Wandel der Sprache

@tomP Das mit dem Fräulein kenne ich genau so.

Fräulein kenne ich hauptsächlich aus den Zeiten mit Opa im Café oder Restaurant, wenn er die Aufmerksamkeit der Kellnerin mit einem gebieterischen “Frollein!” auf sich ziehen wollte. :slight_smile:

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Ich habe vor einigen Jahren eine Reportage über das Fräulein Soundso schreiben dürfen. Die längst pensionierte Leiterin einer Kleinstadt-Schule war damals gerade 90 geworden. Ich war schon sehr erstaunt mit welcher Hochachtung jeder, bei dem ich mich erkundigte, über das Fräulein Soundso sprach. Es spielte überhaupt keine Rolle wie alt oder wie jung die Befragten waren. Seit ich anschließend ein Interview mit einer der beeindruckendsten Frauen führte, die ich je kennenlernen durfte, klingt „Fräulein“ für mich eher wie ein Ehrentitel.

Dazu muss man wissen, dass 1946, als das Fräulein Soundso in den Schuldienst eintrat, zumindest in Teilen Deutschlands noch das Lehrerinnen-Zölibat galt. Fräulein war also, z. B. für Lehrerinnen, eine durchaus gängige Anrede. Zum Glück gibt es das Zölibat für weibliche Lehrkräfte nicht mehr und auch auf das „Fräulein“ kann ich gut verzichten. Was mir Sorgen macht ist, dass ich heute immer seltener Menschen treffe, wie das Fräulein Soundso. Das ist aber nur mein persönlicher Eindruck.

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Heutzutage höre ich das “Fräulein” nur noch in der Kindererziehung, als weibliches Gegenstück zum “Freundchen”.
Erhobener Zeigefinger, strenger Blick, drohender Tonfall; dann reicht das eine Wort, damit das Kind sofort spurt.

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Hier höre ich das “Frollein” auch nur dann, wenn ich es meinem Hund hinterher werfe, weil sie meint, mal wieder austesten zu müssen, ob Frauchen (ja ja, ich weiß ^^) ihr Hirn beim Gassi eingeschaltet hat oder schon im nächsten Roman steckt und nichts mitbekommt.
Je öfter ich mir das Wort Fräulein vorsage, desto dämlicher hört es sich an, abgesehen davon, dass ich dabei auch immer an Fräulein Rottenmeier denken muss.
Für mein Empfinden wäre übrigens nicht Herrlein das Gegenstück, sondern Männlein. Dem Herrlein müsste das Dämlein gegenüber stehen. Ist aber, wie gesagt, nur mein Empfinden.

Um von dämlichen Männleins und herrlichen Fräuleins mal abzulassen, komme ich mit der heutigen Sprache nicht immer ganz klar. Es gibt inzwischen so viele neue Begriffe und Abkürzungen, dass ich mindestens zweimal am Tag was nachgoogeln muss (auch so ein “neues” Wort), um zu verstehen, was da gerade in dem Facebook-Beitrag oder Instagram oder im Forum gesagt worden ist. Da fühle ich mich älter und weltfremder, als ich es eigentlich bin.

In meinen Romanen versuche ich das eigentlich außen vor zu lassen. Weil bzw. wenn es sich nicht für mich passend anhört. Aber ich meide auch Fremdwörter, weil ich die in aller Regel auch erstmal nachschlagen muss und mich hinterher nur frage, warum man das nicht einfacher ausdrücken konnte (außer natürlich, die Figur erfordert eine solche Sprache, aber das würde für mich nur noch mehr Recherchearbeit bedeuten, deshalb lasse ich das lieber ^^)

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Deswegen lese und schreibe ich gern Geschichten von vor 1945 … :wink:

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Ich möchte abschließend noch den Blick auf eine andere Besonderheit werfen, die wir alle größtenteils unwidersprochen hinnehmen.

In Bad Kreuznach hier in der Nähe redet man von den “hübschen Mäden”. Wenn das für euch komisch klingt, sind wir einer Meinung, wobei ein Dialekt meistens für alle komisch klingt, die ihn nicht sprechen.

Wenn ich diese Diskussion um Fräulein und Herrlein höre, verstehe ich natürlich, dass es gerade besonders angesagt ist, irgendwo nach einem Haar in der Suppe zu suchen. Bei Mädchen und Jungs nehmen wir das aber auch hin. Oder hat sich jemals jemand darüber aufgeregt, dass man nicht Jünglein sagt? Oder will jemand wirklich das “Mäden” aus Bad Kreuznach übernehmen?

Sprache ist halt etwas gewachsenes und hat viele alte und neue Nebenbedeutungen. Nicht immer bedeutet ein Wort das, was es eigentlich aussagen würde, wenn man es auf die Goldwaage legen würde. Manche Worte haben auch eine sprachliche Entwicklung erfahren und bedeuten das komplette Gegenteil als vor 100-150 Jahren - z. B. toll. Selbst das böse F-Wort kommt wohl einfach nur vom Waffenreinigen, wenn man so ne Bürste durchs Rohr zieht.

Und Sprache wird auch je nach Kultur des Adressenten unterschiedlich interpretiert werden.

BTW: Hat sich eigentlich jemals ein Herrchen oder Frauchen wegen dieser Bezeichnung zurückgesetzt gefühlt? Hat nicht Martin Rütter mal gesagt, dass sich Hundehalter gegenseitig nicht mit ihrem Namen, sondern mit dem Namen des Hundes vorstellen? “Hallo, ich bin das Herrchen von Fiffi.”

Eigentlich darf man doch nicht einmal schreiben: “Du bist ein toller Mensch.”

Ich glaube, das beste, was man tun kann, ist einen für sich selbst funktionierenden Stil zu finden. Einen Stil, den man gegenüber anderen vertreten kann und sich auch noch im Spiegel anschauen will. Unsere Gesellschaft ist zu komplex, um es allen recht zu machen.

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Ich verfolge hier einen spannenden Gedankenaustausch.
Auch wenn ich das Fräulein blöd finde, aber ich verstehe es, wenn jemand den Begriff verwendet. Für mich ist der Begriff alleine noch keine frauenfeindliche Formulierung, die würde eher im Kontext auch in Abhängigkeit der Zeit in der sie verwendet wird, entstehen. Ich bin aber auch nicht der Meinung, dass Pippi Langstrumpfs Negerkönig aus den Büchern verbannt werden muss.
Sinnvolle Wörter, wie Schreibende, Lesende, Hörende würde ich klar den Leser/innen vorziehen. Ich benötige für mein Selbstverständnis keine eigene Sprachlichkeit.

Sprache ist Entwicklung und Spiegel der Gesellschaft.
Wundert es, dass so viele negative Worte hinzukommen?

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Aber ich würde auch nicht wollen, dass das geändert wird. Ebensowenig wie in den “Dolly”-Büchern von Enid Blyton. In den neueren Ausgaben haben sie Fräulein Pott durch Frau Pott ersetzt. Das nimmt für mich den ganzen Charme der 50er Jahre weg, aber genau der hat mir gefallen. Wenn ich so ein Buch lese, in dem von einem Fräulein Pott die Rede ist, dann erwarte ich auch keine Handys und Computer. Das heißt, dass das altmodische Wort Fräulein die Geschichte in den richtigen zeitlichen Kontext platziert. Ich betrachte es dann quasi als historischen Roman.

Ich finde diese Wörter überhaupt nicht sinnvoll. Sobald ein Schreibender eine Pause macht und gedankenverloren aus dem Fenster schaut, ist er nämlich kein Schreibender mehr. Und ein Studierender, der auf dem Klo sitzt, ist in dem Moment auch kein Studierender.

Genauso doof finde ich den Satz aus unserem Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Nein, ist sie nicht!! Wörter, die auf -bar enden, sagen aus, dass etwas (nicht) möglich ist. Jemand, der unsichtbar ist, kann nicht gesehen werden, jemand, der unverwundbar ist, kann nicht verwundet werden. Wenn etwas machbar ist, kann man es machen.
Es wäre ja schön, wenn die Würde des Menschen unantastbar wäre, aber dann bräuchten wir diesen Satz nicht ins Grundgesetz zu schreiben. Dann wäre es ja gar nicht möglich, sie anzutasten. Der Paragraph müsste heißen: Die Würde des Menschen darf nicht angetastet werden. Keine Ahnung, warum die Verantwortlichen damals so schlecht mit der Sprache umgegangen sind.

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Da stimme ich euch hundertprozentig zu. Alte Bücher sind Dokumente aus der betreffenden Zeit, die sollte man so stehenlassen, wie sie sind, und sie nicht nachträglich verschlimmbessern.

Wenn *heute *Romane geschrieben werden, die in früheren Zeiten spielen, müssen sich die Autoren natürlich Gedanken darüber machen, welche Sprache sie verwenden wollen.
Mein Standpunkt dazu ist, dass entweder durchweg alles in der damaligen Ausdrucksweise geschrieben sein muss, oder alles in heutiger Sprache. Ich kann es überhaupt nicht leiden, wenn der Autor sich offenbar eine Liste von nur 10 alten Wörtern erstellt hatte, die dann in dem ansonsten neusprachlichen Text ständig (und ständig und ständig) vorkommen. Sätze wie “Das alte *Fräulein *war 1910 krass genervt von den Teens” oder “Die Lady war 1812 überaus geil auf den sexy Hintern von Lord Sowieso” bringen mich total auf die Palme.

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Am 10. Dezember 1964 (ich war damals neun Jahre alt) hielt Dr. Martin Luther anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises seine Dankesrede.

https://www.nobelprize.org/prizes/peace/1964/king/acceptance-speech/

In dieser Rede benutzt er dreimal unüberhörbar das N-Wort und auch wenn ich es in diesem Zusammenhang und mit diesem Bezug durchaus im Klartext nennen könnte, will ich es nicht tun, in Respekt vor Martin Luther King’s Anliegen, und denen, die heute von rassistischer Diskrimination betroffen sind. Ausserdem will ich mich distanzieren von jenen, die ganz andere Absichten mit diesem Sprachgebrauch heute verfolgen.

Wer hätte jemals behauptet, dass der Umgang mit Sprache, wenn auch alltäglich, einfach wäre.

mfg os|<ar

Das N-Wort mit einem g oder das N-Wort mit doppel-g? Das N-Wort mit einem g (beispielsweise bei Astrid Lindgren) war ja nie als Beleidigung gedacht. Es kommt von dem lateinischen Wort für “schwarz”, soweit ich weiß.

Das Originalzitat in Wort, Ton und Bild habe ich doch unter anderem zu Dokumentationszwecken meinem Beitrag angefügt …

Liebe @Corinna ,

Bei Dr. Martin Luther King ist von „Negroes“ die Rede, also geschrieben mit einem „g“, absurd die bloße Vorstellung, dass er das wohl als Beleidigung gemeint haben könnte …

In der westdeutschen Berichterstattung

( https://www.swr.de/swr2/wissen/archivradio/friedensnobelpreis-an-martin-luther-king-1964-100.html )

wurde dann die deutsche Übersetzung verwandt, (der sich auch der vormalige Bundespräsident Heinrich Lübke* zwei Jahre zuvor bediente), was allerdings bei mir dann schon (vielleicht unberechtigt) ein gewisses Sträuben der Nackenhaare auslöst.

Beide, Lindgren wie Lübke, haben nach meiner Meinung schon etwas anderes als ein aufgeklärtes Menschenbild vor Augen, wie ich mir den vorstelle. Beleidigen wollten sie damit niemanden, da bin ich mir sicher!

Schön, dass man im Laufe der Jahrzehnte dazulernt.

Mit freundlichen Grüßen
os|<ar

  • “Meine Damen und Herren, liebe Neger!” - angeblich 1962 beim Staatsbesuch in Liberia

Zitat Astrid Lindgren: “Alle Kinder, die weißen und die schwarzen, nahmen ihre Schurze ab und stürzten sich schreiend und lachend ins Wasser. Danach rollten sie sich im weißen Sand, und Pippi und Thomas und Annika waren sich darüber einig, daß es viel besser wäre, wenn sie auch eine schwarze Haut hätten, denn der weiße Sand auf dem schwarzen Körper sah so lustig aus. Aber als Pippi sich bis zum Hals im Sand eingegraben hatte, so daß nur ein sommersprossiges Gesicht und zwei rote Zöpfe hervorguckten, sah das auch ganz lustig aus.”