Wer Lust hat, mal kurz reinzuschauen. Anregungen SEHR willkommen

„Tretet ein!“, rief Sabia Thana.
Obwohl das helle Sonnenlicht die hohen Fenster ihrer Kemenate flutete, saß sie in einem Lichtkreis brennender Kerzen. Sie blinzelte über den Rand ihres Vergrößerungsglases und lächelte, sobald sie Theda erkannte.
„Ihr habt den Ruf zum zweiten Fastenbrechen versäumt.“, sagte die Scriptora und stellte das voll beladene Tablett auf die kleine Bank am Fenster.
„Ja richtig, das Aalif. Ich hörte das Muschelhorn doch meine Pflichten …“
„…dürfen euch nicht davon abhalten, regelmäßig zu essen.“, ergänzte Theda.
„Ihr habt Recht. Und ich sollte so umsichtig sein, euch nicht zusätzliche Arbeit aufzubürden.“
Die älteste der sieben Schwestern stützte sich beim Aufstehen schwer auf den Tisch, um den klobigen Sessel zurück zu schieben. Dabei richtete sie sich leise seufzend und Stück für Stück auf, wie ein dickes in der Hand zerknülltes Blatt Papier, dass versucht seine plane Form zurückzugewinnen, sobald es losgelassen wird.
„Man sollte meinen, dass meine Knochen nach all der Zeit an diesen Folterstuhl gewöhnt wären. Doch jeden Tag fühlt es sich mehr danach an, als hätte ich die letzten Stunden nicht an meinem Schreibtisch, sondern in einem engem Fass verbracht.“, murmelte Sabia Thana auf dem Weg zum Fenster.
Theda beobachtete die wackeligen Schritte der Oberin und kämpfte mit ihrem Wunsch, der alten Frau zu helfen. Doch die ehrwürdige Mutter reagierte stets unwirsch, wurde sie von anderen an ihre Gebrechlichkeit erinnert.
Stattdessen trug Theda flugs das Mahl auf. Wohliger Duft nach heißer Suppe, frischem Brot und gewürztem Wein durchzog den Raum. Wie ein Hund schnupperte die Oberin in der Luft.
„Sabia Thaira hat sich wieder selbst übertroffen.“, stellte sie nach dem ersten Löffel fest.
Die Scriptora nickte stumm. Unschlüssig sah sie zur Tür. Doch sie wich nicht vom Fleck.
„Möchtet ihr mir beim Essen Gesellschaft leisten?“
Einladend wies Sabia Thana auf den freien Platz gegenüber. Augenblicklich sank Theda auf den Sitz. Ihre tintenfleckigen Finger zupften an einem losen Faden des Tischtuches, als suchte sie nach dem richtigen Ende im Gewirr der Möglichkeiten das Gespräch zu beginnen.
„Ich sehe, dass ihr etwas auf dem Herzen habt. Also sprecht.“
„Erinnert ihr euch an das Schreiben, von dem ich euch vor Tagen erzählte?“
„Von Sabia Thomina, oder vielmehr ihrem Neffen. Gewiss. Habt ihr es inzwischen übersetzt?“
Theda kaute auf den Worten und das Rot ihrer Wangen vertiefte sich.
„Redet nur frei, wie euch die Zunge gewachsen ist.“, ermunterte Thana die Jüngere.
„Nun denn … Zunächst fand ich in den Regalen unseres Scriptoriums nichts, dass Thominas Schreiben ähnelt. Also kehrte ich die Suche um und forschte nicht mehr bei den alten Werken sondern in den Listen. Ihr wisst schon… über Käufe, Verkäufe, Bestandslisten, Reparaturen und dergleichen.“
Thedas Federstrichmund verzog sich zu einem halben Lächeln.
„Ihr habt etwas gefunden?“
„So ist es. In den Archiven stieß ich auf einen sehr alten Vermerk über den Kauf einer außergewöhnlich seltenen und wertvollen Schrift in …“
Die Scriptora verstummte und der Federstrich glättete sich.
„In?“
„Seanndainh.“, sagte sie langsam.
Sabia Thana legte den Löffel beiseite. Mit einem Nicken bedeutete sie Theda, fortzufahren.
„Doch die aufgeführten Cista waren entweder leer oder mit anderen Schriften gefüllt. Aber versteckt unter dem sechsten Band von Thelemos Über die heilende Wirkung und Nutzung von Wasser fand ich dies.“
Aus ihrer Schürzentasche zog sie vorsichtig die grob abgerissene Hälfte eines knittrigen Pergaments hervor. Behutsam glättete sie mit dem Handteller das Fragment, bevor sie es neben Thominas Brief legte.
„Und ich glaube, nein ich bin mir sicher, dass diese halbe Seite zum ersten Buch gehört.“, die Stimme der Scriptora sank zu einem Flüstern.
„Das Buch Eleithys.“
Ehrfürchtige Stille senkte sich auf die Frauen herab. Thanas blaugeäderte Hand näherte sich zaghaft dem Fragment. Auf dem altersdunklen Holz des Tisches schimmerte seine seidige Oberfläche wie helles Gold. Ihr angestauter Atem strich über das Vellum, dass leise flüsternd antwortete, als könnten die roten Lettern und die steilen Schriftzeichen zu ihnen sprechen.
„Nicht alle alten Schriften gingen in den Wirren tausendjährigen Krieges verloren.“, brach Theda endlich das andächtige Schweigen.
„Sie gingen nicht verloren. Nicht eine einzige.“
Thanas altersmilder Blick klärte sich. Eine senkrechte Falte spaltete das feine Gespinst des Lebens auf ihrer Stirn.
„Sie wurden verboten und systematisch vernichtet. Ebenso wie das Buch der Bücher und die Sprache, mit der es zu uns spricht.“
„Vernichtet?“, wiederholte Theda.
„Aber warum?“, fuhr sie fassungslos fort.
„Gewöhnlich ist es der Sieger, der Geschichte für die nachfolgenden Generationen schreibt. Doch in diesem Fall…“
Die Mutter der Wahrheit verstummte. Müde rieb sie ihre brennenden Augen.
„War das Werk beendet, als der tausendjährige Krieg kaum mehr als einen milden Schatten voraus warf.“, fuhr sie endlich fort.
„Dennoch ist es Frevel, geschriebenes Wort zu vernichten!“, rief Theda mit zornroten Wangen.
„Ihr seid Scriptora. Wisst ihr nicht, welche Macht den Schriften innewohnt?“
„Im Vergleich zu einem Krieg?“
„Wenn kein Zeitzeuge mehr lebt, wäre das Buch Eleithys, nicht nur die einzig bleibende Wahrheit. Es wäre der Beweis dafür, dass der Untergang der Vollkommenen vorherbestimmt ist! Und es hätte unseren Sieg als Lüge entlarvt.“
„Wie meint ihr das?“
„Glaubt man dem ersten Buch, dann ist dieser Krieg längst nicht vorbei.“
„Ihr wisst, was im Buch Eleithys steht? Habt ihr es gelesen? Sprecht ihr die alte Sprache?“, sprudelte Theda hervor.
„Nein.“, sagte Thana, und das Bedauern in ihrer Stimme trübte das kurze Glück, wie eine Wolke, die sich vor die Sonnen schob.
„Ich weiß nur, was überliefert ist. Von einer Oberin an die nächste, Wort für Wort in das Ohr der nächsten Generation.“
Sie nahm Thedas gesprenkelte Hand in ihre.
„Doch dies ist ein Bild mit unendlich vielen Details, dass vielthundertmal abgezeichnet wurde. Darin liegt die wahre Macht geschriebener Worte: Sie überdauern die Erinnerung unveränderlich, unverrückbar, unerbittlich.“
Gemeinsam betrachteten sie das schimmernde Vellum und die Abschrift des Briefes.
„Die Suche nach der Wahrheit ist ein hinreichend steiniger und zuweilen gefährlicher Weg, Sabia Theda. Und wie ihr seht, ist das Ergebnis am Ende meines ganzen Lebens dürftig.“
„Dann hofft ihr nicht mehr, das Buch Eleithys zu finden?“
„Nein, diese Hoffnung ist vergebens.“, sagte die Oberin.
Ein Sonnenstrahl durchbrach das dichte Wolkenband und blinzelte durch das dicke Fensterglas.
„Mit einem Lächeln fällt ihr ein strenges Urteil über euer Leben, Sabia Matar.“, sagte Theda verwundert.
„Mag das Buch der Bücher vernichtet sein, so gibt es doch Fragmente, wie dieses und hier, mitten unter uns einen Kreis, der Seanndainh nach all der Zeit noch immer lesen und schreiben kann.“
„Das bedeutet …“
„Dass wir nicht verloren sind.“, sagte Thana.
„Aber was hat Thominas Neffe mit all dem zu tun? Er schien mir doch sehr gewöhnlich. Ein Mann wie tausend andere. Geltungssüchtig, gierig und bauernschlau.“
„Sagte er, woher dieses Schreiben stammt?“
„Nein.“
Nachdenklich nippte die Oberin an ihrem Wein.
„Bitte vertraut mir eure Schätze an.“
Wortlos überreichte Theda die Schriftstücke.
„Danke mein Kind. Vorerst behalten wir Stillschweigen über diese Angelegenheit.“
„Natürlich Sabia Matar.“

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Ich mag die Dialogstruktur. So wird Story erzählt, ohne zu sehr zu beschreiben. Einige Formulierungen empfinde ich als etwas „überstrapaziert“, aber das mag täuschen, weil es ja der Auszug aus etwas Größerem ist.
Sehr mystisch gehalten, soll es ja wohl auch. Mir fehlt der Kontext, um die Szene zu bewerten, aber der Dialog ist stilistisch flüssig und gut.

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Ja, ist ein Kapitelauszug.
Bitte schreib mir, was du überstrapaziert findest.
Ich bin nämlich unsicher.

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Hallo @Antje6,

wenn es nicht durch ein Konzept der Geschichte entstanden seien sollte, dann sind mir die Namen viel zu ähnlich. Das sollte man vermeiden. Dir sind die Figuren und deren Unterschiedlichkeiten klar, aber als Leser vermischt sich das dann schnell zu »Ach, irgendeine der Damen mit TH…«.

Schwere Fälle:
Thana
Theda

Minderschwere Fälle:
Thomina
Thelemos (Ort oder Autor, aber eben auch ein Eigenname mit TH).

Wenn das also nicht aufgrund einer Logik innerhalb der Geschichte so seien muss, würde ich empfehlen, dass du die Namen klarer unterscheidbar machst durch Buchstabenwahl und auch Länge der Namen.

PS:
Die Szene ist ja wirklich sehr dialoglästig und das liest sich auch flüssig. Um wirklich Tipps zu geben oder ggf. sogar echte Probleme am Text zu entdecken, wären mehr Szenen erforderlich.

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Anmerkungen:
Zunächst einmal: kein Grund für Unsicherheit! Die Szene ist gut und atmospherisch.
Tatsächlich tue ich mich immer mit zu konstruierten Fantasy-Namen schwer - aber natürlich ist das Teil des Genres. Das gilt für alle Fantasy-Begrifflichkeiten. Das war bei Tolkien übersichtlicher: da war eine Pfeife noch einfach eine Pfeife und Tabak war Tabak.

Formulierungen die ich etwas „too much“ finde (weil abgenutzt):
-ehrwürdige Mutter (sein in Dune jeder dritte Satz mit Benegesserit usw war, bin ich da etwas komisch)
-tausendjähriger Krieg (ich finde bildhafte Kriege schöner „die Schlacht der fünf Heere“, „der Krieg um das Tannhäuser Tor“. Irgendetwas, das Assoziationen schafft ohne Inhalte preiszugeben. Als ich in den 70ern den Begriff Klonkriege hörte, war er ohne Inhalt, aber voller Vorstellungen)
-die alte Sprache (alles hat einen Namen, selbst eine alte Sprache)

Aber insgesamt machst Du mehr richtig, als ich nennen kann. Der Dialog funktioniert. Er bringt Informationen und keinen Infodump. Aber von Tominas Neffen wird ohne Namen gesprochen. Warum? Wäre es nicht einfacher von Mirandus oder so zu reden?

Inhaltlich kann ich das ja leider nicht einordnen, aber die Szene funktioniert als solche. Und sie ist flüssig und macht Bilder im Kopf - also Kopfkino. Das ist sehr gelungen.

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@Stolpervogel
Ja das mit den Namen verortet die Geschichte. Ich werde schauen, ob ich die Namen „unähnlicher“ machen kann.
Wenn die Stränge zusammenkommen, gibt sich die „Häufung“ von selbst. Da die „Völker“ sozusagen alle dieselbe Sprache sprechen und denselben Ursprung haben, hielt ich das mit den Namen für einen Weg, die Völker voneinander zu unterscheiden.

Ok, dann würde ich die Länge der Name so unterschiedlich machen, dass auf den ersten Blick klar ist, wer es seien müsste.

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Lieben Dank für das Feedback.
Ich werde sicher Einiges annehmen, besonders die Titel/ der Krieg. Du hast Recht, es klingt zu allgemein. Ich könnte mir etwas Treffenderes überlegen.

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So wirds gemacht

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