„They say we are young and we don’t know…”
So leiert der Oldie vor sich hin. Wir tanzen eng, kommen uns näher mit jeder Drehung. Beinahe Millimeter. Hier an der kleinen Bucht, erhellt von leuchtenden Schirmen. Das Rauschen des Meeres unterstreicht den Moment. All die papiernen Lichterhüte - fast kerzenartig unter dem Mond. Und dann die blinkende Bar als Kontrast. Musik aus einer fernen Zeit.
Es ist mein Setting.
Ich habe es kreiert.
„Won’t find out until we grow…”
Eine Drehung und ich halte dich ganz fest. Meine starke Hand ruht in deiner Taille, fügt sich hinein wie mein Puzzleteil in deins. Du bist so leicht wie eine Feder, so agil wie ein wendiges Reptil und dabei so zerbrechlich – so, wie zu dünn gewalztes Glas. Dein Bouquet prickelt auf meiner Haut, gefährlich. Es manifestiert sich auf meiner Zunge - verweilt dort - wie pelzig durch zu saure Zitrusfrüchte betäubt.
Gestaltet von meinem Strich und meiner Farbe schwebst du von einem Moment zum anderen über die Tanzfläche und lehnst dich an mich. Du hängst dich in meinen Arm.
Noch spüre ich dein Gewicht.
Im Lichtschimmer dein Schattenriss an der Theke, während ich dich über die Tanzfläche führe und du mir vertraust.
Meine Gedanken halten dich aufrecht. Wie glattgedrücktes Wachs ist deine Mimik. Ich kann sie nicht genau präzisieren. Meine Gedanken haben nicht die Kraft, die Nuancen um deine Augen und den Mund so zu gestalten, wie ich es will. Keine Kraft, deinem Blick die Tiefe zu verleihen, die ich brauche. Du bist ganz Teil der Phantasie. In diesem Moment. Du entspringst Windungen aus illusionärer Tiefe. Du solltest mein Meisterstück sein, aber Schritt für Schritt weichst du meiner Kontrolle.
Und doch funktionierst du so gut.
Fast bin ich schockiert, wie sehr du bereit bist, dich mir hinzugeben. Ich bin schockiert, wie du dich zur Schau stellst. Beinahe exhibitionistisch. Deine Nägel krallen sich in meinen Nacken. Und ja. Ich spüre sie.
„They say our love won’t pay the rent…”
Ich denke nicht an die Zukunft. Ich halte dich jetzt.
Ich drehe dich erneut. Wir verschmelzen in einer leichten Pirouette. Dann trennen wir uns wieder. Nur drei Finger breit. Dann ziehe ich dich umso näher an mich. Deine kühle Haut. Wie Porzellan. Schweiß perlt ab. Ich rieche dich.
Aber je länger wir tanzen, umso weiter entferne ich mich von dir. Desto pergamentartiger wird deine Haut. Sie beginnt sich aufzulösen in Schichten, blättert ab wie Krokant.
Der Sommer ist da. Er bleibt. Ich schwitze. Auch in der Nacht. Es tropft und trocknet an. Keine Realität. Noch bin ich hier. Noch halte ich dich. Die Bar an sich - hinter den Papierhüten und den seichten Wellen - ist getaucht in billiges, buntes Licht. Obsolete Diskoelemente behelfsmäßig and die Palmen gebunden. Longdrinks klirren auf der Theke. Inseltreue Gesichter, die mit dem Ambiente verschmelzen. So, als seien sie ein Teil der Institution. Alles ist wie verpixelt, künstlich im Detail. Und doch klar in meinen Gedanken.
Menschen, die förmlich mit der Insel verwachsen sind. Ihre Gesichter tragen das typische Merkmal einer rauen Vegetation. Ledrig-starr, furchig.
Ich lasse sie so.
Nur du bist mir so wichtig, dass es mir nicht gelingt, dich so detailliert wie möglich zu konzipieren. Dich in die Perfektion zu pressen. Einen Schritt weiter leuchten die Lichterhüte und das Feuer. Der kerzenartige Schein reicht nicht herüber.
Eine Staub- und Sandschicht unter uns - zermahlene Muschelschalen. Sie reiben auf der Tanzfläche und unter unseren Füßen, wenn wir uns von einem Ort zum Nächsten drehen. Die Struktur deiner Wirbel an meinen Fingerspitzen. Höckerig abwärts. Ich zähle sie - einen nach dem anderen - um bei dir zu bleiben. Um dich zu halten.
Deine Absätze reißen Striche hinein in den feinen Sand, den der Wind auf die Tanzfläche geweht hat. Parabelartig, kantig und mit jeder weiteren Drehung eine neue Kreation - fast einen Zentimeter breit im Strich. Mein fester Schuh zerstört sie wieder. Dein punktsicherer Absatz und mein grobes, resistentes Schuhwerk von den Wanderungen auf der Insel. Verschlissen von der Zeit - es zerfetzt deine filigranen Kunstwerke. Aber ich versuche, sie mir zu merken.
Sie inspirieren mich sehr.
Dann fängst du an, leichter zu werden. Mit jeder Drehung weichst du meiner Hand. Strichartig wird deine Körperkontur. Dann, ganz langsam, beginnt dein Gesicht die Symmetrie zu verlieren. Ein Auge rutscht ab. Halblinks. Wachs wird weich. Ich kann es nicht mehr halten. Deine Lippen keine geschwungene Linie mehr. Es wird schief.
Der Subwoofer scheint zeitgenössisch zu sein. Er vibriert in meinen Ohren. Mit jedem Schlag kommt es näher. Es führt mich zurück.
Umso mehr konzentriere ich mich auf dich.
Beinahe könnte ich zubeißen in reifes, weiches Obst. Fast tropft Fruchtfleisch von meinen Mundwinkeln. Fast spucke ich Kern und Strunk in den warmen Sand. Aber ich tue es nicht. Ich würde zu weit gehen, die Realität ganz aus dem Auge verlieren. Ich wäre ein Detail meiner eigenen Kreation. Zu integriert. Zu sehr mit dir verschmolzen. Wäre in dir verloren. Mit dir in einer fernen Welt.
„I don’t care, with you I can‘t do wrong…“
Die Sonne ist schon lange untergegangen. Sie hat so heiß gebrannt. Kopfschmerzen.
Es ist Sommer und Ferne. Nach Momenten der Rotation unserer Körper - hitzig mit Schweiß und Leidenschaft - kann ich es nicht mehr halten. Ich muss dich hergeben.
Um mich herum fällt ein Stück des Himmels zusammen. Graduell aber entschieden. Farbabstufungen werden grau und matt.
Nach der letzten Drehung windet es sich zurück. Als ich die Augen aufschlage bin ich zu Hause. Alles in mir war darauf konzentriert, einen Ausgleich zu finden. Der Welt zu entfliehen. Und doch lässt sich etwas von dir fallen und du vertraust darauf, dass ich dich halte, dich mitnehme. Aber ich darf es nicht.
„I got you to hold my hand, I got you to understand…”
Die Musik aus dem Radio in der Küche leiert vor sich hin. Es ist dasselbe Lied. Ich finde mich wieder in dem Raum, vor dem ich fliehen wollte. Die Insel baut sich ab in meinen Gedanken, der Strand rieselt davon. Die Lichter gehen aus. Kein Papierhut der leuchtet. Kein Sand, der reibt. Nur Wände, die mich einkesseln. Kein kerzenartiger Schein von drüben.
Ich bin zu Hause.
Wie ein lasches Seil hängt sich der Rest von dir über meinen Unterarm und sackt dort weg, wie eine Tüte voll Wasser. Dann fädelst du dich ab und verschwindest im Nichts.
Ich lasse es zu.
Ein Ort der billigen Lichter und Sand und leuchtende Lichterhüte. Und das Meer, das mich so anzieht. Das Rauschen, das mich beruhigt. Alles in Gedanken. Wochenlanges Training.
Dann merke ich, dass ich allein bin.
Sonne am Himmel, gleißend hinein durchs Fenster. Es ist Sommer. Auch hier. Ich reibe mir die Augen und schlucke zweimal. Ich schnalle den Gürtel enger, dritte Öse. Dann noch eine. Es hat so viel von mir gefordert. Ich habe dort zu lange verbracht. Ich habe nichts gegessen. Staub auf den Möbeln.
Als es Abend wird stelle ich eine Kerze auf das Sideboard. Denke an dich. Wie wir getanzt haben, wie du mir vertraut hast. Denke daran, wie sehr es mich aufzerrt und wie sehr ich dich liebe. Wie sehr ich bemüht war, deine Existenz zu festigen und aufrechtzuerhalten.
Und schon lange sagt mein Verstand mir, dass ich mich abspalten muss von dir. Auch wenn es etwas in mir dabei umkommt. Ich schaue auf die Bilder an der Wand, die Erlebnisse, die Abzeichen. Spuren des Lebens. Umrahmtes Zeitgeschehen. Der Briefkasten ist randvoll. Der Anrufbeantworter überladen. Ich gebe den Versuch auf, dein Gesicht weiter zu gestalten, schaue in den Spiegel und fahre über Meines. Eine Sorgenfalte, ein paar Grübchen. Müder Glanz in den Augen. Ein dichter Bartansatz. Zähne rau. Die Achseln fordern eine Dusche.
Das ist, was es mir gebracht hat.
Ich mache die Kerze aus, drehe am Radio, tanze allein durch die Wohnung. Ich drehe mich um mich selbst. Etwas in mir zerbricht als ich versuche, dich zu vergessen. Mit der letzten Drehung verschwindest du aus meinem Verstand, sandige Kreationen zerrissen mit der Zeit lösen sich auf. Reifes, süßes Obst überwunden.
Und ich versuche, mich dem Leben zu stellen.