Wenig Trost mit süßsauer

Gute Verstecke, Schlechte Verstecke

Ich bin ein neunjähriges fröhlich verträumtes Mädchen in kurzen Hosen und luftigen Hemdchen mit kurzgeschnittenem Haar und in Schuhen, die ewig drücken, so dass ich am liebsten barfuß laufe. Es ist schon fast Sommer. Die Sonne glitzert durch meine bunten Glasbugger in allen Farben, wenn ich sie mir ganz nah vors Auge halte. An den schulfreien Tagen sind wir alle zu Hause. Da wird es mir in der Wohnung zu eng. Ich teile mir mit meinen beiden jüngeren Schwestern ein schmales Zimmer.

Wenn ich von meinem Bett auf meinem kleinen Schreibtisch steige, der unter dem Fenster steht, kann ich die ganze Gegend hinter dem Haus überblicken. Bis zu den Bahngleisen der Güterbahn. Wenn dort die Züge mit den leeren Waggons durch die Nacht fahren, dann scheppert, rasselt und donnert alles gleichzeitig. Ich sehe hinaus und freue mich, dass die Leute vom Grünanlagenamt es wiedermal nicht geschafft habe, die große weite Wiese abzumähen. Dann packe ich mir meine kleine aufgerollte Decke unter den Arm und folge dem Ruf meiner Freunde:“Kommste runter?!“

Strahlender Sonnenschein lockt uns, klarer blauer Himmel. Manchmal brummt dort ein Flugzeugpropeller in weiter Höhe ganz entfernt. Und ganz nah brummt an meinen Ohren ein dicker Junikäfer vorbei und viele kleine andere Wesen werden surrend aufgeschreckt, als wir durch die hohe Wiese laufen, bis wir weit genug vom Weg entfernt sind. Da lassen wir uns und alles gleichzeitig wie auf Kommando fallen, Kaum angekommen, stürmen sie auch schon wieder los. Jeder in eine andere Richtung. „Komm, wir spielen Verstecken!!“

Außer ich. Ich lege mich ganz flach auf den Rücken, als versinke ich mit der Decke im hohen Gras. Da ich die Hochhäuser nicht mehr erkennen kann, bin ich mir sicher, dass man mich auch nicht mehr finden kann.

Ein anderes Mal versteckte ich mich in meterhohen Büschen.
Das war auch so ein warmer Sonnensommertag in den Ferienspielen bei unserer Lehrerin Frau Winterfeld im Garten in der Gartenkolonie. Wir holen den Schlauch aus dem Geräteschuppen, schließen ihn an den Wasserhahn und drehen ihn auf. Damit spritzen wir uns mit lautem Geschrei und Gekicher nass und rennen durch den gluckernden Wasserstrahl. Bis ringsum die kleinen Erdbeerbeete, Apfelbäumchen und Johannisbeersträucher und die kleine Wiese mit dem Buddelkasten fast unter Wasser stehen. Genug von der Erfrischung laufen wir wild und fröhlich lachend in den Pfützen herum, bis die Sonne wieder alles trocknet. Vor dem Mittagessen spielen wir Verstecken. Einer zählt bis zehn „eins, zwei, drei, vier Eckstein, alles muss versteckt sein….“ und alle sind verschwunden. Wo kann ich hin?

Da sehe ich die herrlich hochgewachsenen Büsche mit ihrem grünen Laub am Zaun. Sie winken mich zu sich. So riesig und ein ideales Versteck für mich. Ganz tief hocke ich mich in sie hinein. Nur bekleidet mit einem bunten Sporthöschen. Blanke Beine. Blanke Arme. Oberkörper nackt und barfuß. So sitze ich da, wie ein gejagtes Häschen und warte ganz still, die Arme um die gehockten Knie geschlungen und das Kinn aufgestützt. Ich will gewinnen. Sie finden mich nie.

Plötzlich fängt es am ganzen Körper an zu brennen und zu jucken. Überall. Auf dem Bauch, auf dem Rücken, an den Gliedmaßen, sogar im Gesicht. Was ist passiert? Hier sind keine Ameisen. Aber welches Tier hat mich befallen. Alles brennt und es bilden sich viele kleine rote Bläschen. Ich schwitze auf einmal so sehr. Es tropft mir von der Stirn. Ich sage mir: bleib sitzen.

Endlich. Meine Erlösung naht. Ich höre sie rufen. „Petra, wo bist du? Komm raus. Du hast gewonnen. Wir spielen nicht mehr.“ Blitzschnell spring ich auf. Ich zapple und strample wie ein Hampelmann. Als ich angelaufen komme und sie mich sehen, übersät mit roten Flecken und Pusteln und wie ich mich hektisch kratze und wie ich ratlos blicke, fast weine, da reißen sie ihre Arme hoch und halten ihre Hände vor den Mund. Sie starren mich entsetzt an.

Die Lehrerin stürmt auf mich zu. „Wo warst du?“ Ich stottere unsicher: Da drüben in den hohen Büschen. Was? Dort drüben in den Brennnesseln? . Sie zeigt dorthin, wo ich eben noch drin saß. Sie packt mir sofort eine weiße kühlende Quarkpaste auf die heißen brennenden Körperstellen. Danach wickelt sie mich in nasskalte Laken. Den restlichen Nachmittag halte ich mich in der schattigen Gartenlaube auf. Langsam beruhigt sich meine Haut. Trotzdem bin ich heilfroh, weil ich um das Mittagessen herum komme. Wie können denn saure Eier gleichzeitig süß schmecken. Dann muss ich doch noch schlucken. Frau Winterfeld meint es bestimmt nur gut mit uns und will mich trösten mit einer roten Früchtesuppe, zu der wir am Vormittag die Früchte im Garten gesammelt hatten. Leider schwimmen in der Suppe gallartartige Blubber herum. Das ist Sago, erklärt meine Lehrerin. Nur das mich diese glasigen Blasen an meine roten Pusteln und Bläschen erinnern, überall auf meinem Körper verteilt, die immer noch jucken und leicht brennen.

So komme ich an diesem Tag hungrig und „verbrannt“ nach Hause. Gebranntes Kind scheut Brennnesseln.

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