Ich freue mich, dass meine Idee mit dem Tagging hier so vielfach und aus vielen verschiedenen Perspektiven diskutiert wird.
In den letzten Tagen und beim Mitlesen dieses Threads ist in mir das Bedürfnis entstanden, meine ursprüngliche (recht simple Idee) noch einmal zu erklären.
Ich werde dies anhand meiner Arbeitsweise darstellen, vielleicht wird es dadurch verständlicher:
Ich arbeite an einer längeren Geschichte, die “in Summe am ehesten ein Roman” ist, mich seit ca. 10 Jahren begleitet, relativ lange ist und vom Typ “kompliziert und verwickelt”.
Die Geschichte ist mittlerweile 1000 Seiten lang und umfasst mehrere hundert Szenen (aus verschiedenen Gründen ist es nicht möglich, dies auf einzelne Papyrus-Dokumente aufzuteilen).
Etwas bei einer Länge von 400 Seiten reifte in mir die Idee mit den Tags, um meine Kapitel und Szenen besser zu strukturieren, zu kennzeichnen und wiederfinden zu können.
Ich verwende die Status-Symbole zum Kennzeichnen des Grads der Fertigstellung (rot = nur Überschrift vorhanden; orange = nur Stichworte; gelb = Sätze und Stichworte, aber noch kein Ganzes; grün = fertig; blau = fakultativ usw.).
Ich verwende das Denkbrett, um diverse Blöcke struktureller/inhaltlicher Arten zu verwalten und verlinke diese auch fleißig mit den Szenen. So habe ich z.B. Denkbrett-Gruppen, die heißen: “Kindheitserinnerungen”; “Erinnerungen an alte Freunde”; “Erinnerungen an erste Liebe”; “Träume”; “Berufliche Projekt”; “Geheimnisse”; “Zeitungsmeldungen” usw.
Trotzdem komme ich mit diesen Hilfsmitteln so nicht aus, da:
- Es tw. mühsam ist, die Inhalte doppelt (als Szene und als Denkbrett-Inhalt) zu erfassen, zu verknüpfen und vor allem aktuell zu halten.
- Mir keine sinnvollen Symbole einfallen, um graduelle, aber wichtige Unterschiede zu kennzeichnen (z.B. unterscheidbare Symbole für “Kindheitserinnerung”, für “Erinnerungen an alte Freunde”, für “Erinnerungen an Schulzeit” zu erfassen)
- Mit den Symbolen ist nur eine 1:1-Zuordnung möglich; selbst bei zwei Symbolen wäre nur eine 1:2-Zuordnung möglich, aber keine 1:n- Zuordnung, wie ich sie benötigen würde (z.B. eine Szene zu kennzeichnen, die “Erotik” + “Aburd” oder “Kindheitserinnerung” + “unheimlich” + “verbotene Handlung” beinhaltet).
- Handlungsstränge verwende ich auch in der Timeline, aber auch damit komme ich nicht aus, spätestens bei der Überschneidung von Handlungssträngen)
- keine Suche danach möglich ist
Mit einem Tagging-System (= eine ganz einfach frei betextbare und mit freier Farbe wählbare Text-Kennzeichnung von Szene und Kapiteln nach dem 1:n-Prinzip) könnte ich diese inhaltliche Strukturierung/Kennzeichnung vornehmen.
Zusätzlich könnte ich Tags erstellen, die über das Sprachlich-Inhaltliche hinausgehen, z.B.
- Erzählperspektive (Perspektive der Hauptfigur, Außenperspektive A usw…)
- Schreibstil (“salopp”, “geschliffen”; “dialoglastig”, “Beschreibungen”)
- inhaltliche Tiefe
- Gefühlszustand der Hauptperson (“deprimiert”, “depressiv”, “nachdenklich”, “besser drauf”)
- Sachen wie Wetter (“Wetter: Regen” oder “Wetter: Letzter Schnee” - alleine um draufzukommen, dass ich solche Kulissenelemente, die für viele Leser mehr als eine kleine Beilage sind, zu vergessen pflege)
- subjektive Zufriedenheit des Autors (“gelungen”, “fad” = etwas anderes als die Symbol für “Text fertig” oder “Text unvollständig”)
- Auf die Schnelle könnte ich mir 5 gelbe Tags machen, die von 1 bis 5 Sterne beinhalten, und meine persönliche Einschätzung der Szene dokumentieren (z.B. um Abschusskandidaten herauszufinden)
- Auf dem gleichen Weg, nur mit anderen Farben die Sterne-Rückmeldungen von verschiedenen Testlesern für einzelne Szenen dokumentieren.
Mit dem Tagging-System könnte ich z.B. auf einen Blick alle Szenen mit magerem Feedback herbeiholen; oder alle “Zeitungsartikel”, um logische Fehler/Redundanzen zu finden. Der Übersichtsgewinn wäre schon rein optisch gegeben, insofern auf einen Blick ersichtlich wäre, dass es zu große Blöcke gibt, die nur Beschreibungen beinhalten, oder drei Kapitel hintereinander, die überwiegend aus Dialogen bestehen.
Um klarzustellen, ich bin ein totaler Fan von Papyrus und hätte in Word oder dergleichen bei Seite 100 das Handtuch geworfen. Papyrus hat mein Schreiben unglaublich beflügelt - ohne die bereits bestehenden großartigen Features wäre ich nicht so weit gekommen.
Ein Tagging wäre für Leute wie mich eine Riesenerleichterung, wobei ich mir bewusst bin, dass ich von der Art und Weise meines Schreibens eine kleine Minderheit vertrete (sehr lange Geschichte; extrem verwickelt; und völlig “chaotischer” Schreiber, also alles im Kopf, Plot wächst laufend mit und wird von mir nur milde gegärtnert; viele eigenständige und bockige Hauptpersonen und mein Schreiben erfolgt praktisch nie sequentiell, sondern arbeite immer an 5 Szenen parallel, kreuz und quer…)