Von Jägern und Gejagten

Hallo,

wer die Vampirhochzeit von mir gelesen hat und „Blut geleckt“ hat, hier kommt noch mehr! Feedback nehme ich auch hier wieder gerne entgegen!

Gruß

Super Girl

2. Akt: Von Jägern und Gejagten

Ich warf einen vorsichtigen Blick aus dem eingeschlagenen Fenster. Unten schrien die nicht eingeladenen Vampirfrauen um Hilfe.
„Es sind Fremde in unserem Ort! Jagt sie fort!“
„Wir schaffen es nicht alleine. Macht ihnen Beine!“
Solche und andere Sprüche ertönten aus unmittelbarer Nähe.

Ich konnte entdecken, wie einer dieser fremden Männer die Scheune der Margots in Brand steckten. Ein anderer warf einen Dolch in meine Richtung. Ich wurde von einer kalten Hand gepackt, die mich vom Fenster wegzerrte. Der Dolch sauste durch den Salon und bohrte sich stattdessen in einen Holzbalken. Es wurde wild durcheinander geschrien, als es einem dieser Fremden gelang, unseren Pfarrer mit einem weiteren Wurfdolch zu töten, der ihn mitten ins Herz traf.

Bei dem Anblick meines ersten Toten wurde mir speiübel. Ich suchte in dem Salon voller Vampire nach meinen Geschwistern. Von Ro’Kuni fehlte jede Spur. Darum packte ich meine kleine Schwester Krystina. Ich wusste auch ohne Aufforderung meiner Mutter, dass ich sie beschützen musste!

Wie gut, dass der frisch vermählte Wolfram einen Geheimgang in der Villa seiner Familie kannte, der uns sicher nach draußen führen würde. So übernahm er kurzerhand das Kommando zum Missfallen seines Vaters. Er schickte uns Kinder voraus, die Erwachsenen sollten immer in unserer Nähe sein. Zumindest diejenigen, die er entbehren konnte. Seiner frisch vermählten Frau gab er einen Kuss auf die Wange und murmelte ein „Es wird alles wieder gut, Liebling. Dafür sorge ich, wenn es sein muss, höchstpersönlich!“

Ich blickte ein letztes Mal zu Wolfram, Mathilda und dem offenen Fenster.
„Und wer hilft unseren Mitbürgern?“, hakte ich vorsichtig nach.
„Das werden wir übernehmen!“, bot sich Johann Kyser, ein Freund meines Vaters an.
„Keine Angst, Stefanus, wir werden später nachkommen!“, rief Vater mir zu.
„Wir haben keine Zeit für Diskussionen. Rennt jetzt los, alle Frauen und Kinder durch den Geheimgang! Nun macht schon! Das ist ein Befehl!“, herrschte uns Eduard Vanhecker, der Vater von Wolfram, an.

Der Geheimgang, eine verborgene Wendeltreppe, führte uns bis in den Keller der Vanheckers. Von der Ferne hörte ich Kampfgeräusche. Insgeheim dachte ich mir: „Hoffentlich überleben die anderen!“

Winzige Finger krallten sich an meinem schwarzen Anzug fest. Da bemerkte ich, dass Krystina mir die ganze Zeit über gefolgt war.

„Wohin führt dieser Geheimgang?“, fragte ich nach einer Weile, in der wir rannten, in die Runde.
„Zu den Steppen von Silberbrück. Wenn wir es bis dorthin schaffen, sind wir schon fast in Sicherheit! Kennst du das Portal nach Norden, Stefanus?
Das führt direkt zum Schloss eurer Ahnen!“
Eduard tätschelte mir die rechte Schulter.

In dem Gewimmel von Vampiren verlor ich Mutter aus den Augen.
„Bleib bitte bei mir, Krystina, okay? Wir werden Vater, Mutter und Ro’Kuni schon noch finden, versprochen!“, versuchte ich meine kleine Schwester zu beruhigen.
„Ich will aber zu Mama!“, rief Krystina.

„Später gehen wir zusammen zu Vater und Mutter“, ertönte eine vertraute Stimme hinter uns. Sie gehörte zu Ro’Kuni, das erkannte ich sofort. An den immer lauter werdenden Geräuschen von draußen konnte ich erkennen, dass wir mittlerweile direkt unter den Straßen von Dreysingen sein mussten.
Ich hörte jemanden rufen:
„Schnappt euch die Blutsauger!“
Ein anderer schrie: „Tötet sie alle!“
Und Krystina wiederholte: „Ich will zu Mama!“

Wir folgten dem unterirdischen Tunnelsystem. Es kam mir wie eine gefühlte Ewigkeit in den dunklen Tunneln vor. Im nächsten Moment war ich froh über meine Fähigkeit, in völliger Dunkelheit sehr gut sehen zu können. Zudem hatte ich ein ausgezeichnetes Gehör. Darum konnte ich selbst die leiseste Bewegung im Tunnel wahrnehmen.

Ein seltsames Quieken erschrak Krystina und mich. Krystina konnte nicht anders, sie schrie vor Entsetzen auf. Sofort machten sich Ro’Kuni und ich kampfbereit. „Das sind nur Ratten, Kinder!“, ertönte die Stimme von Eduard. Trotzdem wollte ich auf Nummer sicher gehen, nahm die Fackel unseres Gruppenführers und versuchte damit, die Ratten zu verscheuchen.

Als sich fünf Ratten plötzlich verwandelten, staunten wir alle darüber sehr. Sie nahmen Menschengestalt an. Drei von den verwandelten Männern grinsten breit. „Hier versteckt ihr euch also! Gut zu wissen! Dachte ich mir doch, dass das vorhin nicht alle Bewohner dieser Stadt waren. Wo habt ihr nur gesteckt, ihr Blutsauger?“
„Das geht Sie überhaupt nichts an!“, zischte Eduard.

Da stellte sich Mutter schützend vor Krystina und mich. „Lassen Sie die Kinder in Ruhe! Sie haben Ihnen nichts getan!“
„Ach, wie herzallerliebst!“, bemerkte einer der Männer. Er grinste hinterhältig und zückte einen Dolch sowie eine Fackel, die wie durch Zauberhand von selbst brannte.

„Ro’Kuni, Stefanus! Nehmt eure Schwester und rennt weg! Kümmert euch nicht um mich! Rennt!“
„Mama! Ich will aber zu dir!“, rief Krystina.
Da wurde Mutter von einem der Männer gepackt. Ich erkannte die Gefahr als Erster. „Mama, pass auf!“, schrie ich aus Leibeskräften.

Dann ging alles ganz schnell. Jemand hielt eine Fackel in die Höhe, der Angreifer stach mit einem Dolch zu und erwischte Mutter. „Mama!“, riefen Ro’Kuni, Krystina und ich gleichzeitig.
Ich hörte noch ein letztes Wort von Mutter.
„Dungabrinska“. Dann sank sie zusammen.
„Mama!“ Unsere Stimmen überschlugen sich.

Es bildete sich eine Blutlache auf dem Boden. Ich klammerte mich mit einer Hand an Ro’Kuni, mit der anderen hielt ich Krystina fest, die erst leise und dann immer lauter weinte.

Ro’Kuni streichelte Krystina mit seiner linken Hand. Mit der rechten zückte er ein Klappmesser, um die Kerle auf Abstand zu halten. Doch die Männer kamen immer näher, anstatt sich zurückzuziehen.
Einer von ihnen lachte hinterhältig. Er hielt noch immer den blutverschmierten Dolch in seiner Hand.
„Diese Typen sind echt hundsgemein“, flüsterte ich. Ich konnte nicht verhindern, dass auch ich zu heulen begann.

Im nächsten Moment rammte jemand dem Angreifer seine Zähne in den Hals und biss sich an ihm fest. Es war Johann Kyser, der zu unserer Rettung herbeigeeilt kam. „Verdammter Blutsauger!“, schrie der Vampirjäger, dann kippte er reglos zur Seite.

Wenige Sekunden später sprach eine Stimme in meinem Kopf. Es waren nur zwei Wörter. „Stefanus! Flieh!“ Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass Vater auf diese Weise mit mir in Kontakt trat. Dann wurde ich von Ro’Kuni gepackt.
„Hat Vater auch zu dir telepathisch gesprochen? Wir sollen so schnell wie möglich zum Portal fliehen!“
„Ja, das hat er“, antwortete ich. So packte ich zuerst meine Schwester.

„Kinder, lauft weg! Ihr könnt hier nichts mehr tun!“, hörte ich Johann Kyser sagen, der eine Gruppe Vampire aus der „Oberwelt“ durch einen Seiteneingang in die unterirdischen Katakomben gebracht hatte, um sie vor der Gefahr draußen zu schützen. Wenigstens wussten wir jetzt, dass diese Männer zu allem fähig waren.
„Das sind Vampirjäger!“, wusste Johann. „Bitte, Kinder, lauft weiter. Wir übernehmen diese Kerle! Wir kommen dann später nach, versprochen!“

Als dann auch noch Eduard, unser Gruppenführer, von einem Dolch durchbohrt wurde, hielt mich nichts mehr. Ich schrie „Mörder“ in die Richtung des Mannes, der immer noch lachte. Danach vergrub ich meine Hände im Gesicht und heulte hemmungslos. Ro’Kuni packte mich. „Johann hat Recht, wir müssen weg“, war das Einzige, was er sagte. Und wiederholte es noch zweimal.

Wie durch ein Wunder gelang es Ro’Kuni, Krystina und mir, vor den grausamen Vampirjägern zu fliehen. Wir folgten dem Hauptweg immer in Richtung Nordosten. Und bemerkten recht schnell, dass uns ein Dutzend Ratten folgten, die sich während des Flitzens in Menschen verwandelten.

Als wir schließlich einen bemoosten Untergrund erreichten, wussten wir, dass unser nächstes Etappenziel ganz in der Nähe sein musste. Wir stiegen eine knorrige Treppe empor und tasteten uns an den Wänden entlang.

„Das müssen die Steppen von Silberbrück sein. Den einsamen Baum in der Mitte der Steppen kenne ich von vielen Geschichten, die mir Mutter und Vater früher erzählt haben“, raunte Ro’Kuni an mein Ohr.
Ich nickte, dass ich ihn verstanden hatte.

„Das Portal müsste ungefähr fünf Meilen von hier entfernt liegen. Ich habe Eduard vorhin genau zugehört, als er uns den Weg beschrieben hat. Keine Sorge, Stefanus, Krystina! Ich werde uns in Sicherheit bringen. Darauf könnt ihr euch verlassen!“

Ohne groß zu überlegen, sprinteten wir drauf los. Krystina musste ich ein wenig antreiben, denn sie wollte ohne Mutter nicht weiterlaufen, was sie mehrmals betonte. Sie weinte immer noch über den Verlust ihrer „Mamita!“

Da ertönte in der Ferne eine Stimme. „Schnappt euch die Kinder!“, brüllte einer der Vampirjäger. „Das ist keine Bitte, sondern ein Befehl!“
Innerlich fluchte ich. Wie hatten es die Jäger nur so schnell geschafft, uns von den Katakomben bis zu den Steppen zu folgen? Ich vermutete, dass sie erneut Rattengestalt angenommen hatten, um sich auf diese Weise unauffälliger fortzubewegen.

Wenig später hetzten uns zwölf Vampirjäger, die sich wieder in Menschengestalt verwandelten, durch die nordöstliche Steppe, die sie in Brand legten.
Einer warf seinen Dolch nach mir, doch Ro’Kuni reagierte schnell. Er rollte sich mit Krystina und mir zur Seite. So war ich dem Tod nur knapp entronnen.

Allerdings nahmen die erwachsenen Jäger weiterhin mit ihren Fackeln und Dolchen die Verfolgung auf. Da kam uns plötzlich ein Wolkenbruch zugute.
Der Starkregen löschte die Fackeln und den Steppenbrand, worüber die Vampirjäger fluchten.

Ich hörte noch einmal Vaters Stimme in meinem Kopf. „Stefanus! Es kann sein, dass ich diese Schlacht nicht überleben werde. Darum verrate ich dir ein Geheimnis. Du bist ein Auserwählter, der unser Volk retten wird. So steht es in einer alten Prophezeiung!“
Darüber staunte ich sehr. Und flüsterte leise vor mich hin. „Ich werde dich nicht enttäuschen, Vater!“

Krystina, die sich fest an mich klammerte, bemerkte: „Du zitterst ja, Stefanus!“
Ohne darauf zu antworten, deutete ich auf das Portal, das sich violett schimmernd vor uns erhob.
„Auf drei springen wir ins Portal. Hast du mich verstanden? Eins, zwei und drei!“

Wir landeten in Ilsenbach, direkt in der Nähe des Familienschlosses. Erst jetzt bemerkte ich, dass Ro’Kuni fehlte. So rief ich seinen Namen. Doch keine Reaktion. Mit Tränen in den Augen musste ich hilflos mitansehen, wie sich das Portal schloss.

Ich konnte eine Person wahrnehmen, die es in letzter Sekunde geschafft hatte, durch das Portal zu springen. Erleichtert lockerte ich meinen Griff um Krystinas Hand. „Bruder, bist du es?“, fragte ich. Krystina rannte auf den Portalreisenden zu, stellte aber zu spät fest, dass es sich hierbei nicht um Ro’Kuni handelte.

Da packte ein Fremder Krystina am Hals. Er drückte ganz fest zu. „Ergib dich, Vampirjunge! Oder es wird ihr schlecht ergehen!“
„Niemals!“, zischte ich zurück.
„Ich kenne eure Schwachstelle, Vampire. Ihr habt ein weiches Herz. Zu weich für eure Art!“

Am liebsten wäre ich dem Jäger an die Kehle gesprungen. Doch eine unsichtbare Kraft hielt mich zurück. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Mein Herz pochte wild. „Niemals!“, wiederholte ich. „Sie kennen unsere Familie schlecht. Aufgeben kennen wir nicht! Sie sind ein Monster, wenn Sie uns töten!“

Krystina versuchte mehrmals, sich freizustrampeln. Sie trat dem Jäger so heftig gegen das Schienbein, dass dieser vor Schmerz aufjaulte. Dann biss sie ihn mit ihren Vampirzähnen in die Hand, die nach ihr packen wollte. „Du Biest!“, brüllte der Jäger.

Endlich konnte ich mich aus meiner Starre heraus bewegen. Ich schnellte hervor, packte Krystina und rannte mit ihr zum Schloss. „Stefanus! Wo sind wir sicher vor diesen Männern?“, fragte Krystina, die sich Tränen aus dem Gesicht wischte.
„Am Besten in den Keller. Vater hat mir einmal erklärt, dass es dort einen Geheimgang geben soll“.

So rannten wir in den Keller. Ich tastete mich an den Wänden entlang. „Hier muss irgendwo ein Schalter zum Öffnen des Geheimgangs sein“. In einer kleinen Mulde fand ich schließlich einen Hebel und betätigte ihn. Es rumpelte und der Geheimgang öffnete sich. „Ohne Mama und Papa und Ro’Kuni sind wir ganz alleine!“, rief Krystina aufgeregt.
„Ich weiß! Ich dachte, dass wir auf eine friedliche Hochzeit gehen könnten. Aber dann mussten diese Jäger kommen und uns alles verderben!“

Ich schlug mit der rechten Faust gegen die Wand. „Verdammt! Ich vermisse sie doch auch! Warum? Warum ist Ro’Kuni nicht mitgekommen? Warum?“
Wir umarmten uns. Ich schämte mich nicht davor, vor Krystina zu weinen. Wenn jemand meine Gefühle verstand, dann sie.

Dann hörten wir Schritte, die sich uns näherten. Der Vampirjäger hatte es offenbar geschafft, in das Schloss unserer Ahnen einzudringen. Mit einem mahnenden Zeigefinger vor meinem Mund gebot ich Krystina zu schweigen. Sie verstummte abrupt. „Wenn wir keinen Mucks von uns geben, dann übersieht er uns vielleicht“, flüsterte ich meiner Schwester zu. „Ich will nicht sterben, Stefanus!“, wisperte Krystina zurück. Sie wimmerte vor Angst. Ich hatte alle Mühe, sie zu trösten, obwohl mir selbst die Knie zitterten. Dann schwiegen wir beide und hofften darauf, dass uns der Jäger übersah.

Krystina stützte sich gegen einen Ziegelstein, da sie kurz verschnaufen musste. Daraufhin rumpelte es. Ein zweiter Durchgang öffnete sich. Das Rumpeln war so laut, dass es der Jäger sicher gehört hatte.

Kurze Zeit später erhellte eine Fackel den Raum.
Jemand rief: „Wo steckt ihr, Kinderlein?“
Ich wollte Krystina am Arm packen, doch diese wehrte ab. Das Lachen des Jägers wurde lauter, woran wir erkannten, dass er ganz nah sein musste. „Ihr könnt rennen, so viel ihr wollt! Ich kriege immer, was ich will! Und ich will euch töten!“

Bei seinen letzten Worten lief es mir eiskalt den Rücken herunter.
„Krystina, komm, weg von hier!“ Doch der Jäger war schneller als meine Schwester. Er hatte sie eingeholt und packte ihre Hand. Krystina schrie.
Der Jäger kannte keine Gnade. Er stach ihr mit seinem Dolch mitten ins Herz.
„Nein! Krystina! Warum sie und nicht ich? Warum?“