Wie würde die Bevölkerung reagieren?

Ein Thema, in dem eigentlich alle Experten sind… weil jeder von uns Teil der Bevölkerung ist…

In meinem Krimi 3 werden, immer im Abstand von einer Woche, mehrere Leiche gefunden. Der Täter droht, weiter zu töten und erst aufzuhören, wenn sich eine bestimmte Person selbst umgebracht hat.
Diese Bedingung wird bekannt - die Region ist in Aufruhr, die Leute trauen sich nach Einbruch der Dunkelheit kaum mehr aus dem Haus, denn die Opfer sind nicht gezielt ausgewählt, sondern einfach junge Menschen, die dem Täter über den Weg liefen.

Derjenige, der sich selbst töten soll, ist ein Mann von 75 Jahren und an seinem Wohnort unbeliebt, weil „Typ Blockwart“, der Falschparker anzeigt etc…

Wie wird die Bevölkerung reagieren?
Was wird in den sozialen Medien abgehen?
Werden Leute fordern, dass der Mann sich suizidiert, damit das Töten ein Ende hat? Immerhin ist er schon alt…
Wie wird in den betroffenen Ortschaften das „Dorfgespräch“ urteilen?

Bin gespannt, was Ihr dazu meint…

Die Story kommt mir bekannt vor.
Der Besuch der alten Dame.

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Den Dürrenmatt hab ich vor 3 Jahrzehnten gelesen und kann mich gar nicht mehr an die Handlung erinnern :slight_smile:
Muss ich wohl nochmal reinschauen…

Der Besuch der alten Dame
Sitzengelassene Mutter verlässt nach einem Meineid des leiblichen Vaters verarmt und entehrt die Heimat, kehrt als Milliardärin mit einem Sarg zurück und setzt ein Kopfgeld auf den Vater des Kindes aus. Der Kindesvater stirbt an einem angeblichen Herzinfarkt bei einer Bürgerversammlung als plötzlich das Licht ausging.
Der Bürgermeister erhält eine Milliarde und die alte Dame reist ab.
Für Geld lässt sich alles kaufen. Das war Dürrenmatt´s Thema.

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Also doch ausgewählte Opfer. Der Satz stimmt so nicht.

Die Ähnlichkeit stimmt. Aber in der Geschichte ist es ein kleinerer Ort. Die Bewohner werden vom Geld geblendet und ziehen an einem Strang.
Hier geht es um eine Region. Es wird keine Einigkeit geben. In den sozialen Medien werden ihn einige zum Selbstmord auffordern, andere werden dagegenhalten. Die Polizei wird ihn in Schutzhaft nehmen.

Da sehe ich ein Problem in der Geschichte. Bei Dürrenmatt wird ein Kopfgeld ausgesetzt. Die alte Dame will jemanden tot sehen, will sich aber die Hände nicht schmutzig machen. Das ist nachvollziehbar.
In deiner Geschichte macht sich eine Person mehrmals die Hände schmutzig, nur um den Blockwart tot zu sehen. Wäre einfacher, nur den Blockwart zu töten. Für mich funktioniert das nicht wirklich.

In der Realität würde gegen den Mann Mobbing betrieben, den ihn vielleicht in den Selbstmord treibt. Falls er in den sozialen Medien unterwegs wäre.

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Mit dem ersten Satz hast Du Recht - es sind keine speziellen Personen, doch sie eint, dass sie quasi „ihr Leben noch vor sich hatten“.
Und die Kernfrage des Ganzen ist tatsächlich: Warum bringt der Täter den Kerl nicht einfach um, statt seinen Selbstmord mit dem Töten Unbeteiligter erpressen zu wollen?
Das ist der Knackpunkt, dem meine Ermittler auf die Spur kommen müssen, um den Täter zu fangen. :slight_smile: Es gibt diesen Knackpunkt und der lässt das Handeln des Täters aus seiner verqueren Sicht logisch erscheinen.

Was mich beschäftigt ist eben die Frage, was in den sozialen Medien dazu abginge. Wie stark der „Blockwart“ zum Selbstmord gedrängt würde.
Darum die Frage hier. :slight_smile:

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Lokale Bevölkerung:

  • Beim ersten Mord werden die mit einer Beziehung zum Opfer natürlich geschockt sein und Trauer empfinden, der Rest wird sich wohlig gruseln und tratschen. Typische Aussagen vermutlich “Haben Sie schon gehört?”, “Schrecklich, sowas!” und “Das so etwas bei uns passiert!”
  • Beim zweiten Mord wird der Tratsch Warp zwei erreichen. Auch der letzte Einsiedler in der entlegensten Waldhütte wird davon gehört haben. Moralische Empörung über den Verfall der Sitten (“Früher gab’s sowas nicht!”, “Zustände wie in [Großstadt deiner Wahl]”, schlechte Einflüsse (Internet, “Killerspiele”, Gottlosigkeit, Ausländer) und unkonkrete Verdächtigungen ("War bestimmt so ein Drogensüchtiger, Rocker, Asylant, usw.) werden hochkochen.
  • Nach dem Bekennerschreiben des Täters und nachdem das Muster “junge Menschen” bekannt wurden:
  • Druck auf Polizei und Lokalpolitik
  • An den Tatorten werden Blumen und ähnliches niedergelegt
  • Interviews als “betroffener Einwohner”, Freund, Nachbar oder Verwandter werden gegeben. Schwerpunkt dabei, was für ein guter Mensch das Opfer war, Betroffenheit, Kritik an Polizei.
  • Misstrauen und Wachsamkeit wächst
  • Sicherheitsmaßnahmen werden verstärkt. Bessere Schlösser, Überwachungskameras, Alarmanlagen.
  • Bevölkerung verschanzt sich bei Nacht in ihren Häusern
  • Besorgte Eltern werden ihre Kinder überfürsorglich behandeln und den Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen zunehmend auf die Nerven gehen. Stoff für Konflikte.
  • Getuschel und Dämonisierung des Blockwarts (“War schon immer ein komischer Kauz”, “Ich hab mal gesehen, wie er im Morgengrauen aus dem Wald kam, wer weiß, was der da getan hat!”, “Was hat der auf dem Kerbholz, dass jemand so hinter dem her ist?”)
  • Manche werden bis auf weiteres flüchten (Urlaub, Verwandtenbesuche, Umzüge)
    • Bei weiteren Morden Verschärfung der Reaktion

    • ggf. Übergriffe auf vermeintlich konkrete Verdächtige

    • Druck auf den Blockwart wächst, Gerüchte verdichten sich zu “Wahrheiten”

    • Diskussionen über seinen Wert (“Der hat sein Leben doch schon gelebt!”, “Um den ist es nicht schade!”, “Wäre er nicht so ein Feigling…”)

    • ggf. Bildung einer Bürgerwehr, weil “Die Polizei tut ja nichts”

Medien

  • Beim ersten Mord Bericht in der Lokalpresse, beim zweiten Mord einige Berichte in überregionalen Zeitungen
  • ab dem dritten Mord ist es ein heißes Thema in allen Zeitungen, Fernsehen, soziale Medien. Schlagzeilen mit “Serienmorden” und “Serienkiller”.
  • Nach dem Auftauchen des Bekennerschreibens ganz großer Bahnhof. Ab dann ist es eine Situation, über die dauernd berichtet wird. Presse und Fernsehen vor Ort, das Haus des Blockwarts wird belagert, in seiner Vergangenheit herumgeschnüffelt und Spekulationen angestellt. Interviews mit Kriminalpsychologen und sonstigen Experten. Historische Vergleiche mit anderen Serienmorden.
  • In den sozialen Medien werden sich die Kommentare radikalisieren. Jede Gesinnung wird ihren Lieblingsgegner als Täter ausmachen, unappetitliche Vorschläge zum weiteren Umgang mit dem Blockwart werden gemacht, Druck auf Politik und Polizei steigt ins Extreme.

Polizei

  • wird zunehmend unter Erfolgsdruck durch Bevölkerung und Politik kommen.
  • ggf. Austausch der mittleren Leitungsebene/der Ermittler
  • Einschaltung übergeordneter Behörden
  • Belastung wird ansteigen, weil panische Mitbürger alle möglichen “verdächtigen Beobachtungen” melden werden, denen man nachgehen muss, wie absurd sie auch sind, um nicht hinterher in der Zeitung zu lesen, dass eine Spur nicht verfolgt wurde.
  • ggf. die Überlegung oder auch “zarte Hinweise” von oben, möglichst schnell ein Bauernopfer zu liefern, um den Druck der Masse zu lindern.
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Ich habe alle Bände der “In Death”-Krimiserie von J.D.Robb gelesen, die meisten davon mehrfach.
Ich bin ziemlich sicher, die Polizistin Eve Dallas würde den Täter wie folgt einschätzen:
“Der Täter tötet gerne junge Menschen. Das Töten macht ihm Freude und gibt ihm einen Kick.
Der Blockwart mag der Auslöser für den ersten Mord gewesen sein, inzwischen steht aber das Morden selbst für den Täter im Vordergrund.
Zusätzlich will der Täter öffentliche Aufmerksamkeit.
Der Täter wird mit dem Morden nicht mehr aufhören, dafür gefällt es ihm viel zu gut.
Falls der Blockwart stirbt und damit als Vorwand für die Morde wegfällt, wird der Täter sein Muster ändern, aber mit dem Morden fortfahren.
Dann wird voraussichtlich das Opferprofil - junge Menschen - gleich bleiben, der Täter aber mit neuen Mordserien an anderen Orten zuschlagen. Wieder auf eine Art, die ihm viel öffentliche Aufmerksamkeit bringt.”
Fazit: Würde der alte Mann Selbstmord begehen, würde der Mörder abtauchen und woanders weitermorden, was mehr statt weniger tote junge Menschen zur Folge hätte.

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Wow, das ist mal eine ausführliche Analyse. Danke :slight_smile:
Und sie zeigt tatsächlich all die Elemente auf, um die es im Buch gehen MUSS - und darum überlege ich noch, ob mich der Stoff nicht irgendwo mittendrin völlig kirre macht, weil so viele Ebenen (Polizei, Medien besonders Social Media, Bevölkerung, Täter, Opfer, „Blockwart“) ihre erforderliche Erwähnung finden müssen.
Es steckt ja etwas ganz Spezielles hinter den Taten, das noch eine Hauptebene erforderlich macht.

Hach, wird nicht einfach das Ganze!

Da abzuwägen, was kurz gefasst werden kann, ist heikel!

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Einfach kann jeder.

Zunächst würde ich da gar nicht planen. Ich würde alles hinschreiben, was mir zu den Einzelteilen einfällt und erst DANN abwägen. Ähnlich wie beim Film. Die haben für 4 Stunden Material, das Endprodukt ist dann üblicherweise 90 Minuten lang.

Vielleicht ändert sich der geplante Fokus auch durch die Figuren und deren sagenumwobenes Eigenleben. Lass der Fantasie freien Lauf. Wie sagt man so schön in der Kunst? Führen Sie nicht den Bleistift, lassen Sie sich vom Bleistift führen.

Hauptebene skizzieren, Nebenstränge skizzieren, anfangen, sammeln, speichern. Schreiben, nicht beirren lassen. Dann sortieren, danach abwägen. Was übrig ist, kann vielleicht in einem anderen Projekt verwendet werden.

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Ich sehe in meiner Kristallkugel intensive Abende mit dem Denkbrett voraus… :smiley:

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