr unterwegs sein ein Ziel, ein gutes Ziel.
Der Tupfen dachte nach, bevor er antwortete. Dann sagte er: „Ich weiß es nicht." Der kleine Punkt guckte ihn enttäuscht an. Also fügte der Tupfen hinzu: „Weißt du … ich glaube, es ist nichts, was irgendwie funktioniert, wie wir uns funktionieren bei einer Maschine vorstellen. Es ist ja ein Gefühl. Wir müssen also etwas über Gefühle herausfinden.“
„Das ist toll“, sagte der kleine Punkt begeistert. „Dann sind wir jetzt Gefühle Erforscher.“
Der Tupfen lächelte ihn an. „Dann sind wir jetzt Gefühle Erforscher“, wiederholte er. Der kleine Punkt holte sein Notizbüchlein hervor und schlug es auf. Er hatte es immer dabei, denn man kann nie wissen, was einem Wichtiges einfällt, das man festhalten möchte. Zu Gefühlen gab es sicher eine ganze Menge Dinge, die es Wert waren aufgeschrieben zu werden, damit man am Ende der Forschung weiß, wie das alles so geht. Er überlegte, leckte mit der Zungenspitze über seine Lippen, kaute am Ende seines Stiftes rum und sah den Tupfen ratlos an.
„Ich weiß gar nicht, was ich schreiben soll“, sagte er.
„Dann schreib nichts“, erwiderte der Tupfen.
„Aber wie soll ich das dann alles verstehen? Erforscher schreiben immer ganz viel“, sagte er und konzentrierte sich. „Ich habe allerdings noch nie gesehen, was die so schreiben.“ Er erschien dem Tupfen sehr entschlossen.
„Vielleicht müssen wir erstmal herausfinden, was wir eigentlich herausfinden wollen“, sagte der Tupfen.
„Du meinst, wir müssen uns erstmal Fragen stellen, die wir dann erforschen?“ Fragte der kleine Punkt.
„Genau“, antwortete der Tupfen und legte seine Stirn in Falten.
Das machte er oft, wenn er sich über etwas Gedanken machte. Es verging eine ganze Zeit, in der gar nichts passierte. „Ist ja unglaublich“, sagte der kleine Punkt mürrisch. „Wir haben noch gar nicht richtig mit der Erforschung angefangen und stecken schon fest.“
Der Tupfen grinste seinen kleinen Freund an.
„Ich weiß nicht, was daran so lustig ist“, sagte dieser und guckte jetzt fast böse.
„Das ist toll“, sagte der Tupfen und lächelte jetzt. „Du hast grade angefangen unsere Erforschung voranzubringen.“
Der kleine Punkt guckte ihn an. „Was?“ Fragte er nicht sehr überzeugt.
„Na du hast auf das reagiert, von dem du nicht weißt, wie du es lösen sollst, und bist damit der Lösung einen Schritt näher gekommen.“
„Aber ich habe doch nur … oh“, schloss der kleine Punkt erstaunt und war still.
Sie gingen weiter und nach einer Weile sagte der kleine Punkt, „ganz schön kompliziert unsere Erforschung was? Da ist man der Lösung auf der Spur und merkt es nicht.“ Der Tupfen stimmte ihm zu. „Mögen war das aber nicht“, stellte der kleine Punkt fest und holte schnell sein Notizbüchlein vor.
Er schlug es wieder auf und schrieb: Es gibt nicht nur mögen, sondern auch andere Gefühle. Er schlug das Büchlein wieder zu. „Ein erstes Ergebnis, harte Fakten“, sagte er glücklich und schwenkte das Büchlein triumphierend.
„Welche Gefühle gibt es denn alle?“, fragte er kurz darauf und guckte wieder nachdenklich.
„Ganz viele“, antwortete der Tupfen spontan.
„Mehr als fünf?“, fragte der kleine Punkt vorsichtig.
„Auf jeden Fall“, war sich der Tupfen sicher.
„Mehr als zehn?“, hakte der kleine Punkt nach und machte große Augen.
„Ich glaube, es sind ganz schön viele mehr als zehn“, sagte der Tupfen und nickte gewichtig.
Der kleine Punkt holte wieder sein Notizbüchlein raus. Anzahl der möglichen Gefühle ist unbekannt aber ganz dolle groß, schrieb er und klappte es wieder zu. „Etwas schwammig, aber immerhin“, sagte er leise. Diesmal mehr zu sich selbst, als zum Tupfen.
„Kannst du mehr fühlen als ich, weil du ja größer bist?“, wollte der kleine Punkt wissen.
„Das glaube ich nicht, weil es doch nicht ist, wie bei einer Maschine“, erwiderte der Tupfen.
„Das ist gut“, sagte der kleine Punkt erleichtert.
„Du weißt doch, wie wir beide zusammen lachen. Ich lache ja dann nicht mehr als du“, sagte der Tupfen.
„Aber Lachen ist kein Gefühl“, sagte der kleine Punkt.
„Es ist aber die Reaktion auf eins“, sagte der Tupfen und stupste den kleinen Punkt. Dieser lachte. „Siehst du?“ Der Tupfen zwinkerte und der kleine Punkt nickte. Diesmal holte er sein Büchlein nicht raus, sondern kuschelte sich an den Tupfen an.
„Erzählst du mir die Geschichte von Hüpf?“, fragte der kleine Punkt und gähnte.
„Na klar“, antwortete der Tupfen und lächelte den kleinen Punkt an, der schon die Augen geschlossen hatte.
Kleines Kapitel 2 – Hüpf der Frosch
An einem Tümpel im Wald, gleich links hinter der großen Lichtung, da wohnt Hüpf. Er ist ein sonderbarer Vertreter, denn er ist der einzige Erfinder auf der ganzen Welt, der ein Frosch ist. So erfand er zum Beispiel den Zeitungshalter zum ungestörten Lesen beim Hüpfen. Frösche lesen natürlich eigentlich gar keine Zeitung, außer Hüpf.
Überhaupt macht Hüpf lauter Sachen, die andere Frösche nicht machen. Deshalb gucken sie ihn immer komisch an, wenn sie ihm begegnen. Hüpf ist das egal, obwohl er sich manchmal schon sehr allein fühlt.
Zum Glück gibt es Flitz. Flitz ist ein Eichhörnchen und Hüpfs bester Freund. Flitz ist zwar nicht besonders helle, aber er ist sehr lieb und man kann sich auf ihn verlassen. Die meiste Zeit verbringt er damit, auf den Bäumen rumzutoben und Haselnüsse zu futtern.
Flitz konnte nicht zusammen mit Hüpf in den Tümpel und Hüpf konnte nicht zu Flitz auf die Bäume. Also trafen sich die beiden immer an Hüpfs Werkstatt am Ufer des kleinen Gewässers.
Eines Tages schwamm Hüpf mal wieder an der Wasseroberfläche auf dem Rücken. Er zog einen Kreis nach dem anderen und ließ sich dabei die Sonne auf den Bauch scheinen. Er fühlte sich so richtig wohl.
Als er sich so entspannte, hatte er die Idee für eine neue Erfindung.
„Schau mal“, sagte er zu Flitz, als sie sich bald darauf mal wieder trafen.
„Seit wann zeichnest du denn?“, wollte Flitz wissen.
„Das ist ein Konstruktionsplan“, antwortete Hüpf stolz.
„Aber Eichhörnchen gibt es doch schon“, sagte Flitz, als er sich die Zeichnung noch mal genauer ansah. „Aber eins, dass so komische Sachen anhat, kenne ich nicht.“
„Das ist ein Eichhörnchen-Unterwasser-Atmungs-Anzug“, verkündete Hüpf stolz. „Damit kannst du mit mir zusammen in den Tümpel kommen.“
Flitz guckte erstaunt. Er schaute noch mal auf das Papier und dann an sich runter. „Aber der passt mir doch gar nicht“, sagte er und kratzte sich an der Nase.
Hüpf lachte. „Wir bauen ihn natürlich so, dass er dir passt. Dazu vermesse ich dich jetzt.“
Flitz wurde oft von anderen ausgelacht, weil er nicht gleich alles verstand. Dann fühlte er sich immer sehr dumm und war traurig. Wenn Hüpf lachte, dann war das anders. Er gab Flitz nie das Gefühl ihn auszulachen. Flitz fand das vor allem, weil er Hüpf oft half und er ihn dabei nie auslachte, sondern immer dankbar war und ihn oft lobte.
So ging es also los und die beiden machten sich an die Arbeit für den Eichhörnchen-Unterwasser-Atmungs-Anzug. Zuerst vermaß Hupf seinen Freund. Der kicherte oft, weil es an manchen Stellen so kitzelte. Die beiden hatten viel Spaß.
Es gab eine Menge zu tun und es dauerte eine ganze Woche, bis sie alle Materialien zusammengetragen hatten, die gebraucht wurden. Eine weitere Woche brauchten sie, um die weichen Teile zuzuschneiden und die härteren zurechtzubiegen. Schließlich fingen sie in der dritten Woche an, alles an Flitz anzupassen und zusammenzusetzen.
Die anderen Bewohner am Tümpel fanden es mal wieder sonderbar, was der Frosch und das Eichhörnchen da so lange Zeit machten. Sie waren aber auch neugierig und so kam es, dass man in diesen Tagen öfter als sonst verschiedene Uferbewohner an Hüpfs Werkstatt sah. Natürlich nur ganz zufällig, wie sie alle behaupteten.
Endlich kam der Tag, an dem die beiden Freunde verschiedene Sachen an den Tümpel trugen. Je länger sie mit ihren Vorbereitungen für den ersten Test beschäftigt waren, desto mehr Zuschauer fanden sich ein, um das merkwürdige Vorgehen zu beobachten.
Schließlich fingen sie an, Flitz den Eichhörnchen-Unterwasser-Atmungs-Anzug anzulegen. Sie waren dabei ziemlich nervös. Einmal, weil sie gespannt waren, ob alles funktionierte und dann, weil plötzlich so viele andere zusahen.
Alle sahen sehr verwundert aus, als Flitz in voller Montur dastand, aber niemand lachte. Als Hüpf und Flitz zum Wasser gingen, schien die Menge den Atem anzuhalten.
Hüpf ging vor und tauchte kurz unter. Dann kam er wieder hoch und gab Flitz ein Handzeichen. Der nahm seinen ganzen Mut zusammen und ging langsam, einen Schritt nach dem anderen, in das Wasser. Zusammen gingen sie unter die Oberfläche und die Augen von Flitz wurden groß.
Er bewegte sich etwas unbeholfen, aber Hüpf half ihm und bald ging es besser. Das erste Mal sah Flitz alles, was im Tümpel war. Da waren ganz viele verschiedene Pflanzen, die er alle nicht kannte. Es gab auch viele Bewohner hier unten. Am lustigsten fand Flitz die kleinen Wasserflöhe, die die ganze Zeit zu tanzen schienen.
Als die beiden nach diesem ersten Testlauf wieder auftauchten und an Land gingen, fingen die Zuschauer spontan an zu klatschen. Hüpf war ganz irritiert. Noch nie hatten sie ihn ernst genommen und jetzt das.
Von da an bekam Hüpf öfter Besuch von anderen Uferbewohnern. Sie waren ganz fasziniert davon, dass Hüpf es geschafft hatte, das Eichhörnchen mit unter Wasser zu nehmen.
Es war schön, dass die anderen Hüpf jetzt besser verstanden und sie Flitz als mutigstes Eichhörnchen aller Zeiten feierten. Aber am Allerschönsten für die beiden Freunde war, dass sie jetzt noch mehr Zeit zusammen verbringen konnten und Hüpf war schon am Überlegen, wie er wohl zusammen mit Flitz auf einen Baum kommen kann.
Kleines Kapitel 3 – Ein Traum und ein Traumdeuter
Am nächsten Morgen kitzelte die Sonne den Tupfen wach und er öffnete seine Augen einen winzigen Schlitz. „Guten Morgen Sonne, guten Morgen kleiner Punkt“, sagte er noch etwas schläfrig. Der kleine Punkt sagte nichts, sondern kuschelte sich noch mal etwas dichter an den Tupfen. Die Sonne zeigte aber ein fast unscheinbares Lächeln, jedenfalls war sich der Tupfen da ganz sicher.
„Erforschen wir heute weiter?“, fragte der kleine Punkt, der gar nicht mehr schlief, sondern ganz munter war. Der Tupfen spürte, dass sein kleiner Freund etwas auf dem Herzen hatte und sich wohl deshalb noch mal an ihn gekuschelt hatte.
„Na klar“, antwortete er. „Wir haben noch eine Menge zu entdecken, da bin ich sicher.“ Er streichelte dem kleinen Punkt über den Kopf.
„Weißt du …“, fing der kleine Punkt an und machte eine kurze Pause. „Weißt du, ich finde es schön, dass wir immer zusammen sein können, ohne Wasser und Bäume, die uns trennen.“
„Das finde ich auch", antwortete der Tupfen. Aber ob Wasser, Bäume oder etwas anders, am Ende ist es nur wichtig, dass man sich bald wieder trifft und beide sich drauf freuen.“
„Und wenn man an jemanden denkt, aber gar nicht weiß, ob man ihn wieder trifft oder ob der sich auch drauf freut?“, fragte der kleine Punkt.
„Dann nennt man das Sehnsucht glaube ich. Jedenfalls, wenn man an jemanden denkt und ihn dabei vermisst", sagte der Tupfen und klang dabei gar nicht wie sonst, sondern als sei er in Gedanken.
„Vermisst du sie?“, fragte der kleine Punkt grade raus.
„Ja“, sagte der Tupfen. “Ich denke oft an sie und ich vermisse sie dabei. Wie bist du darauf gekommen?“, wollte der Tupfen wissen.
„Weil du sie gestern so angesehen hast. Ich mag sie ja auch. Aber ich habe Angst, dass sie Wasser oder Baum wird.“
„Das verstehe ich. Aber weißt du, statt als Hindernis, stelle ich sie mir vielmehr als eine Bereicherung vor. Wie sollte ich denn auch ohne dich klarkommen?“, sagte der Tupfen und nahm seinen Freund fest in die Arme. „Du wirst immer wichtig sein in meinem Leben", versicherte er ihm und der kleine Punkt sah kurz, wie sich ein rötlicher Schimmer über den Tupfen bewegte.
„Es ist doch wegen meines Traumes“, sagte der kleine Punkt, als der Tupfen ihn wieder losgelassen hatte und sie sich ansahen. Der Tupfen erwiderte nichts, sondern guckte seinen Freund erwartungsvoll an.
„Ich war bei Hüpf und er hat für mich auch so einen Anzug gehabt. Wir waren zusammen im Tümpel und dann kam Flitz. Ich hab mich gefreut, aber Flitz gar nicht. Hüpf war deshalb traurig und ich war auch traurig. Bestimmt war Flitz auch traurig, weil er dachte, Hüpf will jetzt lieber mein Freund sein. Aber wir konnten ihn nicht fragen oder etwas erklären, weil er sich plötzlich aufgelöst hat, also er ist unsichtbar geworden. Dann ist er wieder sichtbar geworden, aber er war ich und dann war ich plötzlich er. Ich stand da, wo er vorher stand und dann sah ich dich und sie und ich wusste nicht, was ich davon halten soll. Dann bin ich wach geworden“, spulte der kleine Punkt schnell runter.