Wie viel Fiktion darf es sein, beim historischen Roman?

Hallo in die Runde
Mir ist klar, dass jeder historische Roman fiktiv ist. Egal wie sehr sich die Handlung an wahre Begebenheiten orientiert. Mir stellt sich die Frage, wieviel von den überlieferten Informationen notwendig sind, um sich als historisches Buch nennen zu dürfen.
Meine Recherchen aus dem 9. Jahrhundert sind stellenweise lückenhaft oder widersprüchlich.
Kann oder darf ich die Szenen so ploten, dass es für den Handlungsverlauf stimmig ist. Oder wäre es besser, diese Epoche gar nicht zu nutzen.

Es geht gezielt darum, dass die Überfälle der Normannen auf das Ostfrankenreich regional in den Annalen, Regesten, Codex… der einzelnen Überlieferungen der Klöster nicht detailliert aufgeführt sind. Meine Protagonisten sind in Kreuznach, da Bingen von den Nordmännern zerstört wurde. Ich habe bei der Recherche herausgefunden, dass König Arnulf von Kärnten nach Arras zieht, um an der Maas bei Löwen das feindliche Heer zu besiegen.
Leider fehlt mir aber in der Chronik von Arnulf die Zeitspanne vor dem Kriegszug. Sprich legte er ein Stop in der Königspfalz Kreuznach ein oder nicht.
Darf ich solche Ereignisse aus frei kreativer Arbeit schreiben?

Ich wäre dankbar für jede Anregung.

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Wenn ich mal Wikipedia zitieren darf: „Ein historischer Roman ist ein fiktionales Prosawerk, dessen Handlung in einer historischen Zeit spielt und geschichtliche Vorgänge und Personen ohne Anspruch auf wissenschaftliche Richtigkeit in belletristischer Form behandelt.“

Von daher spricht nichts dagegen, kreative, sprich frei erfundene Worte und Taten hinzuzufügen, solange du dein Werk nicht als geschichtswissenschaftlich korrektes Werk bewirbst. Man kann ja auch nicht ausschließen, dass bei den einen oder anderen historischen Quellen die tatsächlichen Begebenheiten aus politischen, religiösen, weltanschaulichen oder sonstigen Gründen geschönt wurden.

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Für mich hat Bernard Cornwell es mit seiner „Uthred“ Reihe („Das letzte Königreich“ etc.) perfekt gelöst.

Cornwell recherchiert akribisch und hat fundiertes Wissen über Zeit und Historie. Er hält sich weitgehend an die „wahre“ Geschichte. Aber wenn seine Dramaturgie es erfordert, schiebt er auch schon mal nicht gleichzeitig gelebt habende Personen zusammen in eine Zeit, oder „dreht“ ein bisschen an den realen Vorkommnissen.

ABER!

Er fügt hinten an jedem Band ein Kapitel an, in dem er erklärt, wo er eng an der Realität war, wo er unsicheres historisches Wissen mit eigener Dramaturgie aufgefüllt hat und wo er eben zugunsten des Plots einen „Realitäts-Twist“ eingefügt hat, ergänzt darum, wie es wirklich war.

So gehe ich mit dem Lesegenuss einer brillanten Geschichte aus dem Buch - UND mein Horizont und mein Wissen über das Entstehen des englischen Königreichs hat sich ordentlich erweitert.

Würde ich aufgrund von Irregularitäten empfinden, dass ich unzuverlässig Falsches „lerne“, fände ich das ärgerlich.

Oder anders: Ich widerspreche dem Passus, dass kein „Anspruch auf wissenschaftliche Richtigkeit“ in einem Buch herrschen sollte, das sich „historischer Roman“ nennt.
Oder so fair sein und gleich im Klappentext ansagen, dass man sich nur an eine bestimmte Zeit und Ort anlehnt, aber frei darin rumwurschtelt. Oder ein alternatives „Was-wäre-wenn“ einbaut, das kann dann auch interessant sein.

Ist nicht gerade der Reiz, eine solche Geschichte an einem Rahmen zu orientieren, sowohl für den Autor wie auch für den Leser?
Ich finde ja, das ist für mich „das gewisse Extra“ für einen historischen Roman.

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Ich danke euch für die Info. Das hilft mir enorm weiter beim ploten.
Danke

Das finde ich besser als nach jedem Kapitel. Ist aber Geschmackssache.

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Was spräche dagegen? Die zu Beginn einfachste Linie wäre doch, nichts zu schreiben, was aufgrund allgemein vorhandenen Wissens / üblicher Quellen widerlegbar wäre oder nicht in die beschriebene Epoche gehört (etwa Waffen, die erst viel später entwickelt wurden). Dass diese Grenze nicht zwingend sein muss, hat @Ulli mit seinem Beispiel bereits aufgezeigt.

Die meisten belletristischen Romane mit historischem Setting, die ich kenne, orientieren sich an Belegbarem, um die Pfosten einzuschlagen und füllen den Raum dazwischen mit (fiktiven) Handlungen von (tlw. fiktiven) Personen, die entweder nie existierten oder von der Geschichtsschreibung vergessen wurden. Über Königin Oda lässt sich vielleicht noch einiges herausfinden, über ihre Kammerzofe eher nicht.

Viel Erfolg mit Deinem Roman!

Gruß,
misc

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Nee, das wäre ja wieder die „Todsünde des Schreibens“ - der Leser wird rausgerissen aus der Story.
Klappentext und/oder am Ende des Buches.

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Tatsächlich lese und recherchiere ich immer, nachdem ich die Romane verschlungen habe den Inhalt des Anhangs.

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Hallo Lilly, mir scheint gerade das frühe Mittelalter als sehr geeignet, fiktive Geschichten um einige überlieferte Eckpfeiler herumzuspinnen. Die Überlieferungen sind ja häufig schon sehr widersprüchlich und je nach Verfasser und seiner „Konfession“ eingefärbt. Mönche hatten andere Interessen, Sachverhalte darzustellen, als vom Hof bezahlte Chronisten. Vieles basiert auf Hörensagen der Autoren historischer Quellen. Ein Hinweis am Ende des Romans, welche Personen/Orte/Geschehnisse auf welcher Überlieferung basieren bzw. fiktiv sind, ist dann wichtig.

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Als ich mich entschied einen historischen Roman zu schreiben, hatte ich keine Vorstellung, dass gerade das frühe Mittelalter viele offene Sachverhalte und fragen hinterlässt. Ursprünglich war die Idee im 12. Jahrhundert zu recherchieren. Je mehr ich mich in die Materie hinein gelesen habe, um so tiefer oder früher rutschte ich bis zum 9. Jahrhundert zurück.:woozy_face:
Aufgrund der Ausführungen zu meiner Frage, habe ich einen Teil meiner Unsicherheiten ablegen können. Deine Anmerkung zum Beispiel bestärkt mich sehr, dass ich mich gerade in dieser frühen Zeit freier austoben kann.
Danke für deinen Kommentar.
Lg Lilly

Hallo Lilly,

ich würde mir nicht zu viele Gedanken darum machen, also nicht, dass du dich abschrecken lässt und dann gar nicht mehr schreibst.
Wenn du nicht selbst gerade eine Geschichtsstudium zum Schwerpunktthema absolviert hast, wird der Anfang ohnehin nicht so einfach werden, da du quasi von 0 mit der Recherche anfängst.

Bei widersprüchlichen Punkten würde ich mich vorwiegend am Plot orientieren, denn du willst ja eine spannende und unterhaltsame Geschichte schreiben und kein Geschichtsbuch. Nicht missverstehen, ich plädiere hier keineswegs für Schlampigkeit! Ich würde alles so sauber wie möglich recherchieren und dabei vor allem auf eine Universitätsbibliothek setzen, die entsprechende Werke bereithält, ggf. durch Fernleihe.
Und anhand des Materials den Rahmen bauen, in dem du dich dann austobst, um einen guten Plot hinzubekommen.
Die hauptsächlichen Eckdaten sollten stimmen, die historischen Personen, der Alltag, die verwendeten Gegenstände usw. Ich glaube, hier ist die Gefahr viel größer, als bei der Frage, ob Arnulf noch mal einen Zwischenstopp einlegte oder nicht. Du willst ja eine glaubwürdige Welt aufbauen, in die man eintauchen kann.
Eine Erklärung am Buchende zu fehlenden Informationen oder was nicht belegt ist, würde ich auch empfehlen.
Natürlich kannst du dir nach der Recherche auch eine Liste machen mit Fragen und versuchen, mal jemanden mit dem Forschungsgebiet zu kontaktieren, vielleicht eine Mail, wo du dich und dein Projekt kurz vorstellst und nach einem Telefonat fragst. Die Leute reden gern über ihr Forschungsgebiet :grin: und geben dir weitere Auskünfte, insofern du dich gut vorbereitet hast und konkrete Fragen stellen kannst. Dabei erzählen sie dir auch Sachen, von denen du noch nichts gehört hast (eigene Erfahrung). Vielleicht findest du sogar einen Testleser …

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Danke @Gwendy dass du mir Mut zusprichst. Der Gedanke eines Rahmens indem ich meine Geschichte ansiedeln kann hilft mir.

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